11

Bevor es in den Operationssaal ging, sah Renmei sich mein Handgelenk an. Schuldbewusst sagte sie: »Renner ich hätte dich wirklich nicht beißen dürfen ...«

»Nicht so schlimm!«

»Tut es noch weh?«

»Nö, als hätte mich eine Mücke gestochen, mehr nicht.«

»Du kannst mich zurückbeißen!«

»Geht’s noch? Sei nicht kindisch!«

»Renner«, sie ergriff meine Hand, »was ist mit Yanyan?«

»Die ist zu Haus. Oma und Opa passen auf sie auf.«

»Hat sie auch gegessen?«

»Ja. Ich habe zwei Tüten Milchpulver besorgt und zwei große Pakete Butterkekse. Lotuswurzelspeise und Rousong-Fleisch habe ich auch gekauft. Mach dir keine Sorgen.«

»Yanyan sieht mehr dir ähnlich. Sie hat Schlitzaugen, meine doppelte Lidfalte hat sie nicht geerbt.«

»Stimmt. Wäre schöner, wenn sie dir ähneln würde, du siehst viel schöner aus als ich.«

»Die Leute sagen immer, die Mädchen ähneln den Vätern und die Jungen ähneln den Müttern.«

»Kann schon sein.«

»Diesmal ist es ein Junge. Ich weiß es genau. Ungelogen ...«

»Die heutigen Zeiten sind anders. Es ist gleichgültig, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist.« Ich sagte es absichtlich so leicht dahin. »Wenn ihr beide mir in zwei Jahren nach Peking folgt, suchen wir für unsere Tochter die allerbeste Schule aus. Wir werden sie gut fördern, damit sie sich zu einer herausragenden Persönlichkeit entwickeln kann. Eine gute Tochter ist viel besser als ein Sohn, der nichts allein zuwege bringt.«

»Renner ...«

»Was ist denn noch?«

»Als Xiao Unterlippe mich angefasst hat, waren wirklich die Kleider dazwischen!«

»Du bist mir ja eine«, lachte ich, »das hatte ich doch längst vergessen.«

»Die dicke gefütterte Steppjacke war dazwischen. Darunter hatte ich einen Pullover an, unter dem Pullover ein Hemd und darunter ...«

»Den Büstenhalter, stimmt’s?«

»An jenem Tag trug ich ihn nicht, weil ich ihn gewaschen hatte, ich trug ein Unterhemd unter dem Hemd.«

»Ist ja gut, ich will den Unsinn gar nicht hören.«

»Dass er mich noch geküsst hat, war, weil es ihn plötzlich überkam. So sehr, dass er nicht mehr an sich halten konnte.«

»Ich will das nicht mehr hören, mir reicht’s. Ein Kuss, und wenn schon. Hatte sich wohl verliebt.«

»Ich habe mich nicht einfach so von ihm küssen lassen. Ich habe ihn dafür sofort in den Unterleib getreten. So dass er beide Hände draufhielt und in die Knie ging.«

»Beim Himmel, Unterlippe, der Pechvogel«, lachte ich. »Und mich? Warum hast du mich nicht getreten, als ich dich geküsst habe?«

»Er stinkt aus dem Mund! Anders als du, dein Mund schmeckt süß.«

»Das erklärt, dass du mir von Geburt an als meine Frau bestimmt bist.«

»Renner, ich bin dir wirklich sehr dankbar.«

»Dankbar? Wofür?«

»Ich weiß auch nicht.«

»Jetzt hört ihr mal mit dem Geturtel auf. Später könnt ihr weiter reden.« Tante streckte den Kopf aus dem OP und winkte Renmei zu: »Dann komm mal rein.«

»Renner!« Sie ergriff meine Hand.

»Hab keine Angst«, sagte ich, »die Tante sagt doch, es ist nur ein kleiner Eingriff.«

»Wenn wir wieder zu Hause sind, musst du mir ein Suppenhuhn kochen.«

»Mache ich, ich koche dir zwei!«

Bevor Renmei im OP verschwand, drehte sie sich nach mir um. Obenherum trug sie meine graue, kaputte Jacke. Ein Knopf war abgerissen. Man sah an der Stelle das Fadenende herabhängen. Untenherum trug sie eine blaue Hose. Die Hosenbeine waren voller Matsch, und an den Füßen trug sie Tantes alte, braune Lederschuhe.

