65

Während der supermannblaue Ford über die lange, kurvige, von Bäumen gesäumte Straße gondelte, schmiedeten Mrs. Murphy und Tucker Pläne. In lauten Selbstgesprächen war Harry den Plan immer wieder durchgegangen, daher wußten die Tiere, was sie im Kranken­haus erfahren hatte. Im Auto war eine Abhörvorrichtung; Sheriff Shaw und Deputy Cooper hatten sich auf einer Nebenstraße nahe der Einfahrt von Eagle's Rest postiert. Sie würden jedes Wort hören, das Harry und Warren sprachen.

»Wir könnten Warren ins Bein beißen und ihn von vornherein kampfunfähig machen.«

»Tucker, damit würdest du dich nur in Tollwutverdacht bringen.« Die Katze schlug dem Hund mit der Pfote auf die gespitzten Ohren.

»Ich bin gegen Tollwut geimpft.« Tucker seufzte.»Hast du viel­leicht eine bessere Idee?«

»Ich könnte einen Erstickungsanfall vortäuschen.«

»Versuch's mal.«

Mrs. Murphy hustete und keuchte. Ihre Augen tränten. Sie ließ sich auf die Seite plumpsen und hustete weiter. Harry fuhr den Transpor­ter an den Rand der Zufahrt. Sie nahm die Katze hoch und schob ihr den Finger in den Rachen, um den Fremdkörper zu entfernen. Als sie keinen Fremdkörper fand, legte sie Mrs. Murphy über ihre linke Schulter und klopfte sie mit der rechten Hand wie ein Baby, das Bäuerchen machen soll. »Schon gut, Miezekätzchen. Dir fehlt nichts.«

»Ich weiß, daß mir nichts fehlt. Um dich mach ich mir Sorgen.«

Harry ließ Mrs. Murphy wieder auf den Sitz herunter und setzte die Fahrt zum Haus fort. Ansley, die unter den hoch aufragenden korin­thischen Säulen auf der Seitenveranda saß, winkte flüchtig, als Harry unangemeldet in Sicht kam.

Harry sprang zusammen mit ihren Tieren aus dem Wagen. »Hallo, Ansley, entschuldige, daß ich nicht erst angerufen habe, aber ich bringe eine wunderbare Neuigkeit. Wo ist Warren?«

»Im Stall. Die Stute ist soweit, sie fohlt gerade«, teilte Ansley ihr lakonisch mit. »Du bist ganz rot im Gesicht. Muß ja was Tolles sein.« »Allerdings. Komm doch gleich mit. Dann muß ich die Geschichte nicht zweimal erzählen.«

Als sie zu dem imposanten Stall schlenderten, atmete Ansley tief durch. »Ist das nicht ein herrliches Wetter? So richtig Frühling.«

»Ich krieg immer Frühlingsgefühle«, gestand Harry. »Kann mich auf nichts konzentrieren, und von allen Menschen geht ein Schimmer aus - vor allem von gutaussehenden Männern.«

»Verdammt, dafür brauch ich keinen Frühling«, lachte Ansley. Sie traten in den Stall.

Fair, Warren und Vanderhoef, der Gestütsmeister der Randolphs, hockten in der Abfohlbox. Die Stute hielt sich wirklich wacker.

»Hallo«, grüßte Fair die Frauen, dann machte er sich wieder an die Arbeit.

Harry strahlte. »Ich bringe die beste Nachricht des Jahres.«

»Ich wünschte, sie würde das nicht tun.« Mrs. Murphy schüttelte den Kopf.

»Ich auch«, pflichtete die verzagte Tucker ihr bei.

»Nun sag schon.« Warren stand auf und ging aus der Box.

»Larry Johnson lebt!«

»Gott sei Dank!« jubelte Fair, dann fing er sich und senkte die Stimme. »Ich kann's nicht glauben.« Zum Glück hatte sein Juchzer die Stute nicht erschreckt.

