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Alle Eltern der damals zur Welt gebrachten Süßkartoffelkinder konnten, wenn sie bei der Kommune die Meldebescheinigung beantragten, einen Liter Sojaöl und Bezugsmarken für zwei Meter Tuch bekommen. Und diejenigen mit Zwillingen bekamen die doppelte Menge. Mit vor Dankbarkeit feuchten Augen blickten die Menschen auf das goldgelbe Sojaöl und kneteten die Tuchmarken, denen ein lieblicher Sojabohnengeruch entströmte, zwischen den Fingern. »Die neue Gesellschaft ist eben doch die bessere!«, mochten die Volksmassen denken. »Nun können wir sogar etwas dafür bekommen, wenn wir ein Kind gebären. Jetzt schätzt unser Land seine Menschen! Es wartet darauf, sie einzusetzen! Denn unserem Land mangelt es an Menschen«, sagte meine Mutter.
Aus Dankbarkeit fassten alle den stillen Entschluss, viele Kinder zu bekommen und dem Staat so die empfangenen Wohltaten zurückzugeben. Mein Mitschüler Xiao Unterlippe hatte bereits drei kleine Schwestern bekommen – sein Vater Xiao Oberlippe war Verwalter des Brigadekornspeichers –, doch obwohl seine kleinste Schwester noch die Brust bekam, wölbte sich der Bauch seiner Mutter schon über dem nächsten Baby. Wenn ich mich vom Kühehüten auf den Heimweg machte, kam mir sein Vater regelmäßig auf einem ramponierten Fahrrad auf der kleinen Brücke entgegen. Er war groß und dick, das Fahrrad ächzte unter seinem Gewicht, als bräche es jeden Moment entzwei. Die Leute im Dorf trieben mit ihm Schabernack: »Oberlippe, wie alt bist du denn jetzt? Kannst du nicht auch mal eine Nacht auslassen?« Er lachte immer nur: »Wir klagen nicht, wenn wir Kinder für unser Land machen, da lassen wir keine Nacht aus.«
Ende 1965 fühlte sich die Führung durch den sprunghaften Anstieg der Bevölkerung unter Druck gesetzt. Das Neue China erlebte seine erste Kampagne zur Geburtenplanung. Die Regierung ließ die Parole verbreiten:
Ein Kind ist gut, zwei Kinder sind korrekt, drei Kinder schlecht.
Als das Team der Filmvorführer unseres Kreises wieder in unser Dorf kam, gab es vor dem Hauptfilm eine Diaschau, mit der für die Geburtenplanung geworben wurde. Als auf der Leinwand die Schaubilder mit den riesig vergrößerten Geschlechtsorganen des Mannes und der Frau zu sehen waren, brach unter den Zuschauern ein seltsames Gejohle und wildes Gelächter aus. Die Halbwüchsigen unter uns hatten keinen blauen Dunst, grölten und lachten aber einfach mit. Viele der jungen Leute rückten dicht zusammen und hielten sich heimlich an den Händen. So eine Propaganda für Verhütungsmethoden war das reinste Fertilitätsprogramm, besser als jedes Aphrodisiakum. Schauspieler und Opernsänger des Kreistheaters teilten sich in ungefähr zwanzig kleine Gruppen auf, die in jedes winzige Dorf reisten und dort eine kurze Oper mit dem Namen »Den halben Himmel stemmen die Frauen« vorführten, die der diskriminierenden Missachtung der Frauen den Kampf ansagte.
Gugu war inzwischen Leiterin der frauenärztlichen Abteilung der Kommunekrankenstation geworden, dazu hatte sie die stellvertretende Leitung der Gruppe für geregelte Familienplanung übernommen. Gruppenleiter war der Kommuneparteisekretär Qin Shan, der aber nur seinen Namen zur Verfügung stellte und ansonsten passiv blieb. Somit war meine Tante nicht nur ausführendes Organ der Geburtenkontrolle, also diejenige, die die Politik tatsächlich durchsetzte, sondern auch Leiterin der Kommunearbeit für Familienplanung und Organisatorin der Kampagnen.