Ich musste schlucken, in der Nase hatte ich dieses stechende Gefühl, das man hat, wenn man weinen muss. Ich fühlte mich so leer. Ich saß auf der dreckigen, staubigen Holzbank auf dem Flur und hörte aus dem OP das metallene Klappern der Instrumente. Ich stellte mir die Instrumente vor und hatte sie so lebendig vor Augen, dass ich spürte, wie mir der helle Lichtstrahl des Metalls in die Augen stach und ich ihre eiskalte Temperatur auf der Haut fühlte. Aus dem Hinterhof der Krankenstation hörte man fröhliches Kinderlachen. Ich erhob mich und sah vorm Fenster einen drei, vier Jahre alten kleinen Jungen zwei zu Luftballons aufgeblasene Kondome hochhalten. Er rannte vorneweg, zwei Mädchen im selben Alter rannten ihm hinterher.

Tante kam plötzlich aus dem OP gelaufen und rief mir in heller Aufregung zu: »Welche Blutgruppe hast du?«

»Blutgruppe A.«

»Und sie?«

»Wie? Wen meinst du?«

»Na wen wohl?« Sie grollte. »Deine Frau!«

»Wahrscheinlich Null, aber vielleicht auch nicht. Ich weiß es nicht ...«

»Verdammte Scheiße!«

»Was ist mit ihr?« Ich sah das hellrote Blut an Tantes Arztkittel. Mein Hirn war wie leergefegt.

Tante verschwand wieder im OP und schloss die Tür. Ich presste mein Gesicht auf den Türspalt, konnte aber nichts erkennen. Ich hörte auch Renmeis Stimme nicht. Nur das Schreien von Shizi, die das Kreiskrankenhaus anrief und den Rettungswagen bestellte.

Ich stieß mit voller Kraft gegen die Tür, bis sie sich öffnete. Ich sah Renmei, sah Tante mit einem hochgekrempelten Ärmel und Shizi, die ihr mit einer Riesenspritze Blut aus diesem Arm abnahm, ich sah Renmeis Gesicht, weiß wie ein Blatt Papier ...

»Renmei! Renmei, halte durch!«

Eine Schwester schob mich hinaus. Ich wehrte mich: »Lass mich rein. Du verdammte Scheißkuh, lass mich rein!«

Ein paar Männer in Arztkitteln kamen den Flur entlang gerannt. Ein Arzt mittleren Alters, streng nach Zigaretten und Desinfektionsmittel riechend, drückte mich wieder auf die Holzbank. Er reichte mir eine Zigarette, gab mir Feuer.

»Nur keine Panik! Der Rettungswagen des Krankenhauses kommt sofort. Deine Tante hat ihr mehr als einen halben Liter von ihrem eigenen Blut übertragen – es sollte keine größeren Komplikationen geben.«

Der Rettungswagen kam mit heulendem Martinshorn. Wie tausend Schlangen bohrte sich die Sirene in meinen Körper. Ein Mann im Arztkittel mit Arztkoffer. Ein Mann im Arztkittel mit Brille und Stethoskop. Noch mehr Männer in weißen Kitteln. Frauen in weißen Kitteln. Männer mit einer zusammenklappbaren Tragbahre. Männer, die im OP verschwanden. Andere, die auf dem Flur stehen blieben. Sie bewegten sich schnell und behende, doch ihre Gesichter zeigten keinerlei Regung. Keiner achtete auf mich. Nicht mal ein flüchtiger Blick streifte mich. Ich fühlte einen strengen Blutgeschmack im Hals.

Die Männer im Arztkittel kamen gemächlich aus dem OP, einer nach dem anderen stiegen sie wieder in den Rettungswagen. Zuletzt packten sie auch die Tragbahre wieder ein.

Ich drückte die Tür zum OP auf und sah ein weißes Laken, das Körper und Gesicht meiner Frau bedeckte. Meine Tante saß, am ganzen Leib voll mit Blut, deprimiert auf einem Klappstuhl. Kleiner Löwe und die anderen standen da wie die Salzsäulen. Meine Ohren hörten nichts mehr. Stille. Kein Ton. Dann waren da zwei Bienen, die laut zu summen begannen.

»Tante«, sagte ich, »du hast doch behauptet, es sei alles in Ordnung.«

Mit zusammengekniffenen Augen und krauser Nase hob sie den Kopf. Was für ein grässliches, grauenvolles Gesicht! Abrupt nieste sie geräuschvoll.



