Harry und Warren Randolph ächzten, als sie den Heuwender hochwuchteten und hinten auf ihren Transporter luden.
»Entweder wird das Ding immer schwerer, oder ich werde schwächer«, scherzte Warren.
»Es wird schwerer.«
»He, komm mal kurz mit. Ich will dir was zeigen.«
Harry öffnete die Wagentür, damit Tucker und Mrs. Murphy in die Freiheit entspringen konnten. Sie folgten Harry in den schönen Rennstall der Randolphs, der 1892 gebaut worden war. Hinter dem weißen Holzgebäude mit dem grün gestrichenen, gefalzten Blechdach lag die anderthalb Kilometer lange Bahn. Warren züchtete Vollblutpferde. Auch das gehörte, wie dieser Besitz, seit dem 18. Jahrhundert zur Familientradition. Die Randolphs liebten reinrassige Pferde. Hiervon zeugte auch die imposante walnußgetäfelte Eingangshalle der Villa, in der Pferdebilder aus mehreren Jahrhunderten hingen.
Die großzügigen, zwölf Quadratmeter großen Boxen lagen Rückseite an Rückseite in der Mittelreihe des Stalls. Die Sattelkammer, die Waschboxen und die Futterkammer waren in der Mitte des Boxenblocks untergebracht. Rings um die Außenseite der Boxen verlief ein breiter, überdachter Gang, der bei schlechtem Wetter als Trainingsbahn diente.
Da die Außenmauer viele Fenster hatte, fiel genug Licht auf die Bahn, so daß man hier auch bei Schneesturm mit seinem Pferd arbeiten konnte.
In Kentucky gab es mehr dieser luxuriös angelegten Ställe als in Virginia, und Warren war natürlich stolz auf seinen Stall, den sein Großvater väterlicherseits errichtet hatte. Colonel Randolph hatte sein Geld außerdem in die Eisenbahn investiert, in die Chesapeake & Ohio ebenso wie in die Union Pacific.
»Na, was sagst du?« Warrens braune Augen glitzerten.
»Schön!« rief Harry.
»Was sagst du?« fragte Mrs. Murphy Tucker.
Tucker legte vorsichtig eine Pfote auf den Pavesafe-Bodenbelag. Die matte rötliche Fläche aus ineinandergreifend verlegten ziegelförmigen Gummiplatten konnte sich ausdehnen und zusammenziehen, so daß sie unabhängig von Wetter und Temperatur rutschfest blieb. Der Belag war außerdem gegen Bakterien spezialbehandelt.
Der schwanzlose Hund machte ein paar zaghafte Schritte, dann sauste er an das abgerundete Ende des weitläufigen Stalles.»Juhuu! Ich laufe wie auf Kissen.«
»He, he, warte auf mich!« Die Katze stürmte hinter ihrer Gefährtin her.
»Deinen Tieren gefällt's.« Warren schob die Hände in die Taschen wie ein stolzer Vater.
Harry kniete sich hin und berührte den Belag. »Das Zeug kommt direkt aus dem Paradies.«
»Nein, direkt aus Lexington, Kentucky.« Er führte sie an den Boxen entlang. »Herzchen, in Kentucky sind sie uns so weit voraus, daß es manchmal meinen Stolz verletzt.«
»Schätze, das ist nicht anders zu erwarten. Kentucky ist das Zentrum der Vollblutzucht.« Harrys Zehen prickelten, weil sich der Boden so samtig anfühlte.
»Du kennst mich ja, ich finde, Virginia sollte in jedem Bereich führend für die Nation sein. Wir haben mehr Präsidenten hervorgebracht als jeder andere Staat. Wir haben die führenden Kräfte hervorgebracht, die diese Nation gestaltet haben.«
Warren sang ein Loblied auf die Größe Virginias, vielleicht als Übung für viele spätere Reden. Harry, die in Old Dominion geboren war, wie die Virginier ihren Staat liebevoll nennen, widersprach nicht, aber sie dachte, daß auch die anderen zwölf Kolonien bei der Abspaltung vom Mutterland mitgewirkt hatten. Einzig New York war annähernd so groß wie das ursprüngliche Virginia gewesen, bevor es sich von West Virginia abgespaltet hatte, und es war nur natürlich, daß ein so großes Territorium etwas oder jemanden von Bedeutung hervorbrachte. Hinzu kam, daß die ideale Lage Virginias in der Mitte der Küstenlinie und seine von drei großen Flüssen geprägte Landschaft dem Ackerbau wie den bildenden Künsten förderlich waren. Günstige Häfen und die Chesapeake Bay vervollständigten die üppigen Ressourcen des Staates. So stolz Harry auch war, sie fand, damit zu prahlen zeuge von Mangel an guten Manieren oder Gespür. Menschen, die nicht das Glück hatten, in Virginia geboren zu sein, oder nicht so klug waren, nach Old Dominion zu ziehen, mußten ja nicht unbedingt auf diese schmerzliche Wahrheit hingewiesen werden. Es verdroß die Außenstehenden nur.
