Das Grau des anbrechenden Tages löste sich in ein Rosa auf, das sodann der Sonne wich. Nachdem die Pferde gefüttert und hinausgelassen, der Stall ausgemistet und das Opossum mit Frischfutter und Sirup verköstigt waren, eilte Harry frohgemut ins Haus, um sich ihr Frühstück zu machen. Harry trank morgens erst einmal eine Tasse Kaffee, schob das gußeiserne Plätteisen ihrer Großmutter von der Hintertür weg - ihre Sicherheitsmaßnahme -, joggte zum Stall und erledigte die morgendlichen Pflichten. Danach gönnte sie sich gewöhnlich warme Hafergrütze oder Spiegeleier, manchmal sogar lockere Pfannkuchen, getränkt mit Lyon's Golden Syrup aus England.
Simon, das Opossum, ein schlaues, neugieriges Kerlchen, wagte sich zuweilen nahe ans Haus heran, aber hineinlocken konnte Harry ihn nicht. Sie war erstaunt, daß Mrs. Murphy und Tucker das graue Geschöpf duldeten. Mrs. Murphy legte eine außergewöhnliche Toleranz gegenüber anderen Tieren an den Tag. Bei Tucker dauerte es meistens ein bißchen länger.
»Na schön, ihr zwei. Ihr habt schon gefrühstückt, aber wenn ihr ganz brav seid, brate ich euch vielleicht ein Ei.«
»Ich bin brav, ich bin brav.« Tucker wackelte mit dem Hinterteil, weil sie keinen Schwanz hatte.
»Wenn du nicht immer so aufdringlich wärst, hättest du mehr Würde.« Mrs. Murphy sprang auf einen Küchenstuhl.
»Ich will keine Würde, ich will Eier.«
Harry holte die alte mittelgroße Eisenpfanne hervor. Sie rieb sie nach jedem Spülen mit Speiseöl ein, damit sie nicht rostete. Sie gab ein Stück Butter in die Mitte der Pfanne, die sie auf kleine Flamme setzte. Sie schlug vier Eier in eine Rührschüssel, würzte mit etwas Käse, ein paar Oliven, gab noch ein paar Kapern hinzu. Als die Pfanne die richtige Hitze hatte und die Butter zu brutzeln begann, goß sie die Eiermasse hinein. Sie ließ sie fest werden, klappte sie zusammen, stellte die Flamme ab und ließ die Eier fix auf einen großen Teller gleiten. Dann teilte sie das Futter.
Tucker fraß aus ihrem Keramiknapf, den Harry auf den Boden stellte.
Mrs. Murphys Schüssel, die mit der Aufschrift>Kampf den Fettpolstern verziert war, stand auf dem Tisch. Die Katze aß mit Harry.
Mrs. Murphy leckte sich die Lippen.»Schmeckt köstlich.«
»Ja.« Tucker konnte kaum sprechen, so schnell fraß sie.
Die Tigerkatze hatte eine Schwäche für Oliven. Harry mußte immer lachen, weil sie sie stets zuerst herauspickte.
»Du bist einmalig, Mrs. Murphy.«
»Ich will mein Essen eben genießen«, erwiderte die Katze.
»Hast du noch mehr?« Tucker setzte sich neben ihren leeren Napf, den Hals gereckt für den Fall, daß ein Krümel vom Tisch fiel.
