11
Sugitani san, ich sagte es schon, die Kliniktafel mit den Babyfotos hatte meine Seele geläutert, als wäre ich getauft worden. Meine Zweifel, die Stiche, die Prügel, die Schmach, auf Leben und Tod gejagt worden zu sein, waren der Weg gewesen, den ich bitter nötig gehabt hatte.
So wie die einundachtzig Prüfungen, die Tripitaka bestehen musste26, als er nach Indien reiste, um die heiligen Sutren zu holen. Wenn man keine Not erlitten hat, wird man die Frucht nicht richtig genießen. Hat man keine Schwierigkeiten überwunden, erlangt man die Erleuchtung über die wesentlichen Dinge des Lebens nicht.
Wieder zu Hause angelangt, säuberte ich meine Wunden mit in Alkohol getränkten Wattebäuschen und nahm mit Schnaps Yunnan White Medicine ein, die bei inneren und äußeren Verletzungen infolge von Schlägereien gut hilft. Obwohl die körperlichen Blessuren, die ich davongetragen hatte, ihre Zeit brauchten, fühlte ich mich vom Kopf her so fit, dass ich Bäume hätte ausreißen können.
Als Kleiner Löwe von der Arbeit zurückkam, nahm ich sie in die Arme, rieb meine Wange an der ihren und dann sagte ich zu ihr: »Liebste Gattin, ich danke dir, dass du für mich das Kind geschaffen hast. Obwohl es nicht in deiner Gebärmutter ausgetragen wird, trägst du es doch mit deinem Herzen aus. Und deswegen ist es unser leiblicher Sohn.«
Sie weinte.
Sugitani san, ich sitze am Schreibtisch und denke, während ich Ihnen, liebster Freund, einen Brief schreibe, darüber nach, wie ich diesen Säugling großziehen werde.
Wir beide gehen auf die Sechzig zu. Wir sind körperlich nicht mehr so fit wie noch vor ein paar Jahren. Wir sollten wohl eine erfahrene Kinderfrau einstellen oder eine Amme, die selbst auch gerade ein Baby bekommen hat und noch stillt, damit unser Kind auch Muttermilch zu trinken bekommt und es menschlicher heranwächst.
Meine Mutter sagte immer, wenn man den Säuglingen Kuhmilch oder Ziegenmilch zu trinken gibt, duften sie nicht nach Mensch. Obwohl man ein Kind mit Kuhmilch auch großkriegt, birgt das viele Gefahren.
Ob die sich am Himmel versündigenden Geschäftemacher nach den Säuglingsmilchskandalen27 »Kongke«, »Melamine« oder »Sanlu« wohl ihre chemischen Versuche sein lassen? Wer weiß, was nach den zurückgebliebenen »Großkopfkindern« und den »Nieren- und Blasenstein-Säuglingen« noch kommt? Jetzt haben die Verantwortlichen den Schwanz eingezogen, wie Hunde, die eine Tracht Prügel bekommen haben, und sehen aus wie ein Häufchen Elend. Aber keine paar Jahre, dann steht der Schwanz wieder oben und es werden noch widerwärtigere, todbringende Rezepturen erfunden.
Ich weiß schon, dass die kostbarste Flüssigkeit auf unserem Globus die Vormilch der Mutter ist, weil sie viele zaubermächtige Substanzen enthält. Sie ist stofflich gewordene Mutterliebe.
Ich hörte damals, dass Paare der Tragemutter noch viel Geld für das Kolostrum bezahlten, nachdem sie ihr Kind abgeholt hatten. Manche ließen sie auch noch einen Monat lang stillen und holten erst dann ihr Kind ab. Natürlich kostete es in einem solchen Fall mehr. Kleiner Löwe sagte mir, die Firma sei aber entschieden dagegen. Denn wenn die Leihmutter damit beginne, das Kind zu stillen, entstehe eine tiefe Liebesbeziehung zum Kind, und das würde zu nicht endenden Komplikationen führen. Kleiner Löwe fügte dann aber mit feuchten Augen hinzu: »Ich bin doch seine Mama und ich werde Muttermilch für mein Kind haben.«
Früher hörte ich meine Mutter oft solche Geschichten erzählen. Aber sie schmückte sie immer sehr aus, so dass man nicht alles für bare Münze nehmen sollte. Ich denke, dass bei jungen Müttern, die schon eine Schwangerschaft hatten, der Milchfluss erneut angeregt werden kann, wenn ein Säugling angelegt wird oder wenn große Mutterliebe besteht. Aber ich glaube kaum, dass bei jemandem wie Kleiner Löwe, die doch bald sechzig wird und niemals eine Schwangerschaft hatte, so ein Wunder geschehen kann. Wenn es tatsächlich wahr werden sollte, ist es kein Wunder, sondern Gotteswerk.
Liebster Freund, wenn ich Ihnen solche Dinge schreibe, ist mir das gar nicht peinlich. Mit welcher großen Liebe Sie Ihren Sohn großgezogen haben, den das Krankenhaus für nicht überlebensfähig hielt. Wie viele ähnliche, von den Göttern gesandte Wunderwerke haben Sie erlebt! Deswegen, Sugitani san, denke ich, dass Sie jemand sind, der mich verstehen kann. Sie können auch die wie teuflisches Zauberwerk anmutenden Ideen meiner Frau verstehen.
