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Die westliche Hälfte von Albemarle County würde bald das Schild einer Planierraupe zu fühlen bekommen. Der mächtige Staat Virginia und sein Verkehrsministerium, eine autokratische Behörde, hatten den Bau einer Umgehungsstraße durch einen Großteil des besten Ackerlandes im Bezirk beschlossen. Betrie­be würden vernichtet, Weiden planiert, Besitzwerte gelöscht und Träume erstickt werden. Die Westumgehung, wie sie all­gemein genannt wurde, galt schon als veraltet, bevor sie begon­nen wurde. Dies kümmerte das Verkehrsministerium sowenig wie die Tatsache, daß die Straße die Wasserscheide gefährdete. Die Behörden wollten die Westumgehung und würden sie be­kommen, egal, wer verdrängt und wie stark die Landschaft ver­schandelt würde.

Der Aufruhr, den diese Willkür hervorrief, stellte die Fortset­zungsgeschichte von dem Kopf im Kürbis in den Schatten. Da niemand die Leiche identifizieren konnte, verpuffte das Interes­se. Es sprang höchstens eine gute Geschichte für künftige Hal­loweenfeiern dabei heraus.

Die Ruhepause wurde von Bürgermeister Jim Sanburne und den Würdenträgern der Stadt Crozet begrüßt. Big Marilyn wei­gerte sich, das Thema zu erörtern, und es verlief in ihren Krei­sen im Sande, also unter jenen sechs oder sieben Damen, die so große Snobs waren wie sie selbst.

Little Marilyn hatte sich soweit erholt, daß sie ihren Bruder Stafford anrief und ihn übers Wochenende zu sich nach Hause einlud. Hierüber regte sich Mim mehr auf als über die versam­melten Leichenteile. Es bedeutete, daß sie mit seiner Frau Brenda gesellschaftlich verkehren mußte.

Dieses Unbehagen, von Mim in überreichlichem Maße auf ih­re Tochter übertragen, hatte beinahe bewirkt, daß die junge Frau klein beigab und ihren Bruder mit seiner Frau wieder auslud. Aber die Eröffnung der Jagdsaison stand bevor, ein wunder­schöner Anblick, und Stafford liebte es, solche Ereignisse zu fotografieren. Little Marilyn ließ sich nicht beirren. Stafford würde nächstes Wochenende zu Hause sein.

Fitz-Gilbert, der den Wirbel der stürmenden Weiber satt hatte, beschloß, an diesem Abend spät nach Hause zu kommen. Zuerst kehrte er bei Charly ein, wo er mit Ben Seifert zusammenstieß, der gerade hinausging. Fitz kippte ein Bier und zog weiter. In Sloans Kneipe traf er Fair Haristeen und setzte sich auf den Barhocker neben dem Tierarzt.

»Ein freier Abend?«

Fair bestellte Fitz ein Bier. »Könnte man sagen. Und du?«

»Diese Woche war die Hölle. Jemand hat mein Büro durch­wühlt. Scheint nichts mit dem Mord zu tun zu haben, aber es hat Nerven gekostet, ich hatte ohnehin schon genug um die Ohren, und seine Assistentin war da, sie haben sich Notizen gemacht und so weiter. Etwas Geld hat gefehlt und ein CD-Player, aber das hat sie offensichtlich nicht besonders interessiert. Dann hat Cabell Hall mich angerufen, ich soll meine Wertpapiere im Auge behalten, da der Markt zur Zeit auf einer Einbahnstraße ist - bergab. Und meine Schwiegermutter - ach du meine Güte, wechseln wir das Thema. Oh, vorhin bei Charly habe ich Ben Seifert getroffen. Der Mann ist in Ordnung, aber er brennt gera­dezu darauf, eines Tages Cabells Nachfolger zu werden. Bei der Vorstellung, daß Ben Seifert Direktor der National Allied Bank werden soll, wird mir ganz anders. Und dann ist da natürlich noch mein Schwiegervater. Er will die Nationalgarde herholen. Soweit meine Probleme. Und wie sieht's bei dir aus?« fragte Fitz.

»Ich weiß nicht.« Fair war verstört. »Boom Boom ist mit die­sem Kerl weggegangen, diesem Fotomodell. Sie sagt, er hat sie auf den Krebshilfeball eingeladen, aber ich bin nicht sicher. Er schien nicht besonders an ihr interessiert zu sein, als ich ihn kennenlernte. Ich dachte eher, daß er Harry mochte.«

»Auf die Frauen.« Fitz-Gilbert lächelte. »Ich weiß nichts über sie, aber ich hab eine.« Er stieß mit Fair an.

