Booker hat die Formulare irgendwo in den Tiefen der Kanzlei Shankle gefunden. Er meinte, sie hätten irgendwo im Keller einen Anwalt sitzen, der gelegentlich mit Fällen von Zahlungsunfähigkeit zu tun hätte, und der konnte die erforderlichen Papiere abstauben.
Viel falsch machen kann man da nicht. Auflisten der Aktiva auf einer Seite, in meinem Fall eine einfache und schnelle Sache. Auf der nächsten Seite eine Liste der Verbindlichkeiten. Platz für Angaben über Arbeitsverhältnisse, schwebende Verfahren und so weiter. Es ist ein sogenanntes Abschnitt-7-Ver-fahren, ein schlichter Konkurs, bei dem die Aktiva zur Tilgung der Schulden verwendet und diese dann gelöscht werden.
Ich bin nicht mehr bei Yogi's angestellt. Ich arbeite weiter, aber jetzt werde ich bar bezahlt, nichts Schriftliches. Nichts, was ich vorlegen oder beifügen müßte. Keine Verpflichtung, meinen bescheidenen Lohn mit Texaco zu teilen. Ich habe mit Prince über mein Problem gesprochen, ihm erzählt, wie schlecht die Dinge stehen, habe den Studiengebühren und den Kreditkarten die Schuld daran gegeben, und er war geradezu begeistert von der Idee, mir meinen Lohn bar auszuzahlen und der Regierung ein Schnippchen zu schlagen. Er ist ein überzeugter Anhänger der Devise» Bargeld und keine Steuern«.
Prince hat sich erboten, mir Geld zu leihen, damit ich Kaution stellen kann, aber das hätte nicht funktioniert. Er glaubt, ich würde bald ein reicher junger Anwalt sein und eine Menge Geld verdienen, und ich habe es nicht übers Herz gebracht, ihm zu sagen, daß ich vermutlich noch eine ganze Weile bei ihm arbeiten werde.
Ich habe ihm auch nicht gesagt, wie hoch das Darlehen sein müßte. Texaco hat mich auf 612,88 Dollar verklagt, eine Summe, die Gerichtskosten und Anwaltshonorare einschließt. Mein Hauswirt klagt auf 809 Dollar, gleichfalls einschließlich
Kosten und Honorare. Aber die wahren Wölfe setzen gerade erst zum Sprung an. Sie schreiben böse Briefe und drohen bereits damit, die Anwälte einzuschalten.
Ich habe eine MasterCard und eine Visa Card, ausgestellt von verschiedenen Banken hier in Memphis. Zwischen Thanksgiving und Weihnachten im vorigen Jahr, im Verlauf einer kurzen glücklichen Zeitspanne, in der mir in wenigen Monaten ein guter Job winkte und ich bis über beide Ohren in Sara verliebt war, bin ich losgezogen, um ihr ein paar hübsche Weihnachtsgeschenke zu kaufen. Ich wollte teure Dinge von bleibendem Wert. Mit der MasterCard habe ich ein goldenes, mit Diamanten besetztes Armband für siebzehnhundert Dollar gekauft, und mit der Visa Card erstand ich für meine Liebste ein Paar antiker silberner Ohrringe. Sie haben mich elfhundert Dollar gekostet. Am Tag, bevor sie mir erklärte, daß sie mich nie wiedersehen wollte, ging ich in ein Delikatessengeschäft und kaufte eine Flasche Dom Perignon, ein halbes Pfund Gänseleberpastete, ein bißchen Kaviar, mehrere Sorten guten Käse und noch ein paar weitere hübsche Sächelchen für unser Weihnachtsmahl. Hat mich dreihundert Dollar gekostet, aber wenn schon, das Leben ist kurz.
Die heimtückischen Banken, die die Karten ausstellten, hatten aus mir unerfindlichen Gründen nur ein paar Wochen vor Weihnachten meinen Kreditrahmen erhöht. Ich sah mich plötzlich imstande, nach Herzenslust Geld auszugeben, und da Graduierung und Arbeit nur Monate entfernt waren, wußte ich, daß ich mich schon durchbeißen und bis zum Sommer die verlangten, kleinen monatlichen Abzahlungen aufbringen würde. Also gab ich das Geld mit vollen Händen aus und träumte von einem herrlichen Leben mit Sara.
Jetzt bin ich stocksauer auf mich selbst, weil ich das getan habe, aber ich habe damals wirklich Bleistift und Papier zur Hand genommen und alles genau ausgerechnet.
Die Gänseleberpastete vergammelte, als ich sie eines Nachts nach ausgedehntem Genuß von billigem Bier oben auf dem Kühlschrank stehenließ. Mein Weihnachtsessen nahm ich allein in meiner verdunkelten Wohnung ein. Es bestand aus Käse und Champagner. Der Kaviar blieb unangerührt. Ich hockte auf meinem durchgesessenen Sofa und starrte auf den Schmuck, der vor mir auf dem Fußboden lag. Während ich an großen Stücken Brie nagte und den Schampus trank, wanderte mein Blick von den Weihnachtsgeschenken zum Foto meiner Geliebten, und ich weinte.