»Du bist genauso schlimm wie Pewter.«
»Vielen Dank.«
»Ihr zwei seid aber gesprächig heute morgen.« Harry trank gutgelaunt ihre zweite Tasse Kaffee, während sie den Tieren laut ihre Gedanken mitteilte. »Schätze, mein Besuch in Monticello hat mich nachdenklich gestimmt. Was würden wir tun, wenn jetzt das Jahr 1803 wäre? Um dieselbe Zeit aufstehen und die Pferde füttern, das wäre wohl nicht anders. Ställe ausmisten, das hat sich auch nicht geändert. Aber jemand hätte in einer offenen Feuerstelle Feuer schüren müssen. Eine alleinlebende Person hätte es viel schwerer gehabt als heute. Wie konnte sie ihre täglichen Pflichten erfüllen, sich etwas kochen, schlachten - ich nehme allerdings an, daß man sein Fleisch hätte kaufen können, aber nur für jeweils einen Tag, es sei denn, man hatte eine Räucherkammer oder das Fleisch wurde gepökelt. Stellt euch das bloß mal vor. Und keine Wurmmittel für euch und keine Tollwutimpfung, und für mich hätte es auch keine Impfungen gegeben. Die Kleidung muß im Winter kratzig und schwer gewesen sein. Im Sommer wäre es nicht so schlimm gewesen, weil die Frauen Leinenkleider trugen. Die Männer konnten ihre Hemden ausziehen. Was ich übrigens ungerecht finde. Wenn ich mein Hemd nicht ausziehen kann, sehe ich nicht ein, wieso sie das dürfen.« So sprach sie zu ihren zwei Freundinnen, die an jedem Wort und an jedem Bissen Ei hingen, den Harry sich in den Mund schob. »Ihr zwei hört mir gar nicht richtig zu, oder?«
»Doch!«
»Hier.« Harry gab Mrs. Murphy noch eine Olive und Tucker einen Happen Ei. »Ich weiß nicht, warum ich euch so verwöhne. Was ihr heute morgen schon alles zu fressen gekriegt habt!«
»Wir lieben dich, Mom.« Mrs. Murphy gab ein lautes Schnurren von sich.
Harry kraulte mit einer Hand die Ohren der Tigerkatze und langte hinunter, um Tucker denselben Liebesdienst zu erweisen. »Ich weiß nicht, was ich ohne euch beide anfangen würde. Es ist so leicht, Tiere zu lieben, und so schwer, Menschen zu lieben. Männer sowieso. Das andere Geschlecht ist für eure Mom gestrichen.«
»Nein, ist es nicht.« Tucker wollte sie trösten, und es ärgerte sie maßlos, daß Harry sie nicht verstand.»Du bist bloß noch nicht dem Richtigen begegnet.«
»Ich finde, Blair ist der Richtige«, gab Mrs. Murphy ihren Senf dazu.
»Blair ist weg zu Modeaufnahmen. Außerdem glaube ich nicht, daß Mom einen so schniekenMann braucht.«
»Wie meinst du das?« fragte die Katze.
»Sie braucht einen Naturtypen, verstehst du, einen Streckenarbeiter oder Farmer oder Tierarzt.«
Mrs. Murphy dachte darüber nach, während Harry ihr die Ohren kraulte.»Vermißt du Fair immer noch?«
»Manchmal schon«, erwiderte der kleine Hund aufrichtig.»Er ist groß und stark, er könnte viel Farmarbeit machen, und er könnte Mom beschützen, wenn mal was passiert.«
»Sie kann sich selbst beschützen.« Obwohl das stimmte, war auch die Katze gelegentlich besorgt um Harry, weil sie allein lebte. Man konnte sagen, was man wollte, die meisten Männer waren nun mal stärker als die meisten Frauen. Es wäre gut, einen Mann auf der Farm zu haben.
»Ja schon - aber trotzdem... «, antwortete Tucker mit dünner Stimme.
Harry stand auf und trug das Geschirr zu dem Steingutbecken. Sie spülte jedes Teil sorgfältig, trocknete es ab und räumte alles weg. Ein Ausguß mit schmutzigem Geschirr trieb Harry zum Wahnsinn, wenn sie nach Hause kam. Sie stellte den Wasserkocher ab. »Sieht nach einem Mary-Minor-Haristeen-Tag aus.« Das bedeutete, daß es sonnig war.
Sie hielt einen Moment inne und sah den Pferden zu, die sich aneinander rieben. Dann schweiften ihre Gedanken ab, und sie sagte zu ihren Freundinnen: »Wie konnte Medley Orion mit einer Leiche unter ihrer Feuerstelle leben - falls sie davon wußte? Vielleicht hatte sie ja keine Ahnung, aber wenn, wie konnte sie sich Kaffee machen, ihr Frühstück essen und ihrer Arbeit nachgehen - mit diesem Wissen? Ich glaube nicht, daß ich das könnte.«
»Wenn du richtig Angst hättest, würdest du es können«, bemerkte Mrs. Murphy weise.