Kapitel 13

Ich hatte mich darauf vorbereitet, Barry X. zu erklären, daß ich am Samstag nicht arbeiten könnte, weil ich dringendere Aufgaben im Haus zu erledigen hätte. Und ich hatte mich darauf vorbereitet, ein paar Stunden am Sonntagnachmittag vorzuschlagen, falls er mich brauchte. Aber ich hatte mir umsonst Gedanken gemacht. Barry verläßt übers Wochenende die Stadt, und da ich es nicht wagen würde, das Büro ohne seine Mithilfe zu betreten, hat sich die Sache rasch von selbst erledigt.

Aus irgendeinem Grund rüttelt Miss Birdie nicht schon vor Sonnenaufgang an meiner Tür, sondern entscheidet sich dafür, sich vor der Garage, unter meinem Fenster, mit dem Zurechtlegen aller möglichen Werkzeuge zu beschäftigen. Sie läßt Harken und Schaufeln fallen. Sie kratzt mit einer unhandlichen Spitzhacke angetrocknete Erde aus der Schubkarre. Sie schärft zwei Breithacken, wobei sie die ganze Zeit singt und jodelt. Kurz nach sieben komme ich schließlich herunter, und sie tut überrascht, mich zu sehen.»Ach, guten Morgen, Rudy. Wie geht es Ihnen?«

«Gut, Miss Birdie. Und Ihnen?«

«Wunderbar, einfach wunderbar. Ist das nicht ein herrlicher Tag?«

Der Tag hat gerade erst begonnen, und es ist noch entschieden zu früh, um seine Herrlichkeit zu beurteilen. Auf jeden Fall ist es ziemlich stickig für eine so frühe Stunde. Die unerträgliche Hitze des Sommers in Memphis wird nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Sie gestattet mir eine Tasse Instantkaffee und eine Scheibe Toast, bevor sie anfängt, von dem Mulch zu reden. Ich mache mich ans Werk, sehr zu ihrem Entzücken. Ich hieve den ersten Zentnersack in die Schubkarre und folge ihr um das Haus herum, die Auffahrt entlang und über den vorderen Rasen zu einem mickrigen Blumenbeet an der Straße. Sie hält ihren Kaf-fee in den behandschuhten Händen und deutet auf die Stelle, auf die der Mulch kommen soll. Ich bin ziemlich außer Atem von der Tour, inbesondere dem letzten Stück über den feuchten Rasen, aber ich reiße schwungvoll den Sack auf und mache mich daran, mit einer Mistgabel Mulch zu verteilen.

Mein T-Shirt ist schweißdurchtränkt, als ich eine Viertelstunde später mit dem ersten Sack fertig bin. Sie folgt mir und der Schubkarre zurück an den Rand der hinteren Terrasse, wo wir nachladen. Sie zeigt mir genau, welchen Sack ich als nächsten nehmen soll, und wir karren ihn zu einer Stelle in der Nähe des Briefkastens.

In der ersten Stunde verteilen wir fünf Säcke. Und ich leide. Um neun beträgt die Temperatur achtundzwanzig Grad. Um halb zehn überrede ich sie zu einer Wasserpause, und nach zehn Minuten Sitzen fällt es mir schwer, wieder aufzustehen. Eine Weile danach befallen mich glaubwürdige Rückenschmerzen, aber ich beiße die Zähne zusammen und zwinge mich dazu, nur ganz leicht das Gesicht zu verziehen. Sie nimmt es nicht zur Kenntnis.

Ich bin kein Faulpelz, und auf dem College, vor nicht allzu langer Zeit, war ich in bester körperlicher Verfassung. Ich bin gejoggt und habe Hallensport betrieben, aber dann kam das Jurastudium, und in den letzten drei Jahren hatte ich nur wenig Zeit für derartige Aktivitäten. Nach ein paar Stunden harter Arbeit komme ich mir vor wie der letzte Schwächling.

