Kapitel 7

Ich weiß beim besten Willen nicht mehr, warum ich mir die Kanzlei von Aubrey H. Long and Associates als erstes Opfer aussuchte, aber ich glaube, es hatte etwas mit ihrer netten, irgendwie würdevollen Anzeige im Branchenbuch zu tun. Die Anzeige enthielt ein grobkörniges Schwarzweißfoto von Mr. Long. Wenn es darum geht, die Gegend mit ihren Gesichtern zu bepflastern, sind Anwälte mittlerweile fast so schlimm wie Chiropraktiker. Er schien ein aufrichtiger Mann zu sein, ungefähr vierzig, nettes Lächeln, ganz im Gegensatz zu den meisten anderen Visagen in der Rubrik mit den Anwälten. Seine Kanzlei beschäftigt vier Anwälte, ist auf Verkehrsunfälle spezialisiert, sucht Gerechtigkeit auf allen Wegen, bearbeitet bevorzugt Fälle, bei denen es um Verletzungen und Versicherungen geht, kämpft für ihre Mandanten und kassiert nichts, bevor sie nicht etwas hereingeholt hat.

Zum Teufel, irgendwo muß ich anfangen. Ich finde die angegebene Adresse in einem kleinen, quadratischen, wirklich häßlichen Ziegelsteinbau in der Innenstadt, mit einem gebührenfreien Parkplatz ganz in der Nähe. Das gebührenfreie Parken war in der Anzeige erwähnt. Als ich die Tür aufstoße, läutet ein Glöckchen. Eine dickliche kleine Frau hinter einem übervollen Schreibtisch begrüßt mich mit einer Mischung aus Lächeln und Verärgerung. Ich bin schuld daran, daß sie ihr Tippen unterbrechen mußte.

«Kann ich Ihnen helfen?«fragt sie, wobei ihre dicken Finger nur Zentimeter über den Tasten schweben.

Verdammt, das ist hart. Ich zwinge mich zu einem Lächeln.»Ja, ich wollte fragen, ob ich vielleicht Mr. Long sprechen kann.«

«Er ist beim Bundesgericht«, sagt sie, und zwei Finger hauen auf die Tasten. Ein kleines Wort wird produziert. Nicht einfach irgendein Gericht, sondern das Bundesgericht! Bundesgerichte bedeuten Oberliga, und wenn ein kleiner Feld-Wald-und-Wiesen-Anwalt wie Aubrey Long einen Fall vor dem Bundesgericht hat, dann will er sicher sein, daß alle Welt es erfährt. Seiner Sekretärin fällt die Aufgabe zu, es auszuposaunen.»Kann ich Ihnen helfen?«wiederholt sie.

Ich habe mich entschlossen, es mit radikaler Ehrlichkeit zu versuchen. Finten und Kniffe können warten, aber nicht lange.»Ja, mein Name ist Rudy Baylor. Ich bin Jurastudent im dritten Jahr an der Memphis State, kurz vor der Graduierung, und ich wüßte gern, also, ich suche Arbeit.«

Jetzt ist ihr Lächeln regelrecht höhnisch. Sie hebt die Hände von der Tastatur, dreht ihren Stuhl in meine Richtung, dann beginnt sie, ganz leicht den Kopf zu schütteln.»Wir stellen niemanden ein«, sagt sie mit einer gewissen Befriedigung, als wäre sie der Vorarbeiter unten in der Raffinerie.

«Ich verstehe. Könnte ich Ihnen vielleicht meine Vorstellungsunterlagen hierlassen, zusammen mit einem Brief an Mr. Long?«

Sie nimmt die Papiere so widerstrebend entgegen, als wären sie mit Urin durchtränkt, und läßt sie auf ihren Schreibtisch fallen.»Ich lege sie zu den anderen.«

Ich bringe es tatsächlich fertig, ein leises Auflachen und ein Grinsen zu produzieren.

«Ziemlich viele von uns auf Achse, wie?«

«Ungefähr einer pro Tag, würde ich sagen.«

«Nun ja. Tut mir leid, daß ich Sie gestört habe.«

«Macht nichts«, grunzt sie, sich wieder ihrer Schreibmaschine zuwendend. Als ich mich umdrehe, um das Gebäude zu verlassen, hämmert sie bereits wieder auf die Tasten ein.