Als Warren sein Loblied beendet hatte, kam Harry wieder auf den Bodenbelag zu sprechen. »Darf ich fragen, was das Zeug kostet?«
»Achtzig Dollar der Quadratmeter und neun fünfzig die Antirutschbeschichtung.«
Harry überschlug grob die Quadratmeterzahl, die sie vor sich sah, und kam auf den schwindelerregenden Betrag von 45000Dollar. Sie schluckte. »Oh«, quiekte sie.
»Das hab ich auch gesagt, aber ich kann dir sagen, Harry, ich brauche mich nie mehr wegen dicker Knie oder irgendwelcher Verletzungen zu sorgen. Früher habe ich Zedernspäne genommen. Also, das war vielleicht eine Schinderei, dauernd die Späne mit dem Kipper anschleppen, dazu die Arbeitsstunden für den Transport, das Zeug im Gang immer wieder auffüllen, rechen und dreimal täglich saubermachen. Meine Jungs und ich haben bis zur Erschöpfung geschuftet. Und der Staub, wenn wir die Pferde drinnen trainieren mußten - das war weder gesund für die Pferde in den Boxen noch für die, die trainiert wurden, also mußten wir sprengen, was auch eine Menge Zeit gekostet hat. Aber für die Boxen nehme ich immer noch Zedernspäne. Ich zerkleinere sie etwas und mische sie mit normalen Spänen. Ich lege Wert auf einen guten Stallgeruch.«
»Der schönste Stall in ganz Virginia«, sagte Harry bewundernd.
»Mäusealarm!« Mrs. Murphy kam kreischend zum Stehen, schlich mit schwenkendem Hinterteil in die Futterkammer und stürzte sich auf ein Loch in der Ecke, in das sich das vorwitzige Nagetier geflüchtet hatte.
Tucker steckte die Nase in die Futterkammer.»Wo?«
»Hier«, rief Mrs. Murphy aus der Ecke.
Tucker duckte sich, steckte den Kopf zwischen die Pfoten. Sie flüsterte:»Soll ich mucksmäuschenstill sein wie du?«
»Nee, der kleine Scheißer weiß, daß wir hier sind. Er wird warten, bis wir weg sind. Weißt du, daß eine Maus in einer Woche ein Kilo Körner vertilgen kann? Da sollte man doch vermuten, daß Warren Stallkatzen hat.«
»Hat er vermutlich auch. Sie haben dich gewittert und sind getürmt.« Tucker lachte, während die Tigerkatze murrte.»Komm, gehen wir Mom suchen.«
»Noch nicht.« Mrs. Murphy steckte ihre Pfote in das Mauseloch und tastete umher. Sie angelte ein Bällchen aus fusseligem Stoff heraus, der zweifellos aus einem Hemd genagt worden war, das im Stall hing.»Da, ich fühle noch etwas.«
Mrs. Murphy zog mit einer Kralle ihrer linken Vorderpfote ein Stück Papier aus dem Loch.»Verdammt, wenn ich die Maus doch bloß erwischen könnte.«
Tucker sah sich den Schnipsel aus hochwertigem Pergament an. »Sie wühlt auch im Abfall.«
»Tust du auch.«
»Aber nicht oft.« Der Hund setzte sich.»Guck mal, da steht was geschrieben.«
Mrs. Murphy, die einen dritten Versuch mit dem Mauseloch unternommen hatte, zog die Pfote zurück.»Tatsächlich. Liebster Schatz<. Uff. Liebesbriefe machen mich krank.« Die Katze sah noch einmal auf das Papier.»Es ist zu zerbissen. Sieht nach einer Männerhandschrift aus, findest du nicht?«
Tucker sah sich den Schnipsel genau an.»Besonders schön ist sie jedenfalls nicht. Schätze, hier im Stall treffen sich Liebespaare. Komm jetzt.«
»Okay.«
Sie gingen zu Harry, die gerade eine Stute begutachtete, die Warren und sein Vater auf der Januarauktion in Keeneland gekauft hatten. Da dies eine Versteigerung von Vollblütern aller Altersklassen war, im Gegensatz zu den Spezialauktionen für ein- oder zweijährige Tiere, konnte man zuweilen einen günstigen Kauf tätigen. Bei den Jährlingsauktionen konnte es passieren, daß die Taschen der Leute beim Hammerschlag plötzlich leichter waren als Luft.
