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Am Hochzeitstag hatten wir schlechtes Wetter, es gab einen Kälteeinbruch, am Himmel ballten sich graue Wolken zusammen und es donnerte. Nach dem Donner schüttete es wie aus Kübeln. Höchst ungemütlich!

Mutter murmelte mit einem vorwurfsvollen Unterton in der Stimme: »Da hat Yuan Backe ja einen feinen Hochzeitstag ausgesucht. Von wegen astrologisch glücklichster Tag zum Heiraten, es sieht aus, als fluteten die Wasser den Jinshan-Tempel in Zhenjiang8

Um zehn Uhr früh kam Renmei in Begleitung zweier Cousinen im strömenden Regen zu uns nach Haus. Sie trugen Regenmäntel und sahen aus, als kämen sie vom Hochwasserschutz und seien auf dem Weg zum Fluss, um eine Inspektion der Deiche vorzunehmen. Im Hof hatten wir ein Partyzelt aufgestellt und darin einen Herd untergebracht, vor dem ich kniete und mit einem Blasebalg das Feuer zum Wasserkochen anfachte. Mein Cousin Wuguan rief mir in unflätigem Ton zu: »Held des Chinesisch-Vietnamesischen Kriegs, was hockst du da noch am Herd? Die Braut steht schon im Hof!«

Ich erwiderte nur: »Na, dann mach du doch hier für mich weiter!«

Er rief zurück: »Tante hat mich für die Böllerschlangen eingeteilt. Um bei so einem Sauwetter Böller zu zünden, braucht man eine gute Technik.«

Mutter stand in der Tür und rief: »Wuguan, sei endlich still! Nun mach schon!«

Er fischte eine Knallerschlange, die er vorher in Plastikfolie eingewickelt hatte, aus seiner Jacke und zündete die Zündschnur an. Er hatte keinen Stecken, woran er sie hätte hängen können. Ohne mit der Wimper zu zucken, hielt er sie in der einen Hand, in der anderen den aufgespannten Regenschirm, und drehte sich weg, während sie abbrannte. Schwarzer Qualm hüllte ihn ein, denn er hatte in dem heftig prasselnden Regen die Folie nicht abziehen können. Die Kinder, die wegen des Trubels alle herbeigekommen waren, sahen im Regen wie Suppenhühner aus. Sie klatschen in die Hände, stampften mit den Füßen und feuerten ihn an: »Wuguan! Qualmkopf! Qualmkopf!«

»Was gibt’s da zu schreien, ihr verdorbenen Blagen!«, rief Mutter herüber.

Bei Hochzeiten ist es so Brauch, dass die Braut, wenn sie den Hof betritt, keinen Ton sagt, schweigend das Wohnzimmer durchquert, ins Hochzeitszimmer hineingeht, ein Bein in die Höhe schwingt und auf den Kang steigt. Diese Pose nennt man »Aufs Bett steigen«.

Nicht so Renmei! Die betrat den Hof und schaute Wuguan erst mal beim Böllern zu. Der Qualm hatte Wuguan so das Gesicht geschwärzt, dass er aussah, als wäre er gerade aus dem Ofenrohr geklettert. Renmei lachte laut auf, ihre beiden Brautjungfern zupften sie verstohlen am Ärmel, aber sie reagierte nicht. Sie trug Plastikstöckelschuhe, so dass sie noch größer wirkte. Groß wie ein Baum erschien sie mir. Wuguan machte eine entsprechende Bemerkung, während er sie musterte: »Schwägerin, wer dich küssen will, muss ja erst mal auf eine Leiter steigen.«

»Wuguan, ich werde dir das Maul stopfen, wenn du nicht ruhig bist!«, rief die Mutter in lautem Ton über den Hof.

