Eines von den Dingen, die Harry am Wechsel der Jahreszeiten in Mittelvirginia so faszinierten, war das unterschiedliche Licht. Wenn es Frühling wurde, leuchtete die Welt, doch noch behielt sie etwas von dem außergewöhnlichen Winterlicht zurück. Mit der Tagundnachtgleiche des Frühjahrs verschwand das diffuse Licht und wich strahlender Helligkeit.
Harry ging oft zu Fuß von ihrer an der Yellow Mountain Road gelegenen Farm zum Postamt. Ihr in die Jahre gekommener supermannblauer Transporter mußte geschont werden. Der frühmorgendliche Spaziergang erfrischte sie nicht nur für den Tag, sondern weckte ihre Sinne für die Wunder des alltäglichen Lebens, von denen Autofahrer im Vorbeirasen nur einen Blick erhaschen, sofern sie sie überhaupt wahrnehmen. Eine schwellende Ahornknospe, ein verlassenes graues Wespennest von der Größe eines Fußballs, die frechen Schreie der Raben, der süße Geruch der Erde, wenn die Sonne sie wärmte, diese auf die Sinne einstürmenden Herrlichkeiten hielten Harry geistig gesund. Sie konnte nicht verstehen, wie Menschen auf Straßenpflaster Spazierengehen konnten, während ihnen der Smog in die Augen stieg, Hupen tuteten, Ghettoblaster plärrten. Ihre täglichen Begegnungen mit anderen Menschen waren von Rücksichtslosigkeit geprägt, wenn nicht gar regelrecht gefährlich.
Harry, die bei ihren Mitschülerinnen auf dem Smith College als Versagerin gegolten hatte, lag es fern, sich oder andere aufgrund von Äußerlichkeiten zu beurteilen. Sie hatte mit siebenundzwanzig eine Krise durchgemacht, als sie Gleichaltrige unaufhörlich von beruflichem Aufstieg, Fremdfinanzierung und, sofern sie verheiratet waren, der Geburt des ersten Kindes reden hörte. Sie selbst war damals mit dem Tierarzt Pharamond Haristeen verheiratet gewesen, ihrer alten Liebe aus der Schulzeit, und eine Weile war es gutgegangen. Sie war nie dahintergekommen, ob die Versuchungen durch die reichen, schönen Frauen auf den riesigen Farmen in Albemarle County die Charakterstärke ihres großen, blonden Ehemannes gebrochen hatten oder ob sie sich sowieso mit der Zeit auseinandergelebt hätten. Sie hatten sich scheiden lassen. Das erste Jahr war schmerzlich gewesen, das zweite schon weniger, und jetzt, zu Beginn des dritten Jahres ohne Fair, hatte sie das Gefühl, daß sie langsam Freunde würden. Ihrer besten Freundin, Susan Tucker, vertraute sie an, daß sie ihn jetzt sogar lieber mochte als damals, als sie mit ihm verheiratet war.
Mrs. Hogendobber hatte Harry anfangs wegen der Scheidung die Hölle heiß gemacht. Als sie sich schließlich beruhigte, warf sie sich mit Feuereifer auf die Aufgabe der Heiratsvermittlerin. Sie versuchte, Harry mit Blair Bainbridge zu verkuppeln, einem göttlich aussehenden Mann, der auf Harrys Nachbarfarm eingezogen war. Blair befand sich jedoch zur Zeit zu Modeaufnahmen in Afrika. Als Model war er sehr gefragt. Blairs Abwesenheit trieb Fair wieder in Harrys Umfeld - aus dem er sich allerdings nie weit entfernt hatte. Crozet, Virginia, bot seinen Einwohnern das niemals endende Schauspiel von gefundener Liebe, eroberter Liebe, verlorener und wiedergefundener Liebe. Das Leben war nie langweilig.
