Kapitel 14

Seit drei Tagen regnet es immer wieder, was meiner Arbeit als Gärtnergehilfe einen wirksamen Riegel vorschiebt. Am Dienstag, nach Einbruch der Dunkelheit, sitze ich in meiner Wohnung und lerne für das Anwaltsexamen, als das Telefon läutet. Es ist Dot Black, und ich weiß, daß etwas schiefgegangen ist. Sonst würde sie mich nicht anrufen.

«Ich hatte gerade einen Anruf«, sagt sie,»von einem Mr. Barry Lancaster. Hat gesagt, er wäre mein Anwalt.«

«Das stimmt, Dot. Er ist ein toller Anwalt in meiner neuen Firma. Er arbeitet mit mir zusammen. «Ich vermute, daß Barry einfach ein paar Details überprüfen wollte.

«Nun, das ist nicht das, was er gesagt hat. Er hat angerufen, um zu fragen, ob ich und Donny Ray morgen in sein Büro kommen können. Es müßten noch ein paar Dinge unterschrieben werden. Ich habe nach Ihnen gefragt. Er hat gesagt, Sie arbeiteten nicht dort. Ich will wissen, was da vorgeht.«

Das will ich auch. Ich stottere eine Sekunde, sage etwas von einem Mißverständnis. Tief in meinem Bauch schnürt sich ein dicker Knoten zusammen.»Es ist eine große Kanzlei, und ich bin neu dort. Vielleicht hat er meine Existenz einfach vergessen.«

«Nein. Er weiß, wer Sie sind. Er hat gesagt, Sie hätten dort gearbeitet, aber jetzt nicht mehr. Wissen Sie, das ist alles ziemlich verwirrend.«

Ich weiß. Ich sinke auf einen Stuhl und versuche, klar zu denken. Es ist fast neun Uhr.»Hören Sie, Dot, warten Sie ein paar Minuten. Ich rufe Mr. Lancaster an und versuche herauszufinden, was da vor sich geht. Ich rufe gleich zurück.«

«Ich will wissen, was da los ist. Haben Sie diese Mistbande inzwischen verklagt?«

«Ich rufe Sie gleich wieder an, okay?«Ich lege den Hörer auf, dann wähle ich rasch die Nummer der Kanzlei Lake. Mich überfällt das gemeine Gefühl, daß ich das schon einmal erlebt habe.

Die Dame vom Spätdienst stellt mich zu Barry X. durch. Ich beschließe, liebenswürdig zu sein, mitzuspielen, abzuwarten, was er sagt.

«Barry, ich bin's, Rudy. Haben Sie meine Ausarbeitung gelesen?«

«Ja, sieht prächtig aus. «Er hört sich müde an.»Hören Sie, Rudy, es kann sein, daß wir ein kleines Problem mit Ihrer Stelle hier haben.«

Der Knoten steigt in meine Kehle. Mein Herz erstarrt. Meine Lungen überspringen einen Atemzug.»Ach ja?«bringe ich heraus.

«Ja. Sieht schlecht aus. Ich habe heute nachmittag mit Jonathan Lake gesprochen, und er ist mit Ihnen nicht einverstanden.«

«Und weshalb nicht?«

«Ihm gefällt die Idee nicht, daß ein Anwalt die Stellung eines Anwaltsgehilfen einnimmt. Und jetzt, wo ich darüber nachdenke, finde ich auch, daß das doch kein so guter Gedanke war. Sehen Sie, Mr. Lake meint, und da bin ich ganz seiner Ansicht, daß ein Anwalt in dieser Position von Natur aus dazu neigt, sich mit allen Mitteln seinen Weg auf die nächste freie Stelle eines regulär angestellten Anwalts zu bahnen. Und das können wir nicht zulassen. Das schadet dem Geschäft.«

Ich schließe die Augen und möchte weinen.»Das verstehe ich nicht«, sage ich.

«Tut mir leid. Ich habe mein möglichstes versucht, aber er wollte einfach nicht nachgeben. Er leitet diesen Betrieb mit eiserner Faust und hat seine eigene Art, die Dinge zu erledigen. Um ehrlich zu sein, er hat mir eine regelrechte Standpauke gehalten, weil ich bloß daran gedacht habe, Sie einzustellen.«

«Ich möchte mit Jonathan Lake selber sprechen«, sage ich so entschieden wie möglich.

«Ausgeschlossen. Er ist zu beschäftigt, außerdem würde er ablehnen. Er hat nicht vor, seine Ansicht zu ändern.«

«Sie Dreckskerl.«

«Hören Sie, Rudy, wir…«

«Sie Dreckskerl!«Ich brülle in den Hörer, und es tut gut.