»Bist du ein Hornochse!«, sagte Renmei. »Selbst Galle und Nase schaffen das ohne Leiter!«

Fix waren da die neugierigen Ohren der alten Tanten und Großtanten gespitzt, als sie hörten, dass sich die Braut im Hof mit ihrem Schwager neckte. Ich kam mit der Kohlenschaufel aus dem Partyzelt, da klatschen die Kinder in die Hände und stampften mit den Füßen: »Der Held ist da! Der Held ist da ...«

Ich trug meine neue Uniform, hatte meinen Orden, die Ehrenmedaille dritten Grades, angesteckt, war aber weder Fisch noch Fleisch mit meinem rußverschmierten Gesicht und der Kohlenschippe in der Hand. Renmei bog sich vor Lachen. Sie hörte gar nicht wieder auf. Ich war verstört. Mir war zum Lachen und Weinen zumute. Was war nur los mit ihr? Spielten bei ihr die Nerven verrückt?

Mutter schrie wieder über den Hof: »Nun macht schon, dass ihr sie endlich ins Haus bringt!«

Ich sagte mit einem ironischen Unterton: »Gnädigste, bitte ins Hochzeitszimmer einzutreten!«

Renmei erwiderte: »Drinnen ist es stickig, draußen ist die Luft angenehm frisch.«

Die Kinder klatschten wieder in die Hände und stampften mit den Füßen: »Nun geh rein, das wird fein!«

Ich ging ins Haus zurück und holte eine Kelle voll Bonbons, rannte über den Hof zum Hoftor und streute sie mit Schwung auf die Gasse! Wie ein Bienenschwarm schwirrten die Kinder zum Tor und balgten sich in den Schlammpfützen um die Bonbons. Ich packte Renmei am Handgelenk und zog sie mit ins Haus, doch die Tür war zu niedrig, sie stieß sich am Türrahmen die Stirn, dass es knallte: »Mensch! Hier rammt man sich ja den Schädel ein!« Die Tanten schüttelten sich vor Lachen.

Klein war der Raum auch. Es drängten sich darin so viele Menschen, dass sie Hintern an Hintern standen. Die drei zuletzt Eingetroffenen zogen ihre triefend nassen Regenmäntel aus, aber es gab keinen Ort zum Aufhängen. Deswegen mussten die Mäntel an den Türrahmen gehängt werden. Der Boden war ohnehin schon feucht gewesen. Jetzt, da alle triefend und mit Schlammfüßen hereingekommen waren, war er eine einzige Schlammwüste.

In dem kleinen Zimmerchen, das unser Hochzeitszimmer sein sollte, war auch der Kang nicht mal zwei Meter lang. Am Kopfende des Kangs lag aufeinander gestapelt die Aussteuer, die die Eltern Renmeis vorbeigebracht hatten. Vier neue Baumwollsteppdecken und zweimal neues Bettzeug, dazu zwei Wolldecken und zwei Kopfkissen. Der Stapel war so hoch, dass er fast an die mit Papier beklebte Zimmerdecke stieß. Kaum hatte Renmeis Hintern die Matte auf dem Kang berührt, schrie sie auch schon: »Aua, Mama! Das ist doch kein warmer Kang! Das ist eine Kochplatte!«

Jetzt reichte es meiner Mutter. Sie pochte laut mit dem Krückstock auf den Boden: »Und wenn schon! Meinetwegen ist es eine Kochplatte, aber da setzt du dich jetzt drauf. Mal sehen, ob wir deinen Schinken gar geröstet kriegen.«

Renmei lachte wieder schallend. Sie flüsterte mir zu: »Renner, deine Mutter hat einen seltsamen Humor. Wenn ich meinen Hintern hier röste, wird aus unserm Weltmeisterbaby nichts.«

Ich war so wütend, dass ich jeden Augenblick bewusstlos hätte hinknallen können. Aber an einem solchen Glückstag macht ein Wutausbruch einen schlechten Eindruck. Also streckte ich die Hand aus und befühlte die Bastmatte auf dem Kang. Sie war wirklich kochend heiß. Weil wir so viele Gäste im Haus hatten – alle Tanten und Großtanten, Cousinen, Schwägerinnen waren ohne Ausnahme gekommen und blieben zum Essen –, kochte unter dem Dämpfer ununterbrochen Wasser. Dampfnudeln, Nudeln und alle möglichen Gerichte wurden zubereitet. Der Herd lief auf Hochtouren. Es stimmte, dass die Matte fast brutzelte. Ich zog eine Steppdecke aus dem Bettzeugturm heraus, faltete sie, schob sie an die Wand und sagte: »Gnädigste, bitte aufzusteigen und Platz zu nehmen!«

