Erster Aufzug

Vor der Chinesisch-Amerikanischen Mutter-und-Kind-Klinik. Am Haupteingang der Klinik fällt auf, dass alles prächtig hergerichtet ist. Regierungsvertreter scheinen vor Ort zu sein oder erwartet zu werden. Am marmornen Portal des Haupteingangs fällt am linksseitigen Torbogen der Zufahrt das Namensschild der Klinik ins Auge.

Rechts vom Portal und dem Hauptkliniktor ist eine überdimensionale Hinweistafel zu sehen. Diese Tafel zeigt ein Kaleidoskop aus einigen hundert Fotos von Säuglingen in allen möglichen Posen.

Ein Wachmann in grauer Uniform steht kerzengerade, eine Hand an der Hosennaht, die andere zum militärischem Gruß erhoben, links neben der Auffahrt des Haupteingangs, über die sich große Luxuslimousinen wie eine nicht enden wollende Schlange auf das Krankenhausgelände hinauf- und wieder hinunterschieben. Weil der Wachmann den militärischen Gruß übertrieben ausführt, ist die Ernsthaftigkeit dahin und er wirkt lächerlich.

Ein wagenradgroßer Mond geht strahlend am Himmelszelt auf. Hinter dem Vorhang hört man Böllerschüsse. In kurzer Abfolge werden Feuerwerksraketen abgefeuert, die den Himmel bunt erleuchten.

WACHMANN: (holt sein Handy aus der Jackentasche und liest eine SMS, kann ein amüsiertes Lachen nicht zurückhalten)

Hihihi ....

(sein Schichtführer kommt leise herbei)

SCHICHTFÜHRER: (steht unauffällig hinter dem Wachmann und sagt mit gedämpfter Stimme, aber insistierend, streng)

Li Jiatai, worüber lachst du?

(merkt, dass etwas auf seinen Fuß gesprungen ist)

Es geht doch längst auf den Herbst zu. Wie kommt es, dass es hier immer noch so viele Frösche gibt? Sag schon, worüber lachst du?

WACHMANN: (überwindet seinen Schrecken, nimmt mit fliegenden Händen Haltung an)

Ich melde meinem Gruppenführer: Auf Grund erhöhter Erderwärmung kommt es zum Treibhauseffekt. Ich lache gar nicht ...

SCHICHTFÜHRER: Wenn es nichts zu lachen gibt, was lachst du dann?

(schüttelt den Frosch ab, der auf seinen Fuß gehopst ist)

Was hat das nun wieder zu bedeuten?

(mit Blick auf den Frosch)

Kriegen wir wieder ein Erdbeben? Sag jetzt, warum du lachst! Das ist ein Befehl!

WACHMANN: (blickt wachsam um sich, als niemand zu sehen ist, sagt er lachend)

Vorarbeiter, der Witz hier ist zu gut ...

SCHICHTFÜHRER: Ich habe doch deutlich Anweisung gegeben, dass während der Arbeitszeit das Verschicken von SMS verboten ist!

WACHMANN: Ich melde meinem Gruppenführer, ich habe keine SMS verschickt, ich habe nur einige gelesen.

SCHICHTFÜHRER: Ist das nicht das Gleiche? Wenn Abteilungsleiter Liu das erfährt, stehst du auf der Straße.

WACHMANN: Egal. Ich will hier sowieso nicht mehr arbeiten. Der Chef der Froschzuchtfirma ist der Mann meiner Cousine. Meine Mutter hat diese längst gebeten, mal mit meinem Schwager zu besprechen, wann er mich zu sich in die Firma holt.

SCHICHTFÜHRER: (unwillig)

Es reicht. Hör mir mit deinen Cousinen auf. Davon werd ich ganz duselig. Wenn du dich beim Mann deiner Cousine verkriechen willst, hast du ja nichts zu befürchten. Ich bin drauf angewiesen, dass die mir hier den Napf füllen. Deswegen lass dir gesagt sein, dass es verboten ist zu telefonieren, und zwar Gespräche anzunehmen und selbst anzurufen, SMS zu verschicken und zu empfangen.