Damals begann sie Speck anzusetzen. Die von jedermann bewunderten strahlend weißen Zähne waren gelb geworden, weil sie nicht mehr regelmäßig geputzt wurden. Ihre Stimme hatte etwas Rauchiges, sie hörte sich immer ein bisschen an wie ein Mann. Wir hörten sie regelmäßig laut durchs Megaphon dröhnen. Meistens begann die Durchsage mit dem Satz:
Ich sage nur: Schuster bleib bei deinen Leisten! Man soll nur von dem Handwerk reden, dessen Meister man auch ist. Jeder redet doch immer nur über den eigenen Beruf. Und ich spreche heute über die Geburtenplanung.
In dieser Zeit sanken ihr Ansehen und ihre Glaubwürdigkeit bei den Leuten. Selbst die Frauen in unserem Dorf, die ihr viel Gutes zu verdanken hatten, begannen schlecht über sie zu reden. Ihr unermüdliches Herumreiten auf der Familienplanung verfehlte seinen Erfolg gründlich. Selbst ihre Nachbarn und Freunde, die Leute aus dem Dorf wollten davon nichts wissen.
Die Kreisoperntruppe kam mit einer Aufführung zu uns, worin die weibliche Hauptrolle mit hoher Stimme sang:
Eine neue Epoche ist angebrochen! Mann und Frau sind gleich.
Wang Bein, Lebers Vater, der unten im Publikum saß, kommentierte böse: »Völliger Schwachsinn! Was ist denn da gleich? Wer wagt so etwas zu behaupten?«
Unten vor der Bühne reagierte das Publikum mit Krach und bösen Beschimpfungen. Man schmiss mit Backsteinen und Dachziegeln. Als es Ziegel auf die Bühne regnete, schützten die Schauspieler den Kopf mit den Armen und nahmen die Beine in die Hand. Wang Bein hatte an jenem Tag einen Viertelliter Schnaps intus. Der brachte ihn so in Fahrt, dass er völlig über die Stränge schlug. Er bahnte sich seinen Weg durch die Zuschauer, sprang auf die Bühne und hielt mit Händen und Füßen wild gestikulierend eine kurze Rede:
»Ihr bestimmt schon über Himmel und Erde, und nun meint ihr, ihr könnt noch bestimmen, wann und wie das Volk seine Kinder bekommt? Wenn ihr was draufhabt, dann spannt eine Leine von links nach rechts über die Bühne und befestigt Unterwäsche, Schminke und Puder der Frauen dran.«
Die Leute im Publikum begannen laut zu lachen. Das brachte Wang Bein nur noch mehr in Fahrt. Er hob einen Dachziegel von der Bühne auf, zielte genau auf die hell leuchtende Gaslampe, die in der Mitte des Bühnenvorhangs an einem Querbalken angebracht war, und traf. Es klirrte, und sie erlosch. Auf und unterhalb der Bühne herrschte pechschwarze Nacht. Dafür musste Wang Bein einen halben Monat lang ins Untersuchungsgefängnis. Als er entlassen wurde, rebellierte er immer noch. Er rempelte die Leute an: »Hey, schneidet mir den Schwanz ab, wenn ihr Mumm in den Knochen habt!«
In früheren Jahren hatte es ein großes Hallo gegeben, wenn meine Tante nach Hause kam. Die Leute öffneten die Türen, grüßten sie, umarmten sie, aber nun gingen ihr alle aus dem Weg. Meine Mutter fragte besorgt: »Diese Sache mit der Geburtenregelung, Schwägerin, hast du dir die selbst ausgedacht oder haben die da oben dir das aufs Auge gedrückt?«
»Was heißt hier selber ausgedacht?« Gugu kam richtig in Rage: »Das ist ein Appell der Partei an das Volk! Eine Anordnung vom Vorsitzenden Mao. Das ist Staatspolitik! Der Vorsitzende Mao lehrt uns: Die Menschheit darf nicht unkontrolliert wachsen, sie soll Selbstbeschränkung üben und sich nur geplant vermehren.«
