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Kimball Haynes, Harry, Mrs. Hogendobber, Mim Sanburne und Lu­cinda Coles zwängten sich in eine Nische im Metropolitan, einem Restaurant in der Innenstadt von Charlottesville. Das Metropolitan zeichnete sich durch ein angenehm schlichtes Interieur und phanta­stisches Essen aus. Lulu war zufällig durch das Einkaufszentrum geschlendert, als Kimball sie erblickte und zum Mittagessen mit den anderen einlud.

Beim Salat erläuterte er, was er über Medley Orion und Martha, Jeffersons Erstgeborene, herausgefunden hatte.

»Kimball, wie ich sehe, sind Sie der geborene Detektiv, aber wohin soll das führen?« fragte Mim. Sie wollte der Sache auf den Grund gehen.

»Wenn ich das wüßte.« Kimball schnitt in einen dünnen Mais­pfannkuchen.

»Ihr seid vielleicht alle zu jung, um eine gewisse rassistische Re­densart gehört zu haben.« Mim blickte zur Decke, denn sie hatte gelernt, derlei Redensarten zu verachten.»>Da ist irgendwo ein Nig­ger im Holzstoß. < Stammt ursprünglich von der Underground- Railroad-Bewegung her, die Sklaven zur Flucht verhalf. Aber ihr versteht, was es bedeutet.«

Lulu Coles zappelte auf ihrem Sitz. »Nein, ich nicht.«

»Jemand verbirgt etwas«, erklärte Mim knapp.

»Natürlich verbirgt jemand etwas. Sie haben es zweihundert Jahre verborgen, und jetzt steckt Martha Jefferson Randolph mit drin.« Lulu zügelte ihre Wut. Sie wußte, daß Mim Samson wegen seines Ausbruchs bei der Trauerfeier um Immobilienaufträge gebracht hat­te. So wütend Lucinda auf ihren Mann war, sie war klug genug, nicht zu wünschen, daß ihr Nettoeinkommen sank. Sie war grundsätzlich wütend, Punkt. Wenn sie in den Spiegel blickte, sah sie, daß ihre Mundwinkel sich nach unten zogen, genau wie bei ihrer Mutter, ei­ner verbitterten Frau. Sie hatte sich geschworen, es nie so weit kom­men zu lassen. Jetzt wurde sie zu ihrem Entsetzen wie ihre Mutter.

Harry kippte ihre Cola hinunter. »Mim meint, daßheute jemand etwas verbirgt.«

»Warum?« Susan fuchtelte mit den Händen in der Luft. Der Ge­danke war einfach absurd. »Es gibt also einen Mörder im Stamm­baum. In unseren Stammbäumen ist doch unterdessen alles vertreten. Wirklich, wen kümmert das schon?«

»Herr, errette meine Seele von den Lügenmäulern, von den fal­schen Zungen.< Psalm 120,2.« Mrs. Hogendobber hatte wie immer eine passende Bibelstelle parat.

»Verzeihen Sie, Mrs. H. aber es gibt noch ein treffenderes Zitat.« Kimball schloß die Augen und grub in seiner Erinnerung. »Ah, ja, ich hab's.>Ein Freund täuscht den andern und reden kein wahres Wort; sie fleißigen sich darauf, wie einer den andern betrüge, und ist ihnen leid, daß sie es nicht ärger machen können.<«

»Jeremia 9,5. Ja, das ist treffender«, stimmte Mrs. Hogendobber zu. »Ich meine zwar, es dürfte niemanden aus der Fassung bringen, wenn die Katze nach so vielen Jahren aus dem Sack gelassen wird, aber wenn es in die Zeitung und ins Fernsehen kommt, naja - ich kann's verstehen.«

Susan feixte. »Ja, dein Ummmrgroßvater wurde ermordet. Wie findest du das?«

»Oder dein Urur - wie viele Urs?« Harry wandte sich an Susan, die zwei Finger hochhielt. »Dein Ururgroßvater war ein Mörder. Soll man den Nachkommen des Opfers dafür eine Entschädigung zahlen? Offensichtlich ist unserer Gesellschaft der Begriff Privatsphäre ab­handen gekommen. Man kann doch niemandem zum Vorwurf ma­chen, daß er vor neugierigen Augen soviel wie nur möglich verber­gen will.«

»Genug davon. Kimball, Sie können gerne die Coles-Papiere ein­sehen. Vielleicht finden Sie dort den Mörder.« Lulu lächelte.