WACHMANN: (nimmt Haltung an, hebt die Rechte zum militärischen Gruß)

Jawohl! Gruppenführer!

SCHICHTFÜHRER: Nimm dich in Acht!

WACHMANN: (nimmt noch einmal Haltung an, hebt die Rechte zum militärischen Gruß)

Jawohl! Gruppenführer!

(kann das Lachen nicht zurückhalten) Hihihi ...

SCHICHTFÜHRER: Freundchen, hast du Hundepisse gesoffen? Oder geträumt, dass du ’ne reiche Frau abkriegst? Heraus mit der Sprache! Worüber lachst du?

WACHMANN: Ich lache ja gar nicht.

SCHICHTFÜHRER: (streckt die rechte Hand vor)

Her damit!

WACHMANN: Wie bitte?

SCHICHTFÜHRER: Du fragst? Das Handy sollst du hergeben!

WACHMANN: Gruppenführer, ich verspreche, dass ich nicht mehr draufschaue, in Ordnung?

SCHICHTFÜHRER: Laber nicht! Gibst du es mir jetzt? Wenn nicht, sage ich sofort dem Chef Bescheid.

WACHMANN: Gruppenführer, ich habe eine Liebesgeschichte am Laufen. Ohne Handy geht’s nicht.

SCHICHTFÜHRER: Als dein Vater mit deiner Mutter zusammengekommen ist, gab es nicht mal Telefon, und er hat sie trotzdem gekriegt. Nun schnell her damit!

WACHMANN: (muss sich geschlagen geben und händigt dem Schichtführer sein Handy aus)

Ich wollte gar nicht lachen. Die SMS war so lustig, dass es mir rausgerutscht ist.

SCHICHTFÜHRER: (nimmt das Handy und öffnet die Kurzmitteilungen)

Ich will wissen, was das war, das dich so zum Lachen gebracht hat.

»... um einen unschlagbaren Kurzstreckenläufer heranzuziehen, hat der Chinesische Sportverband auf höchster Ebene entschieden, dass der Champion über hundert Meter, Athlet Qian Leopard, und die Athletin Jin Reh, Champion im Langlauf, unverzüglich zu heiraten haben. Als Jin Reh neun Monate später im Krankenhaus ihr Kind zur Welt gebracht hat, fragt Qian Leopard: Ist es ein Mädchen oder ein Junge geworden? Der Arzt sagt: Ich habe es so schnell nicht erkennen können. Es ist sofort nach der Geburt abgedüst.«

SCHICHTFÜHRER: Für so einen Witz, bei dem einem die Zähne rausfallen, lohnt sich das Gelache? Jetzt lese ich dir mal ein paar gute Witze vor.

(will sein Handy hervorholen und lesen, da fällt ihm ein, dass sein eigenes Gerät und das des Wachmanns zusammen in seiner Jackentasche stecken)

Heute ist Mitteherbstfest. Unser Chef sagt, besonders an Festtagen muss man die Alarmbereitschaft verstärken.

WACHMANN: (streckt die Hand aus, öffnet sie, bereit, etwas entgegenzunehmen)

Mein Handy!

SCHICHTFÜHRER: Ich nehme es dir nur vorübergehend ab. Du kannst es wieder bei mir abholen, wenn du Feierabend machst.

WACHMANN: (bettelnd)

Gruppenführer, an so einem wichtigen Feiertag, an dem alle Familien vereint sind, alle sich verabreden, zusammen Mondkuchen essen, Böller zünden, Vollmondspaziergänge machen, sich alle Verliebten treffen und diesen Tag richtig ausnutzen ... Da stehe ich hier wie ein Pfosten, den man in die Erde gerammt hat, und darf nicht einmal meiner Freundin eine kleine SMS schicken? Selbst diese winzige Freude nimmst du mir?

SCHICHTFÜHRER: Fasel nicht! Konzentriere dich lieber auf die Arbeit. Behalte hier alles, alle Zugänge und Ausgänge, im Auge und im Ohr! Alle verdächtigen Personen sind anzuweisen, vor dem Tor zu bleiben, denn sie haben zum Klinikgelände keinen Zutritt.