«Nehmen Sie's nicht so schwer, Rudy.«

«Ist Lake jetzt im Hause?«

«Vermutlich. Aber er wird nicht…«

«Ich bin in fünf Minuten dort«, brülle ich und knalle den Hörer auf die Gabel.

Zehn Minuten später halte ich mit quietschenden Reifen vor dem Lagerhaus. Auf dem Parkplatz stehen drei Wagen, im Gebäude brennt Licht. Kein Barry wartet auf mich.

Ich hämmere an die Vordertür, aber niemand erscheint. Ich weiß, daß sie mich da drinnen hören können, aber sie sind zu feige, um herauszukommen. Wahrscheinlich werden sie die Bullen rufen, wenn ich nicht aufgebe.

Aber ich kann nicht aufgeben. Ich gehe an die Nordseite und hämmere gegen eine andere Tür, dann an einen Notausgang an der Rückseite. Ich stehe unter dem Fenster von Barrys Büro und brülle zu ihm hinauf. Es brennt Licht, aber er ignoriert mich. Ich kehre zur Vordertür zurück und hämmere abermals dagegen.

Ein uniformierter Wachmann tritt aus dem Schatten heraus und packt mich bei den Schultern. Meine Knie werden weich vor Angst. Er ist mindestens einsneunzig groß, schwarz, mit einer schwarzen Mütze.

«Sie müssen verschwinden, mein Junge«, sagt er sanft mit einer tiefen Stimme.»Gehen Sie gleich, bevor ich die Polizei rufe.«

Ich schüttle seine Hände von meinen Schultern und gehe davon.

Ich sitze lange Zeit im Dunkeln auf dem ramponierten Sofa, das Miss Birdie mir geliehen hat, und versuche, ein bißchen Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Das gelingt mir nur höchst unvollständig. Ich trinke zwei warme Bier. Ich fluche und weine. Ich plane Rache. Ich denke sogar daran, Jonathan Lake und Barry X. umzubringen. Gemeine Dreckskerle, die sich verschworen haben, mir meinen Fall zu stehlen. Was soll ich jetzt den Blacks sagen? Wie soll ich ihnen das erklären?

Ich wandere im Zimmer umher und warte auf den Sonnenaufgang. Gestern abend habe ich sogar einmal gelacht, als ich

daran dachte, daß ich nun wieder meine Liste von Kanzleien hervorkramen und von neuem Klinken putzen gehen darf. Und dann der Gedanke, Madeline Skinner aufsuchen zu müssen.»Ich bin's wieder, Madeline. Ich bin wieder da.«

Schließlich schlafe ich auf dem Sofa ein, und kurz nach neun weckt mich jemand. Es ist nicht Miss Birdie. Es sind zwei Polizisten in Zivil. Sie strecken ihre Ausweise durch die offene Tür, und ich fordere sie auf, hereinzukommen. Ich bin in Turnhose und T-Shirt. Meine Augen brennen, also reibe ich sie und versuche mir vorzustellen, weshalb sich die Polizei plötzlich für mich interessiert.

Sie könnten Zwillinge sein, beide um die Dreißig, nicht viel älter als ich. Sie tragen Jeans und Turnschuhe und schwarze Schnurrbärte und benehmen sich wie Schauspieler in einem billigen Fernsehspiel.»Dürfen wir uns setzen?«fragt der eine, zieht einen Stuhl unter dem Tisch hervor und läßt sich darauf nieder. Sein Partner tut dasselbe, und sie haben schnell Position bezogen.

«Natürlich«, sage ich keß.»Nehmen Sie Platz.«

«Setzen Sie sich zu uns.«

«Warum nicht?«Ich setze mich ans Kopfende, zwischen sie. Beide lehnen sich vor, immer noch wie im Film.»Also. Was zum Teufel wollen Sie hier?«

«Sie kennen Jonathan Lake?«

«Ja.«

«Sie wissen, wo seine Kanzlei ist?«

«Ja.«

«Waren Sie gestern abend dort?«

«Ja.«

«Wann?«

«Zwischen neun und zehn.«

«Weshalb waren Sie dort?«

«Das ist eine lange Geschichte.«

«Wir haben massenhaft Zeit.«

«Ich wollte mit Jonathan Lake sprechen.«

«Haben Sie es getan?«

«Nein.«

«Warum nicht?«»Die Türen waren verschlossen. Ich konnte nicht in das Gebäude.«

«Haben Sie versucht, einzubrechen?«

«Nein.«

«Sind Sie sicher?«

«Klar.«

«Sind Sie nach Mitternacht noch mal zurückgekehrt?«

«Nein.«

«Sind Sie sicher?«

«Ja klar. Fragen Sie den Wachmann.«

Daraufhin werfen sie sich einen Blick zu. Etwas hat ins Schwarze getroffen.»Haben Sie den Wachmann gesehen?«

«Ja. Er hat mich aufgefordert zu verschwinden, also bin ich verschwunden.«

«Können Sie ihn beschreiben?«

«Ja.«

«Dann mal los.«

«Großer Schwarzer, ungefähr einsneunzig. Uniform, Mütze, Waffe, alles, was dazugehört. Fragen Sie ihn. Er wird Ihnen sagen, daß ich gegangen bin, als er mich dazu aufgefordert hat.«

«Wir können ihn nicht fragen. «Sie werfen sich wieder einen Blick zu.

