27

Die Ruhe in Eagle's Rest ging Ansley auf die Nerven. Sie bereute, gesagt zu haben, daß sie die laute Musik der Jungen nicht vertragen konnte. So unerträglich die auch war, sie war immer noch besser als diese Stille.

Um sieben Uhr abends waren die Söhne gewöhnlich in ihren Zim­mern und lernten. Daß Breton und Stuart bei dem Lärm arbeiten konnten, faszinierte Ansley. Sie überboten sich gegenseitig mit den Dezibeln der diversen Bands. Am Ende hatte sie es so geregelt, daß Stuart in der ersten Lernstunde von sechs bis sieben seine Musik spielen durfte. Bretons Lieblingsbands kamen dann von sieben bis acht zum Zug.

Ansley und Warren überwachten die Einhaltung dieser sogenannten Studierzeiten. Breton und Stuart erzielten gute Noten, aber Ansley meinte, sie müßten wissen, wie wichtig ihre schulischen Leistungen auch für ihre Eltern waren, daher die Überwachung. Ansley sagte oft zu ihnen: »Wir haben unsere Arbeit zu tun, und ihr habt eure Schul­arbeit.«

Als sie die Stille schließlich nicht mehr ertrug, stieg Ansley die Wendeltreppe zum oberen Flur hinauf. Sie warf einen Blick in Bre­tons Zimmer. Dann ging sie in Stuarts Zimmer. Ihr Ältester saß an seinem Schreibtisch. Breton hockte im Schneidersitz auf Stuarts Bett. Bretons Augen waren gerötet. Ansley sah darüber hinweg.

»Hallo, Jungs.«

»Hi, Mom«, antworteten sie einstimmig.

»Ist was?«

»Nein.« Wieder einstimmig.

»Oh.« Pause. »Irgendwie komisch ohne Big Daddy, der wegen eu­rer Musik rumbrüllt, was?«

»Er kommt nie wieder.« Breton atmete stockend. »Ich kann's nicht glauben, daß er nie wiederkommt. Zuerst war es, als wäre er einfach nur in Urlaub gefahren, weißt du?«

»Ich weiß«, sagte Ansley mitfühlend.

Stuart, der normalerweise eine schlechte Haltung hatte, setzte sich zur Abwechslung gerade. »Wißt ihr noch, wie wir unsere Familien­geschichte aufgesagt haben?« Er imitierte die Stimme seines Großva­ters: »Der erste Randolph, der seinen Fuß in die Neue Welt setzte, war ein Kamerad von Sir Walter Raleigh. Er ist in die alte Heimat zurückgekehrt. Sein Sohn, den die Geschichten über die Neue Welt angestachelt hatten, kam 1632 herüber, und so sproß ein Zweig unse­res Stammbaums diesseits des Atlantiks. Er hatte seine Braut mitge­bracht, Jemima Hessletine. Ihr erstgeborenes Kind, Nancy Randolph, starb im Winter 1634 im Alter von sechs Monaten; das zweitgebore­ne, Raleigh Randolph, hat überlebt. Von diesem Sohn stammen wir ab.«

Ansley verschlug es vor Staunen den Atem. »Wort für Wort.«

Stuart lächelte matt. »Mom, wir haben es so gut wie jeden Tag ge­hört.«

»Ja. Ich wollte, ich könnte ihn noch mal hören - dabei finde ich diesen ganzen Stammbaumquatsch fürchterlich.«

Wieder schossen Breton Tränen in die Augen. »Wen interessiert das schon?«

Ansley setzte sich neben Breton und legte ihm den Arm um die Schultern. Ihr war, als hätte er abgenommen, seit sie ihn das letzte Mal umarmt hatte. »Mein Herz, wenn du älter wirst, wirst du diese Dinge zu schätzen wissen.«

»Warum nehmen das alle so wichtig?« fragte Breton unschuldig.

»Aus guter Familie zu sein ist in diesem Leben von Vorteil. Es öff­net einem viele Türen. Das Leben ist so schon schwer genug, Breton, also sei dankbar für diese Gnade.«

»Geh nach Montana«, riet Stuart ihm. »Da kümmert sich kein Mensch um so was. Deswegen hat Big Daddy wohl den Westen nie gemocht. Weil er sich nicht allen gegenüber als Boß aufspielen konnte.«

Ansley seufzte. »Wesley war gern der dickste Frosch im Teich.«

Breton sah seine Mutter an. »Mom, machst du dir was aus diesem Abstammungsquatsch?«

»Sagen wir's mal so: Lieber haben und nicht brauchen als brauchen und nicht haben.«

Als sie das verdaut hatten, stellte Breton noch eine Frage: »Mom, ist es immer so, wenn jemand gestorben ist?«

»Wenn es jemand war, den man geliebt hat, ja.«

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