Kimball strahlte. »Das ist sehr großzügig von Ihnen. Die Coles- Papiere werden für mich von unschätzbarem Wert sein, auch wenn sie den Mörder nicht preisgeben.«

Mim rutschte auf der harten Bank hin und her. »Es wundert mich, daß Samson seine Schätze nicht der Alderman-Bibliothek gestiftet hat. Oder einer anderen Bibliothek, von der er meint, daß die Manu­skripte und Tagebücher dort gut aufgehoben sind. Mir persönlich ist natürlich die Alderman-Bibliothek die liebste.«

Sie hatte den Ölzweig hingestreckt. Lulu griff danach. »Ich werde versuchen, ihn zu überreden, Mim. Samson fürchtet, daß sein Familienarchiv beschriftet, in Kartons gepackt und nie wieder das Tages­licht sehen wird. Wenn es in ferner Zukunft jemand findet, wird es verrottet sein. Er verwahrt das ganze Material in seiner klimatisierten Bibliothek. Die Coles sind führend, was die Konservierung von Do­kumenten betrifft«, sie holte Luft, »aber vielleicht ist jetzt die richti­ge Zeit, anderen einen Einblick zu gewähren.«

»Ja.« Mim strahlte, als ihr Hauptgericht, pochierter Lachs in Dill­sauce, aufgetragen wurde. »Was hast du bestellt, Luanda? Ich hab's schon wieder vergessen.«

»Bries.«

»Ich auch.« Harry lief das Wasser im Mund zusammen, als ihr der verlockende Duft des Gerichts in die Nase stieg.

»Ein klasse Mittagessen.« Kimball nickte den Damen zu. »Schöne Frauen, köstliche Gerichte und Hilfe bei meinen Untersuchungen. Was will man mehr?«

»Ein Jagdpferd von 1,65m Stockmaß, das über ein meterhohes Hindernis setzt.« Harry ließ sich die mächtige Soße auf der Zunge zergehen.

»Ach, Harry, du mit deinen Pferden. Du hast Gin Fizz und Toma­hawk.« Susan stieß sie mit dem Ellbogen an.

»Die kommen allmählich in die Jahre«, klärte Mim Susan auf. Mim, die sich kaum eine Fuchsjagd entgehen ließ, verstand Harrys Wunsch. Sie verstand aber auch, daß Harrys Mittel spärlich waren, und nahm sich vor, vielleicht mal jemanden so unter Druck zu set­zen, daß er Harry ein gutes Pferd zu einem niedrigen Preis verkaufte.

Vor sechs Monaten wäre es ihr nicht in den Sinn gekommen, der Posthalterin zu helfen. Aber Mim hatte ein neues Kapitel in ihrem Leben aufgeschlagen. Sie wollte wärmer, gütiger, großzügiger sein. Es war nicht leicht, über Nacht eine Lebensweise abzuschütteln, die man sechs Jahrzehnte gepflegt hatte. Den Grund dieser Kehrtwen­dung bewahrte sie im wahrsten Sinne des Wortes in ihrer Brust. Sie hatte Larry Johnson zu einer Routineuntersuchung aufgesucht. Er hatte einen Knoten gefunden. Larry, die Diskretion in Person, ver­sprach, es nicht einmal Jim zu sagen. Mim war nach New York City geflogen und hatte sich im Columbia-Presbyterian-Krankenhaus operieren lassen. Sie hatte allen erzählt, sie mache ihre halbjährliche Einkaufstour. Da sie jedes Frühjahr und jeden Herbst nach New York flog, genügte diese Erklärung. Der Knoten wurde entfernt, er war bösartig. Immerhin war die Krankheit rechtzeitig erkannt wor­den. Mims Körper zeigte keine weiteren Anzeichen von Krebs. In­zwischen sind die Behandlungsmethoden recht gut, und Mim war nach einer Woche wieder zu Hause, und da sie tatsächlich einige Einkäufe getätigt hatte, ahnte niemand etwas. Bis Jim mal ins Bade­zimmer kam, als sie in der Wanne saß. Sie erzählte ihm alles. Er schluchzte. Das erschütterte sie dermaßen, daß sie auch schluchzte. Sie begriff immer noch nicht, wie ihr Mann ihr chronisch untreu sein und sie gleichzeitig so lieben konnte, aber daß er sie liebte, das wuß­te sie jetzt. Sie beschloß, ihm nicht mehr böse zu sein. Sie beschloß sogar, bei gesellschaftlichen Anlässen nicht weiter so zu tun, als hätte er kein Faible für andere Frauen. Er war, wie er war, und sie war, wie sie war, aber sie konnte sich ändern, und sie gab sich Mühe. Ob Jim sich ändern wollte, war seine Sache.