«Warum nicht?«Irgendwas Schlimmes liegt in der Luft.

«Weil er tot ist. «Beide beobachten mich genau. Sie wollen sehen, wie ich darauf reagiere. Ich bin echt betroffen, wie jedermann es sein würde. Ich fühle ihre Blicke auf mir lasten.

«Wie — wie ist er gestorben?«

«Bei dem Brand umgekommen.«

«Welchem Brand?«

Sie verstummen gleichzeitig, und beide nicken argwöhnisch, während sie den Tisch betrachten. Einer zieht ein Notizbuch aus der Tasche wie ein Reporter.»Dieser kleine Wagen da draußen, der Toyota, gehört der Ihnen?«

«Das wissen Sie doch. Sie haben Computer.«

«Sind Sie damit gestern abend zur Kanzlei gefahren?«

«Nein, ich habe ihn hingeschoben. Was für ein Brand?«

«Werden Sie nicht keß, okay?«

«Okay. Einigen wir uns darauf, daß ich keine großen Sprüche mache, wenn Sie es auch nicht tun.«

Der andere mischt sich ein.»Wir haben einen Zeugen, der glaubt, Ihren Wagen gegen zwei Uhr heute morgen in der Nähe der Kanzlei gesehen zu haben.«

«Ausgeschlossen. Nicht meinen Wagen. «Unmöglich, in diesem Augenblick zu beurteilen, ob diese Burschen die Wahrheit sagen.»Was für ein Brand?«frage ich noch einmal.

«Die Kanzlei ist letzte Nacht niedergebrannt. Völlig zerstört.«

«Bis auf die Grundmauern«, setzt der andere hilfreich hinzu.

«Und ihr beide seid vom Branddezernat«, sage ich, immer noch verblüfft, aber gleichzeitig stocksauer, weil sie denken, ich könnte etwas damit zu tun haben.»Und jetzt hat jemand den Bau abgefackelt, und Barry Lancaster hat Ihnen erzählt, daß ich einen wundervollen Verdächtigen dafür abgeben würde, stimmt's?«

«Wir sind für Brandstiftung zuständig. Aber auch für Mord.«

«Wie viele Leute sind umgekommen?«

«Nur der Wachmann. Der erste Anruf kam gegen drei Uhr heute morgen, das Gebäude war also leer. Offensichtlich saß der Wachmann irgendwie in der Falle, als das Dach einstürzte.«

Ich wünsche mir fast, Jonathan Lake wäre bei dem Wachmann gewesen, dann denke ich an diese wundervollen Büros mit ihren Teppichen und Gemälden.

«Sie vergeuden Ihre Zeit«, sage ich, noch wütender über den Gedanken, daß sie mich verdächtigen.

«Mr. Lancaster hat gesagt, Sie wären ziemlich aufgebracht gewesen, als Sie gestern abend bei dem Gebäude waren.«

«Stimmt. Aber nicht wütend genug, um den Bau anzustek-ken. Sie vergeuden Ihre Zeit. Ich schwöre es.«

«Er hat gesagt, Sie wären gerade gefeuert worden, und Sie wollten Mr. Lake zur Rede stellen.«

«Stimmt alles. Aber das beweist noch lange nicht, daß ich ein Motiv hatte, sein Haus niederzubrennen.«

«Ein Mord, begangen im Verlauf einer Brandstiftung, kann die Todesstrafe nach sich ziehen.«

«Das ist mir bekannt. Finden Sie Ihren Mörder, und machen Sie ihm die Hölle heiß. Aber lassen Sie mich aus dem Spiel.«

Anscheinend ist mein Zorn ziemlich überzeugend, denn sie machen beide gleichzeitig einen Rückzieher. Einer zieht ein zusammengefaltetes Stück Papier aus der Brusttasche seines Hemdes.»Ich habe hier einen Bericht von vor ein paar Monaten. Damals wurden Sie wegen Zerstörung von Privateigentum gesucht. Etwas mit zu Bruch gegangenem Glas in einer Kanzlei in der Innenstadt.«