In letzter Zeit möchte sie fast täglich, dass ich mit ihr schlafe. Sie hat sich aus einer süßen Mohrrübe in einen saftigen Pfirsich verwandelt. Das ist schon wie ein Wunder und überrascht mich sehr. Jedes Mal sagt sie mir: »Kaulquappe, sei nicht so draufgängerisch, du muss es etwas vorsichtiger machen, du darfst doch unseren Sohn nicht verletzten!«
Und danach legt sie jedes Mal meine Hand auf ihren Bauch: »Fühl doch mal, er tritt mich.« Jeden Morgen braust sie sich mit lauwarmem Wasser die Brüste ab und zupft zart die eingesunkenen Brustwarzen heraus.
Wir erzählten unserem Vater, dass Kleiner Löwe ein Baby erwarte und bereits im sechsten Monat sei. Vater ist bald neunzig Jahre alt. Er war so dankbar, dass ihm die Tränen in Strömen flossen. Mit zitterndem Bart sagte er: »Der Himmel hat ein Auge auf uns! Unsere Ahnen haben sich offenbart, und der Himmel hat es uns vergolten. Die guten Menschen ernten Wohltaten. Namu Amithaba Buddha!«
Lieber Freund, ich habe schon alles, was wir für das Kind brauchen werden, fertig vorbereitet und an Ort und Stelle. Wir haben von allem nur das Beste gekauft: einen japanischen Import-Kinderwagen, ein koreanisches Import-Kinderbett, Pampers einer Shanghaier Marke, eine eichene Badewanne, die in Russland getischlert wurde ... Kleiner Löwe besteht darauf, keine Babyflasche zu kaufen. Ich habe ihr gut zugeredet. »Was, wenn deine Milch nicht ausreicht?« Wir kauften eine, nur für den Notfall. Eine französische Babyflasche und einen Schnuller, und beim Milchpulver wählten wir ein in Neuseeland hergestelltes. Aber auch in dieses Milchpulver hatten wir kein volles Vertrauen. Deswegen riet ich: »Am besten wir kaufen eine Milchziege, die wir zu Vater auf den Hof stellen. Wir können dann zu Vater ziehen und dort wohnen und melken die Milch für unser süßes Kind jeden Tag frisch.«
Kleiner Löwe hob mit beiden Händen ihre voluminösen Brüste an: »Ich bin mir sicher, dass meine Milch wie ein Springbrunnen sprudeln wird!«
Meine Tochter rief aus Spanien an und fragte, was wir so trieben: »Yanyan, es ist mir richtig peinlich, aber wir haben unzweifelhaft eine freudige Nachricht. Deine Mama ist schwanger und du wirst ganz bald ein Brüderchen bekommen.« Ich hörte eine kurze Weile nichts, dann die aufgeregt freudige Nachfrage: »Papa, ist das wahr?«
»Natürlich ist es wahr«, sagte ich.
»Wie alt ist Mama jetzt eigentlich?«
»Schau mal im Internet. Da kannst du lesen, dass in Dänemark kürzlich eine Zweiundsechzigjährige Mutter von gesunden Zwillingen geworden ist.«
Meine Tochter freute sich: »Das ist aber schön, Papa, ich freue mich sehr für euch. Ganz, ganz doll freu ich mich für euch beide. Was könnt ihr denn gebrauchen? Ich schicke es euch.«
»Wir brauchen nichts. Hier ist alles ausreichend vorhanden.«
Meine Tochter sagte: »Ob ihr es braucht oder nicht, ich werde was Schönes kaufen. Die große Schwester will doch ihrem kleinen Bruder was schenken. Papa, ich wünsche euch alles, alles Gute für euer Baby! So wie der tausendjährige Sagopalmfarn blüht und ein zehntausend Jahre vertrockneter Zweig wieder austreibt, habt ihr ein Wunder vollbracht!«
Sugitani san, ich habe wegen meiner Tochter ein ganz schlechtes Gewissen, das unsere Beziehung immer belastet hat, weil der Tod ihrer Mutter direkt mit mir zu tun hat. Um mir meine sogenannten Zukunftsaussichten zu erhalten, habe ich Renmei und dem Kind in ihrem Bauch den Tod gebracht. Wäre es damals am Leben geblieben, hätte ich jetzt einen Sohn von über zwanzig.
Wenn jetzt, man mag sagen, was man will, wieder ein Sohn kommen sollte, werde ich mich damit trösten, dass er dann Renmeis Kind ist, zwar zwanzig Jahre später, dass aber der Kleine nun endlich doch noch gekommen ist.
Sugitani san, es ist mir unangenehm, aber ich bekenne: Das Theaterstück muss noch warten.
Wenn ein Kind auf die Welt kommt, ist das doch um einiges wichtiger als ein Theaterstück. Aber es hat vielleicht sein Gutes, denn die Akte, die ich mir überlegt hatte, sind so düster und blutig, nur Vernichtung, keine Geburt. Wenn man so etwas schreibt, vergiftet man die Seele der Menschen. Unsere Verbrechen werden dadurch nur noch schwerwiegender. Bitte glauben Sie mir, Sugitani san, ich werde dieses Theaterstück schreiben. Wenn das Kind geboren ist, werde ich den Stift ergreifen und dem neuen Leben einen Hymnus singen. Ich werde Sie nicht enttäuschen.