Irgendwann zwischen Weihnachten und Neujahr riß ich mich zusammen und nahm mir vor, die teuren Geschenke an die Geschäfte zurückzugeben, in denen ich sie erstanden hatte. Ich spielte mit dem Gedanken, sie von einer Brücke aus ins Wasser zu werfen oder eine andere ähnlich dramatische Tat zu begehen. Aber in Anbetracht meiner damaligen seelischen Verfassung hielt ich es für besser, mich von Brücken fernzuhalten.
Es war der Tag nach Neujahr. Ich kehrte nach einem langen Spaziergang in meine Wohnung zurück und stellte fest, daß Einbrecher dagewesen waren. Die Tür war aufgebrochen worden. Die Diebe hatten meinen alten Fernseher und die Stereoanlage mitgehen lassen, ein Glas mit Vierteldollarstücken, das auf meiner Kommode stand, und natürlich den Schmuck, den ich für Sara gekauft hatte.
Ich rief die Polizei an und füllte die Formulare aus. Ich zeigte ihr die Kreditkartenquittungen. Der Sergeant schüttelte nur den Kopf und riet mir, mich an meine Versicherung zu wenden.
Ich habe mehr als dreitausend Dollar Plastikgeld ausgegeben. Es ist an der Zeit, die Sache zu bereinigen.
Die Zwangsräumung ist für morgen vorgesehen. Das Konkursrecht enthält eine wundervolle Klausel, die bei sämtlichen juristischen Verfahren gegen einen Schuldner einen automatischen Aufschub gewährt. Das ist der Grund, weshalb große, reiche Firmen, eingeschlossen meine Freunde von der Texaco, sofort zum Konkursgericht rennen, wenn sie vorübergehend Schutz benötigen. Mein Hauswirt darf mich morgen nicht anrühren; er darf mich nicht einmal anrufen und beschimpfen. Ich trete aus dem Fahrstuhl und hole tief Luft. Auf den Fluren wimmelt es von Anwälten. Es gibt drei Richter, die ausschließlich für Konkursverfahren zuständig sind, und ihre Gerichtssäle befinden sich in diesem Stockwerk. Sie setzen täglich Dutzende von Anhörungen an, und bei jeder Anhörung ist eine Gruppe von Anwälten zugegen; einer für den Schuldner und mehrere für die Gläubiger. Es ist der reinste Zoo. Im Vorbeigehen höre ich Dutzende von wichtigen Konferenzen, Anwälte, die über unbezahlte Arztrechnungen streiten und darüber, wieviel der Kleinlaster wert ist. Ich betrete das Büro des Kanzleivorstehers und warte zehn Minuten, während die Anwälte vor mir sich beim Einreichen ihrer Anträge Zeit lassen. Sie kennen die Amtssekretärinnen gut, und es gibt eine Menge Geflirte und haufenweise dumme Sprüche. Jetzt wäre ich gern auch so ein wichtiger Konkursanwalt und könnte mich von den Mädchen hier Fred oder Sonny nennen lassen.
Im vorigen Jahr hat uns ein Professor gesagt, in Anbetracht der unsicheren Zeiten, der wachsenden Arbeitslosigkeit und des Stellenabbaus bei den großen Firmen sei Konkursrecht die Wachsrumsindustrie der Zukunft. Und das von einem Mann, der nie in einer privaten Kanzlei eine Stunde in Rechnung gestellt hat.
Aber heute sieht es tatsächlich lukrativ aus. Links und rechts von mir werden Konkursanträge eingereicht. Jedermann geht pleite.
Ich händige meinen Papierkram einer überlasteten Sekretärin aus, einer hübschen Person mit dem Mund voll Kaugummi. Sie wirft einen Blick darauf, dann mustert sie mich eingehend. Ich trage ein Jeanshemd und eine Khakihose.
«Sind Sie Anwalt?«fragt sie ziemlich laut, und ich sehe, wie Leute sich zu mir umdrehen.
«Nein.«
«Sie sind der Schuldner?«fragt sie noch lauter und kaut schmatzend.
«Ja«, erwidere ich schnell. Ein Schuldner, der nicht Anwalt ist, kann seinen Antrag selbst einreichen, aber dafür wird nirgendwo Reklame gemacht.
Sie nickt beifällig und stempelt den Antrag ab.»Die Gebühr beträgt achtzig Dollar.«
Ich gebe ihr vier Zwanziger. Sie nimmt das Geld und betrachtet es argwöhnisch. In meinem Antrag ist kein Konto aufgeführt, weil ich es gestern gelöscht und damit einen Aktivposten im Werte von 11,84 Dollar aus der Welt geschafft habe.
Meine anderen aufgeführten Aktiva sind: ein stark abgenutzter Toyota — 500 Dollar; verschiedene Möbel und Einrichtungsgegenstände — 150 Dollar. CD-Sammlung — 200 Dollar; juristische Bücher — 125 Dollar; Kleidung — 150 Dollar. All diese Dinge gelten als persönliche Habe und können deshalb nicht in das Verfahren einbezogen werden, das ich gerade in Gang gesetzt habe. Ich werde sie alle behalten können, aber ich muß den Toyota auch weiterhin abbezahlen.
«Bargeld, wie?«sagt sie, dann füllt sie eine Quittung aus.
