Kapitel 27

Wenn ich nicht so nervös wäre, könnte ich wahrscheinlich darüber lachen. Ich bin sicher, ein unbeteiligter Beobachter würde die Komik der ganzen Szene erkennen, aber niemand im Gerichtssaal lächelt. Ich schon gar nicht.

Ich sitze allein an meinem Anwaltstisch und habe die Berge von Anträgen und Schriftsätzen säuberlich vor mir aufgestapelt. Meine Notizen und Querverweise stehen auf zwei Notizblöcken, die, strategisch arrangiert, in Griffweite vor mir liegen. Deck sitzt hinter mir, nicht am Tisch, wo er mir von einigem Nutzen sein könnte, sondern auf einem Stuhl hinter der Schranke, mindestens drei Armlängen entfernt, so daß es aussieht, als wäre ich allein.

Ich komme mir sehr vereinsamt vor.

Der Tisch der Verteidigung auf der anderen Seite des schmalen Ganges ist voll besetzt. Leo F. Drummond sitzt, natürlich in der Mitte, mit dem Gesicht zum Richtertisch, flankiert von seinen Mitarbeitern, zwei an jeder Seite. Drummond ist sechzig Jahre alt, hat in Yale Jura studiert und verfügt über sechsunddreißig Jahre Prozeßerfahrung. T. Pierce Morehouse, ebenfalls ein Yale-Absolvent, ist neununddreißig und Partner bei Trent & Brent mit vierzehn Jahren umfassender Prozeßerfahrung. B. Dewey Clay Hill der Dritte ist einunddreißig, Columbia, bisher noch kein Partner, sechs Jahre Prozeßerfahrung. M. Alec Plunk Junior ist achtundzwanzig, zwei Jahre Erfahrung, und er tritt, da bin ich mir sicher, im Zusammenhang mit diesem Fall vor allem deshalb zum ersten Mal in Erscheinung, weil er in Harvard studiert hat. Der Ehrenwerte Tyrone Kipler, der den Vorsitz hat, war auch in Harvard. Kipler ist schwarz. Plunk ebenfalls. In Memphis gibt es nicht viele schwarze Juristen, die in Harvard studiert haben. Trent & Brent verfügt zufällig über einen davon, also sitzt er jetzt hier, damit er sich wenn möglich mit Seinen Ehren verbünden kann. Und außerdem: Wenn alles so läuft wie erwartet, wird eines Tages dort drüben eine Jury sitzen. Die Hälfte der eingetragenen Wähler in diesem Land ist schwarz, also steht zu vermuten, daß auch etwa die Hälfte der Geschworenen schwarz sein wird. Dann, so hofft man, wird man über M. Alec Plunk Junior eine Vertrauensbasis schaffen und zu einer stillschweigenden Übereinkunft gelangen.

Ich habe nicht den geringsten Zweifel, daß Trent & Brent, falls zufällig eine Frau aus Kambodscha in der Jury sitzen sollte, einfach kurz die Mitarbeiterliste durchgehen und beim nächsten Gerichtstermin ebenfalls mit einer Kambodschanerin aufkreuzen würde.

Der fünfte im Verteidigerteam von Great Benefit ist Brandon Fuller Grone, ein bedauernswerter Mann, der keine Initialien vor und Zahlen hinter dem Namen hat. Ich kann einfach nicht verstehen, weshalb er sich nicht B. Fuller Grone nennt, wie es sich für einen wirklich bedeutenden Anwalt gehört. Er ist siebenundzwanzig und hat vor zwei Jahren an der Memphis State als Erster seines Jahrgangs abgeschlossen. Er war eine Legende, als ich mit dem Studium anfing, und ich habe für die Prüfungsvorbereitungen im ersten Jahr seine alten Exposes benutzt.

Wenn man die zwei Jahre außer acht läßt, die M. Alec Plunk Junior als Mitarbeiter eines Bundesrichters verbracht hat, dann sitzen am Tisch der Verteidigung achtundfünfzig Jahre geballte Gerichtserfahrung.