Vielleicht fühlte sich Harry deswegen nicht als Versagerin, auch wenn man ihr auf den Ehemaligentreffen des Smith College Fragen stellte, die für andere möglicherweise peinlich gewesen waren. Für sie war das viel Lärm um nichts. Doch jeden Morgen, wenn sie aus dem Bett sprang, freute sie sich auf den neuen Tag, sie war glücklich mit ihren Freunden und zufrieden mit ihrer Arbeit im Postamt. So klein das Postamt war, alle kamen vorbei, um ihre Post abzuholen und ein Schwätzchen zu halten, und Harry genoß es, im Mittelpunkt des Treibens zu stehen.
Mrs. Murphy und Tee Tucker waren auch dort tätig. Harry konnte es sich nicht vorstellen, acht bis zehn Stunden am Tag ohne ihre Tiere zu verbringen. Dazu waren sie zu spaßig.
Als sie die Railroad Avenue entlangging, sah sie Reverend Herb Jones' Transporter vor der lutherischen Kirche stehen.
»Er hat einen Platten und keinen Ersatzreifen«, sagte sie vor sich hin.
»Die zahlen ihm nicht genug.« stellte Mrs. Murphy altklug fest.
»Woher weißt du das, Klugscheißerin?« wollte Tucker wissen.
»Ich habe meine Quellen.«
»Deine Quellen? Du hast mit Lucy Fur getratscht, und die tut nichts als Hostien fressen.« sagte Tucker hämisch, begeistert, weil nun bewiesen schien, daß Herbies neue Katze das heilige Sakrament schändete.
»Tut sie gar nicht. Das macht nur Cazenovia von St. Paul. Du glaubst wohl, alle Kirchenkatzen fressen Hostien. Dabei mögen Katzen gar kein Brot.«
»Ach ja? Und was ist mit Pewter? Ich hab sie schon einen Doughnut futtern sehen. Allerdings, Spargel hab ich sie auch schon essen sehen.« Tucker staunte über den gigantischen Appetit von Market Shifletts Katze. Da sie in dem Lebensmittelgeschäft neben dem Postamt tätig war, wurde das graue Tier ständig verwöhnt. Pewter sah aus wie eine pelzige Kanonenkugel mit Beinen.
Mrs. Murphy sprang auf das Trittbrett des alten Vehikels, während Harry den platten Reifen in Augenschein nahm.
»Das zählt nicht. Die Katze frißt einfach alles.«
»Ich wette mit dir, daß sie mampfend am Fenster sitzt, wenn wir am Laden vorbeikommen.«
»Hältst du mich für blöd?« Mrs. Murphy ging nicht auf die Wette ein.»Aber ich wette mit dir, daß ich schneller auf den Baum da vorn geklettert bin, als du hinlaufen kannst.« Damit war sie auf und davon. Tucker zögerte eine Sekunde, dann stürmte sie zu dem Baum, den Mrs. Murphy schon halb erklommen hatte. »Ich hab dir ja gesagt, ich gewinne.«
»Jetzt mußt du rückwärts wieder runter.« Tucker wartete unten, die Schnauze weit aufgerissen, um die Wirkung ihrer Worte zu verstärken. Ihre weißen Fangzähne blitzten.
»Oh!.« Mrs. Murphy riß die Augen auf. Ihre Schnurrhaare zuckten vor und zurück. Sie machte ein ängstliches Gesicht, und der Hund triumphierte. Im Nu sprang Mrs. Murphy kopfüber vom Baum, sie machte einen Satz über den Rücken des Hundes hinweg und raste zu dem Transporter. Tucker, die das Nachsehen hatte, bellte sich die Seele aus dem Leib.
»Tucker, jetzt reicht's«, schimpfte Harry und setzte ihren Weg zum Postamt fort, während sie sich im Kopf notierte, Herb zu Hause anzurufen.
»Du bist schuld, daß ich Scherereien kriege Du hast angefangen«, warf der Hund der Katze vor.»Schrei mich nicht an«, sagte Tucker winselnd zu Harry.
»Hunde sind doof doof, doof, doof«, verkündete die Katze mit lauter Stimme, den Schwanz hochgereckt, dann rannte sie vor Tucker her, die natürlich die Verfolgung aufnahm.