Ich habe massenhaft Briefe und massenhaft Vorstellungsmappen. Ich habe das ganze Wochenende damit zugebracht, meinen Papierkram zu organisieren und meinen Feldzug zu planen. Im Augenblick bin ich reich an Strategie und arm an Optimismus. Ich habe vor, das ungefähr einen Monat lang zu tun, täglich zwei oder drei kleine Kanzleien aufzusuchen, an fünf Tagen in der Woche, bis ich graduiere, und dann, wer weiß? Booker hat Marvin Shankle gebeten, die Hallen der Gerechtigkeit auf der Suche nach einem Job zu durchforsten, und Madeline Skinner hängt vermutlich gerade jetzt am Telefon und verlangt von irgend jemandem, daß er mich einstellt.

Vielleicht kommt etwas dabei heraus.

Mein zweiter Besuch gilt einer Drei-Mann-Kanzlei zwei Blocks von der ersten entfernt. Das habe ich so geplant, damit ich schnell von einer Ablehnung zur nächsten komme, ohne viel Zeit zu vergeuden.

Dem Anwaltsverzeichnis zufolge ist Nunley Ross & Perry eine Kanzlei, die sich mit jeder Art von Rechtsfällen befaßt, drei Männer Anfang Vierzig, ohne angestellte Anwälte und Anwaltsgehilfen. Offenbar beschäftigen sie sich vorwiegend mit Grundbuchsachen, einem Gebiet, das ich nicht ausstehen kann, aber jetzt ist nicht die Zeit, heikel zu sein. Ihr Büro liegt im dritten Stock eines modernen Betonbaus. Der Fahrstuhl ist überhitzt und langsam.

Der Empfang ist überraschend nett eingerichtet, mit einem Orientteppich auf imitierten Hartholzdielen. Auf einem Glastisch liegen verschiedene Ausgaben von People und Us verstreut. Die Sekretärin legt den Telefonhörer auf und lächelt.»Guten Morgen. Kann ich Ihnen helfen?«

«Ja. Ich würde gern Mr. Nunley sprechen.«

Immer noch lächelnd, wirft sie einen Blick auf einen dicken Terminkalender in der Mitte ihres aufgeräumten Schreibtisches.»Haben Sie einen Termin?«fragt sie, wohl wissend, daß ich keinen habe.

«Nein.«

«Mr. Nunley ist im Augenblick sehr beschäftigt.«

Seit ich vorigen Sommer in einer Kanzlei gearbeitet habe, weiß ich, daß ich damit rechnen mußte, daß Mr. Nunley sehr beschäftigt sein würde. Das ist die absolute Standardbehauptung. Kein Anwalt auf der Welt wird jemals zugeben oder seine Sekretärin zugeben lassen, daß er nicht mit Arbeit überlastet ist.

Könnte schlimmer sein. Er könnte heute morgen beim Bundesgericht zu tun haben.

Roderick Nunley ist der Seniorpartner dieses Betriebs, dem Anwaltsverzeichnis zufolge hat er seinen Abschluß an der Memphis State gemacht. Ich habe versucht, möglichst viele Koabsolventen in meinen Feldzug einzubeziehen.

«Ich warte gern«, sage ich mit einem Lächeln. Sie lächelt zurück. Wir lächeln beide. Eine auf einen kurzen Korridor führende Tür geht auf, und ein Mann ohne Jackett und mit aufgekrempelten Hemdsärmeln kommt auf uns zu. Er blickt auf, sieht mich, und plötzlich stehen wir uns dicht gegenüber. Er gibt der lächelnden Sekretärin eine Akte.

«Guten Morgen«, sagt er mit dröhnender Stimme.»Was kann ich für Sie tun?«Was für eine netter Kerl.

Sie will etwas sagen, aber ich komme ihr zuvor.»Ich möchte mit Mr. Nunley sprechen«, sage ich.

«Das bin ich«, erwidert er und streckt mir die rechte Hand entgegen.»Rod Nunley.«

«Ich bin Rudy Baylor«, sage ich, ergreife die Hand und schüttele sie.»Ich bin Jurastudent im dritten Jahr an der Memphis State, kurz vor der Graduierung, und ich wollte mit Ihnen über einen Job reden.«

Wir schütteln uns immer noch die Hände, und sein Händedruck wird nicht spürbar schlaffer, als ich von Arbeitssuche spreche.»Ja«, sagt er.»Einen Job, wie?«Er schaut auf die Sekretärin hinunter, als wollte er sagen:»Wie konnten Sie das zulassen?«

«Ja, Sir. Wenn Sie nur zehn Minuten erübrigen könnten. Ich weiß, daß Sie sehr beschäftigt sind.«

«Ja, nun, in ein paar Minuten muß ich eine Zeugenaussage aufnehmen und dann so schnell wie möglich zum Gericht. «Er ist im Begriff, auf dem Absatz kehrtzumachen, schaut erst mich an, dann sie, dann auf die Uhr. Aber im Grunde ist er ein guter Kerl mit einem weichen Kern. Vielleicht hat er eines Tages vor noch nicht allzu langer Zeit selber auf dieser Seite der Schlucht gestanden. Ich bettele mit den Augen und strecke ihm die dünne Mappe mit meinen Unterlagen und meinem Brief entgegen.