Renmei keuchte vor Lachen: »Renner, du Spaßvogel. Was soll der Scheiß, mich immer mit Gnädigste anzureden? Sag doch Schwiegertochter, wie wir es hier auf dem Dorf gewohnt sind, oder sag einfach wie früher Renmei.«

Ich sagte gar nichts mehr. Dass ich mir so eine durchgeknallte Braut aufgebürdet hatte! Jetzt musste ich die Suppe auslöffeln. Hörte sie denn nicht heraus, dass ich es ironisch meinte und meinem Unmut über sie damit Luft machte?

»Okay, wird gemacht. Schwiegertochter Renmei, bitte auf den Kang!«

Ich ließ mir von ihren beiden Cousinen erklären, wie das mit den Schuhen funktionierte, und zog ihr die Schuhe und die beiden völlig verschlammten Nylonsocken aus, um sie sodann auf den Kang zu heben. Dort stand sie sofort auf und stieß mit dem Kopf gegen die Decke. In diesem engen, niedrigen Raum sah sie noch größer aus. Sie hatte verschwindend schmale Wadenmuskeln an ihren Kranichbeinen, und ihre Füße waren auch nicht gerade klein. Sie konnten sich von der Größe her mit meinen messen. Sie tänzelte mit den nackten Füßen auf diesem keine zwei Quadratmeter großen Kang immer im Kreis herum, so dass sie ihn allein mit Beschlag belegte und nicht einmal die Brautjungfern noch drauf passten, obwohl es doch bei uns Brauch ist, dass sie neben der Braut sitzen müssen. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als sich einen anderen Platz zu suchen. Die eine stand in der Zimmerecke, die andere saß auf der Kangkante. Als ob Renmei ihre Größe herausstreichen wollte, ging sie auf Zehenspitzen und drückte den Kopf gegen die Decke. Es schien ihr Spaß zu machen, auf dem Kang im Kreis zu trippeln, zu hopsen und dabei gegen die Zimmerdecke zu stoßen. Mutter steckte den Kopf zur Tür herein: »Schwiegertochter, wo willst du heut Nacht schlafen, wenn du den Kang zum Einstürzen bringst?«

»Wenn er einstürzt, schlafen wir auf dem Fußboden«, gackerte Renmei.

Gegen Abend kam auch meine Tante zum Essen. Sie war noch am Hoftor und hatte den Fuß noch nicht auf den Hof gesetzt, da rief sie schon laut: »Eure Tante ist da! Holt mich denn keiner zur Begrüßung ab?«

Wir sprangen auf und rannten sofort zum Tor, um sie abzuholen. Mutter sagte: »Wir dachten schon, heute regnet es Hunde und Katzen und deswegen kommst du nicht mehr.«

Sie hielt einen Tungöl-Regenschirm in der Hand und stand barfuß mit hochgekrempelten Hosenbeinen, beide Füße im Schlamm. Die Schuhe hielt sie unter den Arm geklemmt.

»Da kann es Messer regnen, aber zur Hochzeit meines zum Helden gekürten Neffen komme ich auf jeden Fall! Wie könnte ich da wegbleiben?«

»Ich bin doch kein Held, Tante. Ich bin da als Feldkoch gewesen und habe nur das Essen zubereitet«, widersprach ich meiner Tante, »nicht mal den Schatten der Feinde habe ich zu Gesicht bekommen.«

»Der Feldkoch ist genauso wichtig wie die übrigen Soldaten. Menschen sind Eisen, Reis ist Stahl. Wer sich beim Militär nicht sattessen kann, kann auch nicht unter Einsatz seines Lebens an vorderster Front kämpfen! Macht mir schnell was zu essen«, erklärte meine Tante. »Nach dem Essen muss ich sofort aufbrechen. Wenn die Brücke erst überschwemmt ist, komme ich nicht mehr über den Fluss zurück.«