Ich habe meine Anwaltslizenz vor weniger als einem Monat erhalten. Mein Mitarbeiter ist sechsmal beim Anwaltsexamen durchgefallen.

All diese Berechnungen habe ich gestern abend angestellt, während ich mich durch die Bibliothek der Memphis State hindurchwühlte, einen Ort, den ich offenbar nicht abschütteln kann. Die Kanzlei von Rudy Baylor besitzt den großartigen Bestand von siebzehn juristischen Büchern, sämtlich Überbleibsel vom Studium und praktisch wertlos.

Hinter den Anwälten sitzen zwei Männer, die eher den Eindruck von Firmenvertretern machen. Sie sind vermutlich leitende Mitarbeiter von Great Beneft. Einer kommt mir bekannt vor. Ich glaube, er war dabei, als ich gegen den Antrag auf

Klageabweisung plädiert habe. Damals habe ich nicht sonderlich auf ihn geachtet, und auch jetzt kümmern mich diese Männer herzlich wenig. Ich habe so schon genug im Kopf.

Ich bin ziemlich angespannt, aber wenn Harvey Hale da oben sitzen würde, wäre ich ein Wrack. Wahrscheinlich wäre ich dann überhaupt nicht hier.

Aber den Vorsitz hat der Ehrenwerte Tyrone Kipler. Er hat mir gestern am Telefon gesagt — wir telefonieren in letzter Zeit häufig miteinander —, daß dies sein erster Tag im Amt sein wird. Er hat ein paar Anordnungen unterschrieben und einige andere kleine Routinejobs erledigt, aber dies ist die erste Verhandlung, bei der er präsidieren wird.

Am Tag, nachdem Kipler vereidigt worden war, hat Drummond den Antrag gestellt, den Fall an ein Bundesgericht zu überweisen. Er behauptet, Bobby Ort, der Agent, der den Blacks die Police verkauft hat, wäre völlig zu Unrecht als Beklagter aufgeführt worden. Wir vermuten, daß Ort nach wie vor in Tennessee ansässig ist. Er ist einer der Beklagten. Die Blacks, gleichfalls in Tennessee ansässig, sind die Kläger. Eine Klage ist nur dann Sache des Bundesgerichts, wenn die Prozeßparteien ihren Wohnsitz in verschiedenen Staaten haben. Auf Ort trifft das nicht zu, da er, wie wir annehmen, hier lebt, und schon deshalb ist das Bundesgericht für diesen Fall absolut nicht zuständig. Um die Behauptung zu untermauern, daß Ort nicht zu den Beklagten gehören sollte, hat Drummond einen dicken Schriftsatz eingereicht.

Solange Harvey Hale den Vorsitz hatte, war das Bezirksgericht der ideale Ort, um Gerechtigkeit zu suchen. Aber nachdem nun Kipler den Fall übernommen hat, kann man offenbar nur vor einem Bundesgericht nach Wahrheit und Gerechtigkeit suchen. Das wirklich Verblüffende an Drummonds Antrag war das Timing. Kipler empfand die Sache als persönlichen Affront. Ich pflichtete ihm von ganzem Herzen bei.

Jetzt warten wir alle nur noch darauf, unsere diversen Anträge vertreten zu können. Drummond hat also sein Gesuch, den Fall an ein anderes Gericht zu überweisen, und dazu seinen Antrag auf Sicherheitsleistung für die Prozeßkosten und seinen Strafantrag. Der ging mir übrigens dermaßen gegen den Strich, daß ich meinerseits einen Strafantrag gestellt habe, in dem ich erkläre, sein Strafantrag sei unbegründet und niederträchtig. Deck hat mir erklärt, der Kampf um Strafzuwei-sungen entwickele sich bei den meisten Prozessen zu einem Krieg für sich, und es empfiehlt sich deshalb, gar nicht erst damit anzufangen. Ich bin einigermaßen skeptisch, was Decks juristische Ratschläge angeht. Er weiß selber, daß er da seine Grenzen hat. Und wie sagt er doch immer so gern?» Jeder kann eine Forelle braten. Die wirkliche Kunst besteht darin, das verdammte Ding an die Angel zu kriegen.«