Meine Mutter schüttelte verständnislos den Kopf: »Seit Urzeiten und bis heute ist es vom Himmel bestimmt und ein unerschütterliches Recht, Kinder zu bekommen. Schon während der Han-Dynastie verfügte der Kaiser, dass die Mädchen des Volkes mit dreizehn heiraten sollten. Wenn sie nicht heirateten, fragte man beim Vater und beim großen Bruder nach. Denn woher sollte das Land seine Soldaten nehmen, wenn die Mädchen keine Kinder mehr bekamen? Tagtäglich hören wir in der Propaganda, dass die Amerikaner uns angreifen wollen. Tagtäglich spornen wir uns an, Taiwan zurückzugewinnen. Woher sollen denn die Soldaten kommen, wenn die Frauen keine Kinder mehr kriegen dürfen? Wer kämpft denn gegen die Amerikaner in den von ihnen angezettelten Invasionskriegen, wenn wir keine Soldaten mehr haben? Und wer soll Taiwan befreien?«
»Schwägerin, hör auf, mich mit diesen abgedroschenen Binsenwahrheiten vollzuquatschen. Der Vorsitzende Mao weiß besser Bescheid als du. Mach dir da keine Sorgen! Der Vorsitzende sagt: Die Größe der Bevölkerung ist in jedem Fall zu kontrollieren. Und er sagt: Ohne Organisation keine Disziplin. Wenn es so weitergeht, löscht sich die Menschheit früher aus, als es sein muss, denke ich.«
Meine Mutter antwortete: »Der Vorsitzende Mao sagt auch:
Wenn es viele Menschen sind, ist die Kraft groß; wenn es viele sind, wird man besser mit aller Unbill fertig, denn der Mensch ist ein lebender Schatz. Erst durch den Menschen erschaffen wir die Welt. Und er sagt: Wenn wir nicht zulassen, dass es vom Himmel regnet, ist das falsch. Wenn wir die Frauen keine eigenen Kinder großziehen lassen, ist das auch falsch.«
Meine Tante wusste nicht mehr, ob sie nun lachen oder weinen sollte: »Schwägerin, du bist dabei, Maos Worte aus dem kleinen roten Buch zu verfälschen. In der Vergangenheit wurde man geköpft, wenn man ein kaiserliches Dekret verkehrt wiedergab. Es stimmt nicht, dass wir den Leuten das Kinderkriegen verbieten, sie sollen nur weniger – nämlich nur noch nach Plan – Kinder bekommen.«
»Wie viele Kinder jemand in seinem Leben bekommt, ist vorausbestimmt und der Wille des Himmels, und da willst du noch einen Plan erstellen? Für mich seid ihr wie Blinde, die sich eine Kerze anzünden, pure Verschwendung!«, konterte meine Mutter.
Und es traf haargenau ein, was meine Mutter gesagt hatte. Gugu und ihre Leute hatten Energie und Geld umsonst investiert. Dazu hatten sie für ihr Verhalten überall nur Beschimpfungen geerntet, und sie waren übel in Verruf gekommen. Anfangs verteilten sie kostenlose Präservative an die örtlichen Leiterinnen des chinesischen Frauenverbands, damit diese sie an die Frauen in gebärfähigem Alter weitergaben und deren Männer aufforderten, sie beim Verkehr überzuziehen. Aber die Präservative landeten entweder in den Schweineställen oder bei den Kindern, die sie aufpusteten und anmalten und mit ihnen wie mit Luftballons spielten. Die Tante und ihre Helferinnen gingen hausieren und verschenkten Antibabypillen, aber die Frauen störten sich an den Nebenwirkungen der Pillen und weigerten sich, sie einzunehmen. Wenn sie gezwungen wurden, sie auf der Stelle hinunterzuschlucken, versuchten sie, kaum dass sie wieder allein waren, sie hochzuwürgen und auszuspucken, indem sie sich den Finger oder ein Stäbchen in den Hals steckten.