»Bleib ein paar Tage bei uns! Geh nicht gleich heute Abend!«, meinte Mutter. »Wir warten schon so lange darauf, dich mal wieder erzählen zu hören! Heute Abend machen wir’s uns gemütlich und du erzählst uns die neusten Geschichten, was meinst du?«

Gugu aber schlug das Angebot aus: »Daraus wird nichts. Die PKKCV in unserem Kreis hat Sitzung.«

»Renner, weißt du, dass deine Tante aufgestiegen ist? Sie hat jetzt den Rang eines Mitglieds des ständigen Ausschusses der PKKCV in unserem Kreis.«

»Was soll denn das für ein Beamtenrang sein, bitte schön?«, fiel die Tante ein. »Du meinst wohl, so wie man längst vergorene Wolfsbeeren nur noch wegen der hübschen roten Farbe zum Garnieren einer Platte verwendet, so einen Rang nur fürs Auge.«

Gugu verschwand erst einmal im Westzimmer. Es war vollgestopft mit Verwandten, ein heilloses Durcheinander. Alle, die dort saßen, machten sofort den Rücken krumm und rutschten runter vom Kang, sogar unter den Kang drängelten sie sich, um der Tante den Platz frei zu machen. Aber sie sagte: »Bleibt ihr wohl alle auf euren Plätzen, ich esse nur einen Happen und bin schon wieder weg.«

Mutter wies meine Schwester an, der Tante schnell aufzutun. Gugu hob den Deckel vom Wok und griff sich eine der kleinen Hochzeitsdampfnudeln, wie sie bei uns von den Brautleuten für einen reichen Kindersegen gegessen werden. Sie ließ den weichen Kloß von einer Hand in die andere rollen, um sich die Hände nicht zu verbrennen, und pustete geräuschvoll, damit er schneller abkühlte. Dann riss sie ihn in der Mitte auf, steckte ein wenig gedämpftes, mit Reismehl paniertes Fleisch in die Kuhle, klappte die Dampfnudel wieder zu und biss herzhaft hinein. Sie nuschelte: »Lecker! Ihr braucht mir keinen Teller und keine Schale zu holen. So schmeckt es am allerbesten. Seit ich in meinem Beruf arbeite, habe ich mich ohnehin nie mehr zum Essen an einen Tisch gesetzt. Die paar Mal kann ich an einer Hand abzählen.«

Kauend und mit der Hefenudel in der Hand sagte sie: »Nun zeigt mir mal euer Hochzeitszimmer!«

Renmei fand den Kang immer noch zu heiß, deswegen hatte sie sich aufs Fensterbrett gesetzt. Es fiel noch genug Licht zum Fenster herein, um lesen zu können, und sie schaute sich eine Holzschnitt-Bildergeschichte an, wie wir sie damals als Propaganda- und Erziehungsbüchlein von der Partei bekommen hatten. Sie schüttete sich dabei aus vor Lachen.

»Meine Tante ist da«, sagte ich.

Mit einem geräuschvollen Satz kam Renmei von der Fensterbank herunter und nahm Gugu bei der Hand: »Tante! Ich muss dich unbedingt was fragen. Endlich bist du da!«

»Was willst du mich fragen?«

Renmei flüsterte: »Die Leute sagen, du hättest da so eine Arznei. Wenn man die schluckt, kann man Zwillinge bekommen?«

Tante machte große Augen: »Wer sagt das?«

»Wang Galle sagt das.«

»Bloßes Gerede! Reine Gerüchteküche!« Tante hatte sich an der Dampfnudel verschluckt und musste husten. Ein schlimmer Anfall, sie wurde puterrot. Meine Schwester holte schnell einen Schluck Wasser. Gugu trank und klopfte sich die Brust, um dann ernst zu erklären: »Es geht gar nicht darum, ob ich so eine Arznei kenne oder nicht. Selbst wenn es so wäre, würde ich die bestimmt keinem verabreichen.«

