Ein mit Törtchen und frischem Apfelkuchen beladener Teetisch erregte Tuckers, Mrs. Murphys und Pewters Interesse. Die Menschen waren im Augenblick zu aufgewühlt, um zu essen. Mrs. Hogendobber, eine erstklassige Bäckerin, probierte gern neue Rezepte aus, bevor sie damit zu Essens- und Wohltätigkeitsveranstaltungen der >Kirche zum Heiligen Licht< ging. Harry, die als Versuchskaninchen diente, profitierte am meisten davon. Würde Harry ihre kalorienverbrennende Schwerarbeit auf der Farm einstellen, sie würde dick wie eine Zecke. Mrs. H. hatte die Leckereien am nächsten Tag mit zur Arbeit bringen wollen, aber jetzt war alles durcheinandergeraten.
»So ein intelligenter junger Mann. Er hatte alles, was das Leben lebenswert macht.« Miranda wischte sich die Augen. »Wer hätte einen Grund gehabt, Kimball umzubringen?«
Sie saß zwischen Fair und Harry auf dem Sofa.
Harry tätschelte ihre Hand, eine unbeholfene Geste, aber für Umarmungen oder Zuneigungsbekundungen hatte Mrs. Hogendobber nichts übrig. »Ich weiß es nicht, aber ich glaube, er hat seine Nase zu tief in fremde Angelegenheiten gesteckt.«
Mrs. Hogendobber hob den Kopf. »Meinen Sie diesen Mord in Monticello?«
»Nicht unbedingt. Ich weiß nicht, was ich meine«, seufzte Harry.
Fairs Baritonstimme tönte durch den Raum: »Die Stadt Crozet steckt voller Geheimnisse, die viele Generationen zurückreichen.«
»Stecken nicht alle Städte voller Geheimnisse? Die Regeln für das Leben scheinen die wahre menschliche Natur nicht zu berücksichtigen.« Harry roch an dem Apfelkuchen. Pewter duckte sich und machte sich bereit zum Sprung auf den Teewagen. »Pewter, nicht.«
»Das ißt doch sowieso niemand«, erwiderte die Katze frech.»Warum gutes Essen verkommen lassen?«
Aufgebracht, weil Pewter sich nicht nur weigerte, von der Stelle zu weichen, sondern abermals mit dem Hinterteil wackelte, um zum Sprung anzusetzen, stand Harry auf und verjagte die Katze von dem Teewagen. Pewter lief ein paar Schritte, dann setzte sie sich trotzig hin.
»Duprovozierst sie«, warnte Mrs. Murphy.
»Was soll sie schon machen? Mir den Kuchen ins Gesicht klatschen?« Pewter näherte sich listig dem mit süßen Sachen beladenen Teewagen.
»Hört mal, laßt uns was davon essen, bevor Pewter meine Geduld erschöpft hat.« Harry schnitt drei Stück Kuchen ab. Der köstliche, schwere Apfelduft erfüllte das Zimmer, als das Messer die Füllung des Kuchens aufschnitt.
»Oh, Miranda, das sieht herrlich aus.« Harry verteilte die drei Teller. Sie setzte sich, um zu essen, aber die auf den Teewagen zuschleichende Pewter störte den ohnehin schon zur Genüge gestörten Frieden. Harry gab nach und schnitt ein schmales Stück für die zwei Katzen und ein weiteres für Tucker ab.
»Sie verwöhnen die Tiere«, sagte Mrs. Hogendobber.
»Sie sind ausgezeichnete Vorkoster. Wenn sie etwas nicht fressen wollen, weiß man, daß es schlecht ist - was von Ihrem Gebäck selbstverständlich niemand behaupten wird.«
»Wie oft habe ich mir schon gewünscht, ich würde nicht so gern backen.« Sie klopfte sich auf den Bauch.
Sie genossen den Kuchen, bis ihre Gedanken zu Kimball zurückkehrten. Während sie redeten, stand Harry auf und schenkte Kaffee ein. Sie fühlte sich oft besser, wenn sie sich bewegen konnte. Harrys Mutter hatte immer gesagt, sie habe Pfeffer im Hintern, aber das
stimmte nicht; sie konnte einfach besser denken, wenn sie herumging.
»Klasse, absolute Spitze, Mrs. H.«, lobte Fair.
»Danke«, erwiderte sie mit müder Stimme und vergoß eine weitere Träne. »Ich hasse es zu weinen. Aber ich muß dauernd daran denken, daß er nie die Chance hatte, zu heiraten und Kinder zu haben.« Sie stellte ihre Tasse auf den Couchtisch. »Ich rufe Mim an. Sie hat es bestimmt schon gehört.«
Harry, Fair und die Tiere beobachteten, wie sie wählte. Es folgte ein langes Gespräch, aber da Mim den größten Teil bestritt, waren Mirandas Zuschauer auf Vermutungen angewiesen.
»Sie ist hier. Ich frag sie.« Mrs. Hogendobber legte die Hand über die Sprechmuschel. »Mim möchte, daß wir uns morgen mit dem Sheriff treffen. Oliver Zeve ist schon vernommen worden. Gegen Mittag?«
Harry nickte.
