34

Auf der langen Mahagoni-Anrichte schimmerte ein erlesenes georgianisches Teeservice, umringt von zierlichen blauweißen Teetassen, die Ende des siebzehnten Jahrhunderts aus England herübergeschafft worden waren. Ein Hepplewhite-Tisch, bela­den mit Schinkenschnittchen, Käseomeletten, Artischockensa­lat, Schnittkäse, Hackfleischpastete und frischem Brot stand in der Mitte des Speisezimmers. Brownies und ein mächtiger Ku­chen rundeten das Angebot ab.

Susan hatte für das Jagdfrühstück ihr Bestes gegeben. Das aufgeregte Gemurmel, gewöhnlich ein Anzeichen für eine er­folgreiche Jagd, bedeutete heute etwas anderes.

Nachdem der Hundeführer Ben Seifert identifiziert hatte, war er mit dem Pikör zu den Mastern, dem Feldmaster und den an­deren Pikören hinuntergeritten. Sie beschlossen, die Hunde zu verladen und in die Zwinger zurückzubringen. Erst als alle Menschen in sicherer Entfernung vom Tunnel waren und sich zum Frühstück begeben hatten, eröffneten die Master ihnen die Neuigkeit.

Nachdem die Hunde verfrachtet waren, kehrten der Hundefüh­rer und der Pikör, der ihn zu dem grausigen Fundort begleitet hatte, zum Tunnel zurück, um Rick Shaw und Cynthia Cooper zu helfen.

Trotz der betrüblichen Nachricht trieb der Appetit die Reiter und ihre Zuschauer ans Büffet. Die Speisen schwanden, und Susan füllte Platten und Schüsseln wieder auf. Ned, ihr Mann, kümmerte sich um die Bar.

Big Marilyn, die in einem aprikosenfarbenen Ohrensessel saß, balancierte ihren Teller auf den Knien. Aus ebendiesem Grund konnte sie Büffets nicht ausstehen. Mim wollte an einem Tisch sitzen. Herbie und Carol saßen auf dem Fußboden, zusammen mit Harry, Blair und Boom Boom, die sich betont charmant gab.

Cabell und Taxi trafen später ein und wurden von einer Per­son, die es gut meinte, von der Neuigkeit unterrichtet. Sie waren so erschüttert, daß sie sofort wieder nach Hause gingen.

Fair stand am Büffet. Er bemerkte die Gruppe auf dem Boden und brachte Nachtisch für alle, auch für seine Exfrau. Fitz­Gilbert und Little Marilyn leisteten Mim Gesellschaft. Mrs. Hogendobber wollte in ihrem Rock nicht auf der Erde sitzen und nahm deshalb den anderen Ohrensessel in Beschlag, der in sanftem Mintgrün gehalten war.

»Miranda.« Big Marilyn spießte ein Stück Omelette auf. »Deine Meinung.«

»Sollen wir die Gesellschaft nach ihren unzufriedenen Mit­gliedern beurteilen?«

»Was meinst du damit?« fragte Big Marilyn, ehe Mrs. Hogen­dobber neuen Atem schöpfen konnte.

»Crozet kommt wieder in die Zeitung. Was bei uns Schreckli­ches passiert ist, wird überall herumposaunt. Man wird uns anhand dieser Morde beurteilen statt anhand unserer guten Bür­ger.«

»Danach hatte ich nicht gefragt«, fuhr Mim sie an. »Was glaubst du, wer Ben Seifert getötet hat?«

»Noch wissen wir nicht, ob er ermordet wurde«, warf Fitz­Gilbert ein.

»Du glaubst doch nicht etwa, daß er in den Tunnel gegangen ist und sich umgebracht hat? Er wäre der letzte, der Selbstmord begehen würde.«

»Was denken Sie, Mim?« Susan wußte, daß ihr Gast darauf brannte, ihre Meinung zu äußern.

