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Meine Tante war längst im heiratsfähigen Alter. Aber weil sie selbst verdiente, noch dazu im öffentlichen Dienst, und deshalb den Reis aus der Brigadeproduktion aß, weil sie der glorreichen Familie meines Großonkels entstammte, wagte keiner der jungen Männer im Dorf, sich Hoffnungen zu machen. Ich war damals fünf, als ich meine Großtante und meine Oma tagein tagaus von nichts anderem mehr sprechen hörte.
Sorgenvoll sagte meine Großtante: »Was soll man davon halten, Schwägerin! Unsere Herz ist zweiundzwanzig, die gleichaltrigen Mädchen haben alle schon zwei Kinder. Und um ihre Hand hat noch kein einziger Junge angehalten!«
Meine Oma widersprach: »Aber Schwägerin, warum so eilig? So eine wie unsere Herz kann sogar bei Hofe einheiraten und Kaiserin werden! Pass auf, dann bist du Kaiserschwiegermutter und wir sind Angehörige der kaiserlichen Familie, das wird uns noch nützlich sein.«
Die Großtante sagte nur: »Der blanke Unsinn, was du da sagst! Den Kaiser gibt’s seit der Revolution nicht mehr, Volksrepublik heißen wir jetzt, und anstelle des Kaisers regiert der Vorsitzende unser Land.«
»Wenn jetzt der Vorsitzende Herr im Staat ist, lass sie uns ihm zur Frau geben!«
Grollend erwiderte die Großtante: »Du bist mir eine! Mit dem Körper reingerutscht in die neue Epoche, aber dein Hirn hast du draußen gelassen.«
»Ich kann mich mit dir nicht messen! Aus Heping bin ich nie rausgekommen. Ich hab mein gesamtes Leben in unserem Dorf verbracht. Du dagegen hast die befreiten Gebiete kennengelernt, bist in Pingdu gewesen«, sagte meine Oma.
»Komm mir nicht mit Pingdu, da beginnt mir sofort die Kopfhaut zu kribbeln!«, fiel die Großtante ein, »dahin haben mich die Japsen verschleppt! Ich hab’s mir dort nicht gut gehen lassen! Büßen musste ich, dass du es weißt!«
Das Gespräch der beiden alten Schwägerinnen mündete wie so oft in einen Streit. Und wenn die Großtante tags zuvor wutschnaubend gegangen war, als hätte sie nun endgültig und für alle Zeiten mit meiner Oma gebrochen, war sie anderntags wieder da und zu neuen Gesprächen aufgelegt. Meine Mutter, die den täglichen Auseinandersetzungen der beiden über Tantes Hochzeitsangelegenheiten zuschaute, belächelte sie insgeheim.
Ich erinnere mich an den Abend, an dem unsere Kuh kalben sollte. Ich frage mich, ob sie sich meine Mutter oder ob das Kälbchen sich mich zum Vorbild genommen hatte, jedenfalls erschien zuerst ein Bein. Dann blieb das Kälbchen stecken, kam nicht vor, nicht zurück. Die alte Kuh presste und muhte dabei vor Schmerzen. Sie litt erbärmlich. Mein Vater und mein Opa waren in äußerster Sorge, händeringend traten sie von einem Fuß auf den andern, gingen im Kreis, doch sie wussten nicht, was sie tun sollten. Das Rind ist dem Bauern ein Garant zum Überleben. Dazu kam, dass die Produktionsbrigade uns das Rind zur Verfügung gestellt hatte. Wenn es starb! Nicht auszudenken ...
