Fair Hansteen, ein blonder Riese, betrachtete das Bild auf dem kleinen Monitor. Er machte im Zuchtstutenstall auf Wesley Randolphs Gestüt Eagle's Rest eine Ultraschallaufnahme von einem ungeborenen Fohlen. Die Verwendung von Ultraschall zur Ortung von Lage und Zustand des Fötus gewann für Tierärzte und Züchter gleichermaßen an Bedeutung. Dieses sogar in der Humanmedizin relativ junge Verfahren war für Pferde noch später eingeführt worden. Fair zentrierte das gewünschte Bild, drückte auf einen kleinen Knopf, und das Gerät spuckte das Bild des werdenden Fohlens aus.
»Da haben wir ihn, Wesley.« Fair reichte dem Züchter den Ausdruck.
Wesley Randolph, sein Sohn Warren und Ansley, Warrens kleine, aber hinreißende Frau, warteten gespannt auf die Worte des Tierarztes.
»Das Hengstfohlen im Mutterleib ist gesund. Halten wir die Daumen.«
Wesley gab das Bild an Warren weiter und verschränkte die Arme über dem schmächtigen Brustkasten. »Der Deckhengst für dieses Fohlen war Mr. Prospector. Ich muß es haben!«
»Sie können fast nichts Besseres tun, als für die Claiborne Farm zu züchten. Wenn man mit so guten Leuten zusammenarbeitet, kann man kaum Fehler machen.«
Warren, stets darauf bedacht, seinen dominierenden Vater zufriedenzustellen, sagte: »Dad wünscht sich höchstes Tempo, gepaart mit Ausdauer. Ich denke, dieses Fohlen könnte das beste werden, das wir bisher hatten.«
»Dark Windows - die war einmalig«, schwärmte Wesley. »Die verflixte kleine Stute hat ihr Bein über eine Trennwand gesetzt, als wir sie nach Churchill Downs transportierten. Sie bekam ein dickes Knie, und danach ist sie nie wieder Rennen gelaufen. Sie war was Besonderes, die kleine Stute - wie Ruffian.«
»Ich werde den Tag nie vergessen, als Ruffian eine Sekunde im Lauf stockte - wegen eines Vogels oder was weiß ich - und sich den Fesselkopf brach. Gott, es war furchtbar.«
Warren erinnerte sich an den schicksalhaften Tag, an dem das Galopprennen eine seiner bis heute glänzendsten Stuten und vielleicht eines der größten Rennpferde überhaupt verlor, in Belmont Park, im Rennen gegen Foolish Pleasure, den Sieger des Kentucky Derbys.
Fair ergänzte die Erinnerungen an die Verletzung der schwarzen Stute durch die Sachkenntnis des Veterinärs: »Sie war zu wild, konnte einfach nicht liegenbleiben, als ihr Bein eingerenkt war. Sie brach es sich ein zweites Mal, als sie aus der Narkose aufwachte, und hätte es sich ein drittes Mal gebrochen, wenn man versucht hätte, den Bruch wieder einzurenken. Sie einzuschläfern war das einzige, was man tun konnte, um ihr weitere Schmerzen zu ersparen.«
Wesley schüttelte den Kopf. »Ein Jammer, verdammt, so ein Jammer. Sie hätte eine erstklassige Zuchtstute abgegeben. Ihre Besitzer hätten vielleicht sogar versucht, sie von dem Hengst decken zu lassen, gegen den sie lief, als es passierte. Foolish Pleasure. Als Zuchthengst ist er nicht so gut wie als Rennpferd, das wissen wir jetzt, wo wir seinen Nachwuchs gesehen haben.«
»Ich werde nie vergessen, wie die Öffentlichkeit auf Ruffians Tod reagiert hat. Die schöne schwarze Stute mit dem ungeheuren Mut - sie gab immer zweihundert Prozent. Als sie eingeschläfert werden mußte, hat das ganze Land getrauert, sogar Leute, die sich nie was aus Pferderennen gemacht haben. Es war ein sehr, sehr trauriger Tag.« Ansley war sichtlich ergriffen von dieser Erinnerung. Sie wechselte das Thema.
