6
Die Truppenleitung zeigte mir ein Expresstelegramm, in dem zu lesen war, dass meine Frau Renmei mit dem zweiten Kind schwanger sei. Mein Vorgesetzter wies mich in strengem Ton an: »Du bist Parteimitglied! Kader obendrein! Du hast bereits den Nachweis ausgestellt bekommen, dass du bei einem Kind bleibst, du erhältst monatlich eine Sonderzulage auf deinen Sold, weil du nur ein Kind hast. Warum hast du es zugelassen, dass deine Frau ein zweites Mal schwanger geworden ist?«
Ich war wie vor den Kopf geschlagen und wusste nichts zu erwidern. Mein Vorgesetzter erteilte mir die Anweisung: »Fahr sofort nach Haus und setz die Abtreibung durch!«
Mein plötzliches Erscheinen versetzte meine Familie in Erstaunen. Mein zweijähriges Töchterchen hatte sich hinter meiner Mutter versteckt und schaute mich ängstlich an.
»Wo kommst du so plötzlich her?«, fragte Mutter besorgt.
»Bin auf Dienstreise und schau nur mal auf einen Sprung vorbei.«
»Yanyan, das ist dein Papa, ruf ihn schnell beim Namen! Sei brav!« Meine Mutter schob Yanyan zu mir hin: »Bist du nicht da, redet sie von nichts anderem als von dir. Aber wenn ihr Papa wirklich kommt, hat sie Angst. Na, so was!«
Ich streckte die Hand nach ihr aus und ergriff ihren Arm, wollte sie hochnehmen, aber sie weinte sofort laut.
Mutter seufzte schwer: »Tagein, tagaus sind wir bedrückt und fürchten, entdeckt zu werden, tun alles, um es geheim zu halten. Und nun ist das Geheimnis doch gelüftet worden.«
»Was ist hier eigentlich los?« Ich war völlig entnervt. »Renmei hat doch immer eine Spirale getragen.«
Meine Mutter sagte: »Sie hat es mir erst verraten, als es schon passiert war. Bevor du das letzte Mal auf Heimatbesuch hier warst, hat sie sich die Spirale von Backe entfernen lassen.«
»Von diesem Bastard Backe!«, entfuhr es mir böse. »Weiß der denn nicht, dass er sich strafbar macht?«
»Komm bloß nicht auf die Idee, ihn anzuzeigen! Renmei hat ihn immer wieder angebettelt, und er willigte erst ein, nachdem sie Galle zu ihm geschickt hatte, die ihn herzlich um diesen Freundschaftsdienst bat.«
»Viel zu gefährlich. Denk mal dran, Backe ist ein Sauschneider, und er erdreistet sich, Menschen die Spirale zu entfernen. Wenn da was passiert, was macht er dann?«
»Zu ihm gehen viele, hat mir Renmei erzählt. Und er ist sehr tüchtig«, flüsterte mir meine Mutter zu. »Er nimmt einen Metallhaken und fischt nur ein paar Mal. So einfach kann er eine Spirale herausziehen.«
»Was für eine Schamlosigkeit!«, erwiderte ich.
»Wo denkst du hin?« Meine Mutter hatte meinen Gesichtsausdruck bemerkt. »Galle ist mitgegangen. Als Backe die Spirale entfernt hat, hat er einen Mundschutz, eine Sonnenbrille und Gummihandschuhe getragen, und den Haken hat er zuvor mit Alkohol gereinigt und im Feuer glühend gemacht, um sicherzugehen, dass er keimfrei war. Renmei sagt, sie habe nicht mal die Hose ausziehen müssen, nur die Naht im Schritt ein Stück aufgetrennt.«
»Das meine ich nicht.«
»Renner, du weißt doch, dein Bruder hat einen Sohn, nur du hast keinen. Aber es ist mein Herzenswunsch, dass ihr beide einen habt«, sagte Mutter traurig. »Lass sie doch das Kind bekommen.«
»Ich will ihr das Kind nicht verbieten. Aber wer garantiert denn, dass es ein Junge wird?«
»Ich finde, es sieht nach einem Jungen aus, und«, sagte meine Mutter, »ich habe Yanyan gefragt, ob das Baby im Bauch ihrer Mama ein Schwesterchen oder ein Brüderchen ist. Und sie hat gesagt: Ein Brüderchen! Du weißt doch: Kindermund tut Wahrheit kund! Und wenn’s wieder ein Mädchen ist, hat Yanyan, wenn sie einmal groß ist, eine Stütze und ist nicht allein auf der Welt. Nur ein einziges Mädchen! Überleg mal, wenn ihr nun ein Unglück zustieße. Wer weiß, was das Schicksal uns bringt? Ich bin alt geworden. Wenn ich nun plötzlich nicht mehr bin? Wir Menschen können nichts wissen! Ich mache mir Gedanken, mein Sohn! Damit du glücklich wirst!«
»Mutter, in der Truppe kommt eine Disziplinarstrafe auf mich zu. Beim zweiten Kind wird man aus der Partei ausgeschlossen, man verliert den Arbeitsplatz. Die schicken mich wieder nach Hause, und ich muss Feldarbeit machen. Ich habe so viele Jahre dafür gekämpft, endlich nicht mehr Bauer sein zu müssen und von hier weg zu können. Das alles aufgeben? Nur um ein Kind zu bekommen? Ist es das wert?«
Mutter erwiderte: »Du meinst, Parteimitgliedschaft und Arbeitsplatz seien mehr wert als ein Kind? Was willst du in einer Welt ohne Menschen? Ohne die lebenden Menschen nützt dir auch die beste Position nichts. Da kannst du auf dem Stuhl neben dem Vorsitzenden Mao sitzen, aber wozu?«
»Der Vorsitzende Mao ist doch längst tot«, sagte ich.