Während der geschilderten Zeit begleitete ich Kleiner Löwe zu einem Besuch bei Gugu.
An diesem Tag hatten wir wunderschönes Wetter. Von den zwei Schnurbäumen in Gugus Hof stand der eine in voller Blüte, beim anderen fielen die Blüten gerade zu Boden.
Gugu saß mit geschlossenen Augen unter dem verblühenden Schnurbaum und murmelte unhörbar Verse. Ihr weiß meliertes Haar stand dicht wie Katzenschweifkraut und war übersät von Schnurbaumblüten. Bienen summten über ihrem Kopf. Vor dem Fenster saß Hao Große Hand auf einem niedrigen Schemel vor einer dort montierten Kalksandsteinplatte. Der »Großmeister der volkstümlichen Tonkunst«, diesen Titel hatte ihm der Kreis verliehen, war gerade damit beschäftigt, seine Erde zu bearbeiten. Sein Blick war unscharf und ging ins Leere, er wirkte wie in Trance.
Gugu sprach: »Der Vater dieses Kindes hat ein rundes Gesicht, lange schmale Augen, einen tiefen Nasenrücken, wulstige Lippen, fleischige Ohren, seine Mutter hat ein wunderschön ovales Gesicht, Mandelaugen, doppelte Lidfalten, einen kleinen Mund, eine steile Nase mit hohem Nasenrücken, dünnfleischige Ohren, angewachsene Ohrläppchen. Das Kind kommt nach seiner Mutter, aber der Mund ist größer als der ihre, die Lippen sind voller, die Ohren etwas größer, der Nasenrücken ist eine Spur niedriger ...«
Wir sahen zu, wie unter Haos Händen langsam ein Tonkind entstand, während Gugu im Singsang die Beschreibung des Kindes vorgab. Er nahm einen spitzen Bambusstab und erweckte die Augen des Kindes zum Leben, indem er ihm Pupillen stach. Dann prüfte er das Ergebnis einen Augenblick, machte ein paar kleine Änderungen, stellte das Tonkind auf ein Brett und trug es zu Gugu.
Gugu nahm es hoch und schaute es einmal an: »Die Augen noch ein wenig größer und die Lippen ein wenig voller.«
Große Hand nahm das Tonkind wieder an sich, machte die Änderungen und gab es ihr wieder zurück. Sein Blick unter den grauen buschigen Brauen traf uns wie ein Blitz.
Gugu hielt das Niwawa-Tonkind vor sich, schaute von fern, von nah, dann ließ sie einen zunehmend wohlwollendem Blick auf dem Kind ruhen. »Richtig, genau so stimmt es. Das ist er.«
Plötzlich änderte sich ihr Tonfall und sie sagte in scharfem Ton zu dem Kind: »Genau, das bist du, du kleiner Dämon, du Schuldeneintreiber, der den Fuß zuerst herausgestreckt hat. Von den zweitausendachthundert Kindern, die ich zu Tode gebracht habe, hast du noch gefehlt. Jetzt haben wir dich auch gemacht und es fehlt keines mehr.«
Ich stellte eine Flasche Wuliangye auf die Fensterbank, Kleiner Löwe legte ein Päckchen mit Bonbons vor Gugus Füße. »Gugu, wir sind dich besuchen gekommen.«
Gugu war etwas verstört, sie fuchtelte mit Händen und Füßen, als täte sie etwas Verbotenes. Sie versuchte, das Tonkind unter ihrem Hemd zu verstecken, aber es war zu groß. Also hörte sie auf, es zu verstecken: »Ich will es euch gar nicht verheimlichen.«
Ich antwortete: »Gugu wir haben uns den Dokumentarfilm angesehen, den Leber uns geschenkt hat. Wir können das gut verstehen, und wir wissen, wir dir zumute ist.«
»Wenn ihr im Bilde seid, ist es ja gut«, gab sie zurück, dabei stand sie auf und ging mit dem gerade fertig gewordenen Tonkind auf dem Arm zum östlichen Seitenhaus.
Mit bedrückter Stimme forderte sie uns auf: »Kommt mit!« und ging voraus, ohne uns eines Blickes zu würdigen.
Ihr massiger, schwarz gekleideter Körper zog uns in den Bann. Wir hatten Vater schon vor einiger Zeit erzählen hören, dass es bei Gugu im Oberstübchen nicht mehr ganz stimme. Deswegen hatten wir sie auch nur selten besucht, seit wir nach Hause zurückgezogen waren.
Wenn ich an den Einfluss und das Ansehen meiner Tante in früheren Zeiten dachte und sie jetzt in ihrem wüsten Zustand sah, wurde ich sofort furchtbar traurig.
Im Osthaus waren die Lichtverhältnisse schlecht. Es war schummrig und ein feuchtkalter Luftzug schlug uns entgegen. Gugu zog an der Schnur an der Wand, und eine Einhundert-Watt-Glühbirne erleuchtete das Seitenhaus bis in den letzten Winkel. Die Fenster der drei Zimmer im rechten Seitenhaus waren mit Backsteinen zugemauert, alle drei Wände von Holzregalen mit vielen gleich großen Kassettenfächern verdeckt, in denen jeweils, wie in kleinen Heiligennischen, eine Niwawa-Tonpuppe stand.
