»Ich hab's Marilyn Sanburne ja gesagt, bei ihrem Mulberry-Row- Projekt kommt nichts Gutes heraus.« Angewidert warf Wesley Randolph die Morgenzeitung auf den Eßtisch. Der Kaffee in der Royal- Doulton-Tasse schwappte bedenklich. Wesley hatte soeben den Fundbericht, dem offensichtlich Oliver Zeves Erklärung zugrunde lag, zu Ende gelesen. »Schlafende Hunde soll man nicht wecken«, brummte er.
»Reg dich ab«, sagte Ansley mit schleppender Stimme. Sie hatte sich amüsiert, wenn ihr Schwiegervater seine Ahnentafel herunterbetete, damals, als Warren ihr den Hof machte, aber nach achtzehn Ehejahren konnte sie sie genauso gut aufsagen wie Wesley. Ihre beiden Söhne Breton und Stuart, vierzehn und sechzehn Jahre alt, kannten sie ebenfalls auswendig. Sie hatte Wesleys ewige Vergangenheits-Verklärung satt.
Warren nahm die Zeitung, die sein Vater hingeworfen hatte, und las den Artikel.
»Big Daddy, man hat in einer Sklavenhütte ein Skelett ausgegraben. Vermutlich mehr Staub als Knochen. Ich finde, Oliver Zeve hat eine vernünftige Presseerklärung abgegeben.>Das Interesse wird einen Tag lang anschwellen und dann abflauen. Wenn dir die Sache so am Herzen liegt, geh dich doch selbst vom Drang des Irdischen überzeugend«. Ansley lächelte müde, als sie ausHamlet zitierte.
Warren war immer noch empfänglich für Ansleys Schönheit, aber er spürte ihre Abneigung gegen ihn. Sie zeigte sie natürlich nicht offen. Taktvoll, wie sie war, wahrte Ansley, was ihren Mann anging, die strengen Regeln des Anstands. »Du nimmst die Geschichte nicht ernst genug, Ansley.« Er wollte seinem alten Herrn mit dieser Äußerung einen Gefallen tun.
»Mein Lieber, Geschichte interessiert mich nicht im geringsten. Das Gestern ist tot. Ich lebe heute, und ich will morgen leben - und was unsere Familie für Monticello spendet, kommt dem Heute zugute. Auf daß wir zum Gedeihen der größten Attraktion von Albemarle beitragen!«
Wesley schüttelte den Kopf. »Durch diese archäologischen Arbeiten in den Dienstbotenquartieren« - er blies seine roten Backen auf - »werden die Leute aufgewiegelt. Als nächstes wird noch eine Versammlung von Negern. «
»Afroamerikanern«, säuselte Ansley.
»Ist mir scheißegal, wie du sie nennst!« sagte Wesley aggressiv. »Ich finde, daß>farbig< immer noch die höflichste Bezeichnung ist! Wie auch immer du sie nennst, sie werden sich organisieren, sie werden unter einer Terrasse in Monticello kampieren, und ehe man sich's versieht, werden sie Jefferson seine sämtlichen Leistungen streitig machen. Sie werden behaupten,sie hätten sie vollbracht.«
»Aber sie haben die meiste Arbeit geleistet, das steht fest. Hatte er nicht an die zweihundert Sklaven auf seinen diversen Besitztümern?« Während Ansley ihren Schwiegervater mit diesen Worten provozierte, hielt Warren den Atem an.
»Kommt sehr drauf an, in welchem Jahr«, fauchte Wesley. »Woher weißt du das überhaupt?«
»Aus Mims Vortrag.«
»Mim Sanburne ist die größte Nervensäge, die diese Gegend seit dem 17. Jahrhundert heimgesucht hat. In kürzester Zeit wird man Jefferson besudelt, in den Schmutz gezogen, zum Schurken gemacht haben. Mim und ihre Mulberry Row! Sie soll nicht an die Dienstbotenfrage rühren! Verdammt, ich wünschte, ich hätte ihr nie einen Scheck gegeben.«
»Aber das ist doch ein Teil der Geschichte.« Ansley genoß die Auseinandersetzung.
»Welcher Geschichte?«
»Der Geschichte von Amerika, Big Daddy.«
»Ach, Scheiße!« Er warf ihr einen wütenden Blick zu, dann lachte er. Sie war der einzige Mensch in seinem Leben, der es wagte, sich mit ihm anzulegen - und das gefiel ihm.
Warren, dessen schlechte Laune in Langeweile umgeschlagen war, trank seinen Orangensaft und nahm sich den Sportteil vor.
Wesley zog die buschigen Augenbrauen zusammen. »Und wie ist deine Meinung?«
»Hm?«
»Warren. Big Daddy möchte wissen, was du von der Sache mit der Leiche in Monticello hältst.« »Ich - äh - was soll ich sagen? Hoffen wir, daß diese Entdeckung uns helfen wird, das Leben in Monticello, die Strapazen und die Nöte der damaligen Zeit besser zu verstehen.«
»Wir sind nicht deine Wählerschaft. Ich bin dein Vater!
