Sechster Aufzug

Ein großer runder Tisch steht im Hof eines bäuerlichen Anwesens. Der Tisch ist festlich gedeckt, und im Hintergrund der Bühne verkündet ein Spruchband mit sechs Schriftzeichen:

金娃滿月盛宴

Monatsfeier für das Goldkind.

Kaulquappe trägt ein traditionelles chinesisches Festgewand aus Brokat mit den aufgestickten Schriftzeichen Glück und Langes Leben 壽.

Kaulquappes Grundschulfreunde Hand, Backe und der kleine Cousin betreten nacheinander die Bühne, sprechen höfliche Worte und beglückwünschen Kaulquappe.

Gugu betritt in Begleitung von Hao Große Hand und Qin Strom feierlich die Bühne; sie trägt einen purpurfarbenen langen chinesischen Mantel.

KAULQUAPPE: (voller Freude)

Gugu, nun bist du doch gekommen!

GUGU: Die Familie Wan hat einen kleinen Stammhalter bekommen. Wie könnte ich da nicht zugegen sein?

KAULQUAPPE: Dass jetzt ein Goldkind auf dem bescheidenen Anwesen der Wans ins Gras plumpst, daran hat unsere Gugu den allergrößten Verdienst.

GUGU: Aber nicht doch, Renner!

Ausnahmslos alle schauen sich an und lachen, aber keiner der Anwesenden versteht, was gemeint ist. Gugu zeigt auf Große Hand und Qin Strom.

Mit Ausnahme dieser beiden habe ich euch, die ihr hier versammelt seid, alle mit meinen eigenen Händen ans Licht der Welt befördert. Wie viele Pickel eure Mütter auf dem Bauch haben, darüber weiß ich Bescheid.

(alle lachen)

Warum bittet hier keiner die Gäste an den Tisch und sagt ihnen, dass sie sich setzen sollen?

KAULQUAPPE: Bevor du nicht Platz nimmst, Tante, traut sich keiner an den Tisch.

GUGU: Wo ist dein Vater? Er soll sich auf den Ehrenplatz an den Kopf des Tisches setzen.

KAULQUAPPE: Mein Vater hat eine leichte Erkältung. Er ist zu meiner Schwester hinübergegangen und ruht sich aus. Er sagt, du sollst dich auf den Ehrenplatz setzen.

GUGU: Dann will ich diese Aufgabe gewissenhaft übernehmen.

GÄSTE: So soll es sein! Das mach mal!

GUGU: Kaulquappe, du und Kleiner Löwe, ihr seid beide über ein halbes Jahrhundert alt und habt trotzdem dieses kleine Dickerchen zur Welt gebracht. Obwohl wir uns damit nicht für das Guinness-Buch der Weltrekorde – es heißt doch Guinness? – bewerben können, ist es das erste Mal in meiner über fünfzigjährigen Berufspraxis, dass so etwas vorkommt. Deswegen verheißt das mit Sicherheit besonders viel Glück.

Alle pflichten Gugu bei, manche sagen: »Besonders glückverheißend!«, manche sagen: »Ein Wunder!«

KAULQUAPPE: Das haben wir Gugus guter Zaubermedizin zu verdanken!

GUGU: (ergriffen)

Als ich jung war, bin ich eine resolute Materialistin gewesen, aber auf meine alten Tage gehe ich immer mehr in Richtung Idealismus.

LI HAND: In der Philosophiegeschichte sollte der Idealismus auf jeden Fall seinen angestammten Platz haben.

GUGU: Hört, hört! Da sieht man’s mal wieder, dass die Studierten und die ohne Bücherwissen sich eben doch unterscheiden.

YUAN BACKE: Wir sind doch alle ungehobelte Landnasen und kümmern uns nicht um materialistisch oder idealistisch.

GUGU: Es mag sein, dass es in unserer Welt keine Götter und Geister gibt, aber das Gesetz von Ursache und Wirkung und die Vergeltung schlechter Taten gibt es. Dass Kaulquappe und Kleiner Löwe mit über fünfzig Jahren noch einen Sohn bekommen haben, beweist, dass die Wans in der Vergangenheit Wohltaten angehäuft haben.

COUSIN JINXIU: Es ist aber auch deiner Medizin zu verdanken.

GUGU: Da sieht man mal wieder: Ehrlichkeit bringt’s weit.

(zu Kaulquappe gewandt)

Als deine Mutter noch lebte, war sie immer mit allem geizig. Mit dir sind andere Zeiten gekommen, Geld ist reichlich vorhanden, und dazu schneit so ein freudiges Ereignis herein. Jetzt können die Wans auch mal zeigen, wer sie sind, und können beim Geldausgeben beherzter sein!