Mrs. Murphy sprang in die Luft und setzte hinter Tucker auf. Harry mußte so lachen, daß sie nicht weitergehen konnte. »Ihr seid verrückt, ihr zwei.«
»Sie ist verrückt. Ich bin vollkommen normal.« Tucker setzte sich beleidigt hin.
»Ha!« Mrs. Murphy machte einen weiteren Luftsprung. Sie hatte Frühlingsgefühle und war erfüllt von der Hoffnung, die diese Jahreszeit stets begleitet.
Harry putzte sich am Haupteingang des Postamts die Füße ab, nahm den Messingschlüssel aus ihrer Tasche und schloß auf, während Mrs. Hogendobber gleichzeitig dasselbe Ritual am Hintereingang vollzog.
»Schönen guten Morgen«, riefen sie sich gegenseitig zu, als sie auf der jeweils anderen Seite des kleinen Fachwerkhauses die Tür zugehen hörten.
»Punkt halb acht«, rief Miranda, erfreut über ihre Pünktlichkeit. Mirandas Ehemann war jahrzehntelang Posthalter von Crozet gewesen. Nach seinem Tod hatte Harry die Stelle bekommen.
Obwohl keine Staatsangestellte, war Miranda George seit dem 7. August 1952, dem Tag, als er seine Stellung angetreten hatte, zur Hand gegangen. Als er starb, trauerte sie zunächst um ihn, was natürlich war. Dann erklärte sie, der Ruhestand gefalle ihr. Am Ende gab sie zu, sich zu Tode zu langweilen, weswegen Harry sie aus Höflichkeit einlud, ab und zu vorbeizukommen. Harry hatte nicht geahnt, daß Miranda hartnäckig jeden Morgen um halb acht vorbeikommen würde. Mit der Zeit und nach einigem Murren entdeckten die zwei, daß es ganz angenehm war, Gesellschaft zu haben.
Draußen hupte das Postauto Rob Collier tippte an seine Orioles- Baseballkappe und warf die Säcke durch den Vordereingang. Er brachte die Post vom Hauptpostamt am Seminole Trail in Charlottesville. »Spät dran«, sagte er nur.
»Rob verspätet sich selten«, bemerkte Miranda. »Schön, packen wir's an.« Sie öffnete einen Leinensack und begann, die Post in die Fächer zu sortieren.
Auch Harry sichtete den Morast aus Gedrucktem, eine Flut von Versuchungen zum Geldausgeben, denn die Hälfte von dem, was sie aus ihrem Sack zog, waren Versandhauskataloge.
»Ihh!« kreischte Miranda und zog die Hand aus einem Postfach.
Mrs. Murphy eilte sofort herbei, um das anstößige Fach zu inspizieren. Sie angelte mit der Pfote darin herum.
»Was gefunden?« fragte Tucker.
»O ja!« Mrs. Murphy warf eine dicke Spinne auf den Boden. Tucker sprang zurück, die zwei Menschen ebenso, dann bellte sie, was die Menschen tunlichst unterließen.
»Gummi«, sagte Mrs. Murphy und lachte.
»Wessen Fach war das?« wollte Harry wissen.
»Das von Ned Tucker.« Mrs. Hogendobber runzelte die Stirn. »Das war bestimmt Danny Tucker. Ich sage Ihnen, die jungen Leute heutzutage haben keinen Respekt. Meine Güte, ich hätte einen Schlaganfall bekommen oder zumindest mit meiner Atmung aus dem Takt geraten können. Wenn ich den Jungen zu fassen kriege!«
»Jungen sind eben Jungen.« Harry hob die Spinne auf und wedelte damit vor Tucker herum, die Gleichgültigkeit vortäuschte. »Huch, der erste Kunde, und wir sind noch nicht halb fertig.«
Mim Sanburne stürmte durch die Tür. Ein blaßgelber Kaschmirschal vervollständigte ihr Bergdorf-Goodman-Ensemble.
»Mim, wir sind noch nicht soweit«, informierte Miranda sie.