»Ich auch nicht.« Warren wirkte einen Moment benommen. »Wie­so ihn überhaupt jemand umbringen wollte, ist mir ein Rätsel. So ein großartiger Mensch. Das ist wirklich eine gute Nachricht.«

»Ist er bei Bewußtsein?« erkundigte sich Ansley.

»Ja, er sitzt im Bett, Miranda ist bei ihm. Deswegen bin ich herge­kommen, ohne vorher anzurufen. Ich wußte, daß ihr euch freuen würdet.«

»Hat er gesehen, wer auf ihn geschossen hat?« fragte Warren, wäh­rend er von der Stalltür wegging.

»Ja.«

»Achtung!« bellte Tucker, als Ansley Harry über den Haufen rannte und zu ihrem Wagen lief.

»Herrgott, was. ?« Warren stürmte durch den Gang hinter ihr her. »Ansley, Ansley, was soll das?«

Sie sprang in Warrens Porsche 911, der im Scheunenhof parkte, ließ ihn an und raste aus der Einfahrt. Warren rannte ihr nach. In einer tückischen Kurve wendete sie - wie wendig dieses Auto doch war -, um auf ihren Mann loszusteuern. »Warren, lauf im Zickzack!« rief Harry am Ende des Ganges.

»Sag, er soll wieder herkommen«, befahl Fair, denn gerade kam das Fohlen.

Warren lief hin und her. Das Auto lenkte sich so flott, daß Ansley ihn beinahe erwischt hätte, aber er rettete sich hinter einen Baum, und sie wendete abermals und schoß die Einfahrt hinunter.

»Warren, Warren, hier rein!« rief Harry nach draußen. »Falls sie zurückkommt.«

Kreidebleich rannte Warren zurück in den Stall. Er ließ sich gegen die Stalltür sacken. »Mein Gott, sie hat es getan.«

Fair kam aus der Box und legte seinen Arm um Warrens Schulter. »Ich ruf den Sheriff an, Warren, und wenn's bloß wegen deiner Si­cherheit ist.«

»Nein, bitte nicht. Ich werde schon mit ihr fertig. Ich kümmere mich darum, daß sie in ein gutes Heim kommt. Bitte, bitte«, flehte Warren.

»Armer Trottel.« Mrs. Murphy rieb sich an Harrys Beinen.

»Zu spät. Rick Shaw und Coop stehen am Ende der Zufahrt«, er­klärte Harry ihm.

In diesem Moment hörten sie den Porschemotor dröhnen, Sirenen heulen und Reifen quietschen. Ansley, eine gute Fahrerin, war dem Sheriff und seiner Stellvertreterin mühelos ausgewichen; sie hatten keine Straßensperre errichtet, weil sie darauf vorbereitet gewesen waren, nach Eagle's Rest zu donnern und Harry zu Hilfe zu kom­men. Jetzt fanden sie, Harry könnte es allein bewältigen - und das tat sie. Die Sirenen verklangen.

»Sie wird ihnen ein gutes Rennen liefern.« Warren grinste, wäh­rend ihm gleichzeitig die Tränen über die Wangen liefen.

»Tja.« Harry war ebenfalls zum Heulen zumute.

Warren rieb sich die Augen, dann drehte er sich um, um das neuge­borene Fohlen zu bewundern.

»Boß, der Kleine ist was Besonderes.« Warrens Gestütsmeister hoffte, dieses Fohlen würde dem Mann, den er schätzen gelernt hatte, Glück bringen.

»Ja.« Warren stützte die Stirn auf die Hände, die er gegen die unte­re Hälfte der zweiteiligen Tür der Abfohlbox gestemmt hatte, und schluchzte.

»Woher habt ihr es gewußt?«

Harry sagte mit erstickter Stimme: »Wir wußten es gar nicht - nicht richtig.«

»Es gab da ein Mißverständnis«, miaute Mrs. Murphy.

»Du warst in Verdacht.« Fair hustete. Es war ihm ungeheuer pein­lich, dies zuzugeben.

»Warum?« Warren war verblüfft. Er machte kehrt und ging aus der Tür am Ende des Ganges. Er blieb stehen und blickte über die Felder.