12

»Schwägerin, Bruder.« Tante stand im Hof und sprach mit steifer Stimme: »Ich komme, um meine Schuld einzugestehen und bitte um Bestrafung.«

Renmeis Urne hatte man mitten im Raum auf einem eckigen Tisch aufgestellt. Vor der Urne stand eine weiße, mit Weizenkörnern gefüllte Schale. Im Weizen steckten drei Räucherstäbchen, über denen in Spiralen duftender Qualm aufstieg. Ich trug Uniform, an die Schulter hatte ich ein Stück schwarze Gaze geheftet. Ich saß mit meiner Tochter auf dem Arm neben dem Tisch. Sie trug Trauerkleidung ersten Grades und hatte einen weißen, aus Rupfen gefertigten Kapuzenumhang um. Unentwegt hob sie ihr Gesichtchen und fragte mich:

»Papa, was ist denn da in dem Krug drin?«

Ich fand keine Worte, um ihr zu antworten, die Tränen rannen mir nur immerfort herab und flossen über meine Bartstoppeln.

»Papa, wo ist meine Mama? Wo ist meine Mama hin?«

»Deine Mama ist nach Peking gefahren. In ein paar Tagen fahren wir auch nach Peking.«

»Kommen Opa und Oma auch mit?«

»Ja, alle fahren hin.«

Vater und Mutter waren im Hof und sägten. Sie sägten ein Weidenbrett. Das Brett war an einer langen Bank festgebunden. Vater stand und Mutter saß, während sie auf und ab und hin und her sägten, ritsch, ratsch, ritsch, ratsch. Das Sägemehl sah man in der Sonne in alle Richtungen wegfliegen.

Ich wusste, dass sie Weidenholz für Renmeis Sarg sägten. Obwohl in unserer Gegend bereits Feuerbestattungen9 vorgeschrieben waren, gab es keinen Ort, den man uns für die Aufbewahrung der Urne zugewiesen hätte. Also beerdigten die Leute ihre Urnen, wenn sie sie in Empfang genommen hatten, und türmten ein Grab darüber auf. Familien, die Geld hatten, ließen einen Sarg zimmern, in den sie die Asche einfüllten. Die Urne zertrümmerten sie. Familien, die arm waren, bestatteten die Urne.

Ich sah meine Tante mit hängendem Kopf dastehen. Ich sah die von Trauer gezeichneten Gesichter meiner Eltern, sah sie mechanisch sägen. Ich sah die Leute, die mit meiner Tante gekommen waren, den Kommuneparteisekretär, Kleiner Löwe, drei weitere Kommunekader, die ein paar Pakete mit bunten Naschereien neben dem Brunnen abstellten. Neben den Paketen mit Naschwerk gab es noch ein triefendes Bündel, das einen strengen, salzigen Geruch verströmte. Ich wusste, es war ein Paket Klippfisch.

Niemand hatte mit dem gerechnet, was geschehen war. Die Spezialisten vom Kreiskrankenhaus waren bereits dagewesen und hatten ein Sachverständigengutachten erstellt, aus dem hervorging, dass Leiterin Wan in allen Punkten vorschriftsmäßig vorgegangen sei. Dass auch nichts unterlassen worden sei. Dass auch alle Rettungsmaßnahmen richtig erfolgt seien. Dass Leiterin Wan noch dazu mehr als einen halben Liter ihres eigenen Blutes gespendet und Renmei übertragen habe. Das Geschehene bedauerten sie sehr. Es sei sehr schmerzlich ...

»Hast du keine Augen im Kopf?«, platzte es wütend aus meinem Vater heraus. »Da habe ich einen Strich gezogen. Den siehst du doch wohl!«, fuhr er meine Mutter an. »Jetzt ist der Sägeschnitt fast zwei Zentimeter drüber. Das siehst du doch, du Transuse!«

Mutter kam vom Boden hoch und verschwand laut weinend im Haus.

Vater schmiss die Säge hin und beugte sich über den Wasserbottich, um sich ein paar Kellen Wasser zu schöpfen, die er sich über den Nacken goss. Das kühle Wasser plätscherte über sein Kinn, über seinen Hals, über die Brust und mischte sich mit dem Sägemehl. Dann trank er und schnappte sich die Säge, um alleine weiterzusägen.