»Oh, ich weiß«, sagte Mim affektiert. »Ich habe Rob auf dem Weg in die Stadt überholt. Ich wollte nur hören, wie ihr die Feier in Monticello fandet. Ja, ja, ihr habt mir gesagt, daß sie euch gefallen hat, aber mal ganz unter uns, wie fandet ihr sie wirklich?«
Harry und Miranda mußten sich nicht durch Blicke verständigen. Sie wußten, daß Mim beides brauchte, Lob und Klatsch. Miranda beherrschte letzteres besser als ersteres, was sie auch jetzt bewies. »Du hast eine gute Rede gehalten. Ich glaube, Oliver Zeve und Kimball Haynes waren schlankweg begeistert, jawohl, begeistert. Ich hatte allerdings den Eindruck, daß Lucinda Coles eingeschnappt war, wenn ich mir auch absolut nicht denken kann, warum.«
Mim schnappte nach dem Köder wie ein Klippenbarsch und senkte die Stimme. »Sie hat sich so hochnäsig benommen. Es ist ja nicht so, daß ich sie nicht in mein Komitee eingeladen hätte, Miranda. Sie war die zweite, die ich gefragt habe. Zuerst habe ich Wesley Randolph gefragt. Aber er ist einfach zu alt, der Ärmste. Als ich dann Lucinda fragte, hat sie gesagt, sie hätte genug davon, sich für gute Zwecke zu engagieren, auch wenn es darum ginge, den Ruf der Vorfahren reinzuwaschen. Ich mußte mich schwer beherrschen, ihrem Mann nichts davon zu sagen. Ihr kennt ja Samson Coles. Je öfter sein Name in die Zeitung kommt, desto mehr Leute werden in seine Immobilienagentur gelockt, auch wenn sich im Moment nicht viel verkaufen läßt, stimmt's?«
»Wir haben gute Zeiten gesehen, und wir haben schlechte Zeiten gesehen. Das geht vorüber«, erklärte Miranda weise.
»Da bin ich nicht so sicher«, warf Harry ein. »Ich glaube, wir werden eine sehr, sehr lange Zeit für die achtziger Jahre bezahlen müssen.«
»Blödsinn«, widersprach Mim knapp.
Harry ließ das Thema wohlweislich fallen und kam wieder auf Lucinda Payne Coles zu sprechen, die auf keine besondere Abstammung verweisen konnte, außer daß sie mit Samson Coles verheiratet war, einem Nachkommen von Jane Randolph, der Mutter von Thomas Jefferson. »Wie bedauerlich, daß Lucinda aus Ihrem großartigen Projekt ausgestiegen ist. Es gehört sicher zum Besten, was Sie je getan haben, Mrs. Sanburne, und Sie haben in unserer Gemeinde schon so viel getan.« Obwohl Harry eine leichte Abneigung gegen die snobistische ältere Frau hegte, meinte sie dieses Lob ernst.
»Finden Sie? Oh, das freut mich aber.« Big Marilyn verschränkte die Hände wie ein Geburtstagskind, das über die vielen ausgepackten Geschenke aus dem Häuschen gerät. »Ich arbeite gern, wirklich.«
Dabei fiel Mrs. Hogendobber eine Bibelstelle ein:»>So wird eines jeglichen Werk offenbar werden: der Tag wird's klar machen. Denn es wird durchs Feuer offenbar werden; und welcherlei eines jeglichen Werk sei, wird das Feuer bewähren. Wird jemandes Werk bleiben, das er daraufgebaut hat, so wird er Lohn empfangen. <« Sie nickte weise und fügte hinzu: »1. Korinther, 3,13-14.«
Mim liebte die äußeren Erscheinungsformen des Christentums, die Inhalte dagegen besaßen für sie weit weniger Reiz. Besonderes Unbehagen bereitete ihr der Spruch, daß ein Kamel leichter durch ein Nadelöhr gehe, als daß ein Reicher ins Himmelreich komme. Immerhin war Mim so reich wie Krösus.