WACHMANN: Nun ist es aber gut! Nimm das Gequatsche vom Chef nicht zu ernst! Heute ist Feiertag. Die Strauchdiebe und Verbrecher schieben auch ’ne ruhige Kugel und begehen das Mitteherbstfest.

SCHICHTFÜHRER: Mehr Ernsthaftigkeit bitte! Glaubst du, wir haben dich nur zum Spaß hierher gestellt?

(mit gedämpfter Stimme, geheimnisvoll)

In der Nacht auf das Chinesische Neujahr haben sich Terroristen hier Zutritt verschafft, (mit nuschelnder Stimme)

die sind in die Wöchnerinnenstation eingedrungen und haben dort acht Säuglinge entführt und als Geiseln genommen.

WACHMANN: O weh ...

SCHICHTFÜHRER: (geheimnisvoll)

Du weißt doch, dass die Zweitfrauen der Bonzen hier in den Krankenzimmern ihre Niederkunft erwarten?

WACHMANN: (neigt den Kopf, um besser zu verstehen)

SCHICHTFÜHRER: (flüstert noch leiser)

Dann verstehst du jetzt wohl? Präg dir das ein. Zwei schwarze Mercedes und ein blaugrüner Ferrari sind die Karren, die solchen Bonzen gehören. Wenn die hier auftauchen: Haltung annehmen und korrekt grüßen, aufmerksam sein, sie nicht aus den Augen lassen, da darf absolut nichts schiefgehen, da muss alles perfekt laufen.

WACHMANN: Zu Befehl, Gruppenführer!

(streckt die Hand aus)

Kannst du mir jetzt mein Handy wiedergeben?

SCHICHTFÜHRER: Das geht auf keinen Fall. Heute Abend steht einiges an: Nicht nur, dass die Frau von Geschäftsführer Jin wahrscheinlich ihr Baby bekommt, der Geburtstermin der Schwiegertochter von Parteisekretär Song soll auch der heutige Abend sein. Song fährt einen Audi A6, Kennzeichen 08858. Sperr deine Augen auf, ist das klar?

WACHMANN: (mault)

Können sich diese Karnickeljungen nicht einen anderen Tag für ihre Geburt aussuchen?

Meine Freundin sagt, wir werden heute Abend den größten Vollmond seit fünfundfünfzig Jahren haben.

(schaut zum Mond am Himmel, singt)

Wann hatten wir

einen solchen Vollmond,29

erhebe ich mein Glas und

frage den blauen Himmel.

Wann ...

SCHICHTFÜHRER: (ironisch)

Pass auf, dass du nicht anfängst zu flennen! Wenn du in der Schule fleißig auswendig gelernt hättest, bräuchtest du hier nicht den Wachmann zu machen.

(in Alarmbereitschaft)

Was ist das?

Chen Augenbraue trägt einen langen schwarzen Mantel, ihr Gesicht ist schwarz verhüllt, in der Hand hält sie ein kleines rotes Pullöverchen.

AUGENBRAUE: (schwankt wie betrunken)

Mein Baby ... mein Baby ... mein Baby ... Wo bist du? Mama sucht dich. Wo hast du dich versteckt, mein Kind?

WACHMANN: Die schon wieder! Die ist nicht richtig im Kopf.

SCHICHTFÜHRER: Scheuch sie weg!

WACHMANN: (nimmt Haltung an, die Hand zum militärischen Gruß erhoben)

Es ist mir nicht erlaubt, mich von meinen Arbeitsplatz zu entfernen!

SCHICHTFÜHRER: Ich gebe dir die strikte Anweisung, sie wegzuscheuchen.

WACHMANN: Ich halte hier Wache.

SCHICHTFÜHRER: Du musst den gesamten Bereich rund um den Haupteingang und den Zufahrtsbereich und dazu noch einen fünfzig Meter breiten Einzugsbereich kontrollieren und dort für Sicherheit sorgen.

WACHMANN: Wenn es am Zufahrtsportal zu verdächtigen Vorfällen kommt, sollte der diensthabende Torwachmann auf seinem Posten stehen, um Verdächtige, die sich Zutritt zum Haupttor verschaffen wollen, unerbittlich aufzuhalten und dann seinem Gruppenführer unverzüglich Meldung zu machen.