Der Kommuneparteisekretär und seine Kader verschwanden im Haus, um vor der Urne Renmeis drei tiefe Verbeugungen zu machen.

Jeder der drei Kader legte einen braunen Briefumschlag auf die Anrichte neben dem Herd.

Der Parteisekretär sprach zu meinem Vater: »Genosse Wan Fuß, wir wissen wohl, dass kein Geld der Welt diesen furchtbaren Verlust mildern kann, den deine Familie erlitten hat. Diese fünftausend Yuan sollen nur ausdrücken, dass wir Anteil an eurem Schmerz nehmen.«

Ein anderer Kader, auch so ein Parteisekretär, sagte: »Vom Staat kommen dreitausend, die übrigen zweitausend haben die Kommuneleiter selber dazugelegt.«

»Nehmt das Scheißgeld weg«, sagte ich, »wir brauchen das nicht.«

»Wir können dein Leid nachvollziehen«, sagte der Parteisekretär bitter. »Was einmal gestorben ist, wird nicht wieder lebendig! Und die Lebenden sind auch noch zur Revolution in Permanenz verpflichtet.10 Vorsitzende Yang hat aus Peking angerufen. Sie hat ihrer Trauer für die kleine Wang Ausdruck verliehen, und sie bittet mich, den Hinterbliebenen der Verstorbenen ihr Beileid auszusprechen. Und sie hat dir deinen Urlaub um zwei Wochen verlängert, damit du das Begräbnis abwickeln und Vorkehrungen zu Hause treffen kannst. Erst dann kommst du zurück zur Truppe«, so sprach der Parteisekretär zu mir.

Ich sagte nur: »Danke, ihr könnt gehen.«

Er und seine Kader machten vor der Urne noch einen Diener und verließen gebückt das Haus.

Ich sah ihren Beinen zu, sah ihren fetten oder spargeldürren Ärschen zu, und mir kamen wieder die Tränen.

Durch die Gasse schallten das erbärmlich laute Weinen einer Frau und das grimmige Schimpfen eines Mannes. Ich wusste, meine Schwiegereltern waren auf dem Weg zu mir.

Mein Schwiegervater kam mit einer Mistgabel in der Hand, wie wir sie zum Heuwenden auf der Tenne verwenden, und brüllte wie besessen: »Ihr Hurensöhne, Bastarde, ersetzt mir meine Tochter!«

Die Schwiegermutter schwenkte mit den Armen und trippelte auf ihren kleinen Lilienfüßen, als wolle sie sich auf meine Tante stürzen. Aber sie stolperte und fiel. Sie blieb sitzen und trommelte mit den Händen auf den Boden: »Meine liebe, arme, arme Tochter! Wie konntest du so von uns gehen! Du stirbst und lässt uns allein zurück!«

Der Parteisekretär kam auf sie zu: »Ehrwürdige Wangs, wir wollten uns gerade auf den Weg zu euch machen. Dieses Unglück, das da geschehen ist! Wir sind bestürzt und unsäglich traurig ...«

Schwiegervater stieß die Mistgabel mit dem Stiel in den Boden und brüllte wie rasend: »Zeig dich, du Scheißkerl!«

Ich ging mit meiner Tochter auf dem Arm zu ihm, sie presste sich an mich und hielt meinen Hals mit beiden Ärmchen fest umschlungen. Ihren Kopf versteckte sie in meiner Halsbeuge.

»Vater«, ich stand vor ihm, »Vater, schlagt mich.«

Mein Schwiegervater riss die Gabel in die Höhe und holte aus. Aber seine Hand stockte. Ich sah Tränen von seinem weißen Bart tropfen. Die Knie knickten ihm ein, er kniete am Boden.