Gugu stellte die Niwawa in ihrer Hand in das letzte freie Kassettenfach. Dann trat sie einen Schritt zurück. Im Zentrum des Zimmers befand sich ein kleiner Altar mit einem Weihrauchbrenner.
Sie entzündete drei Räucherstäbchen, kniete vor dem Altar, beide Handflächen zum Gebet zusammengelegt, und murmelte stille Verse.
Wir taten es der Tante sofort gleich und knieten auch nieder. Ich wusste nicht, was und wie ich beten sollte, die vielen hundert verschiedenen Babygesichter der Reklametafel zogen wie in einer Wundertrommel Bild für Bild vor meinem geistigen Auge vorbei. Mein Herz war voll von Dankbarkeit und überströmender Liebe, aber dann waren da auch noch Scham und Bildfetzen grauenhafter Ereignisse.
Ich begriff, dass Gugu alle Kinder, die sie abgetrieben hatte, mit Hilfe von Hao Große Hands Händen, einzeln, Kind für Kind, zum Vorschein gebracht hatte. Ich glaube, dass das ihre Methode war, ihre Verbrechen zu sühnen und mit ihrer Reue fertig zu werden. Aber die Verbrechen konnte man nicht ihr persönlich anlasten. Wenn sie es nicht getan hätte, wären es andere gewesen. Außerdem hatten die Männer und ihre Frauen, die verbotenerweise schwanger geworden waren, auch ihren Teil der Verantwortung zu übernehmen. Wenn niemand die Sache in die Hand genommen hätte, wie stünde es dann heute um China? Welche Meinung sollte man dazu haben? Das ist schwer zu beurteilen.
Nachdem Gugu den Weihrauch entzündet und gebetet hatte, erhob sie sich und lächelte uns entspannt und froh an: »Renner, Kleiner Löwe, ihr kommt gerade recht! Ich habe soeben mein Gelübde erfüllt. Schaut euch genau um. Diese Babys haben alle Nachnamen und Vornamen. Ich habe sie hier versammelt, damit ich für ihre Seelen die Totenopfer darbringen kann, damit sie Seelenenergie ansammeln, um dann dort, wo sie wiedergeboren werden sollen, wiedergeboren werden zu können. Gugu führte uns herum und zeigte uns alle Tonkinder-Nischen, dabei erzählte sie uns, wo all die Bübchen und Mädchen herkamen.
»Diese Kleine«, Gugu zeigte auf ein Niwawa-Baby mit Mandelaugen und kleinem Schmollmündchen, »sollte eigentlich 1974 in Tanjiazhuang bei den Eltern Tan Xiaoliu und Dong Yueer geboren werden, aber ich habe sie vernichtet. Jetzt ist es wieder gut, und sie ist wiedergeboren. Der Ehemann der Kleinen ist ein großer Gemüsebauer und sie seine tüchtige Ehefrau. Sie haben eine Methode entwickelt, Stangenselleriepflanzen mit Kuhmilch zu gießen und ernten dadurch einzigartig zarte Stauden. Jedes Kilo verkaufen sie zu einem Preis von sechzig Yuan RMB.«
»Dieses kleine Bübchen«, sie zeigte auf ein Niwawa-Tonbaby mit blinzelnden Äuglein und lächelndem Mündchen, »wäre im Februar 1983 in Wujiaqiao bei den Eltern Wu Junbao und Zhou Aihua zur Welt gekommen, aber ich habe es vernichtet. Jetzt ist es wieder gut, der Kleine ist als Glückskind wiedergeboren worden, in einer Beamtenfamilie in der alten Präfektur Qingzhou, die Eltern sind beide Regierungskader, sein Opa ist ein leitender Funktionär der Provinzregierung; man sieht ihn oft im Fernsehen. Mein Kleiner, ich habe viel für dich gebetet!
Hier sehr ihr noch zwei Zwillingsmädchen.« Sie zeigte auf zwei Püppchen in einer Doppelnische. »Sie hätten 1990 zur Welt kommen sollen. Ihre Eltern sind leprakrank gewesen. Obwohl sie geheilt wurden, waren ihre Hände deformiert wie Hühnerkrallen und ihre Gesichter schrecklich verunstaltet. Wenn man in so eine Familie geboren wird, hat man nur Not zu leiden, es ist wie ein Kopfsprung in die Hölle. Ich habe die beiden vernichtet, aber auch vor diesem Schicksal bewahrt. Jetzt ist es wieder gut, denn sie sind wiedergeboren, in der Silvesternacht 2000. Sie sind im Krankenhaus von Kiautschou zur Welt gekommen, der Vater der beiden Milleniumsbabys ist ein berühmter Operndarsteller der Gaomier Maoqiang-Oper, ihre Mutter besitzt ein Modegeschäft. Im letzten Jahr sind die beiden Zwillingsschwestern bei der Silvestershow im Fernsehen aufgetreten. Sie haben das berühmte Maoqiang-Opernlied »Zhao Meirong schaut sich die Lampions an«28 gesungen:
趙美蓉觀燈
›Lampion, o Lampion!
Salat Frisé, Grünkohlschnee!‹
茄子燈,紫生生,韭菜燈,亂蓬蓬,
Gurkengleich, angepiekst! Rettich rund! Seel gesund!