(er nimmt das Walkie-Talkie, das er am Gürtel trägt, in die Hand)

Gruppenführer, ich mache Meldung: Rechts vom Eingangsbereich habe ich unter der Reklametafel eine verdächtige Person entdeckt. Bitte blitzschnell und unverzüglich zu Hilfe kommen.

SCHICHTFÜHRER: Ach, fick deine Oma, du Scheißkerl.

Das Licht schwenkt zur großen Reklametafel der Klinik hinüber.

AUGENBRAUE: (mit Blick auf die Säuglingsfotos auf der Kliniktafel)

Kind, mein Kleines, Mama ruft dich. Hörst du mich? Spielst du mit mir Kuckuck, da bin ich? Hast du dich versteckt, mein Kleines? Du Schlingel! Du Schätzchen! Komm schnell hervor, Mama gibt dir die Brust. Wenn du nicht kommst, kommt das Hündchen und schnappt sie dir vor der Nase weg ...

(schaut zu den Fotos hoch und zeigt mit der Hand auf eines der Babybilder)

Willst du meine Milch trinken, Kleines? Nein, dir gebe ich sie nicht, denn du bist ja nicht mein Kind. Meines hat große Kulleraugen und eine doppelte Lidfalte. Deine Augen sind schmal wie ein Strich.

Du dort willst meine Milch? Du bist auch nicht mein Kind. Das Gesicht meines Kleinen ist rosigrot wie ein Äpfelchen. Du aber hast ganz gelbe Haut. Du bist noch weniger mein Kleines. Mein Baby ist ein Bübchen, ein kleines rundes Bübchen. Und du bist ein Mädchen. Kleine Mädchen sind nichts wert, die sind billiger.

(sachlich und sehr deutlich)

Einen Jungen gebären bringt fünfzigtausend Yuan, ein Mädchen nur dreißigtausend.

Ihr feudalistischen Missgeburten! Ihr Machos! Sind eure Mütter etwa keine Frauen? Und eure Großmütter, sind sie keine Frauen? Alles Jungs, keine Mädchen? Dann ist es mit unserer Welt doch aus und vorbei! Ihr hohen Funktionäre, ihr Intellektuellen, ihr eingebildeten Pappnasen. Versteht ihr nicht mal dieses allereinfachste Prinzip?

Wie? Du meinst, du bist mein Kind? Du kleines Karnickeljunges. Hast meine Milch gerochen, wie? Deswegen läuft dir so das Wasser im Munde zusammen?

(schnuppert, wie deutlich an den Nasenlöchern zu sehen ist)

Du führst mich an der Nase herum, kleiner Mümmelmann! Von mir kriegst du nichts! Ich sag dir eins: Auch wenn man mir die Augen verbindet, allein am Geruch erkenne ich mein Kind unter tausend anderen. Hat deine Mutter dir das nicht gesagt? Jedes Kind hat seinen eigenen Geruch! Wenn du die Brust willst, geh zu deiner Mama. Was mir noch einfällt, ihr Reiche-Leute-Kinder sagt ja nicht Mama, ihr sagt Mami, ihr sagt nicht die Brust geben, ihr sagt stillen. Hat deine Mami keine Milch? Das kann keine richtige Mama sein, wenn sie keine Milch für dich hat. Ihr predigt tagtäglich den Fortschritt. Ich finde, ihr seid nicht fortschrittlich, sondern im Gegenteil so rückschrittlich, dass eure Kinder nicht mehr durch die Scheide geboren werden und eure Brüste keine Milch mehr geben. Ihr lasst eure Arbeit von den Kühen und Ziegen machen. Die Kinder, die mit Kuhmilch großgezogen werden, haben einen Kuhmilchgeruch, die, die Ziegenmilch trinken, den Geruch von Ziegen. Nur die mit Muttermilch großgezogenen Kinder duften nach Mensch. Ach, ihr wollt meine Milch kaufen? Das schlagt euch aus dem Kopf! Meine Milch bekommt allein mein Kind zu trinken, da könnt ihr bergeweise Geld anschleppen, es interessiert mich nicht. Kind, komm schnell zu mir! Kommst du nicht, kommen diese Kinder hier und wollen sie dir vor der Nase wegschnappen.