KAULQUAPPE: Gugu, sei beruhigt! Wir werden zwar keine Kamelhufe und Bärentatzen verspeisen, aber es wird genug Geflügel, Fisch und Fleisch geben.

GUGU: (blickt über den Tisch und sieht sich das Essen an)

Es ist wie eh und je. Viele Schalen, aber knapp bemessenes Essen. Wie sieht es mit Schnaps aus? Was trinken wir?

KAULQUAPPE: (holt zwei Flaschen Maotai hervor, die er unter den Tisch gestellt hatte)

Es gibt Maotai.

GUGU: Ist das echter oder gepanschter?

KAULQUAPPE: Von Liu Guifang, der Chefin des Gästehauses der Stadtregierung, habe ich ihn. Sie hat gesagt, der sei hundertprozentig echt.

LI HAND: Wir sind mit ihr zusammen zur Schule gegangen.

YUAN BACKE: Wenn man betrogen wird, dann immer von alten Klassenkameraden.

GUGU: Die Kleine ist die zweite Tochter des Liu Baofu aus Liujiazhuang, die habe ich auch ans Licht der Welt geholt.

KAULQUAPPE: Ich habe diese Verbindung zu dir auch besonders betont, und sie hat mir aus Ehrerbietung dir gegenüber nur Schnaps aus ihrem Tresor gegeben.

GUGU: Na, gut. Dann will ich mal davon ausgehen, dass es ihr peinlich wäre, mir keinen echten Schnaps zu trinken zu geben.

Kaulquappe öffnet den Schnaps und bittet Gugu, davon zu kosten und ihn auf Echtheit zu überprüfen.

GUGU: Der Schnaps ist gut! Hundertprozentig echter Maotai. Schenkt euch alle ein! Gebt eure Gläser her!

Kaulquappe gießt allen Schnaps ein.

GUGU: Weil ich auf dem Ehrenplatz sitze, will ich auch einen Trinkspruch aussprechen: Das erste Glas trinke ich auf die Kommunistische Partei und danke unseren Kadern für ihren guten Führungsstil, dafür, dass nun alle über genug Geld verfügen und alle ihr Denken befreit haben, also dafür, dass es allen gut geht. Dieser Satz war nötig, damit wir mit dem Guten, das wir noch vorhaben, beginnen können. Was meint ihr, habe ich richtig gesprochen oder nicht?

Alle pflichten ihr bei.

GUGU: Na, dann lasst uns darauf trinken! Auf ex!

Alle leeren ihr Glas mit einem Zug.

GUGU: Das zweite Glas Schnaps? Das trinke ich auf die ehrwürdigen Totengeister am Himmelssaum, auf die Ahnen der Wans, die so viele Wohltaten angehäuft haben, dass ihre Nachkommen nun mit Kindern und Enkeln gesegnet wurden.

Alle leeren ihr Glas mit einem Zug.

GUGU: Mit dem dritten Glas Schnaps kommen wir zum Thema: Ich wünsche dem liebenden Ehepaar Kaulquappe und Kleiner Löwe viel Glück und Erfolg mit ihrem späten Kinderglück.

Alle erheben ihr Glas, erwidern den Gruß, lärmen durcheinander. Liu Guifang tritt auf, zwei ihrer Ober tragen einige Kartons herbei. Später kommen eine TV-Reporterin und ein Kamerateam.

LIU GUIFANG: Herzlichen Glückwunsch!

Herzlichen Glückwunsch!

KAULQUAPPE: Na, alte Klassenkameradin! Was führt dich her?

LIU GUIFANG: Ich möchte ein Glas Schnaps auf das fröhliche Ereignis trinken! Bin ich nicht willkommen?

(geht um den Tisch herum und schüttelt jedem die Hand, spricht ein paar höfliche Worte und begrüßt dann Gugu)

Gugu! Das Alter hast du gegen die Jugend eingetauscht, stimmt’s?

GUGU: Ich bin ein alter Fuchsgeist geworden.

KAULQUAPPE: Hab versucht, dich einzuladen, aber vergeblich. Wie schön, dass du trotzdem da bist! Aber du hättest nicht so viel mitbringen dürfen! Das war bestimmt teuer!

LIU GUIFANG: Ich bin doch aus der Gastronomie, da ist das nicht der Rede wert. Den Gelben Fisch habe ich selbst für euch frittiert! Das hier ist von mir selbst gemachte Schweinssülze! Und das sind selbst gemachte Shandong Hefenudeln! Alles nur kleine Kostproben! Probiert, wie ich koche. Gugu, ich habe dir einen fünfzig Jahre alten Maotai mitgebracht! Weil ich dir wie eine Tochter Ehre erweisen möchte.