Drummond schreitet zielstrebig zum Podium. Wir verfahren in chronologischer Ordnung, also fängt er mit seinem Antrag auf Sicherheitsleistung für die Prozeßkosten an, eine relativ unbedeutende Angelegenheit. Er schätzt, daß sich die Kosten auf rund tausend Dollar belaufen könnten, wenn es zum Prozeß kommen sollte, und er macht sich einfach Sorgen, daß weder ich noch meine Mandanten imstande sein werden, diese Summe aufzubringen, falls wir verlieren sollten und dann die Kosten tragen müßten.

«Darf ich Sie einen Moment unterbrechen, Mr. Drummond«, sagt Richter Kipler nachdenklich. Er spricht sehr ruhig und gut vernehmlich.»Ich habe Ihren Antrag, und ich habe Ihren Schriftsatz zur Begründung Ihres Antrags. «Er hebt sie hoch und winkt Drummond damit gewissermaßen zu.»Sie haben jetzt vier Minuten geredet und genau das gesagt, was schon schwarz auf weiß hier steht. Haben Sie etwas Neues hinzuzufügen?«

«Nun, Euer Ehren, ich habe das Recht…«

«Ja oder nein, Mr. Drummond? Ich bin durchaus imstande zu lesen und zu verstehen, und Sie schreiben sehr gut, wie ich vielleicht hinzusetzen sollte. Aber wenn Sie nichts Neues vorzubringen haben, weshalb sind wir dann hier?«

Ich bin sicher, daß so etwas dem großen Leo Drummond noch nie passiert ist, aber er tut so, als wäre das ein alltäglicher Vorgang.»Ich versuche lediglich, dem Gericht behilflich zu sein, Euer Ehren«, sagt er mit einem Lächeln.

«Abgelehnt«, sagt Kipler rundheraus.»Nächster Punkt.«

Drummond kommt zum nächsten Punkt, ohne ins Stocken zu geraten.»Also, wir stellen Antrag auf Strafzuweisung. Wir behaupten…«

«Abgelehnt«, sagt Kipler.

«Wie bitte?«

«Abgelehnt.«

Deck kichert hinter mir. Alle vier Köpfe am Tisch gegenüber senken sich gleichzeitig, während dieses Ereignis in gebührender Form festgehalten wird. Ich vermute, sie schreiben alle in großen Buchstaben das Wort ABGELEHNT.

«Beide Parteien haben einen Antrag auf Strafzuweisung gestellt, und ich lehne beide Anträge ab«, sagt Kipler, ohne Drummond aus den Augen zu lassen. Ich bekomme dabei auch gleich einen leichten Schlag auf die Nase ab.

Es ist eine schwerwiegende Sache, wenn man einem Anwalt, der für dreihundertfünfzig Dollar die Stunde redet, das Wort abschneidet. Drummond funkelt Kipler an, dem das Ganze offenbar einen Heidenspaß macht.

Aber Drummond ist ein Profi mit dickem Fell. Er würde nie zugeben, daß ihn ein bescheidener Bezirksrichter verärgern könnte.»Also gut, dann gehe ich zum nächsten Punkt über. Ich möchte auf unsere Forderung zu sprechen kommen, diesen Fall an ein Bundesgericht zu überweisen.«

«Tun Sie das«, sagt Kipler.»Erstens, weshalb haben Sie sich nicht um eine Überweisung des Falles bemüht, als Richter Hale noch dafür zuständig war?«

Darauf ist Drummond vorbereitet.»Euer Ehren, der Fall war neu, und wir waren noch damit beschäftigt, die Beteiligung des Beklagten Bobby Ott zu ermitteln. Jetzt, nachdem wir ein bißchen Zeit gehabt haben, sind wir der Ansicht, daß Ott lediglich beklagt wurde, um den Fall der Bundesgerichtsbarkeit zu entziehen.«

«Sie wollten also von Anfang an, daß der Fall vor einem Bundesgericht verhandelt wird?«

«Ja, Sir.«

«Sogar als Richter Hale ihn hatte?«

«So ist es, Euer Ehren«, sagt Drummond in ernstem Ton.

