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Strömender Regen unterstützte Kimball Haynes. Das Prasseln der Tropfen an die Fensterscheibe förderte seine Konzentration. Es war lange nach Mitternacht, und immer noch saß er über den Registern von Geburten und Sterbefällen zwischen 1800 und 1812.

Er hatte für seine Nachforschungen das Netz weit ausgeworfen und es dann langsam zu sich herangezogen. Medley Orion, geboren um 1785, wurde in den Berichten als eine schöne Frau bezeichnet. Ihr ungewöhnlicher Teint war zweimal erwähnt; ihre Gesichtszüge muß­ten entzückend gewesen sein. Weiße haben das Aussehen von Schwarzen selten wahrgenommen, es sei denn, um sich über sie lu­stig zu machen. Aber in einer frühen Aufzeichnung von der Hand einer Dame, höchstwahrscheinlich von Martha, Jeffersons ältester Tochter, waren diese Merkmale festgehalten.

Als Martha geheiratet hatte, war Medley fünf oder sechs Jahre alt gewesen. Sie mußte sie als Kind und als junges Mädchen gesehen haben. Eigentlich hatte Martha sehr ordentlich Buch geführt, aber diese Notiz befand sich auf der Rückseite von einem Zettel, auf dem in einer winzigen Handschrift verschiedene Traubensorten aufgelistet waren.

Ein Blitz brannte sich in den Nachthimmel. Im Hof ein Knistern, dann ein Knall. Stromausfall.

Kimball hatte keine Taschenlampe. Er hatte seine Daunenweste an, denn es war kalt im Zimmer. Er tastete nach einer Schachtel Streich­hölzer, zündete eins an. Kerzen hatte er keine ins Zimmer gestellt, warum auch? Er arbeitete selten bis spät in die Nacht in Monticello.

Der Regen hämmerte gegen die Fenster und trommelte aufs Dach, ein gewaltiges Frühjahrsgewitter. Selbst im Zeitalter des Telefons und der Krankenwagen war dies eine gräßliche Nacht, um krank zu werden, ein Kind zu gebären oder im Freien zu Pferde überrascht zu werden.

Das Streichholz verlosch. Kimball wollte nicht noch eins anzünden. Er hätte sich die kaum mehr als einen halben Meter breite Stiege hinuntertasten können zum Erdgeschoß, das für das Publikum zu­gänglich war. Da unten gab es Bienenwachskerzen. Aber er be­schloß, aus dem Fenster zu sehen. Ein Wasserschwall und hin und wieder Bäume, die sich im Wind bogen - mehr konnte er nicht er­kennen.

Das Haus knarzte und ächzte. Den Tag sieht man, die Nacht hört man. Kimball hörte das Quietschen der Türangeln in dem leichten Luftstrom, den der kalte Wind von draußen heraufwehte. Die Fenster hier oben waren nicht ganz dicht, deswegen drang ein Windstoß herein. Die Fenster klapperten, als wollten sie gegen den strömenden Regen protestieren. Der Wind wirbelte laut durch die Rauchfänge. Gelegentlich fiel ein Regentropfen in den Kamin hinunter und lenkte die Gedanken auf Feuer vor über zweihundert Jahren. Bodendielen knarrten.

Vielleicht hätte damals ein wohlhabender Mensch bei einem so hef­tigen Gewitter eine Kerze angezündet, um es sich im Zimmer etwas heimeliger zu machen. Ein Feuer hätte im Kamin zu kämpfen gehabt, weil trotz des Rauchfangs starker Abwind von oben drückte. Aber ein wenig Licht und Heiterkeit hätten den Raum erfüllt, und ver­schreckten Kindern konnte man Geschichten von den nordischen und griechischen Göttern erzählen. Von Thor, der seinen gewaltigen Hammer warf, oder von Zeus, der einen Blitzstrahl auf die Erde schleuderte wie einen blauen Speer.

»Wie mag es bei so einem Gewitter in Hütte Nummer vier gewesen sein?« fragte sich Kimball. Die Tür wäre geschlossen gewesen. Viel­leicht hatte Medley Kerzen gehabt. Man hatte zwar keine Spur davon in ihrer Hütte gefunden, aber bei anderen Ausgrabungen war man auf Talgkerzen gestoßen, und die Schmiede und die Tischlerei hatten für die Männer, die nach dem Dunkelwerden dort arbeiteten, bestimmt welche gehabt. Die Feuerstellen in den Dienstbotenquartieren waren nicht so ausgeklügelt konstruiert gewesen wie die Kamine im Her­renhaus. Regen und Wind waren durch die Rauchabzüge hinabge­strömt und hatten Staub und Unrat durch das Zimmer geweht. Med­ley hatte wenigstens einen Holzfußboden gehabt. Manche Hütten hatten nur gestampfte Lehmböden gehabt, so daß die Füße morgens, wenn es kalt war, auf gefrorene Erde getreten waren. Vielleicht wäre Medley Orion in einer solchen Nacht ins Bett gekrochen und hätte sich die Decke über den Kopf gezogen.

Kimball arbeitete fieberhaft, um Einzelheiten von Medleys Leben zusammenzufügen. Dies war eine andere Art von Archäologie. Je mehr er über die Frau erführe, desto näher würde er einer Lösung kommen, dachte er. Dann überlegte er hin und her und fragte sich, ob sie wohl unschuldig gewesen war. Jemand war in ihrer Hütte umge­bracht worden, aber vielleicht hatte sie nichts davon gewußt. Nein. Unmöglich. Die Leiche mußte nachts vergraben worden sein. Sie hatte es gewußt, das stand fest.

Der Regen umhüllte Monticello wie ein wirbelnder Silbervorhang. Kimball, der dankbar war, daß er die Zeit hatte, dazusitzen und zu sinnieren - das Männerwort für träumen -, wußte, daß er weitersu­chen mußte. Ihm war klargeworden, daß er den Rat einer oder meh­rerer Freundinnen brauchte. Verglichen mit Männern, mordeten Frauen selten. Was mochte eine Sklavin dazu getrieben haben, einen Mann zu töten, noch dazu einen weißen?

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