Mutter wisperte meiner Schwester zu: »Aman, hast du gehört, dass deine Tante eben zum Tor herein ist?«
Meine Schwester zögerte keinen Augenblick und rannte sofort los. Mein Vater warf meiner Mutter einen abschätzigen Blick zu: »Hör auf mit dem Blödsinn, sie macht Geburtshilfe für Menschen!«
Aber meine Mutter sagte: »Beim Vieh ist es doch auch nicht anders als beim Menschen.«
Meine Schwester kam zurück, im Schlepptau meine Tante. Die ließ erst einmal Dampf ab: »Wollt ihr, dass ich mich zu Tode arbeite? Mit den Menschen habe ich schon genug zu tun, jetzt soll ich auch noch die Kühe entbinden!«
Mutter lachte: »Cousine! Was suchst du dir auch so eine Familie aus? Schau, wen hätten wir sonst zu Hilfe rufen sollen? Alle sagen, du bist der wiedergeborene Bodhisattva Guanyin. Der Retter aller Kreatur! Auch wenn Vieh und Mensch zweierlei sind, so sind doch beide Lebewesen. Kannst du mit ansehen, wie unsere Kuh stirbt, ohne zu helfen und ihr Leben zu retten?«
»Cousine, Glück für dich, dass du nicht lesen und schreiben kannst! Hättest du zweitausend Schriftzeichen gelernt, unser Dorf hätte dich nicht halten können!«
»Auch wenn ich achttausend beherrschte, könnte ich es nicht mal mit einem einzigen Zeh deines Fußes aufnehmen.«
Obwohl der wütende Gesichtsausdruck anhielt, war die Tante besänftigt. Es war bereits dunkel. Mutter entzündete alle Lampen im Haus, drehte die Dochte höher und trug sie in die Mühle, wo wir unseren Kuhstall hatten.
Als die Kuh meine Tante erblickte, knickten ihr die Vorderbeine ein, so dass sie kniete. Meiner Tante schossen sofort die Tränen in die Augen, sie weinte wie ein Schlosshund. Wir weinten alle mit. Sie untersuchte die Kuh und sagte halb mitleidig, halb scherzend: »Wieder eins, das zuerst den Fuß rausstreckt.«
Gugu schickte uns Kinder auf den Hof, denn sie wollte uns schonen. Wir hörten sie von draußen laut Anweisungen geben und stellten uns vor, wie sie unsere Eltern bei der Geburt des Kälbchens dirigierte. Nach dem Mondkalender hatten wir Monatsmitte. Als der Mond in Südost stand und Himmel und Erde in milchig weißes Licht tauchte, rief meine Tante: »Es ist geboren! Alles in Ordnung!«
Wir stürmten jubelnd zu unserer Kuh und schauten uns ihr am ganzen Körper schleimiges kleines Kälbchen an. Der Vater war freudig erregt: »Sieh einer an, ein kleines Kuhkälbchen!«
Gugu geriet gleich wieder in Wallung: »Wie sonderbar! Bekommen die Frauen ein Mädchen, ziehen die Männer lange Gesichter, aber haben die Kühe ein Kuhkälbchen, strahlen sie übers ganze Gesicht!«
Vater sagte: »Bei den Rindern bekommen die Kühe, wenn sie ausgewachsen sind, Kälbchen!«
Gugu erwiderte nur: »Bei den Menschen etwa nicht? Aus kleinen Mädchen werden Frauen, die Babys zur Welt bringen.«
»Na! Das ist aber was ganz anderes!«
»Was ist da bitteschön anders?«
Vater sah, dass meine Tante jeden Moment zu platzen drohte, und erwiderte nichts mehr, denn er wollte keinen Streit mit ihr anfangen.
Die Kuh wandte den Kopf ihrem Kälbchen zu und begann seinen Körper vom Schleim rein zu lecken. Als ob auf der Kuhzunge Wundermedizin wäre, tankten die von ihr geleckten Körperstellen sofort Kraft. Alle sahen ergriffen zu. Ich hatte meine Tante dabei heimlich beobachtet. Sie stand mit halb geöffnetem Mund da, ihr Blick liebevoll, als würde sie selbst von der alten Kuh sauber geleckt oder als sei sie die Kuh, die das Kälbchen sauber leckte. Als alle Körperpartien sauber waren, stemmte das Kleine zitternd die Beinchen in den Boden und kam hoch.