GUGU: So einer ist wirklich was Feines! Am letzten Neujahr hat die Frau eines hohen Kaders aus Pingnan mir eine Flasche vorbeigebracht. Ich habe nur den Korken geöffnet, und schon war das ganze Zimmer voller Wohlgeruch.

KAULQUAPPE: (vorsichtig)

Schulkameradin, weißt du, was diese Leute hier wollen?

LIU GUIFANG: (zieht die TV-Reporterin am Ärmel zu sich herüber) Xiao Gao, ich habe ganz vergessen, dich allen vorzustellen. Sie ist TV-Reporterin beim Fernsehjournal »Land und Leute« 社會萬象, Moderatorin und Produzentin. Xiao Gao, das ist Onkel Kaulquappe, Theaterschriftsteller und im hohen Alter noch Vater eines Sohnes geworden. Eine große Leistung! Das ist Gugu, eine Halbgöttin, unsere alte Frauenärztin in Nordost-Gaomi. Alle, Alt und Jung, nennen sie Gugu. Uns alle und noch zwei Generationen nach uns hat Gugu hier auf die Welt geholt.

GUGU: (zieht die TV-Reporterin an der Hand zu sich)

Was bist du für ein niedliches Kind geworden! Wenn ich dich anschaue, sehe ich gleich deine Eltern vor mir. Wenn man früher den Kindern einen geeigneten Ehepartner aussuchte, hat man darauf geachtet, dass er standesgemäß war. Heute vertrete ich: zuerst nach den Genen schauen und erst dann prüfen, ob der Partner standesgemäß ist. Nur wenn die Gene gut sind, werden gesunde und kluge Nachkommen geboren. Wenn sie nicht gut sind, ist alles verschwendete Liebesmüh.

TV-REPORTERIN: (es wird angedeutet, dass die Kamera läuft und der Reporterin folgt)

Gugu, du gehst mit der Zeit, alle Achtung!

GUGU: Ich würde nicht sagen, dass ich mit der Zeit gehe, eher, dass ich ein paar Brocken aus der modernen Fachwelt aufgeschnappt habe, weil ich mit den unterschiedlichsten Menschen aus allen möglichen Berufen zu tun habe.

KAULQUAPPE: (leise und heimlich zu Liu Guifang)

Alte Schulfreundin, diese Sache wird nicht in die Öffentlichkeit hinausposaunt, okay?

LIU GUIFANG: Xiao Gao ist unsere zukünftige Schwiegertochter. Der Konkurrenzkampf zwischen den Fernsehstationen ist hart, die klauen sich die Informationen, die Storys, die Ideen. Deswegen greifen wir ihr ein bisschen unter die Arme.

TV-REPORTERIN: Gugu, darf ich Sie um Ihre Einschätzung bitten? Denken Sie, dass der Grund, warum Lehrer Kaulquappe und seine Frau so spät noch ein Kind bekamen, ihre besonders guten Gene sind?

GUGU: Natürlich. Die Gene der beiden sind ausgezeichnet.

TV-REPORTERIN: Was meinen Sie, sind die Gene von Lehrer Kaulquappe besser oder die seiner Frau?

GUGU: Ich muss erst einmal genau definieren, was Gene wirklich sind, dann können Sie mich dazu noch einmal befragen.

TV-REPORTERIN: Können Sie unserem Publikum mit knappen Worten erklären, um was es sich bei den Genen handelt?

GUGU: Was die Gene sind? Die Gene sind das Schicksal. Das Lebensschicksal.

TV-REPORTERIN: Das Lebensschicksal?

GUGU: Verstehst du folgenden Satz: »Fliegen setzen sich nicht auf Hühnereier, wenn diese keinen Riss haben.«

TV-REPORTERIN: Den verstehe ich.

GUGU: Wenn die Gene bei einem Menschen nicht tadellos sind, sind sie wie ein Hühnerei mit einem Riss. Ein frisch gelegtes Eis mit Riss. Hast du das verstanden?

LIU GUIFANG: Xiao Gao, wir lassen Gugu jetzt einen Schnaps trinken, damit sie einmal Luft holen kann. Befrag erst einmal Onkel Kaulquappe. Das hier ist Onkel Backe, und das ist Onkel Hand. Sie sind zusammen zur Schule gegangen. Sie kennen sich mit der Problematik der Gene bestens aus, du kannst sie nacheinander interviewen.

(schenkt Gugu einen Schnaps ein)

Ich wünsche Gugu gute Gesundheit und ein langes Leben, und dass du auf ewig unsere Kinder in Nordost-Gaomi beschützt!

TV-REPORTERIN: Onkel Kaulquappe, ich weiß, dass Sie 1953 geboren sind. Sie sind in diesem Jahr fünfundfünfzig geworden. Das ist ein Alter, in dem wir bei uns auf dem Land Enkelkinder bekommen. Sie aber sind gerade Vater geworden. Erzählen Sie uns ein wenig von ihrer Gemütslage. Wie fühlt man sich, wenn man so spät Vater wird?

