DAS FÜNFTE BUCH


Liebster Freund!

Endlich habe ich das Theaterstück fertiggestellt.

In meinem realen Leben geschehen immer Dinge, die mit seiner Handlung eng verwoben sind, so dass ich während des Schreibens manchmal nicht zu unterscheiden vermag, ob ich die Realität aufzeichne oder ob ich mich gerade zu Fiktivem inspirieren lasse.

Ich habe nur fünf Tage gebraucht, um das Stück zu beenden. Ich fühlte mich dabei wie ein kleines Kind, das begierig ist, seinen Eltern das, was es gesehen hat, und das, was es sich dabei gedacht hat, eilig zu erzählen.

Wenn ein fast Sechzigjähriger sich mit einem Kind vergleicht, nimmt man ihm das nicht unbedingt ab, sondern vermutet, dass er irgendetwas verschleiert. Aber ich empfinde wirklich so.

Das Stück soll Gugus Lebensgeschichte enthalten. Diese soll wie ein Organismus sein, so wie ein Organismus aus einzelnen Körperteilen besteht.

Wenn in der Handlung etwas vorkommt, das im tatsächlichen Leben nicht geschehen ist, dann habe ich es aber psychisch wirklich so erlebt. Deswegen rechne ich es dem real Vorgefallenen zu.

Sugitani san, ich hatte angenommen, dass das Schreiben ein Weg für mich wäre, die eigenen Verbrechen zu sühnen. Aber als ich das Stück fertig geschrieben hatte, war mein Gewissen keineswegs entlastet, sondern ich trug an meiner Last, Verbrechen begangen zu haben, schwerer, schwerstens.

Renmei und ihr Kind, – natürlich war es genauso mein Kind – sind tot.

Selbstverständlich kann ich tausend Gründe anführen und mich von der Schuld freisprechen, natürlich auch die Verantwortung dafür komplett meiner Tante zuschieben, der Truppe, Yuan Backe; ich könnte sogar bei Renmei die Verantwortung suchen, – zig Jahre habe ich das auch getan – aber jetzt ist mir deutlich wie nie zuvor zu Bewusstsein gekommen, dass ich der einzige Schuldige und Erzverbrecher bin.

Ich habe meine Renmei und unser Kind wegen sogenannter guter »Zukunftsperspektiven« zur Hölle fahren lassen.

Dass ich mir einbilde, das Kind, das Augenbraue geboren hat, sei die Wiedergeburt des im Fegefeuer leidenden toten Babys von Renmei, ist Selbstbetrug. Ich versuche mich mit dieser Vorstellung zu trösten. So, wie es meine Tante über das Modellieren der Niwawa-Tonkinder macht.

Jedes Kind ist immer einzigartig und lässt sich durch nichts und niemals ersetzen.

Ist die Hand ein für alle Mal blutbefleckt und lässt sie sich niemals mehr reinwaschen? Ist die Seele darin gefangen, dass sie sich eines Verbrechens schuldig fühlt, und muss sie es ewig bleiben? Oder ist Rettung möglich?

Liebster Freund, ich warte sehnlichst auf Ihre Antwort.

Kaulquappe

3. Juni 2009

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