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Verehrter Freund, der 7. 7. 1979 ist mein Hochzeitstag. Meine Braut Wang Renmei war meine Klassenkameradin aus der Grundschule. Sie hatte die langen Beine mit mir gemein, wir beide hatten Kranichbeine. Immer wenn ich ihre langen Beine sah, pochte mein Herz wie verrückt. Mit achtzehn traf ich sie am Brunnen, als ich mit dem Tragjoch Wasser holen ging. Ihr Eimer war ihr hinein gefallen, und sie lief aufgeregt im Kreis. Ich kniete mich auf den Brunnenrand, um ihr den Eimer wieder herauszuholen. An jenem Tag hatte ich Glück, mit einem Griff kriegte ich ihn zu packen und fischte ihn heraus. Sie rief voller Bewunderung: »Renner, das ist toll! Du bist ja ein Spezialist im Rausfischen von Eimern!«
Damals durfte sie an der Grundschule Vertretungsstunden für den Lehrer geben. Sie gab Sportunterricht. Sie war eine hoch aufgeschossene Bohnenstange, mit langem Hals, zierlichem Kopf und zwei geflochtenen Zöpfen, die ihr den Rücken hinunterbaumelten.
»Renmei, ich will dir was erzählen«, stotterte ich.
»Was denn?«
»Wang Galle und Chen Nase gehen miteinander. Wusstest du das?«
Erst zuckte sie zusammen, dann lachte sie los.
»Renner, da redest du ausgemachten Unsinn. Wie sollte wohl eine so kleine Person wie Galle mit diesem Ausländerross Nase zusammen sein? Das passt doch gar nicht!«
Dann aber platzte es plötzlich aus ihr heraus, sie bog sich vor Lachen und errötete übers ganze Gesicht, als hätte sie sich etwas Bestimmtes vorgestellt.
Todernst erwiderte ich: »Es stimmt. Wenn ich nicht die Wahrheit sage, will ich mich sofort in einen Hund verwandeln. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.«
»Was hast du gesehen?«, fragte Renmei jetzt, worauf ich ihr zuraunte: »Wenn ich es dir erzähle, darfst du aber nichts weitersagen. Als ich gestern aus dem Zimmer des Arbeitspunktekontrolleurs kam, ging ich an der Tenne vorbei, an dem Strohhaufen. Dahinter habe ich Flüstern und leises Kichern gehört. Ich habe mich heimlich herangepirscht, mein Ohr an den Strohhaufen gehalten und gehorcht. Ich habe gemerkt, dass Nase und Galle da drinnen steckten und miteinander turtelten. Ich hörte Galle sagen: ›Bruderherz Nase, verlass dich drauf: Auch wenn ich so klein bin, fehlt mir nichts, und ich kann dir bestimmt einen großen Sohn gebären.‹«
Renmei bog sich wieder, weil sie einen Lachanfall bekam. Ich fragte sie: »Willst du weiterhören oder nicht?«
»Klar doch. Nun sag schon! Was haben die sonst noch gemacht?«
Ich sagte: »Dann haben sie sich wohl gegenseitig auf den Mund geküsst.«
»Völliger Unsinn. Das kann doch gar nicht angehen!«
»Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich lüge? Wenn ich dich hinters Licht führen wollte, würde ich mir schon was Besseres ausdenken.«
»Wie haben die das mit dem Küssen geschafft?«
»Na wie schon ... Nase hat Galle in den Arm genommen, besser gesagt auf den Arm, wie man ein kleines Kind auf den Arm nimmt. Und dann hat er sie geküsst, so viel und so lange, wie er wollte.«
Wang Renmei wurde rot: »Renner, du bist ein ganz verdorbener Lump! Und Nase ist genauso ein verdorbener Lump!«
Ich sagte zu ihr: »Wang Renmei, können wir beide, wo doch Nase und Galle schon ein Liebespaar sind, Freundschaft schließen?«
Sie stutzte, dann lachte sie hell: »Wieso möchtest du mit mir befreundet sein?«
»Weil wir beide lange Beine haben. Meine Tante sagt, wenn wir beide heiraten würden, bekämen unsere Kinder bestimmt lange Beine. Wir könnten unser langbeiniges Kind trainieren, damit es Weltmeister wird.«
Sie lachte: »Deine Tante ist ja witzig! Sie ist nicht nur für die Sterilisationen zuständig, sondern auch noch für die Heiratsvermittlung!«
Sie schulterte die Tragestange mit den Wassereimern und ging. Mit Riesenschritten, die Tragestange federte und die zwei Eimer hüpften auf und ab, als würde sie jeden Moment abheben und losfliegen.
Später ging ich zum Militärdienst und verließ mein Dorf. Wieder ein paar Jahre später hörte ich, dass sie sich mit Xiao Unterlippe verlobt hatte, der damals in der Mittelschule für Landwirte als Aushilfslehrer Sprachen unterrichtete. Er hatte einen Essay mit dem Titel Lobpreis auf die Kohle geschrieben, der im Feuilleton der Shandonger Tageszeitung Dazhong Daily erschien und bei uns in Nordost-Gaomi großes Aufsehen erregte. Diese Nachricht hatte mir ganz schön zu denken gegeben. Denn diejenigen von uns, die damals Kohlen gegessen hatten, hatten keine Hymne auf die Kohle geschrieben. Er dagegen, der sie verschmäht hatte, schrieb den Lobpreis auf die Kohle. Da war Renmeis Wahl wohl genau richtig.