«Ich habe kein Bankkonto«, brülle ich sie fast an, zum Nutz und Frommen derjenigen, die zugehört haben und vielleicht auch den Rest der Geschichte erfahren möchten.
Sie funkelt mich an, ich funkele sie an. Sie macht sich wieder an die Arbeit, und eine Minute später schiebt sie mir eine Kopie meines Antrags zusammen mit meiner Quittung zu. Ich lese das Datum, die Uhrzeit und den Gerichtssaal, in dem meine erste Anhörung stattfinden soll.
Ich schaffe es fast bis zur Tür, bevor ich angehalten werde. Ein untersetzter Mann mit schweißigem Gesicht und schwarzem Bart berührt leicht meinen Arm.»Entschuldigen Sie, Sir«, sagt er. Ich bleibe stehen und sehe ihn an. Er drückt mir eine Geschäftskarte in die Hand.»Robbie Molk, Anwalt. Konnte es nicht vermeiden zu hören, was Sie da eben gesagt haben. Dachte, Sie könnten vielleicht Hilfe brauchen in Ihrer Sache.«
Ich betrachte die Karte und dann sein pockennarbiges Gesicht. Von Molk habe ich schon gehört. Ich habe seine Anzeigen in den Zeitungen gesehen. Er offeriert Abschnitt-7-Verfahren für hundertfünfzig Dollar, und hier ist er, treibt sich im Büro des Kanzleivorstehers herum wie ein Geier, der nur darauf wartet, sich auf irgendeinen bankrotten Blödmann zu stürzen, dem er vielleicht noch hundertfünfzig Dollar abknöpfen kann.
Ich nehme höflich seine Karte entgegen.»Nein, danke«, sage ich und versuche, nett zu sein,»damit werde ich allein fertig.«
«Da kann man schnell alles vermasseln«, sagt er rasch, und ich bin sicher, er hat diesen Satz schon Tausende von Malen angebracht.»Ein Siebener kann riskant sein. Ich bearbeite jedes Jahr Tausende davon. Zweihundert auf die Hand, und ich nehme den Ball und laufe. Habe ein richtiges Büro und Personal.«
Jetzt sind es also schon zweihundert Dollar. Ich nehme an, wenn man ihm persönlich begegnet, schlägt er schnell noch fünfzig auf. Es wäre jetzt sehr einfach, ihm das vorzuhalten, aber irgend etwas sagt mir, daß Molk nicht der Typ ist, den man demütigen kann.
«Nein, danke«, sage ich und schiebe mich an ihm vorbei.
Die Fahrt nach unten ist langsam und unerfreulich. Der Fahrstuhl ist vollgestopft mit Anwälten, alle schlecht gekleidet, mit ramponierten Aktenkoffern und abgeschabten Schuhen. Sie schnattern immer noch über Freistellungen und darüber, was ungesichert ist und was nicht. Fürchterliches Anwaltsgeschwätz. Ungeheuer wichtige Diskussionen. Sie scheinen sie nicht abstellen zu können.
Kurz bevor wir im Erdgeschoß anhalten, überfällt es mich. Ich habe keine Ahnung, was ich nächstes Jahr um diese Zeit tun werde, und es ist nicht nur möglich, sondern sogar sehr wahrscheinlich, daß ich dann auch in diesem Fahrstuhl stek-ken und mit genau diesen Leuten dieselben banalen Debatten führen werde. Höchstwahrscheinlich werde ich dann genau so sein wie sie, mich auf den Straßen herumtreiben, versuchen, aus Leuten, die nicht bezahlen können, ein paar Dollar herauszuquetschen, in Gerichtssälen herumlungern und nach Arbeit Ausschau halten.
Dieser grauenhafte Gedanke macht mich schwindlig. Der Fahrstuhl ist heiß und stickig. Mir ist, als müßte ich mich übergeben. Er hält an, und sie stürmen hinaus in die Halle und zerstreuen sich, nach wie vor redend und gestikulierend.
Die frische Luft läßt meinen Kopf wieder klar werden. Ich schlendere die Mid-America Mall entlang, eine Fußgängerzone mit einer Art Straßenbahn zur Beförderung der Säufer. Sie hieß früher Main Street und ist noch heute der Sitz zahlloser Anwälte. Die Gerichtsgebäude sind nur wenige Schritte entfernt. Ich passiere die Hochhäuser der Innenstadt und frage mich, was da oben in den vielen Kanzleien vor sich geht: Angestellte Anwälte hetzen herum und arbeiten achtzehn Stunden am Tag, weil der Kollege zwanzig arbeitet; Juniorpartner konferieren miteinander über Firmenstrategie; Seniorpartner sitzen in ihren kostbar eingerichteten Eckbüros und erteilen Teams von jüngeren Anwälten ihre Anweisungen.
Das ist genau das, was ich wollte, als ich mit dem Jurastudium begann. Ich wollte den Druck und die Macht, die vom Arbeiten mit intelligenten, hochmotivierten Leuten ausgeht, die alle unter Streß, Anspannung und Termindruck stehen. Die Kanzlei, in der ich vorigen Sommer gearbeitet habe, war klein, nur zwölf Anwälte, verfügte aber über massenhaft Sekretärinnen, Anwaltsgehilfen und andere Hilfskräfte, und manchmal empfand ich das Chaos als wirklich anregend. Ich war nur ein sehr kleines Teilchen der Mannschaft, und ich sehnte mich danach, eines Tages der Kapitän zu sein.