«Also gut, kommen Sie rein. Aber nur für eine Minute.«

«Ich melde mich in zehn Minuten«, sagt sie schnell, ein Wiedergutmachungsversuch. Wie alle vielbeschäftigten Anwälte schaut er auf die Uhr, betrachtet sie eine Sekunde, dann weist er sie ernst an:»Ja, maximal zehn Minuten. Und rufen Sie Blanche an und sagen Sie ihr, daß ich ein paar Minuten später komme.«

Sie sind gut aufeinander eingespielt, diese beiden. Sie tun mir den Gefallen, aber sie haben rasch mein schnelles Verschwinden arrangiert.

«Kommen Sie mit, Rudy«, sagt er mit einem Lächeln. Während wir den Flur entlanggehen, klebe ich an seinem Rücken.

Sein Büro ist ein quadratischer Raum mit einer Bücherwand hinter dem Schreibtisch und einer recht hübschen Ego-Wand gegenüber der Tür. Ich überfliege rasch die zahlreichen gerahmten Zertifikate — langjähriges Mitglied des Rotary Clubs, Förderer der Pfadfinder, Anwalt des Monats, ein Foto von Rod mit einem rotgesichtigen Politiker, Mitglied der Handelskammer. Dieser Mann rahmt alles ein.

Ich kann die Uhr ticken hören, nachdem wir uns einander gegenüber an seinem riesigen Schreibtisch niedergelassen haben, der aussieht, als wäre er aus einem Versandhauskatalog ausgewählt worden.»Entschuldigen Sie, daß ich Sie so überfallen habe«, fange ich an,»aber ich brauche wirklich dringend einen Job.«

«Wann graduieren Sie?«fragt er und lehnt sich auf den Ellenbogen vor.

«Nächsten Monat. Ich weiß, daß ich ziemlich spät dran bin, aber dafür gibt es einen guten Grund. «Und dann erzähle ich ihm die Geschichte von meinem Job bei Broadnax and Speer. Als ich zu der Sache mit Tinley Britt komme, mache ich mir seinen vermutlichen Abscheu vor großen Firmen zunutze. Es ist eine natürliche Rivalität, die kleinen Leute wie mein Freund Rod hier, die Feld-Wald-und-Wiesen-Anwälte, gegen die seidenbestrumpften Überflieger in den Hochhäusern der Innenstadt. Ich schwindele ein bißchen, als ich behaupte, daß Tinley Britt mit mir über einen Job reden wollte, dann unterstreiche ich den auf der Hand liegenden Punkt, daß ich einfach außerstande bin, für eine große Firma zu arbeiten. Liegt mir nicht. Dafür liebe ich meine Unabhängigkeit zu sehr. Ich will Leute vertreten, nicht große Gesellschaften.

Das nimmt kaum fünf Minuten in Anspruch.

Er ist ein guter Zuhörer, ein bißchen nervös angesichts der im Hintergrund läutenden Telefone. Er weiß, daß er mich nicht einstellen wird, also hört er einfach zu und wartet, bis meine zehn Minuten um sind.»Was für ein mieser Trick«, sagt er mitfühlend, als ich mit meiner Geschichte fertig bin.

«Vielleicht ist es gut, daß es so gekommen ist«, sage ich wie ein Opferlamm.»Aber ich bin bereit, mich in die Arbeit zu stürzen. Ich werde im oberen Drittel meines Jahrgangs abschließen. Ich interessiere mich für Immobilienangelegenheiten, und ich habe zwei Seminare über Grundbesitz absolviert. Beide mit guten Noten.«

«Wir haben viel mit Grundstücksangelegenheiten zu tun«, sagt er selbstgefällig, als wäre es die einträglichste Arbeit auf der Welt.»Und mit Prozessen«, sagt er noch selbstgefälliger. In Wirklichkeit sitzt er natürlich fast ausschließlich in seinem Büro, ein Papiertiger. Dabei macht er seine Sache wahrscheinlich recht gut und verdient genug, um sich ein angenehmes Leben leisten zu können. Aber er will, daß ich ihn außerdem für einen tollen Hecht im Gerichtssaal halte, mit allen Wassern gewaschen. Er sagt das, weil es einfach das ist, was Anwälte immer tun, es ist Teil der Routine. Ich kenne noch nicht viele Anwälte, aber einer, der mir nicht einreden wollte, daß er seine Gegner im Gerichtssaal jederzeit zu Kleinholz verarbeiten kann, muß mir erst noch begegnen.