KAULQUAPPE: Ein paar Wochen ist es her, da hat der achtundsiebzigjährige Professor Li von der Ost-Shandong Universität die Monatsfeier seines Sohnes begangen. Professor Li ist zu seinem hundertdreijährigen Vater in die Klinik gefahren. Haben Sie diese Nachrichten gesehen?

TV-REPORTERIN: Ja, die habe ich gesehen.

KAULQUAPPE: Ein Mann ist mit fünfundfünfzig noch auf der Höhe seines Lebens. Das Ausschlaggebende ist die Frau.

TV-REPORTERIN: Darf ich dazu Ihre Ehefrau befragen?

KAULQUAPPE: Sie ruht sich gerade aus. Wenn sie zu Tisch kommt und mit den Gästen anstößt, dann haben Sie dazu Gelegenheit.

TV-REPORTERIN: (dreht sich zu Yuan Backe um)

Geschäftsführer Yuan, wenn Sie Lehrer Kaulquappe mit seinem Söhnchen sehen, brennt es Ihnen dann unter den Nägeln? Möchten Sie das auch?

YUAN BACKE: Hör zu! Ob ich begierig bin, es auch zu versuchen? Ich bin zwar begierig und es gefällt mir, aber ich möchte nicht noch einen Sohn. Wahrscheinlich sind meine Gene nicht die besten. Ich habe zwei Söhne, und die beiden verschwenden mein Geld nach Kräften, einer schlimmer als der andere. Wenn ich noch einen bekäme, würde er sich vermutlich auch nicht anders entwickeln. Außerdem ist der Acker meiner Alten völlig hart geworden. Würde man dort einen zarten Baum pflanzen, wäre er in drei Tagen vertrocknet und nur noch als Krückstock zu verwenden.

LI HAND: Das kannst du eine Zweitfrau machen lassen, sie kann das Baby für dich bekommen!

YUAN BACKE: Hand, du bist doch auch nicht mehr dreizehn oder sechzehn Jahre alt? Wie kommt es, dass du so etwas sagst? Wir hier sind doch Männer mit Anstand, die Fairplay schätzen. Wie könnten wir so etwas Schmutziges tun?

LI HAND: Ist so etwas schmutzig? Das ist doch neuerdings modern, en vogue, frischt die Gene auf und ist sozial verträglich, denn es hilft den wirtschaftlich schlechter Gestellten, es kurbelt die Konjunktur an, weil die Binnennachfrage steigt.

YUAN BACKE: Halt den Mund! Wenn das gesendet wird, dann nimmt man dich noch fest!

LI HAND: Frag sie doch mal, ob sie sich trauen, das zu senden?

TV-REPORTERIN: (lacht, antwortet aber nicht, sondern wendet sich Gugu zu)

Gugu, ich habe gehört, dass Sie eine Arznei zusammengestellt haben, eine Antiaging-Pille, mit der die Menopause rückgängig gemacht werden kann.

GUGU: Viele, viele haben meine Arznei geschluckt. Glaubt ihr etwa auch, dass sich das Geschlecht des Kindes im Bauch der Mutter noch verändern lässt?

TV-REPORTERIN: Es ist immer klüger, etwas für möglich zu halten, als es von vornherein zu bezweifeln.

GUGU: Glaubst du an die Götter, so sind sie bei dir. Glaubst du nicht, so sind sie nur unglasierte Lehmfiguren. So funktioniert die Psyche der Menschen.

KAULQUAPPE: Xiao Gao, komm mit deinen Kollegen vom Fernsehteam mit an unseren Tisch, lass uns zusammen ein paar Schnäpse trinken. Wenn wir getrunken haben, machen wir mit den Interviews weiter. Was hältst du davon?

TV-REPORTERIN: Trinkt, trinkt ohne uns. Wir sind nicht dabei.

LI HAND: Ihr seid mitten unter uns, geht von einem zum andern. Dann kommt auch an den Tisch!

TV-REPORTERIN: Bitte seht in uns keine Gäste, haltet uns für – was immer ihr wollt!

YUAN BACKE: Guifang, alte Klassenkameradin, ich war damals so was von verknallt in dich! Ich muss jetzt erst mal richtig einen auf dich trinken.

LIU GUIFANG: (hebt ihr Glas und stößt mit Yuan Backe an)

Ich wünsche dir gute Geschäfte in deiner Froschzuchtfirma, alter Freund; ich wünsche dir, dass du mit deinen »Angels Protect«-Hautschutzstoffen bald berühmt wirst!