Schau, wie gierig sie sind, sie haben die Mündchen schon aufgesperrt, hungrig sind sie. Ihre Mamis haben ihre Mich verkauft und sich dafür Schminke besorgt, die sie sich aufs Gesicht geschmiert haben; und Parfum, womit sie sich einsprühen. Das sind keine guten Mamas, wenn sie immer nur an die eigene Schönheit denken und ihnen die Gesundheit ihrer Kinder nicht wichtig ist. Mein Kleines, komm schnell zu Mama.

SCHICHTFÜHRER: (nimmt Haltung an, grüßt militärisch)

Gute Frau, sehen Sie, dass Sie sich hier auf dem Gelände einer Mutter-und-Kind-Klinik mit Wöchnerinnenstation befinden? Die Wöchnerinnen und ihre Kinder brauchen Ruhe. Verlassen Sie deshalb sofort unser Gelände und machen Sie hier keinen Lärm.

AUGENBRAUE: Wer bist du? Was machst du hier?

SCHICHTFÜHRER: Ich bin Wachmann.

AUGENBRAUE: Was macht man als Wachmann?

SCHICHTFÜHRER: Wir sorgen dafür, dass alles im Fluss bleibt, schützen die Sicherheit der staatlichen Organe und Behörden, der Schulen, der sozialen und wirtschaftlichen Einrichtungen, der Post, der Banken, der Warenhäuser, der Restaurants, der Bahnhöfe.

AUGENBRAUE: Ich kenne dich!

(lacht aus vollem Halse)

Du bist Backes Leibwächter. Man nennt dich seinen Hofhund!

SCHICHTFÜHRER: Es ist verboten, uns zu beleidigen. Ohne uns würde in unserer Gesellschaft das Chaos ausbrechen.

AUGENBRAUE: Du bist es, der mir mein Kind gestohlen hat! Ich erkenne dich, auch wenn du den Arztkittel und den Mundschutz ausgezogen hast!

SCHICHTFÜHRER: (panisch)

Gute Frau, halten Sie sich an die Wahrheit bei dem, was sie sagen. Passen Sie auf! Sonst zeige ich Sie wegen Verleumdung an.

AUGENBRAUE: Du meinst, ich würde dich nicht erkennen, wenn du die Kleider tauschst? Du denkst, in der Uniform des Sicherheitsdienstes bist du wieder ein guter Mensch? Du bist einer von Backes Hofhunden. Wan Herz, die alte Hexe, war meine Hebamme, sie hat mir mein Baby nur ganz kurz gezeigt.

(weint bitterlich)

Stimmt nicht, sie hat es mir überhaupt nicht zu sehen gegeben. Sie haben ein weißes Tuch über mein Gesicht gebreitet. Ich wollte mein Neugeborenes sehen, ich wollte es nur einmal sehen, aber sie haben es mir gestohlen, es mich nicht einmal anschauen lassen, aber ich habe sein Weinen gehört. Es weinte, weil es zu seiner Mutter wollte, es wollte mich auch sehen. Wo gibt es auf der Welt ein Baby, das seine Mutter nicht sehen wollte? Sie haben es mir mit Gewalt weggenommen. Ich weiß, dass es hungert, dass es meine Brust will. Ihr alle wisst das. Ihr alle wisst, wie wichtig die erste Milch der Mutter für das Baby ist. Ihr meint, ich habe keine Bildung. Doch! Ich weiß das. Ich habe das Beste, das mein Leib geben kann, in meine Brüste geleitet, auch den Knochenkalk, auch die Knochenmarksflüssigkeit, auch das Eiweiß aus dem Blut, die Vitamine aus meinem Fleisch, alles ist in meine Brüste geflossen. Wenn mein Kind meine Milch trinkt, ist es geschützt vor Erkältung, vor Durchfall, vor Fieber. Und es wächst schnell und gut und wird schön. Aber ihr habt es nicht einen Schluck von meiner Milch trinken lassen und es mir einfach fortgenommen.