Meine Zeit läuft ab.»Ich habe mir mein Studium selbst erarbeitet. Die ganzen sieben Jahre. Kein Pfennig von zu Hause.«

«Was für Arbeit?«

«Alles mögliche. Im Augenblick arbeite ich bei Yogi's, bediene an den Tischen, stehe an der Bar.«

«Sie sind Barmann?«

«Ja, Sir. Unter anderem.«

Er hat mein Resümee in die Hand genommen.»Sie sind ledig«, sagt er langsam. Das steht da, schwarz auf weiß.

«Ja, Sir.«

«Irgendeine ernsthafte Romanze?«

Das geht ihn wirklich nichts an, aber mir bleibt keine andere Wahl.»Nein, Sir.«

«Sie sind doch nicht schwul, oder?«

«Nein, natürlich nicht«, und es folgt ein kurzer Augenblick gemeinsamer, heterosexueller Belustigung. Zwei normale weiße Männer.

Er lehnt sich zurück, und sein Gesicht ist plötzlich ernst, als wendete er sich jetzt äußerst wichtigen Geschäften zu.»Wir haben seit mehreren Jahren keinen neuen Anwalt mehr eingestellt. Nur aus Neugierde — was zahlen die großen Firmen in der Innenstadt ihren Anfängern heutzutage?«

Seine Frage hat einen Grund. Ganz gleich, was ich antworte, er wird sich schockiert und fassungslos geben über derart exorbitante Gehälter in den Hochhäusern. Und damit schafft er die Basis für jedes weitere Gespräch über Geld.

Lügen hat keinen Zweck. Er ist vermutlich ziemlich gut über die Gehaltsskala informiert. Anwälte lieben Klatsch.

«Wie Sie wissen, hält sich Tinley Britt viel darauf zugute, daß sie die höchsten Gehälter zahlen. Ich habe gehört, es wären bis zu fünfzigtausend.«

Sein Kopf gerät in Bewegung, noch bevor ich ausgeredet habe.»Kaum zu glauben«, sagt er fassungslos.»Kaum zu glauben.«

«Ich wäre nicht so teuer«, verkünde ich rasch. Ich habe beschlossen, mich billig an jeden zu verkaufen, der bereit ist, mir ein Angebot zu machen. Meine Unkosten sind niedrig, und wenn ich erst einmal einen Fuß in der Tür habe, werde ich ein paar Jahre hart arbeiten, und dann läuft mir vielleicht etwas anderes über den Weg.

«An wieviel hatten Sie gedacht?«fragte er, als könnte seine tüchtige kleine Kanzlei mit den großen Firmen mithalten.

«Ich würde für die Hälfte arbeiten. Fünfundzwanzigtausend. Achtzig Stunden die Woche. Ich grabe sämtliche Karteileichen aus, kümmere mich um den ganzen unerfreulichen Kram, und Sie und Mr. Ross und Mr. Perry können mir all die Fälle geben, von denen Sie wünschen, Sie hätten sie nie übernommen. Keine sechs Monate, und ich hätte sie erledigt. Das verspreche ich Ihnen. Ich würde im Laufe der ersten zwölf Monate mein Geld mehr als verdienen, und wenn nicht, dann gehe ich wieder.«

Rods Lippen öffnen sich tatsächlich, und ich kann seine Zähne sehen. Seine Augen tanzen bei der Vorstellung, den Mist aus seinem Büro schaufeln und bei jemand anderem abladen zu können. Ein lautes Summen kommt aus seinem Telefon, gefolgt von ihrer Stimme:»Mr. Nunley, Ihre eidesstattliche Erklärung. Sie werden erwartet.«

Ich schaue auf die Uhr. Acht Minuten.

Er schaut auf seine. Ein Stirnrunzeln, dann sagt er zu mir:»Interessanter Vorschlag. Lassen Sie mich darüber nachdenken. Ohne meine Partner kann ich das nicht entscheiden. Wir treffen uns jeden Donnerstagmorgen zu einer Besprechung. «Er steht bereits.»Dann werde ich die Sache vorbringen. Wir haben so etwas bisher noch nie in Betracht gezogen. «Er ist um den Schreibtisch herum, bereit, mich hinauszueskortieren.