Die Sterilisation der Männer mittels Durchtrennen der Samenleiter kam da gerade zur rechten Zeit in Gebrauch. Es war damals Thema Nummer eins bei uns im Dorf. Alle erzählten, dass es meine Tante und Huang Qiuya waren, die diese Methode gemeinsam entwickelt hätten. Von Huang Qiuya käme der theoretische Teil der Erfindung, von meiner Tante der klinische Teil und die Praxis. Der Wichtigtuer Xiao Unterlippe sagte uns:
»Diese beiden unbemannten Weiber sind doch völlig psychopatisch, die haben dieses ganze Zeug für die Kinderlosigkeit doch nur entwickelt, weil sie es nicht ertragen, andere Paare glücklich verheiratet zu sehen.«
Er behauptete, sie hätten erst einmal an Ferkeln Versuche gemacht, dann diese an Ebern wiederholt und zuletzt an zehn toten Häftlingen laboriert. Nachdem das Experiment geglückt sei, hätten sie die toten Häftlinge gegen lebende mit lebenslänglichen Haftstrafen ausgetauscht. Wir wussten natürlich bald, dass Xiao Unterlippe geflunkert hatte.
Die Tante hörten wir in jenen Tagen regelmäßig durch das Megaphon schreien:
»Kader unserer Brigaden! Bitte beachten Sie! Infolge der Achten Sitzung des Leitungskollektivs zur Kommune-Geburtenregelung ist es Pflicht, dass Männer mit Frauen, die schon drei Kinder zur Welt gebracht haben, oder Männer, die mehr als drei Kinder haben, sich in unserer Krankenstation einer Sterilisation unterziehen. Nach dem Eingriff bekommen die Männer zwanzig Yuan für Lebensmittel zur Stärkung und eine Woche vollbezahlten Urlaub, die Arbeitspunkte werden trotzdem eingetragen.«
Die Männer, die die Durchsage gehört hatten, standen zusammen und schimpften:
»Da, fick deine Mutter! Sauschneider gibt’s, Leute, die Bullen kastrieren, Leute, die Pferde- und Mulihengste legen. Aber hat man je von einem Berufszweig gehört, der sich auf das Kastrieren von Männern verlegt hat? Wir wollen ja schließlich nicht als Eunuchen in den Dienst bei Hof! Wir lassen uns nicht betrügen!«
Als die Kader aus der Geburtenplanung erklärten, die Sterilisation sei nur ein klitzekleiner Eingriff, wobei nur die ...
... da protestierten die Männer sofort mit bösem Blick:
»Ihr redet alles schön! Aber wir befürchten, wenn wir einmal auf eurem Tisch liegen und die Narkose verpasst bekommen haben, dann geht ihr uns nicht nur an die Eier. Wir trauen euch zu, dass ihr uns den Schwanz auch noch mit abschneidet. Dann müssen wir wie die alten Muttchen in der Hocke pissen!«
Die Sterilisation der Männer, die den Frauen ungemein genützt hätte, die nur einen einfachen, kurzen operativen Eingriff darstellte, der zudem keine großen Nachwirkungen oder Folgekrankheiten befürchten ließ, wurde über die Maßen boykottiert. Die Tante hatte mit ihren Helferinnen alles vorbereitet, aber niemand kam. Die Kommandostelle der Kreisgeburtenregelung rief täglich an und verlangte Zahlen. Sie war mit Gugu sehr unzufrieden. Die Kommuneparteikader hielten extra eine Sitzung ab, auf der zweierlei beschlossen wurde:
1. Beim Sterilisieren der Männer müssen die Führungskader mit gutem Beispiel vorangehen. Dies muss unter den Kadern und Arbeitenden publik gemacht werden. Im Dorf müssen allen voran die Brigadekader den Anfang machen. Erst dann wird man es in der Bevölkerung propagieren.