«Sehen Sie, Ihre Computer funktionieren.«

«Ziemlich bizarres Verhalten für einen Anwalt.«

«Ich habe schon Schlimmeres erlebt. Und ich bin kein Anwalt. Ich bin Anwaltsgehilfe oder so etwas in der Art. Gerade mit dem Studium fertig. Und die Anzeige wurde zurückgezogen, was bestimmt irgendwo unmißverständlich in Ihrem kleinen Ausdruck da steht. Und wenn Sie glauben, daß mein bißchen Glaszerbrechen im April auch nur das geringste mit dem Brand in der letzten Nacht zu tun hat, dann kann der wahre Brandstifter ruhig schlafen. Er ist in Sicherheit. Er wird nie erwischt werden.«

Daraufhin springt der eine auf, und der andere folgt rasch seinem Beispiel.»Sie sollten lieber mit einem Anwalt sprechen«, sagt der eine, den Finger auf mich richtend.»Im Augenblick sind Sie der Hauptverdächtige.«

«Ja, ja. Wie ich schon sagte — wenn ich der Hauptverdächtige bin, dann hat der wahre Killer unverschämtes Glück. Ihr beide seid auf dem Holzweg.«

Sie schlagen die Tür hinter sich zu und verschwinden. Ich warte eine halbe Stunde, dann steige ich in meinen Wagen. Ich fahre ein paar Blocks und manövriere mich vorsichtig in die Nähe des Lagerhauses. Dort lasse ich den Wagen stehen, laufe ein paar hundert Meter und gehe in einen kleinen Supermarkt. Von dort aus kann ich die rauchenden Trümmer sehen. Nur eine Mauer steht noch. Dutzende von Leuten wimmeln herum, die Anwälte und Sekretärinnen zeigen hierhin und dorthin, die Feuerwehrleute stapfen in ihren schweren Stiefeln herum. Die Brandstelle wird von Polizisten mit gelbem Band abgegrenzt. Es riecht durchdringend nach verbranntem Holz, und über der ganzen Gegend hängt eine graue Rauchwolke. Das Gebäude hatte Fußböden und Decken aus Holz, und auch die Wände waren, von wenigen Ausnahmen abgesehen, aus Holz errichtet. Nimmt man dazu die Unmengen von Büchern überall im Haus und die Tonnen von Papier, die sich darin befunden haben müssen, dann ist leicht zu verstehen, wie es in Schutt und Asche fallen konnte. Das einzig Verwunderliche ist die Tatsache, daß es ein ausgedehntes, das ganze Lagerhaus durchziehendes Sprinklersystem gab. Überall verliefen gestrichene Rohre, die zum Teil sogar optisch in die Innenausstattung einbezogen waren.

Aus naheliegenden Gründen ist Prince kein Morgenmensch. Gewöhnlich schließt er Yogi's gegen zwei Uhr nachts ab, dann torkelt er auf den Rücksitz seines Cadillacs. Firestone, sein langjähriger Fahrer und angeblicher Leibwächter, bringt ihn nach Hause. Ein paarmal ist auch Firestone zu betrunken gewesen, um noch fahren zu können. Dann habe ich die beiden heimgefahren.

Prince ist im allgemeinen gegen elf in seinem Büro, weil eine Menge Leute zum Lunch zu Yogi's kommen. Ich treffe ihn um zwölf an seinem Schreibtisch an, mit Papieren hantierend und gegen seinen täglichen Kater ankämpfend. Er ißt Schmerztabletten und trinkt Mineralwasser bis zum magischen Schlag der Fünfuhrglocke, dann gleitet er hinüber in seine beruhigende Welt aus Rum und Tonic.

Sein Büro ist ein fensterloser Raum unter der Küche, ziemlich abgelegen und erreichbar nur nach einem schnellen Marsch durch drei ungekennzeichnete Türen und eine versteckte Treppe nach unten. Es ist quadratisch, und jeder Quadratzentimeter Wand ist bedeckt mit Fotos von Prince beim Händeschütteln mit Lokalpolitikern und anderen fotoverliebten Gestalten. Außerdem gibt es Unmengen von gerahmten und aufgeklebten Zeitungsausschnitten mit Prince — verdächtigt, beschuldigt, angeklagt, verhaftet, vor Gericht gestellt und immer freigesprochen. Er liebt es, seinen Namen gedruckt zu sehen.

Er ist miserabler Laune, wie üblich. Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, ihm aus dem Wege zu gehen, bis er seinen dritten Drink intus hat, was gewöhnlich abends um sechs der Fall ist. Ich bin also sechs Stunden zu früh dran. Er winkt mich herein, und ich mache die Tür hinter mir zu.

«Was ist passiert?«grunzt er. Seine Augen sind blutunterlaufen. Mit seinem langen, dunklen Haar, dem üppigen Bart, dem offenen Hemd und der behaarten Brust erinnert er mich immer an Wolfman Jack.