黃瓜燈,一身刺,蘿蔔燈,水靈靈,
Und dann Faustkampf Hummerlicht
還有那打拳瞪眼蟹子燈,
weil’s Ei’chen blubbt und
咯咯下蛋的母雞燈 ... ...’
Tuck tuck tuck das Hühnchen spricht ...
Ihre Eltern haben mich extra angerufen und mir Bescheid gegeben, damit ich mir die Sendung aus Kiautschou im Fernsehen anschaue. Himmel, ich habe mir das angesehen, die Tränen sind mir aus den Augen geplätschert, dass man es hören konnte, so habe ich geweint ...«
»Und dieser hier«, Gugu zeigte auf ein Niwawa-Baby, das schielte, »der kleine Mann wäre eigentlich im Dorf Dongfengcun in der Familie des Zhang Faust zur Welt gekommen, aber ich habe ihn vernichtet. Obwohl man mir in diesem Fall nicht die ganze Verantwortung zuschieben darf, übernehme ich meinen Teil. Der Kleine ist dann im Juli 1995 an Ort und Stelle als Fausts Enkel zur Welt gekommen, seine zweite Tochter Zhang Laiti hat ihn geboren. Laiti kam zu mir. Sie hatte schon zwei Mädchen, und ein drittes Kind sieht die Politik der Geburtenplanung nicht vor, es wäre also ein sogenanntes »überzähliges Kind« gewesen. Obwohl ihr Vater mir damals mit dem Knüppel die Kopfverletzung beigebracht hat und ich deswegen einen ziemlichen Hass auf ihn habe, hegen wir trotzdem auch freundschaftliche Gefühle füreinander, und daher habe ich ihm seinen Sohn, den eigentlich seine Frau bekommen sollte, wieder zurückgegeben. Eigentlich wäre er Laitis Bruder gewesen, und jetzt ist er ihr Sohn. Von diesem Geheimnis weiß außer mir niemand etwas. Und jetzt habe ich es euch gesagt, aber ihr verschließt eure Münder bitte so dicht wie der Korken die Flasche. Der Kleine ist ein böses Balg, er kennt meine Angst vor Fröschen. Er hat mich mal mit einem Frosch in einem Paket so heftig erschreckt, dass ich ohnmächtig wurde. Aber ich nehme es ihm nicht übel. Es gibt alles Mögliche auf der Welt, da gibt es natürlich auch Unvollkommenes. Die guten Menschen sind Menschen, die bösen auch.«
Zuletzt zeigte Gugu auf das Baby, das sie gerade in die letzte noch übrige Nische an der Wand gestellt hatte: »Erkennt ihr ihn?«
Ich weinte sofort: »Bitte Gugu, sag nichts, ich erkenne ihn ...«
Kleiner Löwe sagte: »Gugu, der Kleine wird schon bald geboren. Sein Papa ist ein Theaterschriftsteller, die Mutter eine Krankenschwester in Rente. Danke, liebe Gugu! Ich bin schwanger!«
Sugitani san, halten Sie mich für einen Narren, der hier seine irren Wunschgespinste zu Papier bringt? Ich gebe ja zu, dass Gugu einige psychische Probleme hat. Und meine Frau hat sich in ihre freudige Erwartung auf den Kleinen so sehr hineingesteigert, dass bei ihr die Nerven verrücktspielen.
Jemand, der bekennt, ein Verbrechen begangen zu haben, muss aber auch versuchen, mit sich selbst nachsichtig zu sein. Ein Beispiel ist die auch Ihnen, lieber Freund, bekannte Kurzgeschichte »Das Neujahrsopfer« von Lu Xun. Einem wachen Menschen wie Xiang Linsao, die in Lu Xuns Geschichte für den Erdgotttempel eine teure Türschwelle tischlern lässt und ein Türschwellenopfer bringt, sollte man nicht den Glauben nehmen, man sollte ihm auf keinen Fall Aberglauben unterstellen, sondern ihm Hoffnung schenken. Die Hoffnung, dass er sich von seiner Schuld befreien kann, dass er nachts keine Alpträume mehr haben muss, dass er wie ein Mensch ohne Schuld weiterleben kann.
Ich spielte also mit, ich war sogar fleißig bemüht zu glauben, woran Gugu und Kleiner Löwe glaubten.
Das ist doch sicher die richtige Herangehensweise? Obwohl ich natürlich weiß, dass die Leute mit ihren naturwissenschaftlich geschulten Gehirnkästen mich belächeln. Dass die Moralapostel und Tugendverfechter mich kritisieren. Selbst wenn Leute, die ganz andere Erkenntnisse gewonnen haben, sich über mich beschweren, werde ich nichts ändern. Dem Baby zuliebe. Für Gugu und für meinen Kleinen Löwen, die beiden Frauen, die eine befremdliche Arbeit verrichtet haben, für sie werde ich weiterhin wie farbenblind durch die Welt laufen.