2. Diejenigen, die dagegen sind, dass Männer sterilisiert werden, und die Gerüchte streuen, sollen die Keule der proletarischen Diktatur zu spüren bekommen. Genügen sie den Anforderungen für eine Sterilisation, sperren sich aber dagegen, entzieht ihnen die Brigade als erstes die Arbeitserlaubnis. Fügen sie sich dann immer noch nicht, kürzt man ihnen die Reisration. Wenn sich Kader wehren, wird ihre Stelle gestrichen und ihnen ihre Position aberkannt. Wenn es sich um Angestellte des öffentlichen Dienstes handelt, werden sie entlassen. Wenn Parteimitglieder sich wehren, werden sie aus der Partei ausgeschlossen.
Der Kommuneparteisekretär Qin Shan sprach höchstpersönlich durch das Megaphon zu den Leuten:
»Die Geburtenplanung ist eng verknüpft mit unserer Volkswirtschaft, dem Lebensunterhalt für unser Volk. Die den Kommunen direkt unterstellten Abteilungen und die einzelnen Brigaden sind zuerst an der Reihe. Die Kader und Parteimitglieder, die für eine Sterilisation in Frage kommen, müssen den Anfang machen und sich operieren lassen. Sie müssen den Massen mit gutem Beispiel vorangehen.«
Qin Shans Ton schlug plötzlich um. Mit einer Plauderstimme wie beim Familienplausch erzählte er:
»Genossen, ich erzähl mal, wie es bei mir läuft. Meiner Frau haben sie, weil sie krank war, schon vor Jahren die Gebärmutter entfernt. Aber weil ich euch Männern die Angst vor diesem Eingriff nehmen will, habe ich mich dazu entschlossen, morgen Vormittag zu unserer Krankenstation zu gehen, um mich sterilisieren zu lassen.«
Während seiner Rede verlangte er auch vom chinesischen Jugendverband, dem gesamtchinesischen Frauenverband und den Schulen, diesen Eingriff beim Mann mit Feuereifer zu propagieren, damit eine mächtige Sterilisationswelle anrollen könne.
Wie bei allen bisherigen Kampagnen schrieb unsere Lehrerin Xue einen Sprechgesang, dessen Rhythmus mit dem Schlagholz unterstrichen wurde. Wir lernten ihn auswendig, so dass wir ihn in Höchstgeschwindigkeit hersagen konnten. Dann wurden Vierergruppen gebildet. Jeder bekam eine Flüstertüte aus Pappe oder Blech. Wir stiegen auf die Dächer der Häuser, kletterten auf die Bäume ins Geäst und begannen, lauthals zu schreien:
»Genossen, macht euch keinen Kopf, in der Kommune fangt damit an! Was wir jetzt mit euch vorhaben, ist einfach, kommt auch nicht dem Sauschneider gleich!
Ein kleiner Schnitt, nur fünfzehn Millimeter lang, nach einer Viertelstund schon wieder fit vom Bett er sprang.
Er schwitzte und er blutete nicht, und fing am selben Tag noch zu arbeiten an.«
In diesem ungewöhnlichen Frühling nahm die Kommune, so sagte mir meine Tante, an 648 Männern eine Sterilisation vor. Bei ihr persönlich kamen 310 unters Messer. Sie erzählte, man brauche den Massen eigentlich nur die Gründe ordentlich zu erklären und die politische Strategie festzulegen. Wenn die leitenden Kader den Anfang machten und Schritt für Schritt alles glatt laufe, könne man auch mit dem Verständnis der Leute rechnen. Sie würden dann mitziehen. Sie habe auf diese Weise viele Eingriffe gemacht. Der Großteil der Männer sei gemeinsam mit dem leitenden Kader seines Dorfes gekommen, der als gutes Beispiel den Anfang gemacht habe. Wirklich frech gewesen seien nur zwei, die hätten Schwierigkeiten gemacht. Da habe man dann geringfügige Zwangsmaßnahmen ergriffen, und gut war’s. Der eine sei unser Kutscher Wang Bein gewesen, der andere der Verwalter unseres Brigadekornspeichers, Xiao Oberlippe. Wang Bein habe sich auf seine guten Familienverhältnisse verlassen, deswegen habe er sich reaktionär, noch dazu arrogant und aggressiv verhalten.