Kiplers Gesicht verrät allen, daß er das nicht glaubt. Und auch niemand sonst im Gerichtssaal glaubt es. Aber es ist ein geringfügiges Detail, und Kipler hat sein Ziel erreicht.

Völlig ungerührt pfügt sich Drummond weiter durch seine Argumentation. Er hat schon hundert Richter kommen und gehen gesehen, und er fürchtet sich vor keinem von ihnen. Viele Jahre und viele Prozesse in vielen Gerichtssälen werden noch vergehen müssen, bevor ich mich von den Männern da oben in ihren schwarzen Roben nicht mehr eingeschüchtert fühlen werde.

Er redet ungefähr zehn Minuten und ist gerade dabei, sich über genau die Punkte auszulassen, die er bereits in seinem Schriftsatz aufgeführt hat, als Kipler ihn unterbricht.»Entschuldigen Sie, Mr. Drummond, aber erinnern Sie sich, daß ich Sie vor ein paar Minuten gefragt habe, ob Sie dem Gericht heute morgen irgend etwas Neues vorzutragen haben?«

Drummonds Hände gefrieren in der Luft. Er starrt Seine Ehren mit offenem Mund an.

«Erinnern Sie sich daran?«fragt Kipler.»Noch keine fünfzehn Minuten her.«

«Ich dachte, wir wären hier, um diese Anträge zu erörtern«, sagt Drummond forsch, aber seine gelassene Stimme zittert beinahe unmerklich.

«Das sind wir in der Tat. Wenn Sie etwas Neues hinzufügen oder vielleicht einen unklaren Punkt aufklären möchten, dann würde ich das gerne hören. Aber im Moment wärmen Sie lediglich das noch einmal auf, was ich hier bereits schriftlich in der Hand halte.«

Ich schaue nach links und erhasche einen füchtigen Blick auf ein paar überaus ernste Gesichter. Ihr Held bezieht Prügel. Kein schöner Anblick.

Plötzlich wird mir bewußt, daß die Männer an dem Tisch da drüben diese Sache wesentlich ernster nehmen, als normal wäre. Vorigen Sommer, als ich bei einer auf Strafverteidigung spezialisierten Kanzlei arbeitete, habe ich eine Menge Anwälte kennengelernt, und ein Fall war so ziemlich wie der andere. Man absolviert ein knallhartes Arbeitspensum und stellt ebenso knallharte Rechnungen aus, aber das Ergebnis nimmt man gelassen hin. Es gibt immer ein Dutzend neue Fälle, die auf einen warten.

Da drüben spüre ich eine Art Panik, und das liegt ganz sicher nicht an meiner Anwesenheit. Bei Versicherungsprozessen ist es üblich, daß die mit der Verteidigung beauftragte Kanzlei zwei Anwälte mit dem Fall betraut. Sie treten immer paarweise auf. Egal um was für einen Fall es sich handelt, wie die Fakten liegen, was der Streitgegenstand ist und wieviel Arbeit dabei anfällt — man hat es immer mit zweien von ihnen zu tun.

Aber fünf? Das scheint mir doch reichlich übertrieben. Da drüben geht irgend etwas vor. Diese Burschen haben Angst.

«Sonst noch etwas?«fragt Kipler.

«Nein, Euer Ehren. «Drummond rafft seine Papiere zusammen und verläßt das Podium.»Der Fall verbleibt hier«, sagt Kipler entschlossen und setzt bereits seinen Namen unter den entsprechenden Beschluß. Das gefällt den Leuten auf der anderen Seite des Ganges ganz und gar nicht, aber sie versuchen, es sich nicht anmerken zu lassen.