«Es wird funktionieren, Mr. Nunley. Fünfundzwanzigtausend ist fast geschenkt. «Ich weiche zur Tür zurück.

Einen Moment lang wirkt er wie gelähmt.»Oh, es ist nicht das Geld«, sagt er, als würden er und seine Partner nicht einmal in Traum daran denken, weniger zu zahlen als Tinley Britt.»Es ist nur so, daß die Geschäfte im Augenblick bestens laufen. Wir verdienen recht gut, müssen Sie wissen. Alle sind glücklich. Aber ans Expandieren haben wir noch nie gedacht. «Er öffnet die Tür, wartet, daß ich gehe.»Sie hören von uns.«

Er folgt mir dicht auf den Fersen ins Foyer und sagt der Sekretärin, sie solle sich meine Telefonnummer geben lassen. Dann schüttelt er mir noch einmal die Hand, wünscht mir alles Gute, verspricht, bald anzurufen, und Sekunden später stehe ich wieder auf der Straße.

Es dauert ein oder zwei Minuten, bis ich meine Gedanken geordnet habe. Da habe ich mich soeben bereit erklärt, meine gesamte Ausbildung für einen Apfel und ein Ei an etwas zu vergeuden, das man nun wahrlich nicht als das Beste bezeichnen kann, und was hat es mir eingebracht? Es war nur eine Frage von Minuten, und schon stehe ich wieder auf dem Gehsteig. Wie sich herausstellen sollte, gehörte mein Gespräch mit Roderick Nunley noch zu meinen erfolgreicheren Unternehmungen.

Es ist fast zehn. In einer halben Stunde habe ich Ausgewählte Texte aus dem Code Napoleon, eine Vorlesung, die ich besuchen muß, weil ich eine Woche geschwänzt habe. Ich könnte sie ohne weiteres auch die nächsten drei Wochen schwänzen. Es gibt keine Abschlußprüfung.

In diesen Tagen bewege ich mich nach Belieben in der Juristischen Fakultät und schäme mich nicht mehr, mein Gesicht zu zeigen. Jetzt, da es nur noch eine Sache von Tagen ist, lassen sich die meisten Studenten im dritten Jahr hier gar nicht mehr sehen. Das Studium beginnt mit einem Trommelfeuer aus intensiver Arbeit und Prüfungsdruck, aber es endet mit ein paar vereinzelten Salven aus harmlosen Fragebögen und Wegwerfpapieren. Wir alle verbringen mehr Zeit mit dem Büffeln für das Anwaltsexamen als damit, uns über unsere letzten Vorlesungen den Kopf zu zerbrechen.

Die meisten von uns bereiten sich darauf vor, ins Erwerbsleben einzutreten.

Madeline Skinner hat sich meines Problems angenommen, als wäre es ihr eigenes. Und sie leidet fast so sehr wie ich, weil wir beide kein Glück haben. Da ist ein Staatssenator aus Memphis, dessen Büro in Nashville vielleicht einen Anwalt zur Ausarbeitung von Gesetzesvorlagen brauchen könnte — dreißigtausend mit Zulagen, aber dafür sind eine Anwaltslizenz und zwei Jahre Praxis erforderlich. Eine kleine Firma sucht einen Anwalt mit einem Zwischenexamen in Buchführung. Ich habe Geschichte im Nebenfach studiert.

«Es kann sein, daß bei der Fürsorge in Shelby County im August eine Stelle als Amtsanwalt frei wird. «Sie hantiert mit den Papieren auf ihrem Schreibtisch und versucht verzweifelt, etwas zu finden.

«Bei der Fürsorge?«frage ich.

«Hört sich großartig an, oder etwa nicht?«

«Wie ist die Bezahlung?«

«Achtzehntausend.«

«Welche Art von Arbeit?«

«Väter aufspüren, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, Alimente eintreiben, Vaterschaftsklagen, das übliche.«

«Klingt gefährlich.«

«Es ist ein Job.«

«Und was soll ich bis August tun?«

«Für das Anwaltsexamen lernen.«»Klar, und wenn ich auf Teufel komm raus lerne und das Examen bestehe, dann darf ich für die Fürsorge arbeiten und einen Hungerlohn kassieren?«

«Hören Sie, Rudy…«

«Tut mir leid. Es war ein harter T ag.«

Ich verspreche, morgen wiederzukommen. Aber dabei wird zweifellos auch nichts anderes herausspringen als eine Neuauflage unseres heutigen Gesprächs.

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