»Galle sagt, dass im Dorf der Chens jemand die von dir verschriebene Arznei eingenommen und dann ein Zwillingspärchen zur Welt gebracht hätte. Einen Buben und ein Mädchen, wie Phönix und Drache.«

Gugu drückte meiner Schwester den Rest der Hefenudel in die Hand: »Es ist zum Auswachsen! Dieses Ungeheuer Galle! Wie viel Energie hat es mich gekostet, sie aus dem Bauch ihrer Mutter herauszuholen! Und jetzt streut sie böse Gerüchte über mich! Undankbares Kind! Die wird’s erleben, dass ich ihr eine Scharte in die Möse schneide!«

Ich trat, als keiner hinsah, Renmei schnell gegens Schienbein und flüsterte ihr hinter Tantes Rücken zu: »Kein Wort mehr!« Zur Tante sagte ich: »Tante, reg dich bitte nicht auf!«

Aber Renmei schrie sofort völlig überzogen: »Mama! Aua! Der hat mich getreten und mir mein Schienbein zertrümmert!«

Mutter zischte wütend: »Die Beine von einem Hundevieh brechen nicht.«

Renmei entgegnete sofort: »Schwiegermutter, das stimmt nicht! Der große braune Hund meines Onkels ist mit der Pfote in Oberlippes Tellereisen getreten und das ist ihm übel bekommen.«

Seit Oberlippe aus dem Dienst ausgeschieden und als Ruheständler wieder in sein Heimatdorf gekommen war, hatte er das schmutzige Geschäft begonnen, Tieren nachzustellen. Er hatte sich ein Luftgewehr besorgt und schoss damit wild drauflos. Den ganzen Tag zielte er wahllos auf Vögel, alles, was ihm vor die Flinte kam, selbst Glücksvögel wie Elstern knallte er ab. Zum Fischen benutzte er ein engmaschiges Netz. Er drehte sich dabei im Kreis, sogar drei Zentimeter kleine, gerade geschlüpfte Fische erwischte er damit. Es war ein Treibnetz, eines, womit man die Fische ausrottet. Das Tellereisen hatte er sich auch zugelegt. Wir sagten dazu Eisenkatze, eine riesengroße, starke Klammer, die er im Wald und auf verwilderten Grabhügeln vergrub. Damit fing er Dachse und Marder. Der Hund von Renmeis Onkel war hineingetreten und hatte sich darin das Bein gebrochen.

Sowie Tante Oberlippes Namen hörte, veränderten sich ihre Gesichtszüge. Mit zusammengebissenen Zähnen knurrte sie: »Diese Missgeburt. Den hätte doch längst der Blitz treffen müssen. Stattdessen lebt er wie die Made im Speck. Schlemmt und trinkt jeden Tag nach Herzenslust und ist fit wie ein kräftiger, muskulöser Stier. Daran sieht man, dass so ein richtig brutales Schwein sogar der Himmel fürchtet.«

»Tante«, sagte Renmei, »auch wenn der Himmel ihn fürchtet, ich fürchte ihn nicht! Wenn du mit ihm verfeindet bist, werde ich dich rächen.«

Jetzt freute sich die Tante und lachte schallend. Als sie mit Lachen fertig war, sagte sie zu Renmei: »Schwiegertochter, die ich durch meinen Neffen habe, ich sag dir jetzt mal die Wahrheit. Als mein Neffe mir zuerst sagte, dass er dich heiraten wolle, habe ich ihm meine Einwilligung nicht gegeben. Aber als ich hörte, dass du dich aus eigenem Antrieb von Oberlippes Sohn getrennt hast, hatte er meine Einwilligung sofort. Ich sagte ihm nur: ›Mach das, mein Junge, dieses Mädchen hat Charakter.‹ Einer, der es auf die Uni schafft, ist doch nichts Besonderes! Ich sag nur: ›Wir Wans werden unseren Enkel nicht nur auf irgendeine Uni schicken. Er wird auf eine Elite-Uni gehen! Nach Peking zur Peking University! Oder zur Tsinghua University! Oder nach England zur Cambridge University! Oder zur Oxford University! Und unser kleiner Wan wird einmal nicht nur den BA machen, sondern auch seinen Master und einen Doktor! Dann wird er Professor und Wissenschaftler! Richtig! Und er wird Weltmeister!‹«