»Miranda, deine Bibelkenntnisse erstaunen mich immer wieder!« Mim hätte lieber »langweilen« statt »erstaunen« gesagt, aber sie hielt sich zurück. »Und das Zitat paßt genau, wenn man daran denkt, daß Kimball die Fundamente der Dienstbotenquartiere ausgraben wird. Ich bin ja so aufgeregt. Es gibt so viel zu entdecken. Ach, ich wünschte, ich hätte im achtzehnten Jahrhundert gelebt und Jefferson gekannt.«
»Ich hätte lieber seine Katze gekannt«, mischte Mrs. Murphy sich ein.
»Jefferson war Hundeliebhaber«, fügte Tee Tucker rasch hinzu.
»Und woher willst du das wissen?« Die Tigerkatze schlug mit dem Schwanz und spazierte auf Zehenspitzen über das Sims unter den Schließfächern.
»Das sagt die Vernunft. Er war ein vernünftiger Mensch. Intuitive Menschen bevorzugen Katzen.«
»Tucker!« Mrs. Murphy war so sprachlos angesichts des Scharfblicks der Corgihündin, daß sie nur noch ihren Namen ausrufen konnte.
Die Menschen redeten unbekümmert weiter, ohne etwas vom Gespräch der Tiere mitzubekommen, das viel interessanter war als ihr eigenes.
»Vielleicht haben Sie ihn ja wirklich gekannt. Vielleicht stammt daher Ihre Leidenschaft für Monticello.« Harry hätte um ein Haar einen Haufen Versandhauskataloge zum Abfall geworfen, aber dann besann sie sich.
»Den Unsinn glauben Sie doch selber nicht.« Mrs. Hogendobber rümpfte die Nase.
»Ich schon, ausnahmsweise.« Mim verzog keine Miene.
»Du?« Miranda konnte es anscheinend nicht fassen.
»Ja. Hast du das noch nie erlebt, daß du etwas wußtest, ohne daß man es dir erzählt hatte, oder daß du in Europa in ein Zimmer gekommen bist und das sichere Gefühl hattest, da bist du schon mal gewesen?«
»Ich war noch nie in Europa«, lautete die trockene Antwort.
»Dann wird es höchste Zeit, Miranda, wirklich allerhöchste Zeit«, hielt Mim ihr vor.
»Ich bin in meinem ersten Collegejahr mit dem Rucksack durch Europa gewandert.« Harry lächelte in Erinnerung an die netten Leute, die sie in Deutschland kennengelernt hatte, und wie aufregend es war, in ein damals kommunistisches Land zu kommen, nach Ungarn. Sie hatte sich der Zeichensprache bedient, und irgendwie hatte die Verständigung immer geklappt. Wohin sie auch kam, überall waren die Menschen freundlich und hilfsbereit gewesen. Sie nahm sich vor, eines Tages dorthin zurückzukehren, um alte Freunde wiederzusehen, mit denen sie sich noch schrieb.
»Wie abenteuerlich«, sagte Big Marilyn trocken. Sie konnte sich nicht vorstellen, zu wandern oder, schlimmer noch, in Jugendherbergen zu übernachten. Als sie ihre Tochter in die>Alte Welt< geschickt hatte, hatte Little Marilyn eine große Luxusrundreise gemacht, obwohl sie alles darum gegeben hätte, mit Harry und ihrer Freundin Susan Tucker auf Rucksackwanderschaft zu gehen.
»Wirst du bei den Ausgrabungen dabeisein?« fragte Miranda.
»Wenn Kimball mich läßt. Wißt ihr, wie sie das machen? Sie sind äußerst genau, geradezu pingelig. Sie stecken Raster ab, sie fotografieren alles, sie zeichnen es sogar auf Millimeterpapier - um sicherzugehen. Dann durchforsten sie gewissenhaft Raster für Raster, und alles, absolut alles, was sich bergen läßt, das wird auch geborgen. Tonscherben, Gürtelschnallen, verrostete Nägel. Oh, ich kann's noch gar nicht glauben, daß ich dabeisein werde. Wißt ihr, das Leben ist damals besser gewesen als heute, davon bin ich überzeugt.«
»Ich auch«, tönten Harry und Miranda wie im Chor.