Ich kaufe ein Eis von einem Straßenhändler und setze mich auf eine Bank am Court Square. Die Tauben beobachten mich. Über mir ragt das First Federal Building auf, das höchste Gebäude in Memphis und der Sitz von Trent & Brent. Ich würde einen Mord begehen, um dort arbeiten zu können. Es ist leicht für mich und meine Kumpel, über Trent & Brent herzuziehen. Wir machen uns über sie lustig, weil wir für sie nicht gut genug sind. Wir hassen sie, weil sie uns nicht beachten und sich nicht einmal die Mühe machen, uns zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.
Ich vermute, es gibt in jeder Stadt, in jeder Branche ein Trent & Brent. Ich habe es nicht geschafft und gehöre nicht dazu, also werde ich sie einfach mein Leben lang hassen.
Apropos Kanzleien, da kommt mir der Gedanke, daß ich, wenn ich schon in der Innenstadt bin, noch ein paar Stunden damit verbringen könnte, an die eine oder andere Tür zu klopfen. Ich habe eine Liste von Anwälten, die entweder allein arbeiten oder sich mit einem oder zwei anderen zusammengetan haben. Ungefähr der einzige ermutigende Faktor beim Abgrasen eines so grauenhaft überfüllten Feldes ist, daß es so viele Türen gibt, an die man klopfen kann. Es besteht noch Hoffnung, rede ich mir immer wieder ein, daß ich genau im richtigen Moment auf eine Kanzlei stoße, die vor mir noch niemand gefunden hat, oder auf einen überarbeiteten Anwalt, der dringend einen Anfänger braucht, der die Knochenarbeit für ihn erledigt. Oder eine Anwältin. Das ist mir gleich.
Ich gehe ein paar Blocks bis zum Sterick Building, dem ersten Hochhaus in Memphis und jetzt die Adresse von Hunderten von Anwälten. Ich plaudere mit ein paar Sekretärinnen und verteile meine Mappen. Ich bin verblüfft, wie viele Kanzleien sich launische und sogar unhöfliche Empfangsdamen leisten. Schon lange bevor wir auf das Thema Einstellung zu sprechen kommen, werde ich oft wie ein Bettler behandelt. Ein paar von ihnen haben mir meine Unterlagen einfach aus der Hand gerissen und in eine Schublade gestopft. Es juckt mir in den Fingern, mich als potentiellen Mandanten auszugeben, den trauernden Ehemann einer jungen Frau, die gerade von einem großen Lastwagen überfahren wurde, der hoch versichert war und an dessen Steuer ein betrunkener Fahrer saß. Es wäre sicher lustig zu beobachten, wie diese bissigen Weibsbilder plötzlich übers ganze Gesicht lächeln und aufspringen würden, um mir einen Kaffee zu holen.
Ich ziehe von Kanzlei zu Kanzlei, lächle, obwohl mir nach Knurren zumute ist, wiederhole dieselben Worte vor den immer gleichen Frauen.»Ja, mein Name ist Rudy Baylor, und ich bin Jurastudent im dritten Jahr an der Memphis State. Ich würde gern mit Mr. Soundso über einen Job sprechen.«
«Worüber?«fragen sie oft. Und ich lächle weiter, während ich meine Mappe hinreiche und abermals darum bitte, bei Mr. Großkopf vorgelassen zu werden. Mr. Großkopf ist immer zu beschäftigt, also speisen sie mich mit dem Versprechen ab, daß sich jemand mit mir in Verbindung setzen wird.
Der Stadtteil Granger liegt nördlich der Innenstadt von Memphis. An seinen schattigen Straßen mit den eng aneinandergedrängten Ziegelsteinhäuschen läßt sich untrüglich erkennen, daß es sich um einen dieser Vororte handelt, die gleich nach dem Zweiten Weltkrieg in aller Eile für Wanderarbeiter hochgezogen wurden, die sich niederlassen wollten. Sie fanden gute Jobs in nahe gelegenen Fabriken. Sie pflanzten Bäume in ihre Vorgärten und bauten Terrassen hinter dem Haus. Mit der Zeit zogen die Arbeiter weiter in Richtung Osten, um sich schönere Häuser zu bauen, und Granger wurde ganz allmählich ein Viertel für Rentner und Weiße und Schwarze der unteren Schichten.
Das Haus von Dot und Buddy Black sieht aus wie tausend andere. Es steht auf einem kleinen Grundstück von nicht mehr als vierundzwanzig mal dreißig Metern. Mit dem schattenspendenden Baum im Vorgarten ist irgend etwas passiert. In der Einzelgarage steht ein alter Chevrolet. Der Rasen und die Sträucher sind ordentlich beschnitten.
Der Nachbar zur Linken ist damit beschäftigt, seinen heißen Schlitten umzufrisieren; die ganze Strecke bis zur Straße ist mit Teilen und Reifen übersät. Der Nachbar rechts hat seinen ganzen Vorgarten mit Maschendraht eingezäunt, an dem hohes Unkraut wächst. Direkt hinter dem Zaun patrouillieren zwei Dobermänner.