(kommt auf ihn zu und zerrt am seinem Ärmel)

SCHICHTFÜHRER: Gute Frau, hier liegt eine Verwechslung vor. Sie irren sich. Jemanden, der Backe heißt, kenne ich nicht.

AUGENBRAUE: Natürlich leugnest du, ihn zu kennen! Ihr Verbrecher, Kriminelle, die hilflose Kinder stehlen, Kinderhändler, ihr Teufel! Ihr kennt mich nicht, aber ich kenne euch!

Nachdem ihr mir mein Kind gestohlen hattet, gabt ihr mir Schlaftabletten zu schlucken, damit ich einschlief. Als ich wieder aufwachte, habt ihr behauptet, mein Kind wäre gleich nach der Geburt gestorben, nicht wahr? Und ihr habt eine tote Katze, der ihr das Fell abgezogen hattet, vor meinen Augen geschwenkt, das sei der Leichnam meines Kindes, sagtet ihr mir. Verbrecherpack, mein Kind habt ihr geraubt, nicht einmal das Geld soll ich kriegen. Ihr sagt, für einen Jungen gibt es eigentlich fünfzigtausend, aber mein Kind sei tot gewesen, deshalb soll ich nur zehntausend bekommen. Dann wolltet ihr mir noch meine Vormilch rauben. Habt eine Schale unter meine Brüste gehalten, mir meine Vormilch rausgequetscht, einen Milliliter für zehn Yuan! Viehische Bande, meine Vormilch ist nur für mein Kind. Zehn Yuan? Nicht mal für zehntausend verkaufe ich die.

SCHICHTFÜHRER: Gute Frau, ich fordere Sie nun zum zweiten Mal auf, das Gelände zu verlassen. Sonst rufe ich die Polizei.

AUGENBRAUE: Die Polizei rufen? Ja, ruft die Polizei, ich will das auch! Die Volkspolizei liebt das Volk. Wenn im Volk ein Kind verloren geht, wird sie sich darum kümmern.

SCHICHTFÜHRER: Ja, darum kümmern die sich. Nicht nur, wenn du dein Kind vermisst, sogar deinen verlorenen Welpen suchen sie dir.

AUGENBRAUE: Gut. Dann gehe ich zur Polizei.

SCHICHTFÜHRER: Ja. Mach dich schnell auf den Weg.

(zeigt mit dem Finger in die Richtung)

Die Straße hoch, an der Ampel rechts. Neben der Tanzbar. Es ist die Wache an der Binhe Road.

Eine Limousine verlässt hupend das Krankenhausgelände.

AUGENBRAUE: (stutzt einen Augenblick lang, ruft dann wie aus dem Schlaf hochschreckend)

Mein Kind! Sie haben es mir weggenommen und in dieses Auto gesteckt.

(will sich auf das Auto stürzen)

Ihr Diebe, Verbrecher, gebt mir mein Kind zurück!

Der Schichtführer versucht sie aufzuhalten, aber auf einmal entwickelt Chen Augenbraue Bärenkräfte und wirft sich so heftig gegen ihn, dass er das Gleichgewicht verliert.

SCHICHTFÜHRER: (in Panik) Haltet sie auf!

Der Wachtmann am Eingangsportal stürzt vor und hält Chen Augenbraue fest, bevor sie das Auto erreicht hat. Augenbraue kämpft bis aufs Blut. Der Schichtführer kommt dazu. Beide Männer bringen sie mit vereinten Kräften unter Kontrolle. Während sie kämpft, löst sich der schwarze Schleier und rutscht von ihrem Kopf. Das entstellte Gesicht einer Schwerstbrandverletzten kommt zum Vorschein. Die beiden Wachmänner erschrecken und weichen zurück.

WACHMANN: Himmel, ich glaube es nicht ...

SCHICHTFÜHRER: (schaut zu Boden und sieht zahllose plattgefahrene und totgetretene Frösche)

Was für eine Scheiße! Woher kommen plötzlich diese vielen Frösche?

Ende des ersten Aufzugs

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