9
Sugitani san! Wie peinlich ist es mir, dass ich noch keine Zeile von meinem Theaterstück geschrieben habe, auf das Sie schon so lange warten.
Es ist zu viel Material. Mir ist zumute wie einem Hund vor dem Berg Taishan, in den er hineinbeißen soll, aber er findet keine Stelle, an der er seine Zähne ansetzen kann.
Während ich mir darüber Gedanken mache, geschehen in meinem realen Leben immer wieder Dinge, die mit der Handlung des Theaterstücks verknüpft sind, die übersteigerte Theatralik macht meine Gedankengänge immer wieder zunichte. Warum ich mich nun ganz und gar geniere, ist, dass ich in eine Falle getappt bin und mich aus der vertrackten Lage, in die ich mich gebracht habe, nicht mehr zu befreien weiß. Oder wie soll ich sagen: Ich weiß nicht, wie ich mit meiner neuen Rolle umgehen soll, wie ich das schultern soll.
Treuer Freund! Sie wissen, was mir das Herz schwer macht. Meine Befürchtungen, von denen ich Ihnen bereits schrieb, waren nicht unbegründet. Es ist wahr, unverrückbare Realität.
Kleiner Löwe hat es zuletzt doch zugegeben. Sie hat mir tatsächlich meine kleinen Kaulquappen gestohlen! Und Augenbraue damit künstlich befruchten lassen. Das Blut schoss mir bis in die Haarwurzeln, als ich es hörte. Ich rastete aus vor Wut. Wie von Sinnen schlug ich ihr mit aller Gewalt ins Gesicht.
Ich weiß, dass man nicht handgreiflich werden darf. Besonders jemandem wie mir, einem den Lorbeerkranz tragenden Dichter von Tragödien, von Dramen, steht eine solche Barbarei nicht an. Liebster Freund, ich war aber wirklich völlig außer mir vor Wut.
Als ich von der Floßfahrt mit dem kleinen Plattschädel zurückgekommen war, hatte ich begonnen, Nachforschungen anzustellen. Doch jedes Mal, wenn ich die Froschzuchtfarm betreten wollte, war ich von den Wachposten abgefangen worden. Ich versuchte, Yuan Backe und meinen kleinen Cousin per Telefon zu erreichen, doch sie hatten längst neue Handynummern. Ich versuchte, aus meiner Frau etwas herauszubekommen. Sie verhöhnte mich, ich wäre geisteskrank. Ich druckte mir alle Informationen aus, die die Froschzuchtfirma über ihr Leihmütterangebot und die Abwicklung der Schwangerschaft bei Bestellung eines Kindes auf ihrer Internetseite gab, ging damit zur Stadtverwaltung und erstattete gegen die Firma Anzeige beim Komitee zur Geburtenplanung. Das Komitee behielt zwar das von mir mitgebrachte Material, unternahm aber nichts. Ich ging daraufhin zur Polizei, um dort Anzeige zu erstatten. Aber die Sachbearbeiter am Tresen erklärten mir, dass diese Art von Anzeigen nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fielen. Ich rief bei der Hotline des Bürgermeisters an. Der Telefondienst versprach, alle Informationen an den Bürgermeister weiterzugeben ...
Inzwischen sind bereits einige Monate verstrichen, Sugitani san. Als ich endlich aus dem Mund meiner Frau die Wahrheit erfuhr, war das Baby in Chen Augenbraues Bauch schon sechs Monate alt. Ich bin fünfundfünfzig Jahre alt, und nun soll ich mir nichts dir nichts noch einmal Vater werden.
Es gibt keinen Weg zurück, es sei denn, man wollte Risiken eingehen, brutale Medikamente verabreichen und auf diese Weise die Schwangerschaft beenden.
Als ich jung war, habe ich so meiner Frau das Leben genommen. Das ist der größte Schmerz in meinem Herzen und mein am schwersten zu sühnendes Verbrechen.
Obwohl ich jetzt schweren Herzens mit allem einverstanden bin, ist mein Entschluss doch sinnlos, Sugitani san, denn ich werde in diese Froschaufzuchtfarm nicht hineingelassen, und bekäme ich dort Zutritt, dürfte ich nicht einmal Augenbraues Gesicht sehen. Ich vermute, dass es dort viele geheime Kanäle und auch ein unterirdisches Labyrinth gibt, und von meiner Frau weiß ich, dass Yuan Backe und mein Cousin Mittelsmänner der eigentlichen Bande sind. Wenn die es mit der Angst zu tun kriegen, würden sie noch die eigene Mutter ans Messer liefern, denen ist alles zuzutrauen.