Kaum aus der Untersuchungshaft wieder auf freiem Fuß, schwang er laute Reden, wer es wage, ihn zur Sterilisation zu zwingen, dem werde er den blanken Stahl hineinstoßen und triefend rot wieder herausziehen!
Mein Freund Wang Leber war verliebt in Gugus Assistentin Shizi und deswegen gefühlsmäßig auf Gugus Seite. Er wollte seinen Vater zur Sterilisation überreden, erntete aber nur zwei Backpfeifen. Leber floh eilends aus dem Haus, Wang Bein rannte mit der großen Kutscherpeitsche hinter ihm her. Er verfolgte ihn bis zum Teich am Dorfrand. Da standen Vater und Sohn hüben und drüben, zwischen ihnen das Wasser, und schrien sich an. Wang Bein brüllte:
»Du verfickter Hundesohn! Seinen eigenen Vater zur Sterilisation überreden wollen!«
Sein Sohn schrie zurück:
»Wenn du meinst, dass ich einen verfickten Hund zum Vater habe, dann ist das wohl so!«
Wang Bein merkte, dass er sich mit seinem Schmähruf selbst beschimpft hatte, und rannte los um den Teich, immer seinem Sohn hinterher. Sie rannten und rannten, Runde um Runde, wie in einem Kollergang. Ein ganzer Haufen Schaulustiger versammelte sich, der Öl ins Feuer goss, Zunder auflud, Wind zufächelte, damit die Flammen höher schlagen konnten. Die Folge waren unaufhörliche Lachsalven.
Wang Leber hatte den scharfen Säbel heimlich von zu Haus fortgeschafft und beim Dorfparteizellensekretär Yuan Gesicht abgegeben. Er erklärte ihm, die Mordwaffe habe sein Vater schon mal vorbereitet, damit er den, der es wage, ihn zum Sterilisieren zu schleppen, einen Kopf kürzer machen könne. Yuan Gesicht wagte nicht, nachlässig zu verfahren, und nahm den Säbel mit zur Kommune, wo er meiner Tante und Parteisekretär Qin davon berichtete. Qin knallte wütend mit der Handfläche auf den Tisch.
»Damit hat er sich strafbar gemacht! Zuwiderhandlung gegen die Politik der Geburtenplanung ist Konterrevolution!«
Meine Tante meinte:
»Wenn wir den nicht erledigen, können wir das nicht im großen Stil durchziehen.«
»Auf jeden Fall. Denn alle im Dorf, die zu sterilen Männern werden sollen, schauen auf Wang Bein«, pflichtete Yuan Gesicht ihr bei und wies seine Leute an: »Nehmt diesen typischen Fall von einem Negativ-Beispiel fest!«
Der alte Ning, Beamter für öffentliche Sicherheit im Kommunebüro, der immer ein Sturmgewehr um die Lenden trug, trat, Gewehr bei Fuß, sofort vor. So rückte der Dorfparteisekretär mit Nings Unterstützung zusammen mit der Vorsitzenden des chinesischen Frauenverbandes und dem Feldwebel der Volksmilizionäre mit seinen vier Milizionären aus, um den Hof des Wang Bein zu stürmen.
Wangs Frau, die mit einem kleinen Mädchen an der Brust im Schatten der Bäume Strohmatten flocht, ließ, sowie sie den bedrohlichen Ansturm bemerkte, die Arbeit fallen, warf sich zu Boden und weinte in höchsten Tönen.