Wir stellten Tante eine mit Wasser gefüllte Waschschüssel bereit, suchten nach Seife und Handtuch, damit sie sich die Hände waschen konnte. Meine Oma saß vor dem Herd und entfachte mit dem Blasebalg Feuer, während meine Mutter neben ihr stand und Teig knetete.
Nach dem Händewaschen sagte meine Tante: »Ich habe einen Bärenhunger! Heute Abend esse ich bei euch.«
Mutter sagte: »Wieso bei euch? Hier bist du doch zu Hause!«
»Das stimmt, es ist erst ein paar Jahre her, da langten wir mit unseren Löffeln noch in ein und denselben Wok«, fiel Oma ein, aber schon stand meine Großtante vor dem Hoftor und rief Gugu zum Essen. Gugu rief zurück, sie könne nicht ohne Entgelt bei ihrer Cousine arbeiten und müsse deswegen zum Essen dableiben.
»Du wirst schon sehen, dass dir das schlecht bekommen wird! Isst du bei deiner Tante eine Schale Nudeln, wird sie es dir ein Leben lang ankreiden«, rief meine Großtante zurück.
Das ließ meine Oma nicht unbeantwortet: »Sag, wenn du Appetit hast, und komm rein! Wenn nicht, geh besser nach Haus.«
»Von euch werde ich bestimmt kein Essen annehmen!«, krakeelte meine Großtante.
Als die Nudeln fertig waren, füllte Mutter für die Großtante eine große Schüssel voll ab und trug meiner Schwester auf, sie hinüberzubringen. Erst viele Jahre später erfuhr ich, dass meine Schwester beim Rennen auf die Nase fiel, die Schale zerbrach und die Nudeln im Dreck landeten. Die Großtante nahm eine Schale aus ihrem Geschirrschrank und gab sie meiner Schwester mit zurück, weil sie nicht wollte, dass meine Schwester ausgescholten wurde.
Meine Tante war überaus gesprächig, sie konnte unglaublich gut erzählen, und wir liebten es, ihr zuzuhören. Nachdem sie also ihre Nudeln aufgegessen hatte, sie saß auf dem Herdrand, mit der Schulter an die Wand gelehnt, begann sie zu plaudern. Und es gab viel zu plaudern, hatte sie doch Zugang zu zahllosen Familien gehabt, hatte die unterschiedlichsten Menschen gesehen. Was hatte man ihr nicht alles anvertraut! Sie schmückte ihre Erzählungen reichlich aus, fesselnde Geschichten wie Kapitelromane, die von Berufserzählern zum Besten gegeben werden, bekamen wir zu hören. Als wir Anfang der achtziger Jahre im Fernsehen die berühmte Sprecherin Liu Lanfang Kapitelromane vortragen sahen, sagte meine Mutter: »Haargenau wie deine Tante! Wäre sie keine Ärztin geworden, hätte sie eine berühmte Fernsehsprecherin werden können.«
An jenem Abend begann sie ihre Schilderungen mit ihrem mutigen Kampf gegen den japanischen Armeekommandanten Sugitani in Pingdu. »Als ich damals mit eurer Großtante und eurer Uroma nach Pingdu kam, war ich erst sieben«, sie warf mir einen Blick zu, »ungefähr so groß wie der kleine Renner. Ich wurde in ein dunkles Zimmer eingeschlossen, vor der Tür saßen zwei große deutsche Schäferhunde, die mich bewachten. Die Japaner fütterten ihre Hunde mit Menschenfleisch, und die schleckten sich schon das Maul, wenn sie kleine Kinder witterten. Meine Oma und meine Mutter weinten die ganze Nacht, nur ich schlief, kaum lag ich, wie ein Stein bis zum helllichten Tag. Nachdem wir, ich weiß nicht wie viele Tage, in dem dunklen Zimmer eingesperrt gewesen waren, brachten sie uns in den Hof eines separaten