Kleiner Löwe bekam von mir eine Backpfeife, sie wich einige Schritte zurück und landete mit dem Hintern auf dem Boden. Ihre Nase blutete in Strömen. Sie gab lange keinen Ton von sich. Sie weinte nicht, sondern grinste böse und sagte dann: »Da hast du ja richtig zugehauen! Kleiner Renner, du bist ein Verbrecher! Dass du mich schlägst, beweist, dass dein Gewissen längst die Hunde gefressen haben. Ich habe es nur für dich getan. Du hast eine Tochter, aber keinen Sohn. Wenn du keinen Sohn hast, dann wird es keinen Stammhalter mit Namen Wan geben und die Familie stirbt aus. Es tut mir leid, dass ich dir keinen Sohn gebären kann. Um das wiedergutzumachen, habe ich jemanden gesucht, der dein Kind austrägt und für dich einen Sohn zu Welt bringt. Du bist mir aber nicht dankbar, sondern schlägst mich auch noch. Du enttäuschst mich bitter ...«
Dann weinte sie doch. Tränen und Nasenblut vermischten sich. Ich ertrug es nicht, sie so weinen zu sehen. Aber dann wurde mir wieder bewusst, dass sie das alles hinter meinem Rücken getan hatte, und sofort packte mich erneut eine unbändige Wut.
Weinend stieß sie hervor: »Ich weiß schon, dass es dir um die sechzigtausend Yuan geht. Du musst sie aber nicht bezahlen, ich nehme das Geld aus meiner Altersversorgung. Wenn das Kind geboren ist, brauchst du es auch nicht großzuziehen. Ich werde das allein tun. Es hat also alles gar nichts mit dir zu tun. Ich habe in der Zeitung gelesen, dass man für eine Samenspende hundert Yuan bezahlt bekommt. Ich gebe dir dreihundert. Damit wäre dann abgegolten, dass ich deinen Samen benutzt habe. Du kannst nach Peking zurückgehen, du kannst dich von mir scheiden lassen, oder auch nicht, wie du willst, aber wir beide haben nun nichts mehr miteinander zu tun. Aber«, sagte sie wie ein Held mit Todesverachtung und wischte sich mit der flachen Hand übers Gesicht, »krümm dem Kind kein Haar. Sonst bring ich mich um.«
Sugitani san, Sie kennen meine Frau aus meinen Briefen, Sie wissen, wie sie ist.
Als sie damals Gugu auf dem Schlachtfeld der Geburtenkontrolle folgte, musste sie sich mit jeder Sorte von Menschen auseinandersetzen. Das hat sie gestählt. Sie hat den Charakter eines Helden und eines Räubers. Wenn sie in Wut gerät, ist ihr absolut alles zuzutrauen!
Jetzt blieb mir nur eins: sie beschwichtigen, mit ehrlicher Liebe überzeugen und mit wirklich vernünftigen Argumenten bewegen. Und einen wirklich guten Weg finden, um dieses schwierige Problem in den Griff zu bekommen.
Obwohl ich mich bei dem Gedanken an einen Schwangerschaftsabbruch eiskalt fühlte und deutlich spürte, dass er Unheil stiften würde, machte ich mir immer noch Hoffnungen, das Problem auf diese Weise lösen zu können.
Ich bildete mir ein, dass Chen Augenbraue natürlich nur wegen des Geldes Leihmutter für anderer Leute Kinder war, und dass deswegen die Sache auch problemlos mit Geld zu regeln wäre. Das eigentliche Problem war nur, wie ich es zuwege bringen sollte, sie zu treffen.
Nach dem Krankenhausbesuch bei Chen Nase hatte ich sie nicht wiedergesehen.
Ihr schwarzes Kleid, der schwarze Schleier, das Geheimnis um ihr Woher und Wohin, signalisierten mir, dass in Nordost-Gaomi eine geheimnisvolle Welt existierte, zu der ich bisher keinen Zugang gehabt hatte. Diese Welt schienen Degenkämpfer zu bevölkern, Schamanen und schwarz Verschleierte.
Mir fiel ein, dass ich Li Hand doch erst kürzlich für Nases Krankenhausrechnung fünftausend Yuan gebracht und ihn gebeten hatte, Augenbraue das Geld zu geben. Wenige Tage später gab er es mir zurück. Sie wolle es nicht annehmen, sagte er.
Vielleicht hatte sie die Leihmutterschaft übernommen, um die erforderliche Summe für ihren Vater aufbringen zu können.