»Ich denke, wenn Geld von Hand zu Hand geht, bleibt es manchmal an den Fingern kleben. Wir wissen alle, daß Ben Seifert mit der Arbeitsmoral nicht gerade auf gutem Fuße stand. Aber er lebte ausnehmend gut, oder nicht?« Alle nickten zu­stimmend. »Der einzige Mensch, der ihn vielleicht hätte ermor­den wollen, ist seine Exfrau, aber so dumm ist sie nicht. Nein, er hat an irgend jemandes Treuhandvermögen manipuliert. Das wär ihm zuzutrauen.«

»Mutter, das ist ein hartes Urteil.«

»Ich sehe keinen Grund, damit hinterm Berg zu halten.«

»Er, beziehungsweise die Bank, hat das Geld von vielen von uns verwaltet. Er wußte also, wer was hatte.« Fitz vertilgte ein Brownie. »Aber Cabell hätte ihm das Fell über die Ohren gezogen, wenn er auch nur eine Sekunde hätte annehmen müssen, daß Ben unredlich wäre.«

»Vielleicht ist jemand zahlungsunfähig geworden«, überlegte Carol Jones laut. »Und vielleicht hat derjenige erwartet, daß Ben ihm entgegenkommt. Und wenn er es nicht getan hat?«

»Oder jemand hat ihn beim Griff in die Kasse erwischt«, fügte Reverend Jones hinzu.

»Ich glaube nicht, daß dies irgendwas mit Ben und klebrigen Fingern zu tun hat.« Harry setzte sich in den Schneidersitz. »Bens Tod hängt mit der nicht identifizierten Leiche zusam­men.«

»Ach Harry, das ist an den Haaren herbeigezogen.« Fitz griff nach seiner Bloody Mary.

»Es ist so ein Gefühl, ich kann's nicht erklären.« Harrys stille Überzeugung geriet ins Wanken.

»Halten Sie sich an Ihre Gefühle. Ich halte mich lieber an Fak­ten«, stichelte Fitz-Gilbert.

Fair nahm Harry in Schutz: »Früher hab ich genauso gedacht, aber im Zusammenleben mit Harry habe ich gelernt, auf. nun ja, auf Gefühle zu hören.«

»So, und was sagt Ihnen nun Ihre innere Stimme?« Mim be­tonte »innere« mit anmaßender Schärfe.

»Daß wir gar nicht viel wissen«, sagte Harry bestimmt. »Daß einer von uns ermordet wurde und wir uns im Schlaf nicht mehr so sicher fühlen können, weil wir nicht einen einzigen Hinweis, nicht das geringste Anzeichen für ein Motiv haben. Haben wir es mit einem Irren zu tun, der bei Vollmond zuschlägt? Ist es jemand, der eine alte Rechnung zu begleichen hatte? Soll mit dieser Tat etwas anderes vertuscht werden? Etwas, das wir uns nicht im entferntesten vorstellen können? Meine innere Stimme rät mir, wachsame Blicke in alle Richtungen zu werfen.«

Das ließ die Runde einen Moment lang verstummen.

»Sie haben recht.« Herbie stellte seinen Teller auf den Couch­tisch. »Und ich schließe nicht aus, daß etwas Satanisches im Spiel sein könnte. Ich habe bisher nichts davon gesagt, weil es so beunruhigend ist. Aber gewisse Kulte verüben Ritualmorde, und die Art, wie sie ihre Opfer töten, ist Teil des Rituals. Wir haben eine zerstückelte Leiche, und wir wissen nicht, wie Ben gestorben ist.«

»Wissen wir, wie der andere Mann gestorben ist?« fragte Litt­le Marilyn.

»Durch einen Schlag auf den Kopf«, klärte Ned Tucker sie auf. »Larry Johnson hat die Autopsie vorgenommen, und ich habe ihn anschließend getroffen. Herbie, ich glaube nicht, daß bei satanischen Kulthandlungen Köpfe eingeschlagen werden.«

»Nein, bei den meisten nicht.«

»Damit wären wir wieder da, wo wir angefangen haben.« Fitz stand auf, um sich noch einen Nachtisch zu holen. »Wir sind nicht in Gefahr. Ich wette, wenn die Behörden Bens Bücher überprüfen, werden sie Unregelmäßigkeiten finden. Oder einen zweiten Satz Bücher.«

»Selbst wenn wir es mit einer Veruntreuung von Geldern zu tun haben, wissen wir trotzdem nicht, wer Ben oder den anderen Mann umgebracht hat«, stellte Susan fest.

»Diese Morde haben etwas mit Satan zu tun«, tönte Mrs. Ho­gendobbers klare Altstimme. »Der Teufel hat seine langen Kral­len in jemanden gesenkt, und, verzeihen Sie den Ausdruck, jetzt ist die Hölle los.«

Загрузка...