»Dark Windows hat einige großartige Sieger hervorgebracht. Das war auch eine fabelhafte Stute«, lobte Ansley ihren Schwiegervater, der Beachtung so nötig hatte wie ein Fisch das Wasser.
Er lächelte. »Ja, doch, da waren einige.«
»Ich komme nächste Woche wieder vorbei. Rufen Sie mich an, wenn was ist.« Fair ging zu seinem Transporter, um zu seinem nächsten Patienten zu fahren.
Wesley folgte ihm hinaus; sein Sohn und seine Schwiegertochter blieben im Stall. Hinter einer kleinen Anhöhe jenseits des Fahrwegs war ein See. Wesley wollte später mit seinem Fernglas dorthin gehen, um Vögel zu beobachten. Vögel zu beobachten beruhigte sein Gemüt. »Darf ich Ihnen einen Rat geben?«
»Schätze, den kriege ich so oder so, ob ich will oder nicht.« Fair öffnete die Klappe des Laderaums, der in Sonderanfertigung auf seine Bedürfnisse zugeschnitten war und alles enthielt, was ein Tierarzt braucht.
»Erobern Sie Mary Minor Haristeen zurück.«
Fair stellte seine Sachen in den Wagen. »Seit wann spielen Sie Amor?«
»Amor?« brüllte Wesley. »Der dicke Knirps mit Köcher, Pfeil und Bogen und den Flügelchen an den Schultern? Der? Geben Sie mir noch ein bißchen Zeit, dann werde ich ein richtiger Engel - oder aber ich fahre nach dem Tod in die Hölle.«
»Wesley, nur gute Menschen sterben jung. Sie werden uns ewig erhalten bleiben.« Fair machte es Spaß, ihn aufzuziehen.
»Ha! Ich glaube, Sie haben recht.« Anspielungen auf seine wildbewegte Jugend hörte Wesley gern. »Ich bin alt, ich kann reden, was ich will und wann ich will.« Er atmete tief durch. »Hab ich übrigens immer getan. Das ist der Vorteil, wenn man stinkreich ist. Und drum sag ich Ihnen, holen Sie sich die Kleine zurück, die Sie dämlicherweise, und ich betone dämlicherweise, aufgegeben haben. Mit ihr ziehen Sie das große Los.«
»Seh ich so schlimm aus?« fragte Fair. Langsam war ihm nicht mehr zum Spaßen zumute.
»Sie sehen aus wie ein Schiff ohne Ruder, jawohl. Und treiben sich ausgerechnet mit Boom Boom Crawford rum. Große Titten, aber nicht leicht zu halten.« Wesley verglich Boom Boom mit einem Pferd, dessen Unterhalt teuer war, das kaum an Gewicht zunahm und in der Leistung oft enttäuschte. Er hätte keinen passenderen Vergleich wählen können, außer daß sich das Gewicht bei Boom Boom in Karat maß. Sie war noch süchtiger nach Edelsteinen als ein Pascha. »Frauen wie Boom Boom wollen Männern nur den Kopf verdrehen. Harry hat Temperament und Köpfchen.«
Fair rieb die blonden Stoppeln auf seiner Wange. Er kannte Wesley schon sein ganzes Leben, und er mochte ihn gern. Trotz seiner Arroganz und Grobheit. Wesley war loyal, nannte die Dinge beim Namen und war wahrhaft großzügig, ein Wesenszug, den Warren von ihm geerbt hatte. »Manchmal denke ich darüber nach - und ich meine, sie müßte verrückt sein, wenn sie mich zurücknähme.«