Gebäudes. Dort blühte ein blauer Fliederbaum, dem ein so intensiver Duft entströmte, dass ich davon ganz benommen war. Ein Landedelmann in einem langen Gewand mit einem Fedora auf dem Kopf teilte uns mit, dass der Kommandant Sugitani uns zu einem Bankett bitte. Großtante und die Urgroßmutter weinten nur, denn sie trauten sich nicht. Der Edelmann sprach mir gut zu: ›Kleines Fräulein, sag deiner Mutter und Oma, dass sie keine Angst haben sollen. Der Kommandant Sugitani möchte euch nichts zuleide tun. Er möchte nichts weiter, als mit deinem Herrn Vater Wan Liufu Freundschaft knüpfen.‹
Ich erwiderte: ›Mama, Oma, ihr sollt nicht mehr weinen! Wozu soll das Weinen gut sein? Davon wachsen uns keine Flügel. Auch die Tränenfrau Mengjiangnü konnte die Chinesische Mauer nicht niederweinen.‹
Der Mann klatschte in die Hände: ›Bravo! Gut gesprochen, kleines Fräulein! Du kennst dich aus! Wenn du einmal erwachsen bist, wird aus dir sicher eine große Persönlichkeit.‹
Unter meinem Zureden hörten Großtante und Uroma mit dem Weinen auf. Sodann bestiegen wir mit dem Mann einen von einem schwarzen Muli gezogenen Wagen und erreichten nach einer kurvenreichen Fahrt ein Anwesen mit einer mächtigen Toreinfahrt, an der links vom Haupttor ein Inder und rechts davon ein Japaner Wache standen. Wir durchfuhren unzählige Innenhöfe. Vom Haupttor kam man in den ersten Hof, der wieder einen zweiten Hof umgab, der sich wieder auf einen weiteren öffnete und so fort, als würde man niemals alle Höfe bis zum Ende durchmessen können. Zuletzt gelangten wir in einen blumengeschmückten Empfangssalon, Türen und Fenster waren mit floralen Schnitzereien verziert, die geschnitzten Lehnstühle waren aus Sandelholz. Der Kommandant Sugitani trug einen Kimono. In der Hand hielt er einen Ogi, den japanischen Faltfächer. Wie gelassen er seinen Fächer bewegte! Ein Blick genügte, um zu wissen, dass er ein Mann von Bildung war. Er sprach höfliche Worte, nur Floskeln, mit denen er uns zu Tisch, einem großen runden Esstisch, beladen mit Platten von gebratenem Wild und Meeresfrüchten, führte. Uroma und Großtante getrauten sich nicht davon zu essen, mir jedoch war der Japse egal, ich schlug mir den Bauch voll. Als ich mit den Essstäbchen nicht weiterkam, nahm ich für die Suppe den Schaumlöffel und fischte damit die großen Happen aus der Brühe, die ich mir in den Mund stopfte, bis ich zum Platzen satt war. Sugitani, der ein Schnapsglas in der Hand hielt, schaute mir freundlich lächelnd zu. Als ich satt war, packte ich mit beiden Händen das Tischtuch und wischte mir daran die Hände sauber. Da fragte mich Sugitani auch schon: ›Kleines Fräulein, lass deinen Vater hierherkommen, ja?‹
Au wei, was hatte ich mir da eingebrockt! Ich riss die Augen auf und antwortete: ›Das ist keine gute Idee.‹
›Was sollte daran schlecht sein?‹, fragte er.
›Mein Vater ist Soldat der Achten Route-Armee und du bist Japaner. Die Armee führt mit Japan Krieg. Hast du da keine Bedenken, dass mein Vater dich töten wird?‹«
Da angelangt, streifte meine Tante den Ärmel hoch und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Damals gab es in ganz Gaomi gerade mal zehn Armbanduhren und meine Tante trug eine davon.