«Ich stecke ein bißchen in der Klemme«, sage ich.

«Gibt es sonst noch was Neues?«

Ich erzähle ihm von der letzten Nacht — daß ich meinen Job verloren habe, von dem Brand, den Polizisten. Alles. Ich lege besonderen Nachdruck auf die Tatsache, daß es eine Leiche gibt und daß die Polizisten deshalb tun, was in ihren Kräften steht. Zu Recht. Ich kann mir nicht vorstellen, wieso ich der Hauptverdächtige sein soll, aber die Bullen scheinen das zu glauben.

«Also ist Lake abgefackelt worden«, denkt er laut. Es scheint ihn zu freuen. Eine hübsche Brandstiftung ist genau die Art Sache, die Prince Spaß macht und Licht in seinen Vormittag bringt.»Ich konnte ihn nie so recht ausstehen.«

«Er ist nicht tot. Nur vorübergehend aus dem Geschäft. Er wird bald wieder dasein. «Und das ist einer der Hauptgründe für meine Angst. Jonathan Lake verteilt eine Menge Geld an eine Menge Politiker. Er kultiviert Beziehungen, damit er Gefälligkeiten einfordern kann. Wenn er überzeugt ist, daß ich etwas mit dem Brand zu tun hatte, oder wenn er einfach einen temporären Sündenbock braucht, dann werden die Bullen sich auf mich stürzen.

«Sie schwören, daß Sie es nicht getan haben?«

«Na, hören Sie mal, Prince.«

Er denkt darüber nach, streicht sich über den Bart, und mir wird sofort klar, daß er entzückt ist, so plötzlich mittendrin zu stecken. Hier haben wir Verbrechen, Tod, Intrige, Politik, eine prächtige Scheibe Leben in der Gosse. Wenn jetzt auch noch ein paar Oben-ohne-Tänzerinnen und Bestechungsgelder an die Polizei dazukämen, dann würde Prince eine gute Flasche köpfen, um zu feiern.

«Sie sollten lieber mit einem Anwalt reden«, sagt er, immer noch seinen Bart streichelnd. Das ist leider der eigentliche Grund, aus dem ich hier bin. Ich hatte daran gedacht, Booker anzurufen, aber ich habe ihn schon genug belästigt. Und er hat im Augenblick mit demselben Problem zu kämpfen wie ich, nämlich daß wir unser Examen noch nicht hinter uns haben und deshalb noch keine richtigen Anwälte sind.

«Ich kann mir keinen Anwalt leisten«, sage ich, dann warte ich auf die nächste Zeile im Drehbuch. Wenn es in diesem Moment eine Alternative gäbe, würde ich mich mit Freuden darauf stürzen.

«Lassen Sie mich das erledigen«, sagt er.»Ich werde Bruiser anrufen.«

Ich nicke und sage:»Danke. Glauben Sie, daß er mir helfen wird?«

Prince grinst und breitet vielsagend die Arme aus.»Bruiser tut alles, worum ich ihn bitte, okay?«

«Sicher«, sage ich demütig. Er greift nach einem Telefon und wählt die Nummer. Ich höre zu, wie er sich an ein paar Leuten vorbeiknurrt und dann Bruiser an den Apparat bekommt. Er spricht mit den kurzen, knappen Redewendungen eines Mannes, der weiß, daß seine Telefone angezapft sind:»Bruiser, hier Prince. Ja, ja. Muß dich möglichst schnell sehen… Eine kleine Sache, die einen meiner Angestellten betrifft… Ja, ja. Nein, bei dir. In einer halben Stunde. Okay?«Und damit legt er auf.

Mir tun die armen FBI-Techniker leid, die versuchen, aus diesem Gespräch etwas Belastendes herauszuholen.

Firestone fährt den Cadillac vor die Hintertür, und Prince und ich lassen uns auf den Rücksitzen nieder. Der Wagen ist schwarz, und die Scheiben sind stark getönt. Er lebt in der Dunkelheit. In drei Jahren habe ich ihn nie bei irgendeiner Tätigkeit im Freien gesehen. Urlaub macht er in Las Vegas, wo er die Casinos praktisch nicht verläßt.

Ich höre einem Vortrag zu, der rasch zu einer langatmigen Aufzählung von Bruisers größten juristischen Triumphen wird, die fast alle mit Prince zu tun hatten. Seltsamerweise fange ich an, mich zu entspannen. Ich bin in guten Händen.