Kipler legt einen anderen Gang ein.»Also, es liegen noch zwei Anträge des Klägers vor. Erstens, das Verfahren zu beschleunigen, und zweitens, die Vernehmung von Donny Ray Black vorzuziehen. Diese Anträge gehören irgendwie zusammen, also, Mr. Baylor, sollten wir sie nicht vielleicht gleichzeitig erörtern?«

Ich bin schon auf den Beinen.»Gern, Euer Ehren. «Als ob ich auf die Idee kommen könnte, einen anderen Vorschlag zu machen.

«Können Sie Ihre Begründungen in zehn Minuten zusammenfassen?«

In Anbetracht des Gemetzels, dessen Zeuge ich gerade geworden bin, entschließe ich mich zu einer anderen Strategie.»Also, Euer Ehren, meine Schriftsätze sprechen für sich. Ich habe nichts Neues hinzuzufügen.«

Kipler bedenkt mich mit einem warmen Lächeln, so ein intelligenter junger Anwalt, dann stürzt er sich sofort auf die Verteidigung.»Mr. Drummond, Sie haben gegen ein Schnellspurverfahren Einspruch erhoben. Wo liegt das Problem?«

Am Tisch der Verteidigung bricht Hektik aus, und schließlich erhebt sich T. Pierce Morehouse langsam und rückt seine Krawatte zurecht.

«Euer Ehren, wenn ich hierzu Stellung nehmen darf, wir sind der Ansicht, daß die Vorbereitungen zu diesem Prozeß geraume Zeit in Anspruch nehmen werden. Wir meinen, daß ein Schnellspurverfahren für beide Seiten eine ungebührliche Belastung darstellen würde. «Morehouse spricht langsam und wählt seine Worte mit Bedacht.

«Unsinn«, sagt Kipler schroff.

«Sir?«

«Ich habe Unsinn gesagt. Lassen Sie mich etwas fragen, Mr. Morehouse. Haben Sie in Ihrer Eigenschaft als Verteidiger je einem beschleunigten Verfahren zugestimmt?«

Morehouse gerät in Verlegenheit und verlagert sein Gewicht.»Nun, ja, äh, natürlich, Euer Ehren.«

«Gut. Nennen Sie mir den Fall und das Gericht, vor dem er verhandelt worden ist.«

T. Pierce wirft B. Dewey Clay Hill dem Dritten einen verzweifelten Blick zu, der seinerseits starrt hilfesuchend auf M. Alec Plunk Junior. Mr. Drummond weigert sich, aufzuschauen, und zieht es vor, sein Gesicht in irgendeiner ungeheuer wichtigen Akte zu vergraben.

«Also, Euer Ehren, das müßte ich erst nachschlagen.«

«Rufen Sie mich heute nachmittag gegen drei Uhr an, und wenn ich bis dahin nichts von Ihnen gehört habe, werde ich Sie anrufen. Ich möchte unbedingt von diesem Fall hören, dessen beschleunigter Abwicklung Sie zugestimmt haben.«

T. Pierce knickt in der Taille ein und keucht, als hätte ihm jemand einen Schlag in die Magengrube versetzt. Ich kann fast die Computer von Trent & Brent hören, die noch um Mitternacht vergeblich nach einem solchen Fall suchen.»Ja, Euer Ehren«, sagt er matt.

«Wie Sie wissen, ist es meine Sache, für oder gegen ein Schnellspurverfahren zu entscheiden. Dem Antrag des Klägers ist hiermit stattgegeben. Die Antwort der Verteidigung hat in sieben Tagen vorzuliegen. Danach beginnt die Beweisaufnahme, und sie endet nach einhundertzwanzig Tagen ab heute.«

Nun ist der Teufel los am Tisch der Verteidigung. Papiere werden von einem Anwalt zum nächsten geschoben. Drummond und Genossen flüstern miteinander und werfen sich finstere Blicke zu. Die Versicherungstypen hinter ihnen stek-ken die Köpfe zusammen. Man könnte beinahe seinen Spaß daran haben.