Willst du etwa bestreiten, daß eine Leiche im Garten oder, verflixt, wo war das noch mal« - er griff nach der Titelseite, um nachzusehen -, »daß eine Leiche in Hütte Nummer vier eine schlechte Nachricht ist?«
Warren, der sich längst an das schwankende Urteil seines Vaters über seine Fähigkeiten und sein Verhalten gewöhnt hatte, sagte gedehnt: »Nun ja, Papa, für die Leiche war es ganz sicher eine schlechte Nachricht.«
Ansley hörte Warrens Porsche 911 aus der Garage donnern. Sie wußte, daß Big Daddy im Stall war. Sie griff zum Telefon und wählte.
»Lucinda«, sagte sie empört, »hast du die Zeitung gelesen?«
»Ja. Diesmal geht der Queen von Crozet der Arsch auf Grundeis«, sagte Lucinda bissig.
»Ganz so schlimm ist es nicht, Lulu.«
»Gut ist es aber auch nicht.«
»Ich werde nie begreifen, warum es so wichtig ist, mit T. J. blutsverwandt zu sein, und wenn's noch so weitläufig ist«, sagte Ansley, obwohl sie es nur zu gut verstand.
Lucinda zog fest an ihrem Stumpen. »Was haben unsere Männer denn sonst vorzuweisen? Ich glaube, Warren ist nicht annähernd so auf Abstammung versessen wie mein Samson. Der verdient schließlich Geld damit. Sieh dir doch bloß seine Immobilienanzeigen in der New York Times an. Er bringt seine Verwandtschaft mit Jefferson ins Spiel, wo er nur kann. Lassen Sie sich Jeffersons Ländereien von seinem Nachkommen in der zigsten Linie zeigen.« Sie nahm einen weiteren Zug. »Na ja, irgendwie muß er ja Geld verdienen. Samson ist nicht gerade der intelligenteste Mann, den Gott geschaffen hat.«
»Aber er sieht verdammt gut aus«, sagte Ansley. »Du hattest bei Männern schon immer den besten Geschmack, Lulu.«
»Danke - aber im Moment hab ich nichts davon. Ich bin GolfWitwe.«
»Sei doch froh, Schätzchen. Ich wollte, ich könnte Warren dazu bewegen, sich auch mal für was anderes zu interessieren als für seine sogenannte Praxis. Big Daddy hält ihn mit der Lektüre von Immobilienkaufverträgen, Prozeßakten, Konsortialdarlehen beschäftigt - ich würde zuviel kriegen.«
»Anwälte haben Hochkonjunktur«, sagte Lulu. »Die Wirtschaft ist den Bach runter, alle schieben sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe, und es hagelt Prozesse. Schade, daß wir diese Energie nicht für eine Zusammenarbeit verwenden.«
»Ach, weißt du, Schätzchen, im Augenblick tobt hier doch wirklich ein Sturm im Wasserglas. Alle alten Klatschweiber und vertrottelten Wissenschaftler in Mittelvirginia machen riesigen Wind um ihre Ansichten.«
»Mim wollte, daß ihr Projekt Beachtung findet.« Lucinda hielt mit ihrem Sarkasmus nicht hinter dem Berg. Jahrelang hatte sie sich von Mim sagen lassen, was sie zu tun hatte; jetzt hatte sie's endgültig satt.
»Jetzt hat sie sie.« Ansley ging zum Spülbecken und ließ Wasser einlaufen. »Welche Zeitungen hast du heute morgen gelesen?«
»Unser Lokalblatt und die Richmonder.«
»Lulu, schreibt die Richmonder Zeitung etwas über die Todesursache?«
»Nein.«
»Oder wer der Mann ist? DerCourier hält sich hinsichtlich irgendwelcher Fakten ziemlich bedeckt.«
»Die Richmonder auch. Vermutlich wissen sie gar nichts, aber ich denke, wir kriegen die Hintergründe genauso schnell raus wie sie. Weißt du, ich hätte große Lust, Mim anzurufen und dem Biest mal gehörig eins auszuwischen.« Lucinda drückte ihren Stumpen aus.
»Das kannst du nicht machen.« Ansleys Stimme klang nervös.
Es blieb lange still. »Ich weiß - aber eines Tages tu ich's vielleicht.«
»Da möchte ich dabeisein. Ich würde einiges darum geben, zu sehen, wie du mit der Queen abrechnest.«
»Da sie mit unseren beiden Männern geschäftlich viel zu tun hat, kann ich bloß davon träumen - genau wie du.« Lucinda sagte Ansley auf Wiedersehen, legte auf und dachte einen Moment über ihre vertrackte Situation nach.
Mim Sanburne hielt die Zügel des Gesellschaftslebens von Crozet fest in der Hand. Sie beglich alte Rechnungen, vergaß nie eine Kränkung, aber dafür vergaß sie auch nie einen Gefallen. Mim konnte ihren Reichtum als Druckmittel, als Lockmittel oder auch als krönende Belohnung für beigelegte Differenzen verwenden - sofern sie in ihrem Sinne beigelegt wurden. Mim hatte nichts dagegen, Geld auszugeben. Sie hatte aber etwas dagegen, ihren Willen nicht zu bekommen.