Bruiser hat in Abendkursen Jura studiert und mit zweiundzwanzig abgeschlossen; immer noch ein Rekord, wie Prince glaubt. Als Kinder waren sie die besten Freunde, und in der High-School haben sie ein bißchen gespielt, eine Menge getrunken, Mädchen nachgestellt und Jungen verprügelt. Harte Gegend im Süden von Memphis. Sie könnten ein Buch darüber schreiben. Bruiser ging aufs College, Prince kaufte sich einen Bierlaster. Eines führte zum anderen.

Die Kanzlei liegt in einem kleinen, langgestreckten und aus roten Ziegelsteinen erbauten Einkaufszentrum mit einer Reinigung an einem und einem Videoverleih am anderen Ende. Bruiser investiert weise, erklärt Prince, und das ganze Zentrum gehört ihm. Auf der anderen Straßenseite ist ein Pfannkuchenhaus, das die ganze Nacht geöffnet ist, und daneben liegt der Club Amber, ein protziger Oben-ohne-Schuppen mit Neonbeleuchtung im Vegas-Stil. Dies ist eine Gegend mit viel Industrie, in Flughafennähe.

Abgesehen von den Worten LAW OFFICE, in Schwarz auf die Glastür in der Mitte der Häuserzeile gemalt, deutet nichts darauf hin, welcher Beruf hier ausgeübt wird. Eine Sekretärin mit engen Jeans und klebrigen roten Lippen begrüßt uns mit einem breiten Lächeln, aber wir halten uns nicht bei ihr auf. Ich folge Prince durch den Eingangsbereich.»Sie hat früher auf der anderen Straßenseite gearbeitet«, murmelt er. Ich hoffe, es war das Pfannkuchenhaus, aber ich bezweifle es.

Bruisers Büro hat eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit dem von Prince — keine Fenster, kein Sonnenstrahl, groß und quadratisch und protzig, Fotos von wichtigen, aber unbekannten Leuten, die Bruiser die Hand schütteln und uns angrinsen. Eine Wand ist für Waffen reserviert, alle möglichen Gewehre und Musketen und Medaillen für Zielschießen. Hinter Bruisers massigem Lederdrehstuhl steht auf einem Podest ein großes Aquarium, in dem etwas, das aussieht wie Miniaturhaie, durch das trübe Wasser gleitet.

Er ist am Telefon, und deshalb fordert er uns mit einer Handbewegung auf, auf der anderen Seite seines langen und breiten Schreibtisches Platz zu nehmen. Wir folgen der Einladung, und Prince kann es nicht abwarten, mich zu informieren.»Das sind echte Haie da drin«, sagt er und deutet auf die Wand über Bruisers Kopf. Lebendige Haie im Büro eines Anwalts. Kredithaie? Finanzhaie?… Gauner! Kapiert. Es ist ein Witz. Prince kichert.

Ich sehe zu Bruiser hinüber und versuche, Blickkontakt zu vermeiden. Der Telefonhörer wirkt winzig neben seinem gewaltigen Kopf. Sein langes, halb ergrautes Haar fällt ihm in zottigen Strähnen bis auf die Schultern. Sein Spitzbart, völlig grau, ist dicht und lang, und der Hörer verschwindet fast darin. Seine Augen sind dunkel und flink, umgeben von Wülsten aus dunkler Haut. Ich habe oft gedacht, daß seine Vorfahren aus dem Mittelmeerraum stammen müssen.

Obwohl ich Bruiser tausend Drinks serviert habe, habe ich mich nie richtig mit ihm unterhalten. Ich habe es nie gewollt. Und ich will es auch jetzt nicht, aber offensichtlich bleibt mir kaum etwas anderes übrig.

Er knurrt ein paar kurze Bemerkungen, dann knallt er den Hörer hin. Prince stellt mich rasch vor, und Bruiser versichert uns, daß er mich gut kennt.»Natürlich kenne ich Rudy, schon seit langem«, sagt er.»Wo liegt das Problem?«

Prince sieht mich an, und ich liefere meinen Bericht.

«Habe es heute morgen in den Nachrichten gesehen«, wirft Bruiser ein, als ich in meiner Erzählung bei der Sache mit dem Brand angekommen bin.»Hatte schon fünf Anrufe deswegen. Gehört nicht viel dazu, Anwälte zum Schwatzen zu bringen.«

Ich lächle und nicke, weil ich das Gefühl habe, daß das von mir erwartet wird, und dann komme ich zu der Sache mit den Polizisten. Ich beende meinen Bericht ohne weitere Unterbrechungen, dann warte ich auf kluge Ratschläge von selten meines Anwalts.

«Anwaltsgehilfe?«sagt er, offensichtlich verblüfft.