Ich wurde ganz wirr im Kopf. Das war doch wirklich das allerl...
Diese verdammte Xiao Shizi! Ich musste wohl oder übel Li Hand besuchen. Er war der einzige meiner Schulfreunde, dessen Hirn noch normal funktionierte.
Gestern Vormittag saßen ich und Li Hand uns gegenüber in der kleinen Ecke am Fenster seines Restaurants »Don Quijote de la Mancha«.
Wie die Ameisen liefen die Leute über den Tempelvorplatz, das Spiel Das mythische Tier Qilin bringt Kinder wurde wieder aufgeführt.
Der falsche Sancho Panza zapfte uns zwei Glas Bier, servierte und zog sich zurück. Er lachte zwielichtig, als hätte er mich durchschaut und wüsste von meinem Geheimnis. Als ich Li Hand alles umständlich erzählte, weil ich eigentlich gar nicht mit der Wahrheit herauswollte, lachte er nur leichthin.
»Du bist auch noch schadenfroh«, sagte ich böse.
Aber er nahm sein Glas, prostete mir zu und trank einen großen Schluck: »Was sollte das für ein Schaden sein? Es ist ein frohes Ereignis! Ich beglückwünsche dich, alter Freund! Das hätte schon früher kommen sollen! Die große Freude in deinem Leben!«
»Freu dich mal nicht auf meine Kosten! Obwohl ich aus dem Dienst ausgeschieden bin«, sagte ich sorgenvoll, »bin ich immer noch dem öffentlichen Dienst verpflichtet. Wie soll ich der Einheit beibringen, dass ich ein Kind in die Welt gesetzt habe?«
Li Hand meinte: »Renner, das Parteibüro, die Einheit und was sonst noch alles sind doch Dinge, mit denen du dir die Freiheit beschneidest. Womit wir es jetzt aber zu tun haben, ist die Tatsache, dass deine Spermien mit einer Eizelle verschmolzen sind und nun ein neues Leben entstanden ist, das auf die Erde kommen wird. Die größte Freude im Leben eines jeden Menschen! Das Schönste, was einem passieren kann, ist doch zu sehen, wie ein Leben mit den eigenen Genen geboren wird. Denn mit dieser Geburt lebst du selber weiter! Dein Leben besteht fort!«
»Das entscheidende Problem ist«, unterbrach ich ihn, »wo und wie ich den Antrag für das Melderegister stelle.«
»Dieses kleine Problemchen wirft dich jetzt um?«, entgegnete er: »Es ist nicht mehr wie früher. Wenn du Geld hast, kannst du eigentlich so ziemlich alles hinkriegen. Solltest du keinen Melderegistereintrag bekommen, ist das Kind trotzdem ein Mensch, der unseren Erdball bewohnt und damit in den Genuss der Menschenrechte kommt.«
»Schon gut, Li Hand, ich bin zu dir gekommen, um mein Problem aus der Welt zu schaffen, und du dröhnst mich mit diesem überflüssigen Geschwafel voll. Seit ich wieder in Gaomi bin, merke ich immer deutlicher, dass ihr euch alle so eine gedrechselte Sprache zugelegt habt, die Studierten und die nicht Studierten. Von wem habt ihr das?«
Er lachte: »Wir benehmen uns wohl kultivierter als früher? In der modernen Gesellschaft spielt jeder eine Rolle, ob nun als Bühnenschauspieler, als Filmstar, Fernsehschauspieler, Pekingopernheld, Kabarettist oder Comedian, alle spielen Theater. Die Gesellschaft ist doch wie eine Bühne, oder etwa nicht?«
»Hör auf mit dem Geschwätz«, sagte ich, »und hilf mir lieber! Du willst doch nicht, dass ich zu Chen Nase Schwiegervater sagen muss?«
»Was ist daran verkehrt, wenn du Nase Schwiegervater nennst? Davon geht die Welt nicht unter, und stehen bleiben wird sie auch nicht. Ich sag dir was: Glaub nicht, die Leute kümmerten sich um deine Angelegenheiten. Denkst du, alle schauen dir zu? Das siehst du falsch. Die haben alle mit ihren eigenen Angelegenheiten so viel zu tun, dass sie nicht dazu kommen, sich um deinen Kram zu kümmern. Es hat mit den anderen Leuten eigentlich ziemlich wenig zu tun, wenn du mit Nases Tochter einen Sohn hast und mit einer anderen vielleicht noch eine Tochter. Selbst wenn die Klatschmäuler sich eine Weile darüber den Mund fusselig reden, ist das nicht wichtiger als vorbeiziehende Wolken, ein Wind und weg sind sie. Ausschlaggebend ist, dass es dein eigen Fleisch und Blut ist. Sobald es geboren ist, hast du gewonnen.«