YUAN BACKE: Guifang, lenk mal nicht vom Thema ab, ich hab dir gerade erzählt, dass ich damals über beide Ohren in dich verliebt war.

LIU GUIFANG: Krieg dich wieder ein, Backe! Anbaggern hat nichts mit wahren Gefühlen zu tun. Wer wüsste nicht, dass Geschäftsführer Yuan in seiner Froschzuchtfirma massenweise hübsche Mädchen beherbergt?

TV-REPORTERIN: (ergreift die Gelegenheit, ins Mikrophon zu den Zuschauern zu sprechen)

Verehrte Zuschauer! Heute kommt »Land und Leute« 社會萬象 aus Nordost-Gaomi zu Ihnen nach Hause. Wir sind für Sie zu Gast bei einer Monatsfeier, die einem ganz besonders freudigen Ereignis gilt. Der berühmte Theaterschriftsteller Kaulquappe, der in sein Heimatdorf zurückgekehrt ist, um sich im Ruhestand ganz seiner Schriftstellerei zu widmen, und seine Gattin Kleiner Löwe erleben im hohen Alter von fast sechzig Jahren das süße Geheimnis der Geburt ihres ersten Sohns, der am Fünfzehnten des vergangenen Monats gesund das Licht der Welt erblickte ...

GUGU: Es ist Zeit, das Kind zu holen, damit alle es anschauen können.

Kaulquappe rennt von der Bühne.

LIU GUIFANG: (wirft Yuan Backe einen vielsagenden Blick zu und murmelt leise)

Red keinen Unsinn, von wegen Gugu freut sich nicht.

Kaulquappe führt Kleiner Löwe auf die Bühne. Sie hat sich ein Handtuch um den Kopf gewickelt, im Arm trägt sie ein Bündel in einer Mullwindel. Der Kameramann beginnt sofort zu filmen. Alle klatschen und rufen dem Kleinen Glückwünsche zu.

KAULQUAPPE: Komm, zeigt es zuerst seiner Großtante.

Kleiner Löwe bringt das Bündel zu Gugu, die die Windel hochschlägt und das Baby betrachtet.

GUGU: Ein hübsches, gutes Kind. Ein wirklich gutes Kind. Hervorragende Gene, ein ebenmäßiges Gesicht. In der feudalistischen Gesellschaft würde so ein kleiner Kerl es bestimmt zum Zhuangyuan, dem besten Kandidaten bei den Staatsprüfungen, bringen.

LI HAND: Oder er übertrifft den Zhuangyuan noch, vielleicht hätte der Kleine sogar das Potenzial zum Kaiser?

GUGU: Gut, dann veranstalten wir eben einen Wettstreit im Angeben.

TV-REPORTERIN: (hält Gugu das Mikrophon vors Gesicht)

Gugu, hast du bei diesem Kind auch die Geburtshilfe gemacht?

GUGU: (steckt einen roten Umschlag in das kleine Windelpaket; Kaulquappe und Kleiner Löwe weisen das Geld zurück, aber Gugu winkt ab)

Es muss sein, es gehört sich so! Außerdem hat die Großtante Geld.

(der Reporterin zugewandt)

Ich besitze das Vertrauen der beiden. Sie war eine Spätgebärende, eine besondere psychische Belastung war das. Ich habe ihr anfangs geraten, ins Krankenhaus zu gehen und die Melone aufschneiden zu lassen. Sie wollte das partout nicht. Ich habe sie dann unterstützt, denn ich sehe ein, dass Frauen sich nur, wenn ihr Kind durch den Geburtskanal geboren wird, als vollwertig begreifen und wirklich verstehen, was es heißt, Mutter zu sein.

Während Gugu das Interview gibt, zeigen Kleiner Löwe und Kaulquappe ihr Kind herum.

TV-REPORTERIN: Gugu, ist dieses Kind das letzte, für das du die Geburtshilfe übernommen hast?

GUGU: Was meinst du?

TV-REPORTERIN: Ich habe gehört, dass nicht nur die Frauen aus Nordost-Gaomi dich schätzen und dir vertrauen, sondern dass auch viele Schwangere aus Pingdu und aus Kiautschou dich vor der Geburt aufsuchen.

GUGU: Ich bin von Natur aus ein Workaholic.

TV-REPORTERIN: Ich habe auch gehört, dass deine Hände eine wunderbare Gabe besitzen, dass eine geheimnisvolle Energie von ihnen ausgeht, dass du sie nur auf den Bauch der Gebärenden zu legen brauchst und schon leidet diese weniger, und dass du ihr so alle Sorgen und Ängste nehmen kannst.

GUGU: So entstehen Mythen. Es wird ständig noch mehr hinzugedichtet.