»Ich versuche, ihnen Ausdauer anzuzüchten. Sie hat das im Blut.« Er überlegte einen Moment, dann fuhr er fort: »Hast du dich je gefragt, Harry, wie das sein muß, wenn man seine Herkunft nicht kennt? Einer, der durch Ellis Island geschlurft ist zum Beispiel - ein Vorfahre, meine ich. Würde er das Gefühl haben, hierherzugehören, oder gäbe es da eine diffuse romantische Bindung an die alte Heimat? Ich meine, es ist doch sicher verwirrend, ein neuer Amerikaner zu sein.«
»Bist du schon mal bei der Einbürgerungsfeier in Monticello gewesen? Sie findet an jedem 4. Juli statt.« »Nein, bis jetzt nicht, aber sollte wohl mal hingehen, wenn ich für den Senat kandidieren will.«
»Ich bin dabeigewesen. Auf dem Rasen stehen Vietnamesen, Polen, Ecuadorianer, Nigerianer, Schotten, was du willst. Sie heben die Hände, nachdem sie ihre Kenntnisse der Verfassung bewiesen haben, stell dir vor, und schwören dieser Nation Treue und Gehorsam. Ich denke, danach sind sie genauso gute Amerikaner wie wir.«
»Du bist eine großmütige Seele, Harry.« Warren klopfte ihr auf den Rücken. »Hier, ich hab was für dich.« Er gab ihr einen Karton mit Gummibodenplatten. Er war schwer.
»Danke, Warren! Die kann ich wirklich gut gebrauchen.« Sie war begeistert von dem Geschenk.
»Oh, was bin ich nur für ein Gentleman! Laß mich den Karton zum Auto tragen.«
»Wir können ihn zusammen tragen«, schlug Harry vor. »Ach, übrigens, ich finde, du solltest wirklich für den Senat kandidieren.«
Warren erspähte eine Schubkarre und stellte den Karton darauf. »Wirklich? Danke.« Er faßte die Griffe der Schubkarre. »Wir können das Ding genausogut zum Auto rollen. Stell dir vor, man müßte dem Kerl, der das Rad erfunden hat, Tantiemen zahlen!«
»Woher weißt du, daß nicht eine Frau das Rad erfunden hat?«
»Jetzt hast du's mir aber gegeben.« Warren konnte Harry gut leiden. Im Gegensatz zu Ansley, seiner Frau, war Harry natürlich. Er konnte sich nicht vorstellen, daß sie Nagellack benutzte oder Tamtam um ihre Kleidung machte. Wenn er mit Harry zusammen war, wünschte er fast, nicht verheiratet zu sein.
»Warren, soll ich nicht mal rüberkommen und das eine oder andere roden? Diese Platten sind so teuer, ich hab ein schlechtes Gewissen, wenn ich sie einfach so annehme.«
»He, ich lebe nicht von Sozialhilfe. Außerdem sind die Platten übrig, ich habe sonst keine Verwendung dafür. Du liebst deine Pferde, ich wette, du kannst den Belag für deine Waschbox gebrauchen. leg ihn in die Mitte, und drum herum legst du Gummimatten, wie du sie in deinem Anhänger hast. Das ist kein schlechter Kompromiß.«
»Gute Idee.«
Ansley bog in die Zufahrt ein. Ihr brauner Jaguar war so elegant und erotisch wie sie selbst. Stuart und Breton waren bei ihr. Sie sah Harry und Warren die Schubkarre schieben und fuhr statt zum Haus zu ihnen hinüber.
»Harry«, rief sie aus dem Auto, »schön, dich zu sehen.«
Harry deutete auf den Karton. »Dein Mann spielt den Weihnachtsmann.«
»Hi, Harry«, riefen die Jungen ihr zu. Harry erwiderte den Gruß mit einem Winken.
Ansley parkte und stieg geschmeidig aus dem Jaguar. Stuart und Breton liefen ins Haus. »Du kennst Warren. Er muß immer was Neues in Angriff nehmen. Aber ich muß zugeben, der Stall sieht fabelhaft aus, und was Sichereres als dieses Material gibt's nicht. Und jetzt komm ins Haus und trink was mit uns. Big Daddy ist auch da, und er hat was für schöne Frauen übrig.«
»Danke, das ist sehr lieb, aber ich muß nach Hause.«
»Oh, ich habe Mim getroffen«, sagte Ansley zu ihrem Mann. »Sie hätte dich gern in ihrem>Unser-Crozet-sollschöner-werden<- Komitee dabei.«
Warren zuckte zusammen. »Poppa hat ihr gerade einen Batzen Geld für ihr Mulberry-Row-Projekt gegeben - sie nimmt uns einen nach dem anderen aus.«
»Das ist ihr klar, und sie hat mir ins Gesicht gesagt, wie>verantwortungsvoll< die Randolphs seien. Jetzt will sie deinen Wissensschatz. Das hat sie wortwörtlich gesagt. Um Geld wird sie dich ein anderes Mal bitten.«
»Wissensschatz.« Harry unterdrückte ein Kichern, und ihr linker Mundwinkel zuckte, als sie Warren ansah. Auch mit einundvierzig war er noch ein gutaussehender Mann.
Warren hob ächzend den schweren Karton auf das Heck von Harrys Transporter. »Kann eine Frau einen Napoleon-Komplex haben?«