Leber saß unter der Traufe und sagte keinen Ton, Galle kauerte auf der Schwelle und betrachte ihr zierliches Gesichtchen in einem kleinen Spiegel, als Yuan Gesicht schrie:
»Wang Bein, komm raus! Wir werden nun andere Saiten mit dir aufziehen. Wenn der süße Schnaps ausgetrunken ist, folgt die bittere Medizin des Gesetzes. Kommunepolizist Ning ist auch mitgekommen. Du magst uns einmal noch entkommen sein, doch beim zweiten Mal gibt es kein Entrinnen mehr. Ein richtiger Kerl macht so was entschlossen, sauber, auf einen Streich. Was soll dieses Rumgeeiere?«
»Fang Lianhua! Hör auf zu brüllen und ruf deinen Mann heraus«, riet die Vorsitzende des Frauenverbands der Frau des Wang Bein.
Nichts tat sich. Yuan Gesicht blickte vielsagend zum Polizisten hinüber, ein Wink und die vier Bullen stürmten mit Seilen bewaffnet das Haus. Zu gleicher Zeit warf Leber, der unter der Traufe stand, dem Polizisten Ning einen Blick zu und zeigte auf den Schweinepferch, wo es in der Ecke rumorte. Obwohl er ein kurzes und ein langes Bein hatte, war Ning fix zu Fuß, ein paar Riesenschritte und er stand mit gezücktem Gewehr vor dem Pferch, um zu brüllen: »Wang Bein, komm raus!«
Den Kopf voller Spinnweben kam dieser herausgekrochen. Die Bullen umzingelten ihn mit den Seilen. Bebend vor Wut, rieb er sich das schweißnasse Gesicht.
»Hinkebein, was krakeelst du da? Kriegst du es mit deiner kaputten Flinte wieder nicht gebacken, dass einer wie ich dich fürchtet?«
»Ich wollte dir gar keine Angst einjagen, mach kein Theater und komm brav mit, dann passiert dir auch nichts.«
»Ach? Und wenn ich nicht mitspiele, was machen wir dann? Willst du mich jetzt erschießen, oder was? Wenn du nicht zu feige bist«, er zeigte auf seinen Hosenstall, »dann feuer hier rein. Da ist es mir lieber, du kastrierst mich mit der Knarre, als dass ich mir von diesen zwei alten Weibern mit dem Messerchen dran rumschnippeln lasse.«
»Wang Bein, hör auf, so ein Blech zu reden, Sterilisation beim Mann bedeutet diese Röhre zubinden, mehr nicht«, rief die Vorsitzende des Frauenverbandes.
»Dir gehört die Möse zugenäht, dass du’s weißt!« Wang Bein zeigte mit dem Finger auf ihren Schritt.
Der Polizist schwenkte sein Sturmgewehr: »Marsch jetzt! Fesselt ihn!«
»Woll’n mal sehn, wer hier wagt, mich anzurühren!«Bein griff sich einen Spaten und hielt die Klinge mit funkelnden Augen in Richtung der Bullen. »Nur zu, noch einen Schritt näher und ich hau euch den Schädel weg!«
Genau in diesem Moment erhob sich das Püppchen Galle mit seinem kleinen Spiegel in der Hand von der Schwelle. Dreizehn Jahre alt war die Kleine damals und maß gerade mal siebzig Zentimeter. Aber trotz ihrer zurückgebliebenen Körpergröße war sie wunderhübsch und ebenmäßig gewachsen, wie eine Schönheit aus dem Zwergenland. Mit dem Spieglein leitete sie – bar jeder Bosheit – einen blendenden Sonnenstrahl direkt in das Gesicht ihres Vaters, wobei sie mit ihrem unschuldigen, engelsgleichen Stimmchen ein helles Lachen erklingen ließ.
Die vier Bullen witterten ihre Gelegenheit sofort, sprangen vor und packten den vom Sonnenlicht Geblendeten, entrissen ihm den Spaten und fesselten ihm blitzschnell die Hände auf dem Rücken.