TV-REPORTERIN: Gugu, streck bitte deine Hände vor, damit wir ein paar Close-Ups filmen können.

GUGU: (mit ironischem Unterton)

Die Massen brauchen übernatürliche Fähigkeiten, geheimnisvolle Mythen!

Nicht wahr?

(zu allen)

Wisst ihr, von wem dieser Satz stammt?

LI HAND: Das klingt nach einer Berühmtheit, wenn man dich so hört.

GUGU: Dieser Satz stammt von mir.

YUAN BACKE: Na ja, Gugu ist doch auch ziemlich berühmt.

LIU GUIFANG: Was meinst du mit ziemlich berühmt? Natürlich ist Gugu berühmt.

TV-REPORTERIN: (feierlich)

Diese beiden ganz normal aussehenden Hände haben einige tausend Säuglinge auf unsere Welt geholt ...

GUGU: ... und diese beiden ganz normalen Hände haben einige tausend Säuglinge zur Hölle befördert!

(trinkt einen Schnaps auf ex)

Meine Hände sind von zweierlei Blut befleckt, das eine angenehm duftend, das andere nach Verwesung stinkend.

LIU GUIFANG: Gugu, du bist der menschgewordene Bodhisattva in unserem Nordost-Gaomiland, unsere Kinder schenkende Niangniang, die Götterstatuen in unserem Tempel sehen dir immer ähnlicher, je länger man sie betrachtet. Ich glaube, sie sind dir nachgebildet.

GUGU: (betrunken, wirr)

Die Massen brauchen übernatürliche Fähigkeiten, geheimnisvolle Mythen ...

TV-REPORTERIN: (hält Kleiner Löwe das Mikrophon vors Gesicht)

Frau Wan, wollen Sie uns ein bisschen was erzählen? Und uns schildern, wie Sie sich fühlen?

KLEINER LÖWE: Was genau soll ich erzählen?

TV-REPORTERIN: Nichts Bestimmtes. Vielleicht, was für ein Gefühl es für Sie war, als Sie erfahren haben, dass Sie schwanger sind. Dann, wie Sie sich während der Schwangerschaft fühlten, warum Sie unbedingt Gugu als Geburtshelferin wollten ...

KLEINER LÖWE: Als ich erfuhr, dass ich schwanger war, glaubte ich zu träumen, eine über Fünfzigjährige, die Menopause lag zwei Jahre zurück. Was die Zeit meiner Schwangerschaft angeht, empfand ich zur Hälfte Vorfreude, zur anderen Hälfte machte ich mir Sorgen. Ich freute mich natürlich, dass ich endlich Mama werden würde. Ich war an die fünfzehn Jahre Assistentin bei Gugu gewesen. Ich hatte ihr bei vielen Geburten assistiert. Aber ein eigenes Kind hatte ich nicht. Eine Frau ohne eigenes Kind ist aber keine richtige Frau. Sie hat auch als Ehefrau einen schweren Stand und traut sich zuletzt nicht mehr, ihrem Mann in die Augen zu sehen. Das ist jetzt alles vorüber.

TV-REPORTERIN: Und neben der Vorfreude? Was bereitete Ihnen Sorgen?

KLEINER LÖWE: Vor allem machte ich mir wegen meines hohen Alters Sorgen. Ich hatte Angst, dass ich ein krankes Kind zu Welt bringen könnte. Und ich hatte Angst, dass die Geburt nicht in Gang kommen könnte und meine Melone dann im OP aufgeschnitten werden müsste. Natürlich waren alle Sorgen wie weggeblasen, sobald Gugu ihre Hände auf meinen Bauch legte, als es so weit war. Der Rest bestand dann nur noch darin, Gugus Anordnungen Folge zu leisten und die Geburt zu vollenden.

GUGU: (betrunken, wirr)

Mit dem wohlriechenden Blut den Pfuhl aus übel riechendem, schmutzigem Blut reinwaschen ...

Chen Nase betritt leise auf Krücken die Bühne.

CHEN NASE: Es ist doch ziemlich unverschämt, die Monatsfeier des kleinen Söhnchens zu begehen und nicht mal dessen Opa mütterlicherseits einzuladen und ihm einen Schnaps anzubieten!

Alle sind verstört, entsetzt.

KAULQUAPPE: (stark verunsichert)

Freund, das tut mir leid! Das tut mir wirklich leid, dass wir dich vergessen haben.

CHEN NASE: (lacht wild)

Du nennst mich Freund? Ha!

(zeigt mit der Krücke auf den Säugling in Kleiner Löwes Arm)

Dein Söhnchen sollte dich dazu veranlassen, dass du dich vor mich hinkniest und vor mir dreimal Kotau machst. Und dann solltest du mich Schwiegervater nennen.

