6

Der Regen hatte verheerende Folgen für Kimballs Arbeit. Seine Mit­arbeiter spannten eine leuchtendblaue Plastikplane über vier Stangen, die den schlimmsten Regen abhielt, aber dennoch sickerte das Was­ser in die gut anderthalb Meter tiefe Grube, die sie ausgehoben hat­ten.

Eine junge Deutsche, Heike Holtz, fegte vorsichtig die Erde beisei­te. Ihre Knie waren voller Schlamm, ihre Hände ebenso, aber das war ihr egal. Sie war eigens nach Amerika gekommen, um mit Kimball Haynes zu arbeiten. Ihr langfristiges Ziel war es, nach Deutschland zurückzukehren und mit ähnlichen Ausgrabungs- und Rekonstrukti­onsarbeiten in Sanssouci zu beginnen. Da dieses schöne Schloß in Potsdam stand, in der ehemaligen DDR, glaubte sie kaum, Gelder für das Unternehmen aufbringen zu können. Aber sie war überzeugt, daß ihre Landsleute früher oder später versuchen würden, zu retten, was zu retten war. Als Archäologin verübelte sie den Russen, daß unter ihrer Verwaltung die vielen sagenhaften Bauwerke so mißachtet wurden. Wenigstens hatten sie den Kreml vor dem Verfall bewahrt. Darüber, wie sie das Volk behandelten, hielt sie wohlweislich den Mund. Die Amerikaner, die in vieler Hinsicht vom Glück begünstigt waren, würden diese Art von systematischer Unterdrückung nie ver­stehen.

»Heike, jetzt machen Sie mal eine Pause. Sie sind seit dem frühen Morgen in dieser Kälte.« Kimballs hellblaue Augen drückten Mitge­fühl aus.

»Nein, nein, Professor Haynes. Ich lerne zu viel, um jetzt wegzu­gehen.«

Sie sprach mit einem charmanten Akzent, musikalisch, sehr verfüh­rerisch. Aber auf den Akzent war sie nicht angewiesen. Heike war umwerfend.

Kimball klopfte ihr auf den Rücken. »Sie werden ein ganzes Jahr hier sein, Heike, und ich denke, wenn die Götter es gut mit mir mei­nen, kann ich Ihnen eine Stelle an der Uni besorgen, damit Sie noch länger bleiben können. Sie sind gut.«

Sie senkte den Kopf tiefer über ihre Arbeit; sie war zu schüchtern, um ihm in die Augen zu sehen, während sie sich für das Lob bedank­te.

»Gehen Sie schon, machen Sie Pause.«

»Es mag sich vielleicht absurd anhören, aber ich fühle etwas.«

»Davon bin ich überzeugt«, lachte er. »Frostbeulen.«

Er trat von der Feuerstelle weg, an der Heike arbeitete. Hier war einer von den hölzernen Kaminen gewesen, die Feuer gefangen hat­ten. Eine Erdschicht war mit verkohlten Stückchen durchsetzt, und die Archäologen waren soeben dabei, unter diese Schicht zu dringen. Wer immer nach dem Brand aufgeräumt hatte, hatte soviel Asche wie möglich entfernt. Hier arbeiteten eine weitere Studentin und ein Student.

Heike scharrte mit den Händen, vorsichtig, aber mit beachtlicher Kraft. »Professor.«

Kimball ging wieder zu ihr und kniete sich flink hin. Beide arbeite­ten sie mit äußerster Geschicklichkeit und Präzision.

»Mein Gott!« rief Heike auf deutsch.

»Das ist mehr, als wir erwartet hatten, Kindchen.« Kimball strich sich mit der Hand übers Kinn, ohne an den Schlamm zu denken. Er rief Sylvia und Joe, zwei seiner Studenten, die ebenfalls an diesem Abschnitt arbeiteten. »Joe, gehen Sie rauf, holen Sie Oliver Zeve.«

Joe und Sylvia besahen sich den Fund.

»Joe?«

»Ja, Professor?«

»Kein Wort, zu niemandem, verstanden? Das ist ein Befehl«, sagte er zu den anderen, als Joe zum großen Haus rannte.

»Wir wollen auf keinen Fall, daß die Presse hiervon Wind be­kommt, bevor wir Zeit hatten, eine Erklärung vorzubereiten.«

Загрузка...