Bein heulte, als man ihn band, laut auf, wie ein abgestochenes Schwein. Es war ein so herzzerreißendes Gebrüll, dass die Schaulustigen, die auf die Mauer seines Hofes geklettert waren und die sein Haupttor umlagerten, von Traurigkeit ergriffen wurden. Der Milizionär mit dem Seil in der Hand war nicht darauf vorbereitet, wurde unsicher. Was tun?
Yuan Gesicht musterte Bein.
»Bist du eigentlich noch ein Kerl? Dass du dich vor einer kleinen OP so fürchtest! Wo ich’s dir doch schon vorgemacht habe! Hat keinerlei Einfluss auf gar nichts in deinem Leben! Kannst deine Frau zu meiner Frau schicken, um sie zu fragen!«
»Freund, hör verdammt noch mal auf damit.« Jetzt weinte Wang Bein . »Ich komm ja schon mit euch mit.«
Meine Tante sagte: »Bei uns in der Kommuneverwaltung haben wir mit der Missgeburt Xiao Oberlippe den typischen Fall von einem Negativbeispiel. Wie der immer darauf herumreitet, wie viele Krankentragen er im Untergrundkrankenhaus der Achten Route-Armee geschleppt hat! Wohl bis zum Umfallen ... Als die Kommuneparteikader sich berieten und beschlossen, seinen Arbeitsplatz zu streichen und ihn in sein Dorf zurückzuschicken, damit er wieder als Bauer arbeitete, kam er von sich aus auf einem kaputten Fahrrad zur Krankenstation geradelt. Ich solle ihm die OP machen, so kam er an. Der ist ein Zoten reißender Lustmolch, ein Herumtreiber. Auf dem Operationstisch ärgerte er Shizi mit dämlichen Fragen: ›Kleine, ich versteh nicht, was passiert denn eigentlich mit meinem Sperma? Wo man doch sagt: Ist der Kanal mit Sperma erst mal voll, läuft’s auch von selber raus. Was passiert, wenn ihr die Samenleiter zubindet? Platzt mir dann der Bauch?‹ Mit schamrotem Gesicht blickte Shizi mich an, aber ich sagte nur: ›Rasieren!‹ Der kriegte bei der Rasur doch tatsächlich eine Erektion. Die Kleine hatte so was niemals zuvor gesehen, schmiss das Skalpell fort und nahm Reißaus. Ich sagte nur, ›Anständige Gedanken sind Voraussetzung.‹ – ›Habe ich! Was kann ich dafür, wenn der steif wird?‹, meinte er dickfellig. ›Nun gut‹, sage ich, nehme einen Gummihammer, ziele und haue einmal nachlässig drauf. War sofort wieder schlaff, das Ding. Und ich schwöre beim Himmel, dass ich Wang Bein genau wie Xiao Oberlippe sehr sorgfältig operierte. Die OPs waren hundertprozentig geglückt. Trotzdem leidet Wang Bein seitdem unter Lendenschmerzen und kann nicht mehr aufrecht gehen, er sagt, ich habe ihm seine Nerven durchtrennt, und Xiao Oberlippe kam wieder und wieder zur Krankenstation und beschwerte sich. Bis zur Kreisregierung hoch ging er damit. Er beschuldigte mich, ich hätte ihn zu einem impotenten Mann gemacht ... Diese Halunken! Bei Wang Bein sind es vielleicht psychosomatische Beschwerden. Aber Oberlippe lügt. Keine Frage, der lügt wie gedruckt. Ich will nicht wissen, wie viele junge Mädchen der während der Kulturrevolution, als er eine Zeitlang so eine Art Boss bei den Roten Garden war, ins Bett und damit ins Unglück gezerrt hat. Wäre er nicht sterilisiert gewesen, hätte er Bedenken gehabt, ein Mädchen zu schwängern. Er hätte Scham verspürt, Konsequenzen gefürchtet, die solch ein Tabubruch nach sich zieht. Aber so ... war doch nichts zu bedenken.«