Fair lachte. »Mein Daddy hat immer gesagt,>du kannst nicht mit ihnen leben, aber ohne sie auch nicht<. Damals wußte ich nicht, was er meinte. Heute weiß ich es.«

»Marilyn allein ist prima. Nur wenn ihre Mutter dabei ist .« Fitz-Gilbert wischte sich Schaum vom Mund. »Meine Schwie­germutter kann vielleicht eine Keifzange sein. Ich hab schon ein schlechtes Gewissen, bloß weil ich hier bin. als hätte ich mich von der Leine losgerissen. Aber ich bin froh, daß sie mich nicht auf den Krebsball geschleppt haben. Marilyn sagt, sie erträgt nur eine gewisse Anzahl davon im Jahr, außerdem will sie alles für Stafford und Brenda vorbereiten. Gott sei Dank. Ich kann eine Pause gebrauchen.«

Fair wechselte das Thema. »Glaubst du, dieser Neue mag Har­ry? Ich dachte, Typen wie der fliegen auf langbeinige Blondi­nen oder auf Kerle.«

»Über seine Vorlieben kann ich nichts sagen, aber Harry sieht gut aus. So natürlich. Von der vielen frischen Luft. Ich werde nie verstehen, warum ihr zwei Schluß gemacht habt, Kumpel.«

Fair, der es nicht gewöhnt war, sich über persönliche Dinge auszutauschen, saß still da und bestellte sich noch ein Bier. »Sie ist ein guter Mensch. Wir sind zusammen aufgewachsen. Auf der High School waren wir unzertrennlich. Sie war mehr eine Schwester für mich als eine Ehefrau.«

»Ja, aber Boom Boom kennst du auch schon, seit ihr klein wart«, konterte Fitz.

»Das ist nicht dasselbe.«

»Da hast du recht.«

»Und was willst du damit sagen?« Fair spürte ein unange­nehmes Kribbeln im Rücken.

»Äh. na ja, ich meine, sie sind vollkommen verschieden. Die eine ist ein Reitpferd und die andere ein Rennpferd.« Eigentlich wollte er sagen,>die eine ist ein Reitpferd und die andere eine dumme Pute<, aber das verkniff er sich. »Boom Boom heizt dir mächtig ein. Ich hab sie Motoren in Gang bringen sehen, die jahrelang keinen Muckser gemacht hatten.«

Fair strahlte übers ganze Gesicht. »Sie ist attraktiv.«

»Dynamit, mein Freund, Dynamit.« Fitz, weniger gehemmt als sonst, kam in Fahrt. »Aber ich würde Harry jederzeit neh­men. Sie ist witzig. Sie ist eine Partnerin. Sie ist eine Freundin. Das andere - he, Fair, das kühlt sich ab.«

»Du drehst ja richtig auf«, bekam er trocken zur Antwort.

»Du kannst mir jederzeit sagen, daß ich die Klappe halten soll.«

»Da wir schon beim Thema sind, erzähl mir doch mal, was du an Little Marilyn findest. Sie ist eine Miniaturausgabe ihrer Mutter und auf dem besten Wege, so kalt zu werden wie ein Klotz. Und soweit ich das beurteilen kann, vernachlässigt sie sogar die ehrenamtliche Wohlfahrtsarbeit. Ich möchte wissen, was.«

»An ihr dran ist?« Fitz beschloß, nicht gekränkt zu sein. Im­merhin ließ er einiges heraus, da mußte er auch was einstecken. »Die Wahrheit? Die Wahrheit ist, ich habe sie geheiratet, weil es so gut zusammenpaßte. Zwei ansehnliche Familienvermögen. Zwei große Familiennamen. Wenn meine Eltern noch lebten, sie wären stolz. Oberflächliches Zeug, genaugenommen. Und in meiner Jugend hab ich's wild getrieben. Ich mußte zur Ruhe kommen. Seltsam, inzwischen liebe ich Marilyn. Du kennst die echte Marilyn nicht. Wenn sie sich nicht verausgabt in ihrem ewigen Bemühen, überlegen zu sein, ist sie einfach Spitze. Sie ist ein scheuer kleiner Käfer und hat ein gutes Herz. Und das Komische ist, ich glaube, sie hat mich auch gern. Ich glaube nicht, daß sie mich aus Liebe geheiratet hat, sowenig wie ich sie aus Liebe geheiratet habe. Sie ging die Ehe ein, die diesealte Vettel« - er zischte das Wort hervor - »von einer Mutter insze­niert hatte. Vielleicht war Mim klüger als wir. Wie auch immer, ich habe meine Frau lieben gelernt. Und ich hoffe, daß ich sie eines Tages von hier weglotsen kann. Wir gehen irgendwohin, wo die Namen Sanburne und Hamilton absolut nichts bedeu­ten.«

Fair starrte Fitz an, und Fitz starrte zurück. Dann brachen sie in Lachen aus.

»Noch ein Bier für meinen Freund.« Fitz warf Geld auf die Theke.

Fair griff begierig nach dem kalten Glas. »Eigentlich könnten wir uns vollaufen lassen.«

»Ganz meine Meinung.«

Als Fitz nach Hause kam, war das Abendessen kalt und seine Frau alles andere als gut gelaunt. Er beschwichtigte sie mit dem Leckerbissen, daß Boom Boom mit Blair auf den Krebshilfeball gegangen war, dann schenkte er ihr und sich einen edlen Sherry als Schlaftrunk ein, eines ihrer Rituale. Bis sie ins Bett schlüpf­ten, hatte Marilyn ihrem Mann verziehen.

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