»Aber von Nases Tochter! Das ist ja fast wie Blutschande!«
»Was für ein Unsinn! Du und Augenbraue, ihr habt keine verwandtschaftlichen Beziehungen. Wie sollte es da Inzest sein? Was das Alter angeht, brauchst du dir noch weniger Sorgen zu machen. Achtzigjährige heiraten Achtzehnjährige. Man erzählt darüber nette Anekdoten. Entscheidend ist, dass du Augenbraue nicht einmal berührt hast. Sie ist wie ein Werkzeug, wie gemietet. Jetzt mach dir nicht so viele Gedanken! Schieb die Sorgen fort, trainiere deinen Körper. Du willst deinen Sohn großziehen!«
»Hör auf mit dem Unsinn!« Ich zeigte auf meine mit Herpesbläschen übersäten Lippen. »Du siehst doch, wie viel Stress mir die Sache macht. Ich fleh dich an, tu es bitte für deinen Schulkameraden und Freund und richte Augenbraue etwas von mir aus. Sag ihr, sie solle bitte sofort die Schwangerschaft abbrechen lassen, das Geld bekommt sie trotzdem und ich lege noch zehntausend obendrauf, als Ausgleich für die gesundheitlichen Nachteile einer Abtreibung. Wenn ihr das nicht genügt, dann eben zwanzigtausend.«
»Wozu soll das gut sein? Wenn dir der Abbruch zwanzigtausend wert ist, kannst du das Geld doch auch nach der Geburt des Kindes für den Melderegistereintrag ausgeben, damit der Antrag besser ins Rollen kommt, und dann ein von allen respektierter Papa werden.«
»Ich kann es meiner Einheit nicht beibringen.«
»Du nimmst dich zu wichtig!«, sagte Hand spitz. »Die Einheit hat keine Zeit, um sich mit deinen Angelegenheiten zu befassen. Was glaubst du, wer du bist? Hast ein paar Schauspiele, Tragödien, Dramen fürs Theater geschrieben, die keiner liest. Du gehörst doch nicht zu den Royals? Wenn du einen Sohn bekommst, gibt es einen Nationalfeiertag, oder wie?«
Die Tür öffnete sich, ein Rucksacktourist steckte vorsichtig den Kopf zur Tür herein und betrat das Lokal, der falsche Sancho Panza kugelte auf ihn zu und hieß ihn mit einem Lächeln willkommen.
Ich flüsterte: »Nur dieses eine Mal bitte ich dich, tu mir diesen Gefallen!«
Er verschränkte die Arme vor der Brust, schüttelte den Kopf und machte ein Da kann ich beim besten Willen nicht helfen-Gesicht.
»Du mieser Scheißkerl! Du schaust seelenruhig zu, wie ich mir mein Grab schaufeln muss.«
»Du verlangst von mir Beihilfe zum Mord!« Er flüsterte: »Ein sechs Monate alter Fötus! Kann durch die Bauchhaut schon Papa sagen!«
»Hilfst du mir oder nicht?«
»Du glaubst, ich könnte einfach mal so bei Augenbraue vorbeigehen?«
»Aber zu Nase kannst du doch hingehen. Bestell ihm meine Worte. Damit er zu ihr geht und es ihr beibringt.«
»Renner, Nase findest du ganz einfach. Er steht jeden Tag am Niangniang-Tempel und bettelt. Abends kauft er sich von dem erbettelten Geld Schnaps und nimmt im Vorbeigehen noch ein Brot von mir mit. Du kannst hier sitzen bleiben und auf ihn warten. Oder du gehst da rüber und wartest auf ihn. Aber ich hoffe sehr, dass du es ihm nicht sagst. Es wäre ohnehin vergeblich. Wenn du barmherzig bist, dann quälst du ihn nicht mit solchen Dingen.
Die ganzen Jahre über habe ich die Erfahrung gemacht: Hast du heikle Probleme zu lösen, ist die gangbarste Methode immer:
Ohne Erwartungshaltung zusehen, was sich tut,
und mit dem Strom schwimmen.«
»Gut! Dann lenke ich mein Boot stromabwärts.«
»Die Monatsfeier für deinen Sohn richten wir hier aus, Renner. Das wird schön.«