»Einen gesunden, blühend im Leben stehenden Menschen ...«, er schleuderte die Mistgabel weg und weinte laut schluchzend am Boden kniend, »... einen lebendigen, wunderbar lebendigen, gesunden Menschen bringt ihr zu Tode, ihr Vermaledeiten! Ihr schamlosen Sünder! Fürchtet ihr Pack die Strafe der Vorsehung nicht?«

Meine Tante ging zu den beiden hin und stellte sich mit hängendem Kopf zwischen meinem Schwiegervater und meiner Schwiegermutter auf: »Schwager und Schwägerin, es ist nicht Renners Schuld. Mich müsst ihr beschuldigen.« Sie hob den Kopf und sprach weiter: »Beschuldigt mich, dass ich nicht geprüft habe, ob die Empfängnis verhütenden Spiralen den Frauen im gebärfähigen Alter auch richtig eingepasst wurden und an Ort und Stelle blieben. Schiebt mir die Schuld dafür zu, dass ich nicht daran gedacht habe, dass ein Hundesohn wie Yuan Backe sich die Technik aneignen könnte, den Frauen die Spiralen zu entfernen. Beschuldigt mich, dass ich Renmei nicht ins Kreiskrankenhaus geschickt habe, damit die Abtreibung dort gemacht wurde. Jetzt warte ich darauf, wie mein Vorgesetzter die Sache abwickelt.«

Beim letzten Satz blickte sie zum Parteisekretär hinüber.

»Fazit ist, so haben wir bereits festgestellt«, ergriff der das Wort, »dass Leiterin Wan keinen Fehler begangen hat. Ehrwürdige Wangs, wir werden eure Schadensersatzansprüche prüfen, aber so viel steht fest: Es ist ein unvorhergesehener Fehler aufgetreten, der auf den besonderen körperlichen Zustand eurer Tochter zurückzuführen ist. Auch wenn sie im Kreiskrankenhaus operiert worden wäre, es wäre auf das Gleiche hinausgelaufen. Und ich möchte an dieser Stelle noch einmal deutlich machen«, er erhob die Stimme vor den Anwesenden und den nun zahlreich aus der Gasse herbeiströmenden Dörflern, »die Geburtenplanung gehört zur grundlegenden Staatspolitik. Sie wird keinesfalls wegen eines unvorhergesehenen Unglücksfalls aufgegeben. Alle illegal schwangeren Frauen müssen sich aus eigenem Antrieb hier melden und eine Abtreibung vornehmen lassen. Wer die Ziele der Politik der Geburtenplanung durchkreuzt, wird schwerste Strafen zu erdulden haben.«

»Dich bring ich auch um«, kreischte meine Schwiegermutter hysterisch und zog aus ihrem Hemdausschnitt eine Schere, die sie meiner Tante in den Schenkel rammte. Meine Tante drückte sofort ihre Hand auf die Wunde, aber das Blut spritzte zwischen ihren Fingern hindurch.

Die wenigen Kommunekader, die zur Begleitung mitgekommen waren, stürzten sich sofort auf meine Schwiegermutter, rissen ihr die Schere aus der Hand und drückten sie brutal auf den Boden.

Kleiner Löwe kniete bereits neben meiner Tante und legte ihr mit dem Verbandszeug aus dem Arztkoffer einen strammen Druckverband an.

Der Parteisekretär rief: »Ruft schnell einen Unfallwagen!«

»Nicht nötig!«, entgegnete Tante, »Schwägerin! Ich habe deiner Tochter mehr als einen halben Liter Blut gespendet. Jetzt hast du mir die Schere ins Bein gerammt. Wenn wir Blut mit Blut begleichen, sind wir jetzt quitt.«

Bei jeder Bewegung quoll das Blut aus ihrem Verband. Wutentbrannt brüllte der Parteisekretär: »Wie kannst du altes Weib so etwas wagen! Wenn Leiterin Wan ernsthaft verletzt ist, kannst du die rechtlichen Konsequenzen tragen!«

Schwiegermutter sah das blutüberströmte Bein meiner Tante und bekam es wohl mit der Angst. Sie bearbeitete den Boden wieder mit ihren Fäusten und heulte lautstark.

»Hab mal keine Angst, Schwägerin. Auch wenn ich jetzt an Wundstarrkrampf sterbe, wirst du keine Konsequenzen tragen. Ich bin dir sogar dankbar! Der Scherenstich lässt mich meine Schuldgefühle leichter ertragen und gibt mir neuen Glauben.« Dann drehte sich meine Tante zur Menge der Schaulustigen: »Bestellt Chen Nase und Wang Galle, sie sollen freiwillig zu mir in die Krankenstation kommen. Tun sie das nicht«, die Tante schwenkte drohend ihre blutverschmierte Hand, »können sie meinetwegen ein Grab öffnen und sich im Sarg verstecken. Ich werde sie überall ausfindig machen und herschaffen.«

Загрузка...