T. Pierce Morehouse schwebt einsatzbereit für seinen nächsten Auftritt mit dem Hintern nur Zentimeter über dem ledernen Sitz seines Stuhls und stützt sich schon mal mit Armen und Ellenbogen auf der Tischplatte ab.

«Als letztes wird eine vorgezogene Vernehmung von Donny Ray Black beantragt«, sagt Seine Ehren und schaut dabei direkt auf den Tisch der Verteidigung.»Dagegen haben Sie doch wohl nichts einzuwenden«, sagt er.»Welcher der Herren möchte dazu Stellung nehmen?«

Zusammen mit diesem Antrag habe ich eine zweiseitige, von Dr. Walter Kord unterschriebene Bescheinigung eingereicht, in der er ohne Umschweife erklärt, daß Donny Ray nicht mehr lange leben wird. Drummonds Reaktion war eine erstaunliche Kollektion von Geschwätz, deren Fazit zu sein schien, daß er einfach zu beschäftigt ist, als daß man ihn mit so etwas belästigen dürfte.

T. Pierce richtet sich langsam auf, öffnet die Hände, breitet die Arme aus und macht sich bereit, etwas zu sagen. Kipler kommt ihm zuvor.»Behaupten Sie nicht, Sie wüßten mehr über seinen Zustand als sein eigener Arzt.«

«Nein, Sir«, sagt T. Pierce.

«Und behaupten Sie nicht, Sie hätten ernsthafte Einwände gegen diesen Antrag.«

Es liegt klar auf der Hand, wie Seine Ehren zu entscheiden gedenkt, und deshalb rückt T. Pierce ins Mittelfeld.»Es ist eine Zeitfrage, Euer Ehren. Wir haben bisher unsere Antwort noch nicht eingereicht.«

«Ich weiß genau, wie Ihre Antwort lauten wird. Da sind keine Überraschungen zu erwarten. Und Sie haben ganz offensichtlich Zeit genug gehabt, alles andere einzureichen. Also nennen Sie mir ein Datum. «Er sieht plötzlich mich an.»Mr. Baylor?«»Jederzeit, Euer Ehren. Mir ist jeder Tag recht. «Ich sage dies mit einem Lächeln. Ah, die Vorteile, sonst nichts zu tun zu haben.

Alle fünf Anwälte am Tisch der Verteidigung hantieren hektisch mit ihren kleinen schwarzen Büchern, als wäre es vielleicht doch noch möglich, ein Datum zu finden, an dem sie alle verfügbar sind.

«Mein Prozeßkalender ist voll, Euer Ehren«, sagt Drummond, ohne aufzustehen. Das Leben eines so ungeheuer wichtigen Anwalts dreht sich nur um eins: seinen Prozeßkalender. Drummond teilt Kipler und mir auf ziemlich arrogante Weise mit, daß er in der nächsten Zeit einfach zu beschäftigt sein wird, um einer Vernehmung beizuwohnen.

Seine vier Lakaien runzeln die Stirn und nicken synchron, weil auch sie erbarmungslos überfüllte Prozeßkalender haben.

«Haben Sie eine Kopie von Dr. Kords Attest?«fragt Kipler.

«Ja, die habe ich«, erwidert Drummond.

«Haben Sie sie gelesen?«

«Ja«

«Bezweifeln Sie seine Stichhaltigkeit?«

«Nun, ich, äh…«

«Ein einfaches Ja oder Nein, Mr. Drummond. Bezweifeln Sie seine Stichhaltigkeit?«

«Nein.«

«Dann wird dieser junge Mann bald sterben. Stimmen Sie mir zu, daß wir seine Aussage aufzeichnen müssen, damit die Geschworenen eines Tages sehen und hören können, was er zu sagen hat?«

«Natürlich, Euer Ehren. Es ist nur so, daß im Augenblick mein Prozeßkalender…«

«Wie wäre es mit nächsten Donnerstag?«unterbricht ihn Kipler, und jenseits des Ganges herrscht Totenstille.

«Das wäre mir recht, Euer Ehren«, sage ich laut. Sie ignorieren mich.