Ich parke in der Auffahrt hinter dem Chevrolet, und die Dobermänner, keine anderthalb Meter von mir entfernt, knurren mich an.
Es ist noch früh am Nachmittag, und die Temperatur beträgt über dreißig Grad. Alle Fenster und Türen stehen offen. Ich schaue durch die Riegentür und klopfe leicht dagegen.
Ich bin nicht gerne hier, weil ich keinerlei Verlangen habe, Donny Ray zu sehen. Ich fürchte, daß er genau so krank und abgezehrt ist, wie mir seine Mutter erzählt hat, und ich habe einen schwachen Magen.
Sie kommt an die Tür, mit einer Mentholzigarette in der Hand, und mustert mich durch die Fliegentür.
«Ich bin's, Mrs. Black. Rudy Baylor. Wir haben vorige Woche in Cypress Gardens miteinander gesprochen.«
Hausierer müssen in Granger eine Pest sein, denn sie starrt mich mit leerem Gesicht an. Sie tritt einen Schritt vor und steckt sich die Zigarette zwischen die Lippen.
«Erinnern Sie sich? Ich kümmere mich um die Sache mit Great Benefit.«
«Ich dachte, Sie wären einer von den Zeugen Jehovas.«
«Nein, Mrs. Black, das bin ich nicht.«
«Ich heiße Dot. Dachte, das hätte ich Ihnen gesagt.«
«Okay, Dot.«
«Diese verdammten Kerle treiben uns zum Wahnsinn. Die und die Mormonen. Schicken samstags noch vor Sonnenaufgang die Pfadfinder los, damit sie uns Doughnuts verkaufen. Was wollen Sie?«
«Wenn Sie eine Minute Zeit haben, möchte ich mit Ihnen über Ihren Fall sprechen.«
«Was ist damit?«
«Ich würde gern ein paar Dinge erörtern.«
«Dachte, das hätten wir schon getan.«
«Wir müssen uns eingehender unterhalten.«
Sie bläst Rauch durch die Fliegentür, dann hakt sie sie langsam auf. Ich betrete ein winziges Wohnzimmer und folge ihr in die Küche. Das Haus ist feuchtheiß und stickig, und überall riecht es nach abgestandenem Zigarettenrauch.
«Etwas zu trinken?«fragte sie.
«Nein, danke. «Ich lasse mich am lisch nieder. Dot gießt eine Diätcola auf Eis und lehnt sich mit dem Rücken an die Arbeitsplatte. Buddy ist nirgendwo zu sehen. Donny Ray ist wahrscheinlich in seinem Schlafzimmer.
«Wo ist Buddy?«frage ich fröhlich, als wäre er ein alter Freund, den ich sehr vermisse.
Sie deutet mit einem Kopfnicken auf das auf den Hintergarten hinausgehende Fenster.»Sehen Sie den alten Wagen da draußen?«
In einer mit Kletterpflanzen und Sträuchern völlig zugewucherten Ecke, neben einem baufälligen Schuppen, steht ein alter Ford Fairlane. Er ist weiß und hat zwei Türen, die beide offenstehen. Auf der Motorhaube schläft eine Katze.
«Er sitzt in seinem Wagen«, erklärt sie.
Der Wagen ist von Unkraut umgeben und scheint keine Reifen mehr zu haben. Nichts in seiner Umgebung sieht so aus, als wäre es in den letzten Jahrzehnten angerührt worden.
«Wo will er hin?«frage ich, und sie lächelt wahrhaftig.
Sie schlürft laut ihre Cola.»Buddy? Der geht nirgendwohin. Wir haben den Wagen 1964 neu gekauft. Er sitzt jeden Tag da drin, von morgens bis abends, nur Buddy und die Katzen.«
Darin liegt eine gewisse Logik. Buddy da draußen, allein, ohne Zigarettenqualm, ohne Sorgen über Donny Ray.»Warum?«frage ich. Es ist offensichtlich, daß es ihr nichts ausmacht, darüber zu reden.
«Buddy ist nicht ganz richtig im Kopf. Das habe ich Ihnen doch vorige Woche erzählt.«
Wie hätte ich das vergessen können?
«Wie geht's Donny Ray?«frage ich.
Sie zuckt die Achseln und läßt sich mir gegenüber an dem wackligen Küchentisch nieder.»Gute Tage und schlechte. Wollen Sie ihn kennenlernen?«
«Vielleicht später.«
«Er liegt die meiste Zeit im Bett. Aber er kann ein bißchen herumlaufen. Vielleicht bringe ich ihn dazu, daß er aufsteht, bevor Sie wieder gehen.«
«Ja. Vielleicht. Hören Sie, ich habe mich inzwischen eingehend mit Ihrem Fall befaßt. Ich meine, ich habe viele Stunden damit zugebracht, all Ihre Papiere genau durchzusehen. Und ich habe tagelang in der Bibliothek gesessen und mich mit der einschlägigen Literatur beschäftigt, also, rundheraus gesagt, ich meine, daß Sie Great Benefit verklagen sollten.«
«Ich dachte, das hätten wir bereits beschlossen«, sagt sie mit hartem Blick. Dot hat ein unversöhnliches Gesicht, zweifellos das Ergebnis eines mühsamen Lebens mit diesem Schwachkopf da draußen in dem Fairlane.