»Erde an Mrs. Sanburne - wo sind Sie mit Ihren Gedanken?« fragte Harry laut.

»Was? Oh, ich war wohl gerade auf einem anderen Stern.«

»Wir wollen Kimball helfen, die Korrespondenz und Aufzeichnun­gen von Jeffersons Kindern und Enkelkindern durchzulesen«, erklär­te Harry ihr.

»Ich lese mit links«, sagte Miranda. »Oh, das klingt irgendwie ver­kehrt, was?«

Nach dem Essen begleitete Lucinda Mim zu ihrem silbersandfarbe­nen Bentley Turbo R - eine sensationelle Neuerwerbung. Lulu ent­schuldigte sich zum zweiten Mal überschwenglich für ihren Aus­bruch während Wesleys Trauerfeier. Nach dem Mittagessen bei Mim hatte sie ihre Gastgeberin nur so mit Entschuldigungen überschüttet. Sie hatte auch bei Reverend Jones gebeichtet, aber er erteilte ihr die Absolution und war überzeugt, daß die Randolphs ihr auch vergeben würden, wenn sie sich entschuldigte. Das tat sie. Mim hörte ihr zu. Lulu fuhr fort, sich zu entschuldigen. Es war, als hätte sie die erste Olive aus dem Glas gefummelt, worauf alle anderen herauspurzelten. Sie sagte, sie hätte geglaubt, an Samson das Parfüm einer anderen Frau zu riechen. Sie sei gereizt gewesen. Später habe sie in seinem Badezimmer eine neue Flasche Safari von Ralph Lauren gefunden.

»Heutzutage kann man Herren- und Damenparfüm nicht mehr au­seinanderhalten«, sagte Mim. »Es gibt keinen Unterschied mehr. Die füllen die Ingredienzien in verschiedene Flaschen, erfinden männlich klingende Namen und fertig. Was wäre wohl, wenn ein Mann Da­menparfüm benutzen würde? Ob ihm über Nacht Brüste wachsen würden?« Sie lachte über ihren eigenen Scherz.

Lulu lachte auch. »Komisch, das Schlimmste für einen Mann ist es, wenn man ihn als weibisch beschimpft, und doch behaupten die Männer, uns zu lieben.«

Mim zog die rechte Augenbraue hoch. »So habe ich das noch nie gesehen.«

»Ich sehe eine ganze Menge.« Lulu seufzte. »Ich bin so was von mißtrauisch. Ich weiß, daß er mich betrügt. Ich weiß bloß nicht, mit

wem.«

Mim schloß ihren Wagen auf, blieb einen Moment stehen und drehte sich um. »Lucinda, ich weiß nicht, ob es überhaupt so wichtig ist. Die ganze Stadt weiß, daß mein Jim über Jahre seine kleinen Amouren hatte.«

»Mim, ich wollte keine alten Wunden aufreißen«, stammelte Lulu aufrichtig zerknirscht.

»Vergiß es. Ich bin älter als du. Es trifft mich nicht mehr so sehr, oder es trifft mich anders. Aber laß dir eins gesagt sein: Manche Männer sind Fechtmeister. Das ist das einzige Wort, das mir dafür einfällt. Sie rasseln mit dem Säbel. Sie brauchen Verfolgung und Eroberung, um sich lebendig zu fühlen. Es wiederholt sich, aber aus einem mir unerfindlichen Grund langweilt sie die Wiederholung nicht. Ich schätze, es gibt ihnen das Gefühl, jung und stark zu sein. Das heißt nicht, daß Samson dich nicht liebt.«

Tränen schimmerten in Lucindas grünen Augen. »Ach, Mim, wenn das doch nur wahr wäre, aber so ein Mann ist Samson nicht. Wenn er eine Affäre hat, dann ist es etwas Ernstes und er liebt die Frau.«

Mim wartete mit der Antwort. »Meine Liebe, das einzige, was du tun kannst, ist, dich um dich selbst kümmern.«

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