»Also, hm«, stammelte Harry, dann brachte sie es heraus: »Dein Daddy und, na ja, ihr Randolphs habt alle so großen Wert gelegt auf Blut. Stammbaum, du weißt schon, so daß ich dachte, wegen - ich kann hier nur für mich sprechen -, ich dachte, du würdest vollkom­men fertig sein, du würdest einfach durchdrehen wegen des afroame­rikanischen Blutes. Ich meine, falls die Leute davon erfahren wür­den.«

»Hast du es immer gewußt?« Fair trat zu ihnen nach draußen und reichte Warren sein Taschentuch.

»Nein. Erst seit letztem Jahr. Bevor sein Krebs vorübergehend ab­klang, hatte Poppa Angst, er würde sterben, und da hat er es mir ge­sagt. Er bestand darauf, daß Ansley es nicht erfahren sollte - er hat es Mutter nie erzählt. Den Fehler will ich bei meinen Jungs nicht machen. Diese ganze Heimlichtuerei frißt einen bei lebendigem Lei­be.«

Die Sirenen nahmen wieder Kurs auf Eagle's Rest.

»Verdammt. Wir bringen uns besser in Sicherheit - für alle Fälle«, bemerkte Tucker weise.

»Komm schon, Mom. Laß uns verduften.« Da für zarte Andeutun­gen keine Zeit war, senkte Mrs. Murphy ihre Krallen in Harrys Bein, dann rannte sie weg.

»Murphy, du verdammtes Miststück!« fluchte Harry.

»Lauf!« bellte Tucker.

Zu spät, der heulende Porsche übertönte die Besorgnis der Tiere.

»Ach du heiliger Strohsack!« Harry erblickte den Porsche, der di­rekt auf sie zusteuerte.

Warren versuchte, seine Frau durch Winken aufzuhalten, aber Fair, der viel stärker war, hob Warren hoch und schleuderte ihn nach hin­ten, so daß sie ihn nicht sehen konnte. Ansley riß das Steuer herum, wobei sie fast eine Ecke des Stalls mitnahm, und bog in einen Feld­weg ein. Sekunden später folgten Rick und Cooper in ihren Strei­fenwagen, daß der Kies nur so spritzte. In der Ferne waren weitere Sirenen zu hören.

»Kann sie auf dem Weg entkommen?« fragte Harry, als sie um die Tür spähte.

»Wenn sie die enge Kurve kriegt und auf der Traktorstraße um den See fährt, ja.« Warren zitterte.

Harry starrte auf den Staub. »Warren, Warren«, schrie sie gegen den Lärm an. »Wie hat sie es herausbekommen?«

»Sie hat die Tagebücher gelesen, als Kimball sie durch hatte. Sie hat den Tresor aufgeschlossen, bloß um mir eins auszuwischen, und ihm die Papiere gegeben, und dann hat sie sich hingesetzt und sie selbst gelesen.«

»Hattest du sie nicht versteckt?«

»Ich habe sie im Tresor verwahrt, aber Ansley hat sich nie sehr für den Familienstammbaum interessiert. Ich dachte, daß sie die Papiere nie lesen würde, und ich konnte ja nicht ahnen, daß.«

Er sprach den Satz nicht zu Ende, weil die Verstärkungswagen sei­ne Worte übertönten.

Harry lief zu dem Feldweg.

»Nicht, Mom, vielleicht kommt sie wieder zurück«, warnte die Kat­ze weise.

Die Sirenen verstummten. Katze und Hund, die viel schneller wa­ren als ihre Menschenpartner, sausten den Feldweg entlang und bo­gen um die Ecke.

»Oh...« Tucker brach ab.

Schaudernd sah Mrs. Murphy Ansley in dem Porsche ertrinken, der in den See geschlittert war. Rick Shaw und Cooper hatten ihre kugel­sicheren Westen und ihre Schuhe abgeworfen und waren getaucht, aber es war zu spät. Als die anderen an den See kamen, war von dem teuren Porsche 911 nur noch das Heck zu sehen.

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