Miranda fuhr fort: »Geht in Ordnung. Wir sehen uns dann bei dir. Sollen wir was mitbringen? Ist gut. Wiedersehen.«
»Nehmen Sie doch was von diesem Kuchen mit«, schlug Fair vor.
»Gute Idee.« Sie blieb beim Telefon. »Sheriff Shaw nimmt eine Dingsda vor, wie heißt das, ballistische Untersuchung? Sie hoffen, die Waffe zu finden.«
»Keine Chance.« Harry stützte das Gesicht in die Hände.
»Vielleicht doch.« Fair überlegte laut: »Vielleicht hat der Mörder ja überstürzt gehandelt.«
»Auch wenn er überstürzt gehandelt hat. So dumm ist er - oder sie - bestimmt nicht«, konterte Harry. »Und um es noch schlimmer zu machen, der Regen hat alle Reifenspuren weggewaschen, so daß man keine Abdrücke nehmen kann.«
»Und die Witterung hat er auch weggewaschen«, klagte Tucker.
»Eine merkwürdige Geschichte.« Mrs. Hogendobber setzte sich wieder zu ihnen auf das Sofa.
»Wir müssen die Papiere durchsehen, die Kimball gelesen hat. Rick Shaw hat bestimmt auch schon daran gedacht, aber da wir einigermaßen vertraut sind mit jener Zeit und ihren Personen, können wir ihm vielleicht helfen.«
»Und euch damit in Gefahr bringen? Das erlaube ich nicht«, sagte Fair entschieden.
»Fair, als wir verheiratet waren, hast du mir auch keine Befehle erteilt. Bitte fang nicht jetzt noch damit an.«
»Als wir verheiratet waren, Mary Minor, war dein Leben nicht in Gefahr. Du begreifst vielleicht nicht, wohin dies alles führen könnte, aber ich! Ein Mann ist tot, weil er etwas aufgedeckt hat. Wenn er es gefunden hat, spricht alles dafür, daß du es auch findest, vor allem bei deinem Spürsinn.«
»Es sei denn, der Mörder beseitigt den Beweis.«
»Falls das möglich ist«, sagte Mrs. Hogendobber zu Harry. »Vielleicht muß man bloß die Berichte und Tagebücher durchlesen und zwei und zwei zusammenzählen. Es muß sich nicht um ein einziges Dokument handeln - oder vielleicht doch.«
»Und ich sage euch zwei Schwachköpfen« - Fair hob die Stimme, so daß Tucker die Ohren spitzte - , »was Kimball entdeckt hat, mag durchaus heute noch von Interesse sein. Bei seinen Nachforschungen könnte er auf etwas gestoßen sein, das hier und heute für jemand gefährlich ist. Es ist schwer zu glauben, daß man Kimball wegen eines 1803 begangenen Mordes getötet hat.«
»Da ist was dran«, pflichtete Mrs. Hogendobber ihm bei. Aber sie hatte ein sehr, sehr mulmiges Gefühl.
»Ich sehe die Papiere durch.« Harry war genauso dickköpfig wie Pewter. Die graue Katze staunte. Mrs. Murphy, die schon etliche Szenen zwischen Mr. und Mrs. mitbekommen hatte, war nicht ganz so erstaunt.
»Harry, ich verbiete es!« Fair schlug mit der Hand auf den Couchtisch.
»Tu das nicht«, bellte Tucker, aber auch sie wollte nicht, daß ihre Mutter sich in Gefahr brachte.
»Immer mit der Ruhe, ihr zwei, immer mit der Ruhe.« Mrs. Hogendobber lehnte sich auf dem Sofa zurück. »Wir wissen, daß Kimball Mims Familiengeschichte und die der Coles durchgelesen hat. Ich weiß nicht, ob er zu den Papieren der Randolphs gekommen ist. Sonst noch jemand?«
»Er hat sich eine Liste gemacht. Wir sollten uns diese Liste besorgen oder Rick um eine Fotokopie bitten.« Harry war zwar wütend auf Fair, aber es freute sie doch, daß er um sie besorgt war; allerdings wußte sie nicht recht, weshalb sie das so glücklich machte. Harry war langsam in diesen Dingen.
Fair verschränkte die Arme. »Du hörst mir überhaupt nicht zu, überlaß den Fall der Polizei.«
»Ich hör dir zu, aber ich mochte Kimball gern. Wir haben ihm auch geholfen, die Tatsachen zu rekonstruieren. Wenn ich helfen kann, den zu schnappen, der ihn umgebracht hat, dann tu ich es.«
»Ich mochte ihn auch, aber nicht genug, um für ihn zu sterben. Und das bringt ihn auch nicht zurück.« Das war die reine Wahrheit.
»Du kannst mich nicht davon abhalten.« Harry streckte das Kinn vor.
»Nein, aber ich kann mitkommen und helfen.«
Mrs. Hogendobber klatschte in die Hände. »Das laß ich mir gefallen!«
»Was meinst du, Tucker?« Mrs. Murphy faßte ihren Schwanz mit einer Vorderpfote.
»Er liebt sie noch immer.«
»Unverkennbar.« Pewter legte sich hin, das Gebäck interessierte sie viel mehr als menschliche Gefühle.
»Ja, aber wird er sie zurückerobern?« fragte die Tigerkatze.