«Das mag sein, aber ich mußte der Sache erst auf den Grund gehen. Mein Rat lautet, daß Sie klagen sollten, und zwar sofort.«
«Worauf warten Sie dann noch?«
«Aber rechnen Sie nicht mit einer schnellen Entscheidung. Sie haben es mit einer großen Gesellschaft zu tun, die über einen Haufen Anwälte verfügt, die immer wieder querschießen und die Sache verzögern können. Dafür werden sie bezahlt.«
«Wie lange wird es dauern?«
«Monate, vielleicht Jahre. Kann sein, daß wir die Klage einreichen und dann ziemlich rasch zu einem Vergleich kommen. Kann aber auch sein, daß sie es zu einem Prozeß kommen lassen und durch alle Instanzen gehen. Das läßt sich unmöglich vorhersagen.«
«In ein paar Monaten ist er tot.«
«Darf ich Sie etwas fragen?«
Sie pustet den Rauch aus und nickt dazu. Für sie offenbar ein durchaus harmonischer Vorgang.
«Great Benefit hat Ihren Anspruch erstmals im August vorigen Jahres abgelehnt, kurz nachdem Donny Rays Krankheit festgestellt worden war. Weshalb haben Sie bis jetzt gewartet, bevor Sie mit einem Anwalt gesprochen haben?«Ich benutze das Wort» Anwalt «sehr freizügig.
«Darauf bin ich nicht stolz, okay? Ich dachte, die Versicherung würde es sich anders überlegen und zahlen, Sie wissen schon, die Arztrechnungen und die Behandlung. Ich habe weiter an sie geschrieben, und sie hat weiter an mich geschrieben. Ich weiß es nicht. Pure Dämlichkeit, nehme ich an. Wir haben die Prämien über all die Jahre hinweg regelmäßig bezahlt, sind nie mit einer in Verzug geraten. Ich habe einfach gedacht, sie würden sich an die Police halten. Außerdem habe ich noch nie mit einem Anwalt zu tun gehabt. Keine Scheidung oder irgend so etwas. Ich hätte es weiß Gott tun sollen. «Sie dreht sich um und schaut durch das Fenster, starrt gedankenverloren auf den Fairlane und all die Sorgen darin.»Er trinkt morgens einen halben Liter Gin und nachmittags noch einen halben Liter. Mir ist es im Grunde egal. Es macht ihn glücklich, es hält ihn aus dem Haus, und es ist ja nicht so, als ob das Trinken ihn daran hindern würde, irgendwas Vernünftiges zu tun, Sie wissen schon, was ich meine.«
Wir betrachten beide die auf dem Vordersitz zusammengesackte Gestalt. Die hohen Sträucher und ein Ahornbaum beschatten den Wagen.»Kaufen Sie ihm den Gin?«
«O nein. Er bezahlt einen Jungen von nebenan dafür, daß er ihn kauft und sich damit zu ihm hinausschleicht. Er glaubt, ich wüßte es nicht.«
Im Hintergrund des Hauses bewegt sich etwas. Es gibt keine Klimaanlage, die irgendwelche Geräusche dämpfen würde. Jemand hustet. Ich fange an zu reden.»Hören Sie, Dot, ich würde gern diesen Fall für Sie übernehmen. Ich weiß, ich bin nur ein Anfänger, ein junger Mann, der gerade erst mit dem Studium fertig ist, aber ich habe bereits viele Stunden damit verbracht, und ich kenne ihn in- und auswendig.«
Auf ihrem Gesicht liegt ein leerer, fast hoffnungsloser Ausdruck. Ein Anwalt ist so gut wie der andere. Sie vertraut mir genausoviel, wie sie jedem x-beliebigen vertrauen würde, und das besagt nicht viel. Wie merkwürdig. Trotz all des Geldes, das Anwälte für gnadenlose Werbung ausgeben — blöde Spots im Fernsehen, reißerische Plakate und Billigangebote in den Zeitungen —, gibt es immer noch Leute wie Dot Black, die einen erfahrenen Prozeß anwalt nicht von einem Jurastudenten im dritten Jahr unterscheiden können.
Ich baue auf ihre Naivität.»Ich muß mich vermutlich mit einem anderen Anwalt zusammentun, jemandem, der seinen Namen unter alles setzt, bis ich das Anwaltsexamen bestanden und meine Zulassung erhalten habe.«
Es scheint nicht bei ihr anzukommen.
«Wieviel wird es kosten?«fragt sie mit keiner geringen Portion Argwohn in der Stimme.
Ich bedenke sie mit einem herzlichen Lächeln.»Keinen Pfennig. Ich übernehme den Fall gegen Erfolgshonorar. Ich bekomme ein Drittel von dem, was wir herausholen. Kein Erfolg, kein Honorar. Keine Anzahlung. «Bestimmt hat sie diese Masche irgendwo inseriert gesehen, aber sie scheint ahnungslos.
«Wieviel?«
«Wir verklagen sie auf Millionen«, sage ich dramatisch, und sie hängt am Haken. Ich glaube nicht, daß im Körper dieser gebrochenen Frau auch nur ein habgieriger Knochen steckt. Alle Träume von einem guten Leben, die sie vielleicht einmal gehabt hat, sind schon so lange vergangen, daß sie sich nicht mehr an sie erinnern kann. Aber ihr gefällt der Gedanke, es Great Benefit heimzuzahlen und sie leiden zu lassen.