Wesley legte seinen Arm um Fairs breite Schultern. »Hören Sie, hier gibt es nicht einen Mann, der nicht mal außerhalb seines Reviers gewildert hätte. Und die meisten von uns fühlen sich saumäßig dabei. Diana hat weggeguckt, wenn ich es gemacht habe. Wir waren ein Gespann. Das Gespann hatte Vorrang, und sobald ich ein bißchen erwachsener geworden war, brauchte ich diese - äh, Abenteuer ohnehin nicht mehr. Ich habe reinen Tisch gemacht. Ich habe ihr gestanden, was ich getan hatte, und sie um Verzeihung gebeten. Die Rumbumserei kränkt eine Frau auf eine Weise, die wir nicht verstehen können. Mein Herz gehörte zweihundertprozentig Diana. Mumm wie Ruffian. Geben, immer geben. Manchmal frage ich mich, wie so eine kleine schwarze Pussy mich überhaupt vom Weg weglocken und mich dazu bringen konnte, dem Menschen weh zu tun, den ich am meisten auf der Welt geliebt habe.« Er hielt inne. »Die Frauen verzeihen leichter als wir. Sie sind auch gütiger. Vielleicht brauchen wir sie, damit sie uns Anstand beibringen, mein Sohn. Überlegen Sie sich, was ich Ihnen gesagt habe.«
Fair klappte den Kofferraum zu. »Sie sind nicht der erste, der mir sagt, ich soll Harry zurückerobern. Mrs. Hogendobber liegt mir deswegen auch ab und zu in den Ohren.«
Wesley lachte. »Miranda. Ich kann sie förmlich hören.«
»Harry war eine gute Ehefrau, und ich war ein Dummkopf, aber wie wird man dieses Schuldgefühl los? Ich will mir nicht wie ein Scheißkerl vorkommen, wenn ich mit einer Frau zusammen bin, selbst wenn ich einer wäre.«
»Genau hier wirkt die Liebe Wunder. Liebe hat nichts mit Sex zu tun, obwohl wir alle dort anfangen. Diana hat mich gelehrt, was Liebe ist. Zart wie ein Spinnennetz und genauso stark. Der Wind kann so ein Spinnennetz nicht wegpusten. Haben Sie sich schon mal eins genau angesehen?« Er wackelte mit der Hand. »Meine Frau hat mich gekannt, mit all meinen Fehlern, und sie hat mich geliebt, wie ich bin. Und ich habe gelernt, sie zu lieben, wie sie war. Das einzig Erfreuliche an meinem Zustand ist, daß ich meine Kleine wiedersehen werde, wenn ich ins Jenseits gehe.«
»Wesley, Sie sehen viel besser aus als in den letzten acht Monaten.«
»Der Krebs ist vorerst zum Stillstand gekommen. Bin verdammt dankbar dafür. Ich fühl mich richtig gut. Das einzige, was mich fertigmacht, sind die Aktienkurse.« Er schauderte, um seine Worte zu unterstreichen. »Und Warren. Ich weiß nicht, ob er stark genug ist, um das alles hier zu übernehmen. Er und Ansley ziehen nicht am selben Strang. Das macht mir Sorgen.«
»Vielleicht sollten Sie mit ihnen reden, wie Sie mit mir geredet haben.«
Wesleys Augen unter den buschigen grauen Brauen blinzelten. »Das versuche ich ja. Aber Warren weicht mir aus. Und Ansley hört zwar höflich zu, aber es geht zum einen Ohr rein, zum anderen Ohr raus.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe mein Leben lang Vollblüter gezüchtet, aber mit meinem eigenen Blut komme ich nicht richtig klar.«
Fair lehnte sich an den großen Transporter. »Ich glaube, daß eine Menge Menschen so empfinden... aber eine Lösung weiß ich auch nicht.« Er sah auf seine Uhr. »Ich muß zur Brookhill Farm. Rufen Sie mich wegen der Stute an - und ich verspreche Ihnen, ich werde über das nachdenken, was Sie gesagt haben.«
Fair stieg in den Wagen, ließ den Motor an und fuhr langsam aus der kurvigen Zufahrt mit den Lindenbäumen. Er winkte, und Wesley winkte zurück.