»Wahnsinn!«, stieß mein großer Bruder vor Überraschung hervor. – Von uns hatte bisher nur er eine Armbanduhr zu Gesicht bekommen. Als er die erste Kreismittelschule besuchte, hatte er nämlich einen Russischlehrer, der in Russland studiert und sich von dort eine solche Uhr mitgebracht hatte. – Gleich darauf schrie mein Bruder: »Eine Armbanduhr!« Meine Schwester und ich taten es ihm nach und schrien auch: »Eine Armbanduhr!«
Meine Tante schob, als sei es nicht der Rede wert, den Ärmel wieder hinunter: »Was soll die Aufregung? Ist doch nur eine Armbanduhr!«
Aber wir wurden nur umso neugieriger. Mein Bruder traute sich als erster zu fragen: »Tante, ich habe die Uhr von Lehrer Ji nur aus der Entfernung gesehen ... kannst du mir deine mal zum Anschauen geben?«
Wir riefen mit ihm im Chor: »Tante, wir wollen sie auch anschauen!«
»Ach, ihr lästigen Blagen«, lachte meine Tante, »was gibt’s an einer kaputten Armbanduhr schon zu gucken?« Aber sie nahm sie trotzdem vom Arm und reichte sie meinem Bruder. Mutter neben ihm stieß gleichzeitig aus: »Vorsichtig, Junge!«
Mein Bruder nahm die Uhr behutsam in die Hand und betrachtete sie eine Weile, um sie sich dann zum Horchen ans Ohr zu halten. Nach ihm war meine Schwester an der Reihe, nach ihr mein zweiter Bruder, doch kaum hatte der sie angeschaut, nahm sie ihm mein großer Bruder, noch bevor er sie ans Ohr halten konnte, wieder weg und gab sie der Tante zurück. Ich hatte sie gar nicht anschauen dürfen und bekam laut weinend einen Wutanfall.
Mutter schimpfte und Tante meinte: »Kleiner Renner, wenn du groß bist, ziehst du in die weite Ferne. Da kann es dir doch egal sein, wenn du keine Uhr am Arm trägst.«
»Willst du trotzdem eine Uhr tragen? Dann male ich dir morgen eine mit schwarzer Tusche auf deinen Arm«, sagte mein großer Bruder.
»Jeder weiß, dass man über einen Menschen nie nach seinem Äußeren urteilen soll. Stille Wasser sind tief! Denkt nicht, aus dem Kleinen Renner wird nichts, nur weil er hässlich ist. Vielleicht steht ihm eine große Zukunft bevor«, sagte meine Tante.
Meine Schwester meinte: »Bevor aus dem mal was wird, wird aus unserem Schwein ein Tiger.«
Mein Bruder fragte: »Gugu, woher kommt denn die Uhr? Welche Marke ist das?«
»Das ist eine Schweizer Enicar.«
»Wahnsinn!«, stieß mein Bruder hervor. Mein zweiter Bruder und meine Schwester schrien auch gleich: »Wahnsinn!«
Ich schrie wütend: »Fette Kröte!«
Mutter fragte: »Cousine, wie viel ist die denn wert?«
»Keine Ahnung, hat mir ein Freund geschenkt.«
»Welcher Freund schenkt dir so teure Sachen?« Mutter musterte ihre Cousine von der Seite. »Ist das dein Zukünftiger?«
Meine Tante erhob sich. »Es geht auf zwölf, wir sollten zu Bett gehen.«
Mutter sagte noch: »Dem Himmel sei Dank, Cousine, dass da nun doch noch der Richtige kommt.«
»Sag bloß nichts und verschwatz dich nicht! Das sind noch ungelegte Eier!« Die Tante wandte sich uns mit bittendem Blick zu: »Haltet auch ihr bitte dicht, sonst zieh ich euch das Fell ab!«
Am andern Morgen malte mir mein Bruder mit seinem Füller eine Uhr auf mein Handgelenk. Er hatte Gewissensbisse, weil er mir am vergangenen Abend Tantes Uhr nicht zum Anschauen herübergereicht hatte. Er malte sie täuschend echt, überaus hübsch. Ich liebte meine Uhr abgöttisch. Beim Waschen passte ich auf, dass sie nicht mit Wasser in Berührung kam. Wenn es regnete, versteckte ich mein Handgelenk im Ärmel. Als die Farbe verblasste, lieh ich mir seinen Füller und malte die Linien nach. Sie blieb drei Monate lang an meinem Arm.