YUAN BACKE: (kommt vor und will Chen Nase fortzerren)

Alter Nase, nun komm schon! Lass uns schnell hier weggehen. Ich bringe dich zu dem Fischspezialitätenrestaurant Baochi Huang, da lasse ich dir ein schönes Menü zusammenstellen.

CHEN NASE: Hau ab! Verpiss dich! Du mieser, schamloser Widerling. Du willst mich mit ein paar stinkenden Abalone und Haifischflossen mundtot machen? Vergiss es! Heute ist mein Enkelkind einen Monat alt, und das ist ein Glückstag. Heute geh ich nirgendwo anders hin. Da bleib ich bei meinem Enkel und trink einen Schnaps auf ihn.

(setzt sich an den Tisch und sieht Gugu)

Gugu, dein Herz ist doch wie ein heller Spiegel, in dem man alles deutlich sieht. Alles, was bei uns mit dem Kinderkriegen zu tun hat, geht durch deine Hand. Bei wem die gesetzten Sämlinge nicht recht gedeihen wollen, bei wem kein Gras mehr wächst, weil der Boden zu hart ist, das weißt du alles. Du weißt genau, bei wem du dir Sämlinge ausleihen kannst, du hilfst den Acker verpachten, du bist diejenige, die gute Balken gegen morsche Stützen eintauscht, diejenige, die unbemerkt betrügen kann, diejenige, die Schleichwege geht, während sie vorgibt, breite Straßen zu benutzen. Du versuchst die Menschen zu täuschen, gibst Birnen für Pfirsiche aus, lockerst verschlagen die Schlinge, um sie fester zuzuziehen, du bedienst dich anderer, lässt sie deine Feinde beseitigen, sollen doch anderer Leute Messer für dich morden ... Die sechsunddreißig Strategeme unseres Generals Tan Daojin sind dir geläufig, du hast sie alle erprobt.

GUGU: Nur zwei dieser Täuschungsmanöver hab ich an dir ausprobiert. An der rechten Tür rütteln, dabei die linke im Visier haben, und das Goldzikadenspielchen. Du hättest mich damals um ein Haar überlistest. Das übelriechende, schmutzige Blut an meinen Händen

(führt die Hände an die Nase und schnüffelt daran)

hast zur Hälfte du an mich geschmiert!

LI HAND: (schenkt Chen Nase Schnaps ein)

Alter Nase! Prost, trink einen Schnaps!

CHEN NASE: (trinkt den Schnaps mit einem Zug aus)

Hand! Du bist ein Ehrenmann! Bitte sag deine Meinung, ich möchte deine Einschätzung und dein Urteil hören.

LI HAND: (unterbricht Nase, gießt ihm noch einmal Schnaps ein, diesmal ein großes Glas voll)

Was rechtens ist und was gerecht ist, das weiß nur der Himmel ganz genau. Komm, alter Freund, lass die kleinen Schnapsgläser. Wir nehmen die großen.

CHEN NASE: Du willst mich wohl betrunken machen? Damit ich so voll bin, dass ich keinen Ton mehr sage. Mir mit Schnaps den Mund schließen? Da irrst du dich. Daraus wird nichts.

LI HAND: Natürlich wird nichts daraus. Da hätte ich die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Ich weiß, dass du einmalig trinkfest und selbst nach tausend Gläsern noch nicht volltrunken bist. Der Schnaps, den wir hier heute haben, ist echter, richtig guter Maotai. Wann können wir sonst so was Gutes trinken, und das noch umsonst? Komm schon! Prost! Leeren wir die Gläser!

CHEN NASE: (richtet sich auf, streckt sein Gesicht himmelwärts und leert das große Glas Schnaps in einem Zug, keucht außer Atem, weint wie ein Schlosshund)

Gugu, Kaulquappe, Kleiner Löwe, Backe, Jinxiu, dass ich es mit mir so weit kommen lassen konnte! Es ist so jämmerlich, entsetzlich, ich arme Sau. Keinem von uns sechzigtausend Leuten in Nordost-Gaomiland, in unseren achtzehn Dörfern, geht es so dreckig, so elend wie mir. Sagt doch selbst! Es gibt keinen, dem es so grauenhaft beschissen geht wie mir. Aber ihr? Tut euch noch zusammen und haltet euch an mir Krüppel schadlos! Wenn ihr mich schikanieren müsst, meinetwegen, ich will mich nicht beschweren, denn für edel und gut halte ich mich nicht. Wenn ihr mich tyrannisiert, lasse ich das gelten als Strafe, die mir der Himmel auferlegt hat! Aber ihr hättet meiner Tochter keinen Schaden zufügen dürfen! Ihr habt Augenbraue hier aufwachsen sehen. Das schönste Mädchen in ganz Nordost-Gaomi! Genauso ihre Schwester Ohr! Mit ihrer Schönheit hätten sie in den Harem des Kaisers eingeheiratet, sie hätten ein Leben unter Prinzen und Prinzessinnen geführt, sie wären Königinnen geworden, Lieblingsmätressen von Königen und Fürsten, aber ... Klagt mich an, beschuldigt mich! Es ist die Strafe des Himmels! Meine Tochter wird deine Leihmutter,