Zum Lunch füttert sie mich mit zweien ihrer geschmacklosen Truthahnsandwiches und einem Apfel. Ich esse sehr langsam unter dem Ventilator auf der Terrasse. Mein Rücken tut weh, meine Beine sind taub, und meine Hände zittern regelrecht, während ich an dem Apfel nage wie ein Kaninchen.

Während sie die Küche aufräumt, schaue ich über die kleine Rasenfläche, um den Mulchberg herum, auf meine unschuldig über der Garage liegende Wohnung. Ich war so stolz auf mich, als ich die geringe Summe von hundertfünfzig Dollar Miete pro Monat ausgehandelt hatte, aber wie clever war ich dabei wirklich? Wer hat bei diesem Handel das bessere Geschäft gemacht? Ich erinnere mich, daß ich mich fast ein wenig geschämt habe, diese reizende kleine alte Dame so auszunutzen.

Jetzt würde ich sie am liebsten in einen leeren Mulchsack stopfen.

Einem uralten, an die Garage genagelten Thermometer zufolge beträgt die Temperatur um eins vierunddreißig Grad. Um zwei streikt mein Rücken endgültig, und ich erkläre Miss Birdie, daß ich ausruhen muß. Sie mustert mich traurig, dann dreht sie sich langsam um und betrachtet den nicht wesentlich kleiner gewordenen Haufen weißer Säcke. Wir haben kaum eine Delle hineingemacht.»Na ja, wenn es unbedingt sein muß.«

«Nur eine Stunde«, flehe ich.

Sie läßt sich erweichen, aber um halb vier schiebe ich abermals die Schubkarre, mit Miss Birdie auf den Fersen.

Nach acht Stunden Schwerarbeit habe ich genau neunundsiebzig Säcke Mulch verteilt, weniger als ein Drittel der Ladung, die sie hat anliefern lassen.

Kurz nach dem Lunch habe ich den ersten Hinweis darauf fallen lassen, daß ich um sechs im Yogi's sein müßte. Das war natürlich eine Lüge. Vorgesehen ist, daß ich von acht bis Geschäftsschluß an der Bar arbeite. Aber das braucht sie nicht zu wissen, und ich bin entschlossen, mich von dem Mulch zu befreien, bevor es dunkel wird. Um fünf mache ich einfach Schluß. Ich sage ihr, mir reicht es, mein Rücken tut weh. Ich muß zur Arbeit. Ich schleppe mich die Treppe hinauf, und sie schaut mir von unten traurig nach. Von mir aus kann sie mir kündigen. Mir ist alles egal.

Am späten Sonntagmorgen weckt mich das majestätische Dröhnen von Donner, und ich liege steif im Bett und höre dem Regen zu, wie er auf mein Dach prasselt. Mein Kopf ist in guter Verfassung — ich habe gestern abend bei der Arbeit nichts getrunken. Aber der Rest meines Körpers ist in Beton eingegossen und unfähig, sich zu bewegen. Die leichteste Regung löst heftige Schmerzen aus. Sogar das Atmen tut weh.

Irgendwann während der gestrigen Plackerei hat Miss Birdie mich gefragt, ob ich mit ihr am Gottesdienst teilnehmen wollte. Kirchenbesuch war keine Bedingung meines Mietvertrags, aber warum nicht, dachte ich. Wenn diese einsame alte

Frau möchte, daß ich mit ihr in die Kirche gehe, dann ist das das mindeste, was ich tun kann. Es könnte mir bestimmt nicht schaden.

Dann habe ich sie gefragt, welche Kirche sie besucht. Abundance Tabernacle in Dallas, antwortete sie. Live über Satellit. Sie betet mit dem Reverend Kenneth Chandler, und zwar in der Abgeschiedenheit ihres eigenen Hauses.

Ich habe abgelehnt. Sie schien verletzt zu sein, faßte sich aber rasch wieder.