»Du glaubst, das wüsste ich nicht? Als wenn ich das nicht wüsste! Das war doch nur ein Beispiel.«
Wir hörten das Knarren des Hoftors. Yanyan rief sofort mit hohem Stimmchen: »Mama, Mama, mein Papa ist wieder da.«
Ich sah meiner Tochter zu, wie sie auf ihren wackeligen kleinen Beinchen auf Renmei zurannte. Ich sah, dass Renmei meine graue Joppe trug, die ich immer angehabt hatte, bevor ich ins Militär eintrat, und ich sah, dass ihr Bauch sich schon wölbte. Sie hatte in der Armbeuge ein in roten Stoff eingeschlagenes Bündel, daraus lugten bunte Stoffzipfel hervor. Sie bückte sich, um unser Töchterchen auf den Arm zu nehmen, und lächelte aufgesetzt, als sie betont freundlich sagte: »Renner, welche Überraschung! Warum bist du zurück?«
»Warum hätte ich denn nicht kommen sollen? Wo du doch so was Schönes angestellt hast!«, sagte ich kühl.
Ihr von Pigmentflecken übersätes Gesicht wurde weiß, dann puterrot. Sie schrie sofort: »Was hast du denn an mir auszusetzen? Tagsüber gehe ich arbeiten, abends komme ich nach Haus und kümmere mich um das Kind. Ich habe dir keine Schande gemacht und mir nichts zu Schulden kommen lassen.«
»Du bist auch noch so verlogen und streitest es ab? Warum hast du dir hinter meinem Rücken von Backe die Spirale entfernen lassen? Warum hast du mir nichts davon gesagt?«
»Verräter! Maulwurf! Kollaborateur!« Renmei setzte das Kind ab und verschwand wutschnaubend im Haus. Sie stolperte dabei über einen kleinen Schemel, nach dem sie so heftig trat, dass er im hohen Bogen wegflog. »Welche Kanaille hat sich am Himmel versündigt und es dir gesagt?«
Unsere Tochter war laut weinend auf den Hof hinausgerannt.
Mutter saß am Herd und weinte.
»Streite nicht mit mir, beschimpf mich nicht, sondern komm einfach brav mit zur Krankenstation und lass das wegmachen. Dann passiert auch nichts weiter.«
»Davon träumst du!« Schreiend griff Renmei einen Spiegel und schmiss ihn zu Boden. »Es ist mein Kind, es ist in meinem Bauch! Wer wagt, ihm ein Haar zu krümmen, über dessen Türschwelle werde ich mich erhängen! Renner, lass uns nicht mehr Kader sein und auch nicht mehr dieser Partei angehören. Lass uns zu Hause bleiben, unser Feld bestellen. Das ist doch gut! Die Zeit der Volkskommunen ist vorüber, das Land ist in Parzellen aufgeteilt und jeder ist Privatwirtschaftler. Korn gibt es so reichlich, dass wir es gar nicht aufessen können, und frei sind wir auch. Ich finde, du solltest wieder nach Hause kommen.«
»Unmöglich, kommt nicht in Frage!«
Renmei schien aus unserem Heim Kleinholz machen zu wollen, krachend fielen Schränke und Tische um.
»Es ist nicht meine Privatsache, es verletzt die Ehre unserer gesamten Einheit.«
Renmei kam mit einem großen Bündel auf den Hof. Ich hielt sie fest: »Wo willst du hin?«
»Das geht dich einen Dreck an!«
Ich hielt ihr Bündel fest, ließ sie nicht weg, aber sie zog aus ihrer Brusttasche flink eine Schere hervor, die sie auf ihren Bauch richtete. Mit blutunterlaufenen Augen kreischte sie: »Du sollst mich loslassen!«
»Renner!« Das war der schrille Schrei meiner Mutter. Ich kannte natürlich Renmeis hitziges Temperament.
»Schon gut, dann geh meinetwegen. Wenn du mir heute entkommst, morgen wirst du mir nicht entkommen. Es wird so oder so weggemacht.«
Sie griff ihre Sachen und ging eilig davon. Unsere Tochter rannte mit weit ausgebreiteten Armen hinter ihr her, stolperte, fiel hin. Renmei kümmerte sich nicht um sie. Blickte sich nicht einmal um.
Ich rannte los, hob meine Tochter auf den Arm, aber sie bäumte sich auf, trommelte gegen meine Brust, weinte und wollte zu ihrer Mama. Widerstreitende Gefühle bestürmten mich plötzlich, so dass ich die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte.
Mutter kam gebückt, auf den Krückstock gestützt, auf den Hof: »Lass sie das Kind bekommen, mein Junge! Sonst haben wir nichts Gutes mehr zu erwarten.«