«Und Sie bekommen ein Drittel davon?«
«Ich rechne nicht damit, daß wir Millionen herausholen, aber ganz gleich, was wir bekommen, ich erhalte nur ein Drittel. Und das heißt: ein Drittel, nachdem Donny Rays sämtliche Arztrechnungen bezahlt sind. Sie haben nichts zu verlieren.«
Sie schlägt mit der linken Hand auf den Tisch.»Dann tun Sie es. Mir ist es gleich, wieviel Sie bekommen, aber tun Sie es. Tun Sie es gleich, okay? Morgen.«
In meiner Tasche steckt säuberlich zusammengefaltet ein
Vertrag über juristische Dienste, den ich in einem Handbuch in der Bibliothek gefunden habe. Ich sollte ihn an diesem Punkt herausziehen und von ihr unterschreiben lassen, aber ich bringe es nicht fertig. Unter ethischen Gesichtspunkten darf ich keine Abmachungen zur Vertretung von Leuten treffen, bevor ich nicht als Anwalt zugelassen worden bin und eine entsprechende Lizenz habe. Ich glaube, Dot wird zu ihrem Wort stehen.
Ich schaue auf die Uhr, genau wie ein richtiger Anwalt.»Lassen Sie mich an die Arbeit gehen«, sage ich.
«Wollen Sie nicht vorher Donny Ray sehen?«
«Vielleicht beim nächsten Mal.«
«Ich kann es Ihnen nicht übelnehmen. Nur noch Haut und Knochen.«
«Ich komme in ein paar Tagen wieder, wenn ich länger bleiben kann. Es gibt eine Menge, worüber wir sprechen müssen, und ich muß auch ihm ein paar Fragen stellen.«
«Aber beeilen Sie sich, okay?«
Wir plaudern noch ein paar Minuten, reden über Cypress Gardens und all die Festivitäten dort. Sie und Buddy gehen einmal die Woche hin, sofern sie ihn bis Mittag nüchtern halten kann. Es ist das einzige Mal, daß sie das Haus gemeinsam verlassen.
Sie möchte reden, und ich möchte verschwinden. Sie folgt mir nach draußen, betrachtet meinen schmutzigen und verbeulten Toyota, macht ein paar abfällige Bemerkungen über importierte Waren, ganz besonders solche aus Japan, und bellt die Dobermänner an.
Als ich davonfahre, steht sie am Briefkasten, raucht und sieht zu, wie ich verschwinde.
Für jemand, der gerade einen Offenbarungseid geleistet hat, kann ich immer noch Geld zum Fenster hinauswerfen. Ich zahle acht Dollar für eine Topfgeranie und bringe sie Miss Birdie. Sie liebt Blumen, sagt sie, und sie ist natürlich einsam, und ich finde, es ist eine nette Geste. Ein kleines bißchen Sonnenschein im Leben einer alten Frau. Mein Timing ist gut. Ich finde sie auf allen Vieren im Blumenbeet neben dem Haus, dicht bei der Auffahrt, die zu einer separaten Garage im Hintergarten führt. Der Beton ist dicht an dicht gesäumt mit Blumen, Ziersträuchern, Kletterpflanzen und dekorativen Bäumchen. Auf dem Rasen hinter dem Haus stehen große Bäume, die so alt sind wie sie. Außerdem gibt es eine gepflasterte Terrasse mit Kästen voller bunter Blütenpflanzen.
Sie schließt mich tatsächlich in die Arme, als ich mein kleines Geschenk überreiche. Sie zieht ihre Gartenhandschuhe aus, läßt sie zwischen die Blumen fallen und führt mich hinters Haus. Sie hat genau den richtigen Platz für die Geranie. Sie wird sie gleich morgen einpflanzen. Ob ich Kaffee möchte?
«Nur Wasser«, sage ich. Der Geschmack ihrer dünnen Instantbrühe liegt mir noch auf der Zunge. Sie nötigt mich auf einen schmiedeeisernen Stuhl auf der Terrasse, während sie sich Schmutz und Erde an der Schürze abwischt.
«Eiswasser?«fragt sie, offensichtlich hingerissen von der Aussicht, mir etwas zu Trinken anbieten zu können.
«Gern«, sage ich, und sie flattert durch die Tür in die Küche. Der Hintergarten hat bei all seinem Gewucher eine merkwürdige Symmetrie. Er zieht sich über mindestens fünfzig Meter hin, bevor er an einer dichten Hecke endet. Durch die Bäume hindurch kann ich dahinter ein Dach sehen. Dazwischen gibt es kleine Nischen mit organisiertem Wachstum, kleine Beete mit verschiedenen Blumen, auf deren Pflege sie oder sonstjemand offensichtlich viel Zeit verwendet. In der Nähe des Zauns steht ein Springbrunnen auf einer gemauerten Plattform, aber es zirkuliert kein Wasser. Zwischen zwei Bäumen spannt sich eine alte Segeltuchhängematte mit zerfaserten Tauen, die leicht im Wind schaukelt. Der Rasen ist unkrautfrei, muß aber gemäht werden.