Als ich ein kleiner Junge war, lange bevor mein Vater sich dem Alkohol ergab und mich auf eine Militärschule schickte, bin ich gelegentlich mit meiner Mutter in die Kirche gegangen. Ein- oder zweimal hat er uns begleitet, aber dabei ständig nur genörgelt, deshalb war es Mutter und mir lieber, wenn er zu Hause blieb und die Zeitung las. Es war eine kleine Methodistenkirche mit einem netten Pastor, dem Reverend Howie, der amüsante Geschichten erzählte und jedem das Gefühl gab, geliebt zu werden. Ich erinnere mich, wie zufrieden meine Mutter immer war, während wir seinen Predigten lauschten. Es waren massenhaft Kinder in der Sonntagsschule, und ich hatte nichts dagegen, sonntags morgens geschrubbt und gestärkt und danach in die Kirche geführt zu werden.

Einmal mußte sich meine Mutter einer kleinen Operation unterziehen; sie war drei Tage im Krankenhaus. Natürlich waren die Damen von der Kirche selbst über die intimsten Details der Operation informiert, und drei Tage lang war unser Haus überschwemmt mit Auflaufen, Kuchen, Pasteten, Broten und Schüsseln, angefüllt mit mehr Eßbarem, als mein Vater und ich in einem Jahr vertilgen konnten. Die Damen organisierten einen Hausdienst für uns. Sie wechselten sich darin ab, sich um das Essen zu kümmern, die Küche zu putzen, noch mehr Besucher zu begrüßen, die noch mehr Aufläufe brachten. Während der drei Tage, die meine Mutter im Krankenhaus lag, und weitere drei Tage nach ihrer Rückkehr hielt sich mindestens eine der Damen ständig bei uns auf, meiner Meinung nach, um das Essen zu bewachen.

Meinem Vater war das unendlich zuwider. Zum einen konnte er nicht herumschleichen und trinken, nicht mit einem

Haus voller Kirchendamen. Ich glaube, sie wußten, daß er gern mal einen Schluck nahm, und da es ihnen nun einmal gelungen war, in das Haus einzudringen, waren sie auch entschlossen, ihn dabei zu erwischen. Und dann wurde auch noch von ihm erwartet, daß er den freundlichen Gastgeber mimte, etwas, was mein Vater einfach nicht fertigbrachte. Nach den ersten vierundzwanzig Stunden verbrachte er den größten Teil seiner Zeit im Krankenhaus, aber kaum am Bett seiner kranken Frau. Er hielt sich im Besucherzimmer auf, wo er fernsah und Cola mit Schuß trank.

Ich habe angenehme Erinnerungen daran. In unserem Haus hatte es nie eine derartige Wärme gegeben, nie so viel köstliches Essen. Die Damen umhegten mich, als wäre meine Mutter gestorben, und ich genoß die Aufmerksamkeit. Sie waren die Tanten und Großmütter, die ich nie gehabt hatte.

Kurz nachdem meine Mutter wieder gesund war, wurde der Reverend Howie wegen einer Unbesonnenheit entlassen, die ich nie recht verstanden habe, und die Gemeinde brach auseinander. Jemand beleidigte meine Mutter, und das war für uns das Ende der Kirchenbesuche. Ich glaube, sie und Hank, ihr neuer Ehemann, gehen sporadisch zu Gottesdiensten.

Ich vermißte die Kirche eine Zeitlang, dann gewöhnte ich mir an, nicht mehr hinzugehen. Meine Freunde dort luden mich gelegentlich ein, sie zu begleiten, aber wenig später war ich zu cool, um noch in die Kirche zu gehen. Eine Freundin am College nahm mich zur Messe mit, ausgerechnet am Samstagabend, aber ich bin zu sehr Protestant, um all die Rituale zu verstehen.

Miss Birdie hat schüchtern die Möglichkeit von Gartenarbeit heute nachmittag erwähnt. Ich habe erklärt, es sei Sabbat, der Tag des Herrn, und ich wäre prinzipiell gegen Arbeit am Sonntag.

Darauf fel ihr keine Erwiderung ein.

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