«Ich war verzweifelt.«

«Und wo wollen Sie jetzt arbeiten?«

«Ich weiß es nicht. Im Augenblick mache ich mir größere Sorgen wegen einer möglichen Verhaftung.«

Das bringt Bruiser zum Lächeln.»Darum kümmere ich mich«, sagt er selbstgefällig. Prince hat mir des öfteren versichert, daß Bruiser mehr Bullen kennt als der Bürgermeister.»Lassen sie mich nur ein paar Anrufe machen.«

«Er muß den Kopf einziehen, nicht wahr?«fragt Prince, als wäre ich ein entflohener Sträfling.

«Ja. In Deckung gehen. «Aus irgendeinem Grund drängt sich mir die Gewißheit auf, daß dieser Rat in diesem Büro schon viele Male erteilt worden ist.»Was wissen Sie über Brandstiftung?«fragt er mich.

«Nicht viel. Sie kam beim Jurastudium nicht vor.«

«Nun, ich habe ein paar Fälle von Brandstiftung gehabt. Es kann Tage dauern, bis sie wissen, ob es überhaupt Brandstiftung war. Bei einem so alten Gebäude kann alles mögliche passieren. Wenn es wirklich Brandstiftung war, werden sie in den nächsten paar Tagen keine Verhaftungen vornehmen.«

«Wissen Sie, ich möchte wirklich nicht verhaftet werden. Zumal ich unschuldig bin. Auf die Presse kann ich verzichten«, sage ich mit einem Blick auf die mit Zeitungsausschnitten bepflasterte Wand.

«Daraus kann ich Ihnen keinen Vorwurf machen«, sagt er tatsächlich mit einer aufrichtigen Miene.»Wann ist das Anwaltsexamen?«

«Im Juli.«

«Und danach?«

«Ich weiß es nicht. Ich muß mich umschauen.«

Mein Kumpel Prince bricht plötzlich in die Unterhaltung ein.»Kannst du ihn nicht hier brauchen, Bruiser? Schließlich hast du einen ganzen Haufen Anwälte. Da kommt es auf einen mehr doch nicht an. Er war ein erstklassiger Student, arbeitet hart, ist intelligent. Ich kann mich für ihn verbürgen. Der Junge braucht einen Job.«

Ich wende langsam den Kopf und sehe Prince an, der mich anlächelt, als wäre er der Weihnachtsmann.»Hier wäre ein großartiger Platz für Sie«, sagt er richtig aufgeknöpft.»Sie würden lernen, was richtige Anwälte tun. «Er lacht und schlägt mir aufs Knie.

Wir schauen beide Bruiser an, dessen Blicke hin und her schießen, während sein Gehirn hektisch nach Ausreden sucht.

«Oh, sicher. Ich bin immer auf der Suche nach juristischen Talenten.«

«Na also«, sagt Prince.

«Wie die Dinge liegen, haben zwei meiner Mitarbeiter gerade gekündigt. Sie wollen ihren eigenen Laden aufmachen. Also habe ich zwei freie Stellen.«

«Na also«, sagt Prince abermals.»Ich habe Ihnen doch gesagt, es würde alles ins Lot kommen.«

«Aber es ist eigentlich keine Stellung mit einem Gehalt«, sagt Bruiser, sich für die Idee erwärmend.»Nein, Sir. Auf die Weise arbeite ich nicht. Ich erwarte von meinen Anwälten, daß sie für sich selbst sorgen, ihre Honorare selber beschaffen.«

Ich bin zu verblüfft, um etwas erwidern zu können. Prince und ich haben nicht über das Thema meiner Einstellung gesprochen. Ich hatte ihn nicht um Hilfe gebeten. Ich will Bruiser Stone nicht zum Boß haben. Aber ich kann den Mann auch nicht vor den Kopf stoßen, nicht jetzt, wo die Bullen herumschnüffeln und ziemlich unmißverständliche Andeutungen über die Todesstrafe machen. Ich bringe nicht die Kraft auf, Bruiser zu sagen, daß er gerade niederträchtig genug ist, um mich zu vertreten, aber zu niederträchtig, als daß ich für ihn arbeiten möchte.

«Wie soll das gehen?«frage ich.

«Es ist ganz einfach, und es funktioniert, jedenfalls was mich betrifft. Und denken Sie daran, daß ich im Laufe von zwanzig Jahren alles mögliche ausprobiert habe. Ich habe eine Menge Partner gehabt, und ich hatte Dutzende von angestellten Anwälten. Das einzige System, das wirklich funktioniert, ist eines, bei dem der Angestellte so viel Honorar einbringen muß, daß er auf seine Kosten kommt. Können Sie das?«

«Ich kann es versuchen«, sage ich, ganz Achselzucken und Unsicherheit.

«Natürlich können Sie das«, setzt Prince hilfsbereit hinzu.