Die Garage erregt meine Aufmerksamkeit. Sie hat zwei geschlossene Kipptore. An einer Seite befindet sich ein Abstellraum mit verhängten Fenstern. Darüber scheint eine kleine Wohnung zu liegen, mit einer Holztreppe, die sich um die Ecke windet und anscheinend an der Rückseite hinaufführt. Es gibt zwei große Fenster, bei einem davon ist die Scheibe zerbrochen. Efeu hat die Außenmauern überwuchert und scheint sich seinen Weg durch die gesprungene Scheibe zu suchen.
Das Gebäude wirkt irgendwie malerisch.
Miss Birdie kommt mit zwei Gläsern Eiswasser durch die zweifügelige Terrassentür.»Was halten Sie von meinem Garten?«fragt sie, nachdem sie sich neben mir niedergelassen hat.
«Er ist wundervoll, Miss Birdie. So friedlich.«
«Das ist mein Leben«, sagt sie, schwenkt mit einer großen Geste die Hände und läßt ihr Wasser auf meine Füße schwappen, ohne es zu bemerken.»Hier verbringe ich meine Zeit. Ich liebe ihn.«
«Er ist sehr hübsch. Machen Sie die ganze Arbeit alleine?«
«Das meiste davon. Einmal die Woche kommt ein Junge und mäht den Rasen. Dreißig Dollar, können Sie sich das vorstellen? Früher hat es nur fünf gekostet. «Sie schlürft Wasser und schmatzt mit den Lippen.
«Ist das eine kleine Wohnung da oben?«frage ich und deute auf die Garage.
«Früher einmal. Einer meiner Enkel hat eine Zeitlang hier gewohnt. Ich habe sie hergerichtet, ein Badezimmer und eine kleine Küche einbauen lassen, es war wirklich hübsch da oben. Er hat an der Memphis State studiert.«
«Wie lange hat er hier gewohnt?«
«Nicht lange. Ich möchte nicht über ihn sprechen.«
Er muß einer von denen sein, die aus ihrem Testament gestrichen werden sollen.
Wenn man einen Großteil seiner Zeit damit verbringt, in Anwaltskanzleien vorzusprechen, um Arbeit zu betteln und sich von mißgelaunten Sekretärinnen an die Luft setzen zu lassen, dann verliert man seine Hemmungen. Man legt sich ein dickes Fell zu. Ablehnung läßt sich leicht verkraften, weil man sehr schnell lernt, daß das Schlimmste, was einem passieren kann, darin besteht, daß man das Wort» Nein «zu hören bekommt.
«Sie haben wohl nicht die Absicht, sie jetzt wieder zu vermieten?«wage ich mich vor, fast ohne Zaudern und praktisch ohne jede Angst, abgewiesen zu werden.
Ihr Glas kommt mitten in der Luft zum Stillstand, und sie starrt die Wohnung an, als hätte sie sie gerade erst entdeckt.»An wen?«fragt sie.
«Ich würde zu gern da wohnen. Es ist sehr hübsch hier und vermutlich sehr still.«
«Totenstill.«
«Es wäre nur für kurze Zeit. Sie wissen schon, bis ich anfange zu arbeiten und auf eigenen Füßen stehe.«
«Sie, Rudy?«fragt sie ungläubig.
«Es gefällt mir«, sage ich mit einem nicht ganz echten Lächeln.»Es ist ideal für mich. Ich bin ledig, führe ein sehr ruhiges Leben, und ich kann es mir nicht leisten, viel Miete zu zahlen. Es wäre perfekt.«
«Wieviel könnten Sie zahlen?«fragt sie schnell, plötzlich fast wie ein Anwalt, der einen zahlungsunfähigen Mandanten verhört.
Das kommt unerwartet.»Oh, ich weiß nicht recht. Sie sind die Vermieterin. Wie hoch ist die Miete?«
Sie dreht den Kopf hin und her und sieht hilfesuchend von einem Baum zum anderen.»Wie wäre es mit vierhundert, nein, dreihundert Dollar im Monat?«
Es ist offensichtlich, daß Miss Birdie noch nie etwas vermietet hat. Sie greift einfach Zahlen aus der Luft. Nur gut, daß sie nicht mit achthundert im Monat angefangen hat.»Ich finde, wir sollten uns die Wohnung erst einmal ansehen«, sage ich vorsichtig.
Sie ist schon auf den Beinen.»Sie ist ziemlich vollgestopft. Habe sie in den letzten zehn Jahren als Abstellraum benutzt. Aber das können wir aufräumen, und die Wasserleitungen sind in Ordnung, soweit ich weiß. «Sie greift nach meiner Hand und führt mich über den Rasen.»Der Klempner muß kommen und das Wasser wieder anstellen. Ob die Heizung und die Klimaanlage noch funktionieren, kann ich allerdings nicht sagen. Es stehen ein paar Möbel drin, aber nicht viele, altes Zeug, das ich ausrangiert habe.«
Sie beginnt, die knarrende Treppe hinaufzusteigen.»Brauchen Sie Möbel?«
«Nicht viele. «Das Geländer ist wacklig, und das ganze Gebäude scheint zu schwanken.