»Ha!« maunzte Mrs. Murphy.»Ist dir das schon mal aufgefallen? Immer, wenn die Menschen sich in die Geschichte zurückversetzen, bilden sie sich ein, damals wären sie reich und gesund gewesen. Die sollten mal rausfinden, wie das war, wenn man im achtzehnten Jahrhundert Zahnschmerzen hatte.« Sie sah zu Tucker hinunter.»Na, ist das etwa kein vernünftiger Gedanke?«
»Manchmal bist du 'ne richtige Kratzbürste. Bloß weil ich gesagt habe, daß Jefferson Hunde lieber mochte als Katzen.«
»Aber das weißt du doch gar nicht.«
»So? Hast du irgendwelche Hinweise auf Katzen gelesen? Alles, was der Mann je geschrieben oder gesagt hat, kennt hier jeder auswendig. Da kommt kein Pieps über Katzen vor.«
»Du hältst dich wohl für überschlau. Hast du vielleicht zufällig eine Liste von seinen Lieblingshunden?«
Tucker senkte verlegen den Kopf.»Hm, das nicht gerade - aber Thomas Jefferson hat Pferde geliebt, vor allem große Füchse.«
»Schön, das kannst du zu Hause Tomahawk und Gin Fizz erzählen. Sie werden sich vor Stolz nicht einkriegen können.« Mrs. Murphy sprach von Harrys Pferden, die sie sehr gern hatte. Sie behauptete steif und fest, daß Katzen und Pferde wesensverwandt seien.
»Glauben Sie, daß wir die Ausgrabungsstätte von Zeit zu Zeit besichtigen können?« Harry beugte sich über den Schalter.
»Warum nicht?« erwiderte Mim. »Ich rufe Oliver Zeve an und frage ihn, ob das in Ordnung geht. Ihr jungen Leute müßt euch unbedingt engagieren.«
»Was gäbe ich darum, noch mal in Ihrem Alter zu sein, Harry.« Miranda wurde wehmütig. »Dann würde mein George noch Haare haben.«
»George hatte mal Haare?« Harry mußte kichern.
»Werden Sie nicht frech«, warnte Miranda, aber ihr Tonfall drückte Zuneigung aus.
»Willst du einen Mann mit einem Kopf voll Haare? Dann nimm meinen.« Mim trommelte mit den Fingern auf den Schalter. »Alle anderen hatten ihn schon.«
»Na hör mal, Mim.«
»Ach, Miranda, ich gräme mich nicht mal mehr deswegen. All die Jahre meiner Ehe habe ich gute Miene zum bösen Spiel gemacht - jetzt ist es mir einfach egal. Ist mir zu anstrengend. Ich habe beschlossen, für mich zu leben. Es lebe Monticello!« Damit winkte sie und ging.
»Ich muß schon sagen, ich muß schon sagen.« Miranda schüttelte den Kopf. »Was ist bloß in sie gefahren?«
»Wer ist bloß in sie gefahren?«
»Harry, das ist ungezogen.«
»Ich weiß.« Harry bemühte sich, in Mrs. Hogendobbers Gegenwart den Mund zu halten, aber manchmal entschlüpfte ihr doch eine Bemerkung. »Da muß was vorgefallen sein. Oder vielleicht ist sie schon als Kind so gewesen.«
»Sie war nie ein Kind.« Miranda senkte die Stimme. »Ihre Mutter hat sie auf eine öffentliche Schule geschickt, aber Mim wäre lieber auf Miss Porters Privatschule gegangen. Sie trug jeden Tag Klamotten, die so teuer waren, daß sie einen Durchschnittsmann bankrott gemacht hätten, und das war wohlgemerkt am Ende der Depression und am Beginn des Zweiten Weltkriegs. Als wir die Crozet High School besuchten, gab es zwei Klassen von Schülern. Marilyn und den Rest.«
»Sagen Sie - haben Sie eine Ahnung, was es sein könnte?«
»Nicht die leiseste.«»Ich weiß, was es ist«, bellte Tucker. Die Menschen sahen sie an.
»Frühlingsgefühle.«