Am selben Tag holte Gugu ihr Stethoskop aus dem Arzttornister und erklärte in vollem Ernst, sie müsse jetzt die Herztöne abhören. Kleiner Löwe machte den Bauch frei und legte sich auf den Rücken. Sie war voller Glück. Gugu hörte sie konzentriert und sorgfältig ab. Mit einem sehr ernsthaften Gesichtsausdruck. Als sie damit fertig war, befühlte sie den Bauch meiner Frau mit ihren von meiner Mutter immer so sehr gerühmten Händen. Gugu fragte: »Fünf Monate ist das Kleine wohl? Alles in Ordnung. Der Fötus macht deutliche Geräusche, er sitzt auch an der richtigen Stelle.«
»Schon mehr als sechs Monate«, sagte Kleiner Löwe schüchtern mit rotem Gesichtchen.
»Dann komm mal hoch.« Gugu klopfte zärtlich den Bauch meiner Frau. »Obwohl du ja schon älter bist, empfehle ich dir trotzdem eine natürliche Geburt. Mir widerstreben Kaiserschnitte. Eine Mutter, deren Kind nicht durch den Geburtskanal auf die Welt kommt, verpasst das Gefühl, Mutter zu werden.
»Ich habe Bedenken ...«, wandte Kleiner Löwe ein.
»Was kann dir mit mir an deiner Seite passieren, Kleiner Löwe?« Gugu streckte beide Hände in die Höhe: »Diesen beiden Händen, die zehntausend Babys auf die Welt geholt haben, solltest du vertrauen.«
Kleiner Löwe nahm Gugus Hand und legte sie sich auf die Wange. Mit einer Kleinmädchenstimme sagte sie: »Gugu, ich vertraue dir.«
12
Sugitani san! Eine große Freude habe ich zu verkünden!
Gestern vor Sonnenaufgang wurde mein Sohn geboren.
Weil meine Frau als Spät- und Erstgebärende zu den absoluten Risikofällen gehörte, hatte selbst die Chinesisch-Amerikanische Mutter-und-Kind-Klinik mit ihren angeblich in Amerika und England ausgebildeten Ärzten eine Aufnahme abgelehnt. Da dachten wir dann natürlich an Gugu. Alter Ingwer ist ja auch der schärfste. Meine Gattin vertraut ohnehin nur Gugu. Sie hat ihr bei unzähligen Geburten assistiert und weiß natürlich, wie souverän sie mit Komplikationen fertig wird.
Als Kleiner Löwe bei Backe und meinem kleinen Cousin in der Froschzuchtfirma Nachtschicht machte, setzten die Wehen ein. Man sollte, wenn es so weit ist, eigentlich zu Hause bleiben und sich schonen, aber starrsinnig, wie sie ist, hatte sie nicht hören wollen. Sie stolzierte hochschwanger über den Markt und präsentierte ihren Babybauch. Damit löste sie viele Diskussionen aus, und manch einer beneidete sie. Ihre Bekannten und Freunde riefen ihr schon von weitem zu: »Kleiner Löwe, tu dir das doch nicht an! Lauf schnell nach Hause und schon dich! Kaulquappe springt viel zu hart mit dir um.«
Aber sie sagte nur: »Da ist doch nichts dabei! Mit dem Kinderkriegen ist es wie mit den Melonen, wenn sie reif sind, plumpsen sie vom Gestänge. Wie viele Bauersfrauen haben ihre Kinder schon im Baumwollfeld oder im Gebüsch am Fluss ohne jede Komplikation zur Welt gebracht. Je mehr man sich in Watte packt, umso wahrscheinlicher gibt es Probleme.«
Ihre Ansichten decken sich in vielerlei Hinsicht mit den Erkenntnissen einiger unserer angesehenen Ärzte der Traditionellen Chinesischen Medizin.
Die Leute hörten, was sie sagte, alle pflichteten ihr bei, keiner fing Streit mit ihr an.
Als ich die Nachricht bekam, fuhr ich sofort zur Froschzuchtfirma.
Yuan Backe hatte meinen Cousin schon veranlasst, Gugu abzuholen. Sie trug einen weißen Arztkittel und einen großen Mundschutz. Ihr widerspenstiges Haar hatte sie unter eine weiße Haube gesteckt.
Ihr Gesicht war enthusiastisch, sie war aufgeregt. Sie kam mir vor wie ein edles Ross bei Turnierbeginn. Gugu wurde von einer weiß gekleideten jungen Dame in einen geheimen Kreißsaal geführt. Ich saß in Backes Büro und trank mit ihm schwarzen Tee.