(zeigt wütend mit dem Finger auf Kaulquappe)

um meine Klinikrechnung bezahlen zu können. Aber ihr! Ihr alten Schulfreunde, Klassenkameraden, ihr guten Onkel, ihr feinen Schriftsteller, ihr, die Chefs von den fetten Firmen! Ihr habt sie noch dazu betrogen! Sie angelogen, habt ihr gesagt, ihr Kind wäre gleich nach der Geburt gestorben. Ihr leugnet, dass ihr die vierzigtausend Yuan Leihmütterhonorar schuldig geblieben seid, ihr wollt nicht bezahlen, ihr betrügt sie! Vier, fünf Ellen über unseren Köpfen beginnt die göttliche Sphäre. Die Götter sehen, was hier geschieht. Ihr Götter! Schaut hin, ein zum Himmel schreiendes Unrecht geschieht nur fünf Ellen unter euch! Schaut euch diese skrupellosen Verbrecher an. Ihr Fernsehleute! Genossen! Nehmt das auf! Haltet die Kamera drauf! Zeigt mich, zeigt sie, filmt die ganze Bande hier. Gebt alles dem Volk zu sehen! Verbreitet es im Fernsehen.

LIU GUIFANG: Alter Chen, was nimmst du den Mund so voll, dich könnte keiner unter den Tisch trinken, aber schon nach zwei Bechern Schnaps erzählst du hier so einen Unsinn, tischst uns haarsträubende Geschichten auf.

CHEN NASE: Guifang, du supergescheite Geschäftsfrau, die kaum, dass unser altes Gästehaus nicht mehr von der Partei geführt wurde, die große Chefin des Ladens wurde, die Reichtümer und Besitz angehäuft hat. Als ich dich angefleht habe, meiner Tochter Arbeit zu geben, keine besondere, nur Küchenarbeit, am Herd bei den dampfenden Töpfen ... Da kanntest du keine Barmherzigkeit! Du hast mir gesagt, deine Firma müsse Personal abbauen, die Zeiten seien schwierig, mit Wohltätigkeit ließe sich eine Firma nicht führen, zu viele solche Anfragen kämen.

LIU GUIFANG: Alter Schulkamerad! Das war ein Fehler. Sie anzunehmen, hätte nur bedeutet, einen Menschen mehr zu versorgen. Ich werde mich ab jetzt um sie kümmern, geht das für dich in Ordnung?

Yuan Backe und Jin Jinxiu versuchen, Chen Nase wegzuschaffen.

CHEN NASE: (wehrt sich, kämpft)

Ich habe meinen Enkel noch nicht gesehen!

(zieht einen roten Umschlag aus seinem Hemd hervor)

Mein Enkelchen, dein Opa ist zwar arm, aber er weiß noch, wie man sich zu benehmen hat. Opa hat einen kleinen roten Umschlag für dich, den er dir jetzt schenken will.

Backe und Jin Xiu ziehen Nase von der Bühne. Zur gleichen Zeit betritt von der anderen Seite Chen Augenbraue, schwarz verschleiert, im langen, schwarzen Mantel die Bühne. Alle sind geschockt, als sie Augenbraue sehen. Es ist sofort totenstill.

AUGENBRAUE: (schnieft übermäßig laut, zuerst in einer tiefen, dann in einer hohen Tonlage)

Kind, Schätzchen. Ich kann deinen Geruch schon wahrnehmen. Einen süßen Duft nach süßer Haut.

(wie eine Blinde tappt sie vorwärts auf Kleiner Löwe zu, kommt ihr immer näher; das Kind beginnt heftig zu schreien)

Kindchen, seit du geboren bist, hat man dir keinen einzigen Schluck Muttermilch zu trinken gegeben, mein Kleines muss doch am Verhungern sein!

Chen Augenbraue entreißt Kleiner Löwe das Kind und rennt eilig von der Bühne. Alle sind starr vor Entsetzen. Keiner rührt sich von der Stelle.

KLEINER LÖWE: (breitet beide Arme aus, resigniert)

Mein kleiner Goldschatz, mein Goldfrosch, mein Kindchen ...

Kleiner Löwe an der Spitze, Kaulquappe und die anderen, jagen Augenbraue hinterher, auf der Bühne herrschen chaotische Zustände.

Ende des sechsten Aufzugs

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