Renmei sagte: »Tante, dann gib mir doch bitte diese Zwillingsmedizin. Ich gebäre uns Wans dann noch einen Nachkommen mehr! Oberlippe wird sich vor Wut in den Boden rammen!«

»Das ist ja nicht zu fassen! Alle sagen immer, du bist so direkt, ohne Umschweife. Na, das sehe ich anders! Da reden und reden wir, und am Ende hast du wieder nichts anderes vor, als mich wegen dieser Arznei zu löchern. Ihr jungen Leute sollt mir«, jetzt sprach die Tante mit ernster Stimme, »auf die Partei hören. Geht im Gleichschritt mit der Partei und hört auf zu tricksen und nach Hintertürchen zu suchen! Die Geburtenplanung ist grundlegende Staatspolitik, eine Angelegenheit von erstrangiger Bedeutung. Sie ist Chefsache. Der Parteisekretär übernimmt das Kommando persönlich und die ganze Partei befasst sich mit nichts anderem mehr. Wir beschreiten Modellwege zur Schwangerschaftsverhütung und Geburtenreduzierung. Wir stärken die Wissenschaft und die Erforschung besserer Verhütungs- und Sterilisationsmethoden. Wir verbessern die Standards der OP-Methoden bei Sterilisationen und Abtreibungen und erhöhen den Grad der Wirksamkeit der Sterilisationen. Massenkampagnen werden bei uns für die langfristige Umsetzung sorgen. Dass ein Ehepaar nur ein Kind haben darf, ist ein unverrückbarer politischer Beschluss. An dieser Politik wird sich die nächsten fünfzig Jahre nichts mehr ändern. Wenn wir unsere Bevölkerungsprobleme nicht in den Griff kriegen, hat unser China verloren. Renner, du bist Parteimitglied, bist Soldat der Revolution. Du musst auf jeden Fall mit gutem Beispiel vorangehen, denn dein Handeln hat Vorbildfunktion.«

»Tante, gib mir diese Tablette doch heimlich. Wenn ich sie geschluckt habe, wird weder ein Mensch noch ein Geist jemals davon erfahren«, bettelte Renmei.

»Mein liebes Kind, dir fehlt es wirklich an Umsicht! Muss ich dir noch einmal sagen, dass es diese Arznei nicht gibt? Und dass, selbst wenn es sie gäbe, ich sie dir niemals geben könnte? Schau, ich bin Parteimitglied, Mitglied des ständigen Ausschusses der PKKCV, ich bin Stellvertretende Vorsitzende des Leitungskollektivs zur Kommune-Geburtenplanung. Ich kann doch nicht den Anfang machen und dir zeigen, wie man gegen die Gesetze verstößt. Ich wurde zwar schon gedemütigt, aber das sage ich euch: Ein rotes Herz wechselt niemals seine Farbe. Im Leben gehört mein Leben der Partei, im Tode gehört mein Geist der Partei. In die Richtung, die die Partei mir weist, werde ich mit Nachdruck gehen. Renner, deiner Frau fehlt es an Umsicht! Sie hat keine Furcht, sich die Finger am Feuer zu verbrennen, denn sie kann zwischen weißer Asche und rotem Feuer nicht unterscheiden. Deswegen mach dir eins klar: Du darfst dir kein Vergehen erlauben.«

Es gab Leute, die verpassten meiner Tante nun den Spitznamen Lebender Höllenfürst Yama. Aber sie empfand es als Ehrung. Wenn die werdenden Mütter, die dem Reproduktionssoll entsprechend schwanger geworden waren, bei ihr ihre Niederkunft hatten, war sie respektvoll, brannte Weihrauch ab, reinigte sich, brachte das gewollte Leben möglichst sanft auf die Welt. Aber bei den unplanmäßig schwanger Gewordenen ging sie brutal vor – ihr ging kein überzähliges Kind durchs Netz! Sie kriegte sie alle zu fassen.

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