In seinem Büro befand sich mitten im Raum ein Schreibtisch aus Bahia-Rosenholz, dahinter stand ein schwarzer echtlederner Chefsessel mit hoher Lehne. Auf dem Schreibtisch lagen etliche dicke Bücher. Darunter, kaum zu glauben, ein Buch, in dem als Lesezeichen eine kleine chinesische Nationalflagge steckte. Er wusste sofort, was mir durch den Kopf ging, und sagte ernsthaft: »Kumpel, auch als Verbrecher habe ich das Recht, ein Patriot zu sein.«
Sehr geübt bereitete er mir mit dem traditionellen Teebesteck in einem kleinen Kännchen einen besonderen Tee: »Das ist Dahongpao vom Berg Wuyishan. Es ist zwar nicht das allerfeinste Blatt, aber schon sehr, sehr gut. Wenn der Kreisvorsteher kommt, koche ich ihm immer diesen Tee. Aber dass ich ihn dir anbiete, beweist, dass ich noch Charakter habe.«
Er bemerkte, dass ich nicht bei der Sache war: »Keine Sorge! Ich mache die Arbeit. Und du verlässt dich auf mich. Friedlich und sicher läuft hier alles. Es kommt nie zu Fehlern oder Komplikationen! Wir wagen es nicht umsonst, deiner Tante kostbare Zeit zu stehlen, sie ist die Schutzgottheit von Nordost-Gaomiland. Wenn sie dabei ist, kann es nur nach diesen acht Schriftzeichen ausgehen:
母子平安,皆大歡喜
Mutter und Kind sind wohlauf, alle freuen sich riesig.«
Später schlief ich auf seinem großen Luxusledersofa ein. Ich träumte, dass meine Mutter und Renmei kämen. Mutter trug ein strahlendes, atlasseidenes Gewand und einen Krückstock mit einem Drachenkopfknauf, dem Erkennungszeichen der Unsterblichen. Renmei hatte eine wunderschöne rote Steppjacke an, dazu eine grüne Hose, sehr bäuerisch und bieder sah sie aus, aber auch ganz allerliebst. Auf dem linken Arm trug sie ein rotes Bündel. Aus dem Bündel konnte ich etwas gelbes Gestricktes hervorlugen sehen. Sie gingen beide auf dem Flur auf und ab, der Krückstock meiner Mutter pochte dabei gleichmäßig, aber nie hastig auf den Boden, trotzdem machte es mich nervös.
Ich fragte: »Mama, kannst du dich ein Weilchen hinsetzen und ausruhen? Wenn ihr beide hier immer auf und ab geht, werden alle anderen nervös.«
Mutter setzte sich ein Weilchen auf das Sofa, rutschte dann aber hinunter auf den Boden, wo sie sich im Schneidersitz niederließ. Sie erklärte, wenn sie auf dem Sofa sitze, könne sie nicht atmen. Renmei war äußerst schüchtern, sie versteckte sich wie ein kleines Mädchen hinter dem Rücken meiner Mutter. Wenn ich zu ihr hinschaute, dreht sie jedes Mal schnell den Kopf weg. Ich sah, wie sie das gelbe Gestrickte aus dem Bündel hervorholte und ausbreitete. Es war ein handtellergroßes, handgestricktes Jäckchen.
»Renmei, hast du das für eine Babypuppe gestrickt?«
Sie wurde rot: »Ich habe es für das Kleine in meinem Bauch angefertigt.«
Jetzt erst bemerkte ich, dass ihr Bauch schon eine beachtliche Wölbung zeigte. Auch die Pigmentflecken in ihrem Gesicht deuteten auf eine Schwangerschaft hin.
Ich sagte noch: »Das Kind in deinem Bauch ist bestimmt nicht so klein.«
Sie errötete wieder: »Renner, sag Gugu bitte, sie soll mir erlauben, es zu bekommen.«
Mutter pochte geräuschvoll mit ihrem Stock auf den Boden: »Renmei, du bekommst es jetzt sofort. Ich passe auf, dass dir nichts geschieht. Der Krückstock der Beamtengattin schlägt nach oben den törichten Herrscher und nach unten den verräterischen Beamten. Wer mir in die Quere kommt, wird keines guten Todes sterben!«
Mutter rammte den Krückstock gegen die Wand und traf einen Mechanismus, der sofort eine Geheimtür öffnete. Vor uns lag ein taghell erleuchteter Raum mit einem ausladenden Operationstisch, der mit einem schneeweißen Laken überzogen war. Zu beiden Seiten standen je vier Schwestern in weißen Kitteln und mit Mundschutz. Gugu stand an Kopfende des Tisches, auch sie war am ganzen Körper akkurat gekleidet, die Hände steckten in OP-Handschuhen. Als Renmei eintrat, merkte sie sofort, was gespielt wurde, machte auf dem Absatz kehrt und rannte weg, aber Gugu packte sie doch. Sie weinte, weinte schrecklich, wie ein kleines, hilfloses Mädchen: »Renner, ich flehe dich an, weil wir schon so viele Jahre ein Ehepaar sind, immer zusammen waren, Renner, ich flehe dich an, rette mich!«
Mein Herz krampfte sich zusammen. Meine Augen wurden tränenfeucht ... Gugu machte nur eine Handbewegung. Da hatten die zweimal vier Krankenschwestern Renmei auch schon geschnappt und auf den OP-Tisch gehoben. Zwei, drei Handgriffe und sie hatten sie nackt ausgezogen. Dann sah ich, wie zwischen ihren Beinen eine kleine rosa Hand hervorkam, den kleinen Finger, den Ringfinger und den Daumen eingeknickt, den Zeige- und Mittelfinger zum Victory-Zeichen gespreizt. Gugu und die Krankenschwestern lachten und konnten gar nicht wieder aufhören.
Gugu sagte: »Jetzt wird nicht länger gefackelt. Jetzt kommst du raus.«
Dann kam langsam das Baby. Als der Kopf draußen war, reckte es ihn wie ein argwöhnisches Tierchen, vorsichtig Ausschau haltend. Auf diese Gelegenheit hatte Gugu nur gewartet, sie packte es fest am Ohr und umfasste mit der anderen Hand seinen Schädel, dann zog sie mit äußerster Kraft: »Du kommst jetzt raus!«
Dann ertönte ein Geräusch, wie wenn man Popcorn in der Pfanne brät, und ein über und über mit Blut und Schleim bedeckter Säugling kam zum Vorschein, den Gugu mit einer Hand gepackt hielt ...