Als Xiao Unterlippe die Universitätseintrittsprüfungen bestand, zündete sein Vater Oberlippe zur Feier drei Böllerschlangen mit jeweils tausend Chinakrachern, und er bestellte ein Filmvorführteam, das auf dem Schulhof unserer Grundschule eine Leinwand aufhängte und drei Abende lang Filme vorführen musste. Er war unerträglich arrogant, anmaßend, dünkelhaft ...
Damals kam ich gerade aus dem Chinesisch-Vietnamesischen Krieg, dem sogenannten Selbstverteidigungskrieg. Ich hatte »Verdienste dritter Klasse« errungen und wurde von da an offiziell als Berufsoffizier eingesetzt. Von allen Seiten wurden Heiratsanträge an mich herangetragen, wurden Bräute vorgeschlagen, die für mich in Frage kämen.
Gugu sagte: »Renner, ich werde dir ein feines Mädchen vorstellen. Ich garantiere, dass sie deinen Ansprüchen genügt.«
Mutter fragte: »Wer ist es denn?«
»Es ist meine Gehilfin Shizi«, sagte die Tante.
»Schwägerin, das Mädchen ist doch schon über dreißig!«
»Nein, sie ist gerade mal dreißig.«
»Aber Renner ist erst sechsundzwanzig.«
»Es ist besser, wenn die Frau etwas älter ist, die älteren kümmern sich besser.«
Ich erklärte meiner Tante, sie sei bestimmt gut genug für mich, aber Wang Leber sei schon fünfzehn Jahre lang in sie verliebt. Ich könne meinem besten Freund doch nicht die Braut ausspannen.
»Leber? Das ist doch wohl zu hoch gegriffen! Als wollte eine Unke Schwanenfleisch essen! Und wenn sie gar keinen heiratet, aber den wird sie nicht zum Mann nehmen! Sein Vater kommt alle Tage am Stock zu mir ins Krankenhaus gehumpelt, um wegen dieser Angelegenheit mit mir zu streiten. Seit Jahren ruiniert er systematisch meinen guten Ruf. Er hat mich inzwischen achthundert Yuan für Stärkungsmittel gekostet.«
»Na, der markiert aber auch ein wenig.«
Gugu war sofort in Rage: »Nicht bloß ein wenig, er markiert komplett. Der presst mir Geld ab und rennt damit zum Markt, um sich den Bauch mit Schmorfleisch vollzuschlagen und sich mit Branntwein volllaufen zu lassen. Ist er betrunken, jagt er über den Markt, den Rücken gerade wie eine Eins und flink wie ein Wiesel. Warum begegnen mir immer solche Pfeifen? Und dann erst dieser Bastard Oberlippe. Während der Kulturrevolution lyncht er mich fast zu Tode, und jetzt kommt er als herzensguter Großvater daher, ein Müßiggänger, der mit dem Palmblattfächer wedelt. Und man hört, sein Sohn habe die Aufnahmeprüfungen der Universität bestanden. Früher hatten wir eine Redensart: Gutes wird mit Gutem vergolten und Böses mit Bösem. Und jetzt? Guten Menschen widerfährt nichts Gutes, doch den Bösen wohl.«
Mutter warf ein: »Das Gesetz von Ursache und Wirkung existiert, aber es ist eben noch nicht so weit.«
Tante fragte: »Wann ist es denn so weit? Mein Haar ist längst grau.«
Als meine Tante gegangen war, sagte meine Mutter seufzend: »Im Leben deiner Tante läuft wirklich gar nichts glatt.«
»Die Leute erzählen, Yang Lin hätte Gugu später noch mal besucht, stimmt das?«, fragte ich.
»Ja, deine Tante behauptet, er sei wieder bei ihr vorbeigekommen. Ich habe gehört, dass er inzwischen Bezirkskommissar geworden ist und in einer großen Limousine chauffiert wird. Er hat sie um Verzeihung gebeten und erklärt, er wolle sie immer noch heiraten und seine Fehler während der Kulturrevolution sühnen. Deine Tante lehnte aber sofort und ohne zu überlegen ab.«
Als wir gerade wegen Gugus Herzensangelegenheiten ins Seufzen kamen, stürzte Renmei mit Riesenschritten zur Tür herein. »Verehrte Tante, ich habe gehört, Renner hat Großes geleistet und ist nun zurück, um sich eine Frau zu suchen. Würde ich Euren Ansprüchen genügen?«
»Aber mein Mädchen, du bist doch längst in festen Händen?«, gab meine Mutter zurück.
»Ich habe mit Unterlippe Schluss gemacht.«
»Der trennt sich, nachdem er die Aufnahmeprüfung für die Universität geschafft hat? Der ist ja so ein ehrloser Betrüger wie Chen Shimei7!«, empörte sich meine Mutter.
»Nicht er, sondern ich habe die Beziehung beendet. Was ist schon dabei, wenn man es auf die Universität schafft? Dieser Angeber mit seinen Böllern und dem Freiluftkino auf dem Markt ist mir zu vorlaut. Da ist mir Renner lieber, er hat es zum Offizier gebracht und macht keine große Sache daraus. Wenn er zu Hause ankommt, geht er gleich zum Arbeiten aufs Feld.«
»Renmei, eine Verbindung mit Renner und unserer Familie wäre nicht standesgemäß«, gab Mutter zu bedenken.
»Verehrte Tante, diese Angelegenheit können wir so nicht endgültig klären. Da müssen wir Renner fragen. Renner, möchtest du mich zur Frau haben und soll ich für dich einen Weltmeister zur Welt bringen?«
Ich warf einen Blick auf ihre Beine und sagte: »Das will ich!«