»Wenn Sie sich noch eine Zigarette anzünden, muß ich mir auch eine ins Gesicht stecken«, witzelte Deputy Cynthia Cooper.
»Da.« Sheriff Shaw warf ihr sein Päckchen Chesterfield zu. Sie fing es mit der linken Hand auf. »Gut gehalten«, sagte er.
Sie klopfte mit ihrem langen, eleganten Finger auf das Päckchen, und eine schlanke weiße Zigarette glitt heraus. Cynthia klimperte mit den Wimpern, als sie das schwere Tabakaroma einatmete. Dieses üble Kraut, die Geißel der Lungen, diese Droge, das Nikotin, aber oh, wie es die Nerven beruhigte und wie es half, die Schatzkammern des wunderbaren Staates Virginia zu füllen. »Verdammt, ich liebe das Zeug.«
»Glauben Sie, daß wir jung sterben?«
»Jung?« Cynthia zog die Augenbrauen hoch. Rick mußte lachen, schließlich war er schon in den mittleren Jahren.
»He, Sie wollen doch eines Tages noch weiter befördert werden, oder, Deputy?«
»Der reinste Kindskopf, dieser Rick Shaw.« Sie steckte sich die Zigarette in den Mund und zündete sie mit einem Redbud-Streichholz an.
Sie inhalierten in seligem Schweigen; der blaue Dunst wand sich zur Decke wie ein losgelassener Flaschengeist.
»Coop, was halten Sie von Oliver Zeve?«
»Er hat das Ergebnis aufgenommen, wie ich es erwartet hatte. Mit einem nervösen Zucken.«
Rick grunzte. »Seine Presseerklärung war ein Muster an Zurückhaltung. Aber nichts, absolut nichts wird Big Marilyn Sanburne von ihrer Verfolger-Theorie abbringen. Die Frau ist gut. Sie ist wirklich gut.« Rick schätzte ihre Sachkenntnis, obwohl er Mim nicht leiden konnte. »Ich ruf sie am besten gleich an.«
»Eine gute Taktik, Boß.«
Rick rief in der Villa der Sanburnes an. Der Butler holte Mim. »Mrs. Sanburne, hier spricht Rick Shaw.«
»Ja, Sheriff?«
»Ich möchte Ihnen den Bericht aus Washington durchgeben, betreffs der menschlichen Überreste, die in Monticello gefunden wurden.« Er hörte ein rasches Einatmen. »Es handelt sich um das Skelett einer weißen männlichen Person, zwischen 32 und 35 Jahren alt. Gesundheitszustand gut. Der linke Oberschenkelknochen ist in der Kindheit gebrochen gewesen und verheilt. Möglicherweise hat das Opfer leicht gehinkt. Das Opfer war 1,77m groß, was zwar bei weitem nicht an Jeffersons 1,93m heranreichte, aber für damalige Verhältnisse dürfte es trotzdem groß gewesen sein; nach der Knochendichte zu urteilen, war der Mann vermutlich kräftig gebaut. Es gibt keine Degenerationserscheinungen an den Knochen, und er hatte sehr gute Zähne. Er wurde durch einen kräftigen Schlag auf den Hinterkopf getötet. Das Tatwerkzeug konnte noch nicht bestimmt werden. Der Tod ist höchstwahrscheinlich auf der Stelle eingetreten.«
Mim fragte: »Woher weiß man, daß der Mann ein Weißer war?«
»Wissen Sie, Mrs. Sanburne, die Bestimmung der Rasse anhand von Knochenresten kann tatsächlich manchmal etwas knifflig sein. Menschen weisen untereinander mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede auf. Die Rassen haben mehr Gemeinsamkeiten als Differenzen. Man könnte sagen, daß Rasse mehr mit Kultur zu tun hat als mit körperlichen Merkmalen. Wie dem auch sei, die forensische Forschung beginnt mit der Bestimmung der Knochenstruktur und der Skelettproportionen, unter besonderer Berücksichtigung der Ausprägung der Wangenknochen, sodann untersucht man die Breite der Nasenöffnung und Form und Abstand der Augenhöhlen. Ein weiterer Faktor ist das Vorstehen des Kiefers. Der Kiefer eines Weißen zum Beispiel steht im allgemeinen nicht so weit vor wie der eines Schwarzen. Das Vorstehen des Ober- und Unterkiefers bei Menschen afrikanischen Ursprungs wird in der Fachwelt als Prognatie oder Progenie bezeichnet. Bei vielen Skeletten von Weißen findet sich außerdem eine zusätzliche Naht im Schädel, die vom oberen Teil des Nasenbogens bis zum Scheitel verläuft. Noch aufschlußreicher ist vielleicht der Krümmungsgrad der langen Knochen, insbesondere der Oberschenkelknochen. Skelette von Weißen weisen normalerweise eine größere Krümmung am Oberschenkelhals auf.«
»Erstaunlich.«
»Allerdings«, stimmte der Sheriff zu.
»Ich danke Ihnen«, sagte Mim höflich und legte auf.
»Nun?« fragte Cooper.
»Sie hat kein Riechsalz gebraucht.« Rick spielte auf die Damen der viktorianischen Zeit an, die beim Vernehmen unerfreulicher Neuigkeiten regelmäßig in Ohnmacht fielen. »Fahren wir schleunigst zu Kimball Haynes. Ich möchte ihn sprechen, ohne daß Oliver Zeve dabei ist. Oliver wird ihn kaltstellen, wenn er kann.«
»Boß, der Direktor von Monticello wird den Lauf der Gerechtigkeit nicht behindern. Ich weiß, daß Oliver da oben auf dem Drahtseil tanzt, aber er ist kein Verbrecher.«
»Nein, das nehme ich auch nicht an, aber er ist in dieser Angelegenheit so überempfindlich. Er wird Kimball Steine in den Weg legen, dabei denke ich, daß Kimball der einzige ist, der uns zu dem Mörder führen kann.«
»Ich glaube, es war Medley Orion.«
»Wie oft habe ich Ihnen schon gesagt, Sie sollen keine voreiligen Schlüsse ziehen?«
»Zigmillionenmal.« Sie verdrehte die großen blauen Augen. »Und ich tu's trotzdem.«
»Und zwar die meiste Zeit.« Er trat nach ihr, als sie an ihm vorbeiging, um ihre Zigarette auszudrücken. »Zufällig bin ich Ihrer Meinung. Es war Medley oder ein Freund, ihr Vater, jemand, der ihr nahestand. Wenn wir nur das Motiv hätten - Kimball kennt die damalige Zeit in- und auswendig, und er hat ein Gespür für die Menschen.«
»Den hat's gepackt.«
»Häh?«
»Harry hat mir erzählt, Kimball brütet Tag und Nacht über diesem Fall.«
»Harry - demnächst läßt sie noch die Katze und den Hund darauf los.«