Ich schreckte hoch. Am ganzen Körper schweißnass und zitternd vor Kälte. Mein Cousin und Kleiner Löwe kamen zur Tür herein. Mein Kleiner Löwe hatte eine Mullwindel im Arm, aus der ein winziger Säugling herausschaute und mit feinem Stimmchen weinte. Mein Cousin flüsterte: »Renner, meinen allerherzlichsten Glückwunsch zur Geburt deines Sohnes.«
Dann brachte er uns mit dem Auto zu meinem Vater ins Dorf.
Das Dorf ist inzwischen ein Stadtrandbezirk. Früher hieß es in den amtlichen Bekanntmachungen immer: Unser Kreisvorsteher hat angeordnet ... Heute gehören wir zur Stadt und haben einen Bürgermeister. Es heißt jetzt: Unser Bürgermeister hat angeordnet, dieses Dorf bestehen zu lassen und als Kulturdenkmal zu erhalten. Erhalten wird ein Dorf mit Häusern im Stil der Zeit der Kulturrevolution. An den Mauern stehen noch in großen roten Zeichen die Parolen, zu sehen sind der Dorfvorsteher mit dem Revolutionspappschild, die Lautsprecher der Dorfparteizentrale, der Versammlungsort der Produktionsbrigade ...
Draußen graute bereits der Morgen, aber die Straße war menschenleer. Der Frühbus brachte eilig ein paar Fahrgäste fort, die verschlafen wie Gespenster auf ihren Plätzen saßen. Nur die Putzkolonne der Straßenreinigung war schon unterwegs, ein paar Vermummte, von denen nicht mehr als die Augen zu sehen waren, schwenkten ihre Besen und wirbelten dabei eine Menge Staub auf.
Ich wollte so gern das Gesicht meines Kindes sehen. Aber Kleiner Löwes feierliche Miene, feierlicher als die jeder anderen Wöchnerin, und ihr müdes und doch glückliches Lächeln hinderten mich daran, sie zu bedrängen. Um den Kopf hatte Kleiner Löwe ein weinrotes Tuch gebunden, ihre Lippen waren aufgerissen und trocken. Sie hielt den Säugling eng umschlungen, immer wieder senkte sie den Kopf, um ihn anzuschauen oder seinen Geruch einzusaugen.
Wir hatten alles, was wir für das Kind vorbereitet hatten, schon zu meinem Vater geschafft. Weil unsere Ziege gerade nicht zu finden war, hatte Vater von einem Bauern mit Namen Du bei uns im Dorf eine Portion Milch bestellt. Bauer Du hielt zwei Kühe, die jeden Tag fünfzig Liter Milch gaben. Vater bat ihn wiederholt, der Milch nichts hinzuzufügen. Bauer Du antwortete: »Gevatter, wenn du mir nie glauben willst, dann melk dir die Milch selber. Und gut ist’s.«
Mein Cousin hielt den Wagen vor dem Haushof meines Vaters. Der stand schon längere Zeit draußen und wartete auf unsere Ankunft. Mit ihm zusammen erwarteten uns noch zwei entfernte Schwägerinnen und ein paar junge Mädchen, wohl alles Frauen meines Neffen und andere, die im selben Haus wohnten. Meine zweite Schwägerin griff sich sofort das Kind, die jungen Frauen halfen meiner Frau aus dem Auto, stützten sie und brachten sie über den Hof ins Haus in ihr Wöchnerinnenzimmer. Es war schon alles vorbereitet.
Meine Schwägerin lüftete die Windel ein wenig, damit mein Vater seinen Enkel, den kleinen Spätankömmling, in Augenschein nehmen konnte. Vater sagte mit Tränen in den Augen immer nur: »Gut. Gut. Gut ... «
Ich selbst war auch zu Tränen gerührt, als ich den schwarzen Haarschopf und das rosige Gesichtchen sah. Großes Gefühlskino.
Treuer Freund, dieses Kind gibt mir meine Jugend zurück und schenkt mir Inspiration. Die Schwangerschaft und seine Geburt sind zwar komplizierter und verschlungener verlaufen als bei anderen Kindern, und es bedarf noch einiger Anstrengungen, um ihm den legitimen Status als mein Sohn zu verschaffen – eine heikle Angelegenheit. Und doch ist es schließlich so, wie meine Tante immer gesagt hat: »Ist das Kind erst durch das Ofenrohr, zählt es als Menschenleben, wird rechtmäßiger Bürger der Volksrepublik China und kommt in den Genuss aller Rechte und Leistungen für die Kinder hier bei uns. Wenn es Probleme gibt, sind wir, die wir es auf die Welt geholt haben, dafür verantwortlich. Denn wir geben ihm Liebe, nichts anderes.«
Sugitani san, morgen lege ich mir mein Manuskriptpapier ausgebreitet auf den Tisch und beginne in Höchstgeschwindigkeit damit, dieses schwer zu gebärende Theaterstück fertigzustellen. Der nächste Brief, den Sie von mir bekommen werden, wird das Theaterstück enthalten, ein wahrscheinlich für alle Zeiten unmöglich aufzuführendes Stück mit dem Titel:
Frösche
蛙