41

Die Nacht war unverhältnismäßig kalt. Reverend Jones hatte in sei­nem Arbeitszimmer, seinem Lieblingsraum, Feuer gemacht. Den dunkelgrünen Ledersesseln sah man an, daß sie schon viele Jahre in Gebrauch waren; Decken waren über die Armlehnen geworfen, da­mit man die abgeschabten Stellen nicht sah. Gewöhnlich wickelte sich Herb Jones eine dieser Decken um die Beine, wenn er las, wobei ihm Lucy Fur Gesellschaft leistete, die junge Maine-Coon-Katze, die er angeschafft hatte, um Elevation, seine erste Katze, aufzumuntern.

Heute leisteten Ansley und Warren Randolph sowie Mim Sanburne ihm Gesellschaft. Sie waren mit den Vorbereitungen für Kimball Haynes' Gedenkfeier fast fertig.

»Miranda kümmert sich um die Musik.« Mim hakte den Punkt auf ihrer Liste ab. »Little Marilyn hat das Essen bestellt. Du die Blu­men.«

»Ja.« Ansley nickte.

»Und ich lasse das Programm drucken.« Warren kratzte sich am Kinn. »Oder wie soll man das nennen? Ein Programm ist es eigent­lich nicht.«

»In memoriam«, schlug Ansley vor. »Aber egal, wie man's nennt, du hast es großartig gemacht. Ich hatte keine Ahnung, daß du soviel über Kimball wußtest.«

»So viel wußte ich gar nicht. Ich hab Oliver Zeve nach Kimballs Lebenslauf gefragt.«

Ohne von ihrer Liste aufzusehen, hakte Mim die nächsten Punkte ab. »Parkplätze.«

»Dafür sorgt Monticello, oder sollte ich sagen: Oliver?«

»So, das war's dann.« Mim legte ihren Bleistift hin. Sie hätte sich den teuersten Bleistift leisten können, aber sie zog Holzstifte vor, Eagle Mirado Nr. 1. Sie trug immer ein Dutzend davon bei sich, in dem Pappetui, in dem sie verkauft wurden, und dazu einen Anspit­zer.

Die kleine Gruppe blickte ins Feuer.

Herb riß sich von der hypnotischen Kraft der Flammen los. »Kann ich jemandem noch was zu trinken holen? Kaffee?«

»Nein danke«, antworteten alle.

»Herb, Sie kennen doch die Geheimnisse der Menschen. Sie und Larry Johnson.« Ansley faltete die Hände. »Haben Sie irgendeine Idee, eine Ahnung, und wenn sie noch so abwegig ist?«

Herb hob den Blick zur Decke, dann schaute er wieder in die Grup­pe. »Nein. Ich bin die Fakten, also die, die wir kennen, im Geiste so oft durchgegangen, bis mir schwindlig wurde. Ich bin auf nichts ge­stoßen. Aber selbst wenn Kimball oder der Sheriff das Geheimnis der Leiche in Monticello aufgedeckt hätte - ich weiß nicht, ob das etwas mit Kimballs Ermordung zu tun hat. Es wäre naheliegend, da einen Zusammenhang zu suchen, aber ich kann kein Verbindungs­glied finden.«

Mim stand auf. »Ich muß jetzt gehen. Wir haben in kürzester Zeit eine Menge auf die Beine gestellt. Ich danke Ihnen allen.« Sie zöger­te. »Ich bedaure die Umstände, so gern ich mit Ihnen zusammenar­beite.«

Warren und Ansley gingen etwa zehn Minuten später. Auf der Fahrt durch die Dunkelheit hielten die kurvigen Straßen Warren wach.

»Schatz.« Ansley achtete auf Rehe am Straßenrand - das Scheinwerferlicht würde sie blenden. »Hast du jemandem erzählt, daß Kimball die Randolph-Papiere gelesen hat?«

»Nein, du?«

»Natürlich nicht - es würde den Verdacht auf dich lenken.«

»Auf mich, wieso?«

»Weil Frauen selten morden.« Sie blinzelte in die pechschwarze Nacht. »Fahr langsamer.«

»Glaubst du, ich habe Kimball umgebracht?«

»Hm, ich weiß, daß du Mim den Brief mit den ausgeschnittenen Buchstaben geschickt hast.«

Er nahm vor einer tückischen Kurve den Fuß vom Gas. »Wie kommst du darauf, Ansley?«

»Ich hab denNew Yorker in der Bibliothek im Papierkorb gesehen. Ich hatte ihn noch nicht gelesen, deshalb habe ich ihn herausgefischt, und da habe ich entdeckt, was du mit deiner Schere angerichtet hast.«

Den Rest des Heimwegs, es waren nur noch drei Kilometer, blickte er finster vor sich hin. Als sie in der Garage waren, stellte er den Motor ab, dann packte er Ansley am Handgelenk. »Du bist nicht so schlau, wie du denkst. Misch dich da nicht ein.«

»Ich will wissen, ob ich mit einem Mörder zusammenlebe.« Sie triezte ihn: »Und wenn ich dir mal im Weg bin?«

Er hob die Stimme. »Verdammt noch mal, ich habe Mim Sanburne einen Streich gespielt. Zugegeben, es war nicht besonders geistreich, aber es hat Spaß gemacht; denk doch nur mal daran, wie sie mich und alle anderen seit jeher nach ihrer Pfeife tanzen läßt. Halt du bloß deinen Mund.«

»Ist doch klar.« Sie preßte die Lippen zusammen, so daß sie noch schmaler wurden, als sie sowieso schon waren.

Ohne ihr Handgelenk loszulassen, fragte er: »Hast du die Papiere gelesen? Das blaue Tagebuch?«

»Ja.«

Jetzt ließ er ihr Handgelenk los. »Ansley, jede alteingesessene Fa­milie in Virginia hat ihr Quantum an Pferdedieben, Schwachsinnigen und schlichtweg miesen Kerlen. Wo ist der Unterschied, ob sie 1776 schlecht oder verrückt waren oder heute? Man wäscht seine schmut­zige Wäsche nicht in der Öffentlichkeit.«

»Da hast du recht.« Sie öffnete die Wagentür, um auszusteigen, und er tat dasselbe.

»Ansley?«

»Ja?« Sie drehte sich auf dem Weg zur Tür um.

»Hast du wirklich auch nur eine Minute gedacht, daß ich Kimball Haynes getötet habe?«

»Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll.« Verdrossen erreichte sie die Tür, öffnete sie und ließ sie zuknallen, ohne sich umzusehen. Dabei zerquetschte sie Warren fast die Nase.

Загрузка...