«Sie bekommen im Monat tausend Dollar Vorschuß, und Sie behalten ein Drittel der Honorare, die Sie einbringen. Dieses Drittel wird mit dem Vorschuß verrechnet. Ein Drittel geht in meinen Bürofonds, aus dem die laufenden Unkosten, Sekretärinnen und so weiter, bezahlt werden. Das dritte Drittel bekomme ich. Wenn Sie weniger als Ihren monatlichen Vorschuß einbringen, dann schulden Sie mir die Differenz. Ich lasse Ihr Konto auflaufen, bis Sie einen einträglichen Monat haben. Kapiert?«

Ich denke ein paar Sekunden über dieses absurde Schema nach. Das einzige, was noch schlimmer ist als Arbeitslosigkeit, ist ein Job, bei dem man Geld verliert und die Schulden von Monat zu Monat anwachsen. Mir fallen mehrere sehr gezielte und unbeantwortbare Fragen ein, und ich will gerade eine davon stellen, als Prince sagt:»Finde ich fair. Großartiger Handel. «Er schlägt mir abermals aufs Knie.»Sie können eine Menge Geld machen.«

«Es ist die einzige Art, auf die ich arbeite«, sagt Bruiser zum zweiten oder dritten Mal.

«Wieviel verdienen Ihre Anwälte?«frage ich, nicht mit der Wahrheit rechnend.

Die langen Falten auf seiner Stirn quetschen sich zusammen. Er ist tief in Gedanken versunken.»Das schwankt. Hängt davon ab, wieviel Mühe sie sich geben. Einer hat letztes Jahr knapp achtzigtausend gemacht, ein anderer zwanzig.«

«Und du machst dreihunderttausend«, sagt Prince mit einem dröhnenden Lachen.

«Schön war's.«

Bruiser beobachtet mich genau. Er bietet mir den einzig möglichen Job an, der in Memphis noch zu haben ist, und er scheint zu wissen, daß ich nicht gerade wild darauf bin, ihn anzunehmen.

«Wann kann ich anfangen?«frage ich. Es ist ein verzweifelter Versuch, Eifer zu zeigen.

«Jetzt gleich.«

«Aber das Anwaltsexamen…«

«Machen Sie sich deshalb keine Gedanken. Sie können schon heute mit dem Geldverdienen anfangen. Ich zeige Ihnen, wie man das macht.«

«Sie werden eine Menge lernen«, fällt Prince ein, fast außer sich vor Befriedigung.

«Ich zahle Ihnen noch heute tausend Dollar«, sagt Bruiser wie der letzte der großen Verschwender.»Als Startkapital. Ich zeige Ihnen das Büro und alles, was Sie wissen müssen.«

«Großartig«, sage ich mit einem gezwungenen Lächeln. In diesem Moment ist es völlig unmöglich, mich irgendwie anders zu verhalten. Ich sollte nicht einmal hier sein, aber ich habe Angst, und ich brauche Hilfe. Völlig unangesprochen bleibt das Thema, wie sehr ich bei Bruiser in der Schuld stehen werde. Er ist alles andere als der gutherzige Typ, der hin und wieder den Armen einen Gefallen tut.

Mir ist ein bißchen schlecht. Vielleicht liegt es am Schlafmangel, an dem Schock, von der Polizei geweckt worden zu sein. Vielleicht liegt es auch daran, daß ich hier in diesem Büro sitze und zusehe, wie lebendige Haie herumschwimmen, oder daran, wie ich hier herumgeschoben werde — und zwar von den beiden größten Schiebern der Stadt.

Vor noch gar nicht langer Zeit war ich ein intelligenter, aufgeschlossener Jurastudent im dritten Studienjahr mit einem vielversprechenden Job bei einer anständigen Firma, begierig, meinen Beruf auszuüben, hart zu arbeiten, eine aktive Rolle im hiesigen Anwaltsverein zu spielen, meine Karriere zu starten, all das zu tun, was auch meine Freunde vorhatten. Und jetzt sitze ich hier, so verwundbar und schwach, daß ich mich bereit erkläre, mich für unsichere tausend Dollar im Monat zu prostituieren.

Bruiser nimmt einen dringenden Anruf entgegen, vermutlich eine Oben-ohne-Tänzerin, die wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses im Gefängnis sitzt, und wir erheben uns von unseren Stühlen. Er flüstert mir über den Hörer hinweg zu, daß ich am Nachmittag wiederkommen soll.

Prince ist so stolz, daß er beinahe platzt. Er hat mich, einfach so, von der Todesstrafe errettet und mir einen Job verschafft. So sehr ich mich auch bemühe, ich kann einfach nicht fröhlich sein, während Firestone sich seinen Weg durch den Verkehr bahnt und uns auf dem schnellsten Wege zu Yogi's zurückbringt.

Загрузка...