«Heute in einer Woche«, sagt Kipler, wobei er sie argwöhnisch mustert. Drummond findet das, wonach er gesucht hat, in einer Akte und studiert ein Dokument.

«Ich habe einen Prozeß, der Montag vor dem Bundesgericht beginnt, Euer Ehren. Das hier ist der Eröffnungsbeschluß, wenn Sie ihn sehen möchten. Geschätzte Prozeßdauer zwei Wochen.«

«Wo?«

«Hier in Memphis.«

«Chancen für einen Vergleich?«

«Mager.«

Kipler betrachtet einen Moment seinen Terminkalender.»Wie wäre es mit nächsten Samstag?«

«Samstag?«

«Ja. Am neunundzwanzigsten.«

Drummond sieht T. Pierce an, und es ist offensichtlich, daß er die nächste Ausrede vorbringen soll. Er erhebt sich langsam, hält das schwarze Buch in der Hand, als bestünde es aus Gold, und sagt:»Tut mir leid, Euer Ehren, aber ich bin nächstes Wochenende nicht in der Stadt.«

«Aus welchem Grund?«

«Eine Hochzeit.«

«Ihre Hochzeit?«

«Nein. Die meiner Schwester.«

Aus strategischen Gründen ist es für sie von Vorteil, die Vernehmung hinauszuzögern, bis Donny Ray gestorben ist, und damit zu verhindern, daß die Geschworenen sein eingefallenes Gesicht sehen und seine gequälte Stimme hören. Und es besteht nicht der geringste Zweifel daran, daß diese fünf gemeinsam genügend Ausreden vorbringen und die Sache aufschieben können, bis ich an Altersschwäche gestorben bin.

Richter Kipler weiß das.»Die Vernehmung wird auf Samstag den neunundzwanzigsten angesetzt«, sagt er.»Tut mir leid, wenn das den Herren von der Verteidigung Ungelegenheiten bereiten sollte, aber schließlich sind Sie ja weiß Gott zahlreich genug. Da macht es nichts aus, wenn einer oder zwei von Ihnen fernbleiben. «Er klappt sein Buch zu, lehnt sich auf den Ellenbogen vor, lächelt auf die Verteidiger von Great Benefit herab und sagt:»Sonst noch etwas?«

Es ist schon fast grausam, mit was für spöttischen Blicken er sie bedenkt, aber Kipler ist nicht böswillig. Er hat gerade bei fünf von sechs Anträgen gegen sie entschieden, aber seine Begründungen sind vernünftig. Ich finde, er ist perfekt. Und ich weiß, daß es andere Tage in diesem Gerichtssaal geben wird, andere Anträge und Anhörungen, und ich bin sicher, daß auch ich meinen Teil Prügel beziehen werde.

Drummond steht bereits und zuckt die Achseln, während er den Haufen Papiere auf seinem Tisch betrachtet. Ich bin sicher, daß er etwas sagen will wie» Danke für nichts, Richter «oder» Warum machen Sie nicht gleich weiter und geben dem Kläger eine Million Dollar?«Aber er ist wie immer der vollkommene Anwalt.»Nein, Euer Ehren, das wäre im Augenblick alles«, sagt er, als hätte Kipler ihm in Wirklichkeit ungeheuer geholfen.

«Mr. Baylor?«fragt Seine Ehren mich.

«Nein, Sir«, sage ich mit einem Lächeln. Genug für einen Tag. Ich habe bei meinem ersten juristischen Scharmützel die großen Jungs geschlagen und will mein Glück nicht überstrapazieren. Ich und der alte Tyrone da oben haben ein paar hübsche Hiebe ausgeteilt.

«Also gut«, sagt er und schlägt leicht mit seinem Hammer auf den Tisch.»Das Gericht vertagt sich. Und, Mr. Morehouse, vergessen Sie nicht, mich anzurufen und mir diesen Fall zu nennen, bei dem Sie einem Schnellspurverfahren zugestimmt haben.«

T. Pierce grunzt gequält.

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