Ein wenig benommen ging Langdon bis zum Ende der Grande Galerie. Sophie Neveus Ansage lief wie eine Endlosschleife in seinem Kopf. Am Ende des Flurs wiesen ihm Leuchtkästchen mit dem internationalen Toilettenpiktogramm den Weg durch ein Labyrinth von Stellwänden mit italienischen Gemälden, die zur Kaschierung der Toiletteneingänge aufgestellt worden waren. Langdon betrat die Herrentoilette und knipste das Licht an.
Der Raum war leer. Er stellte sich ans Waschbecken und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, um richtig wach zu werden. Das klinisch-kalte Licht der Leuchtstoffröhren spiegelte sich auf den nackten Kachelwänden. Es roch nach Reinigungsmitteln und Ammoniak. Als Langdon sich die Hände abtrocknete, quietschte die Eingangstür. Er fuhr herum.
Sophie Neveu glitt herein. In ihren grünen Augen nistete die Angst. »Gott sei Dank, dass Sie gekommen sind. Wir haben nicht viel Zeit.«
Verwirrt betrachtete Langdon die Dechiffrierspezialistin des DCPJ. Nur wenige Minuten zuvor war ihm beim Abhören ihrer Nachricht der Gedanke gekommen, Sophie könne nicht ganz bei Trost sein. Doch je länger er zugehört hatte, desto mehr verdichtete sich bei ihm das Gefühl, dass er sie ernst nehmen sollte. Bitte lassen Sie sich beim Abhören meiner Nachricht auf keinen Fall etwas anmerken. Hören Sie einfach nur zu. Sie sind in Gefahr. Tun Sie genau, was ich ihnen jetzt sage. Voller Ungewissheit hatte Langdon beschlossen, sich Sophie Neveu und ihren Anweisungen anzuvertrauen.
Jetzt stand Sophie vor ihm, noch etwas atemlos vom Laufen. Im Licht der Leuchtstoffröhren stellte Langdon überrascht fest, dass ihre starke Ausstrahlung von weichen, weiblichen Zügen ausging. Lediglich ihr Blick war fest, unbeugsam und direkt. In ihren Augen zeigte sich jener reizvolle Gegensatz, der Langdon an die Vielschichtigkeit von Renoirs Porträtmalerei erinnerte – verschleiert, dennoch scharf, kühn, ohne die Aura des Geheimnisvollen zu verlieren.
»Mr Langdon, ich wollte Sie warnen«, begann Sophie, noch immer ein wenig kurzatmig. »Sie stehen unter surveillance cachée – Sie werden elektronisch überwacht.« Ihre Stimme hallte im gekachelten Raum wider und verlieh ihrem Englisch mit dem französischen Akzent einen seltsam hohlen Klang.
»Aber warum denn?«, wollte Langdon wissen. Er hatte es bereits von Sophies Bandansage erfahren, wollte es aber aus ihrem eigenen Munde hören.
»Weil Sie … «, Sophie trat zu ihm, »in diesem Mordfall Faches Hauptverdächtiger sind.«
Der Satz ging Langdon durch und durch, und dennoch hörte es sich einfach lächerlich an. Sophie Neveu zufolge war er heute Nacht nicht in seiner Eigenschaft als Spezialist für Symbole in den Louvre gerufen worden, sondern als Hauptverdächtiger! Angeblich befand er sich derzeit, ohne es zu ahnen, im Fadenkreuz der vom DCPJ so gerne angewandten Untersuchungsmethode der survelliance cachée. Bei diesem Täuschungsmanöver wurde der Verdächtige von der Polizei zum Tatort manövriert und dort mit Fragen bombardiert, in der Hoffnung, dass er nervös würde, sich irgendwann verplapperte und selbst belastete.
»Greifen Sie mal in Ihre linke Jackentasche«, sagte Sophie. »Dort finden Sie den Beweis für die Überwachung.«
Langsam wurde es spannend. In die linke Tasche greifen? Es klang ein bisschen nach einem Taschenspielertrick.
»Greifen Sie ruhig hinein.«
Zögernd fühlte Langdon mit der Hand in die linke Außentasche seines Tweedjacketts. Nichts. Was, zum Teufel, hätte auch drin sein sollen? Er fragte sich allmählich, ob die gute Sophie nicht tatsachlich einen Knall hatte. Dann ertasteten seine Fingerkuppen etwas Unerwartetes. Klein. Hart. Zwischen den Fingerspitzen zog er den Gegenstand heraus und betrachtete ihn erstaunt. Es war ein kleiner flacher Knopf aus Metall von der Größe einer Uhrenbatterie. Aber es war keine Batterie. Langdon hatte so etwas noch nie gesehen.
»Was ist das?«
»Ein GPS-Minisender«, sagte Sophie. »Er überträgt seine Position permanent an den Satelliten des Globalen Position Systems. Das DCPJ kann die Daten abfragen. Wir benutzen die Geräte, wenn wir jemand überwachen. Die Genauigkeit liegt weltweit bei etwa einem halben Meter. Man hat Sie an die elektronische Leine gelegt. Der Beamte, der Sie im Hotel abgeholt hat, hat Ihnen vermutlich den Sender in die Tasche geschmuggelt, bevor Sie aus dem Zimmer gegangen sind.«
Langdon rief sich die Situation im Hotel vor Augen … die eilige Dusche, in die Kleider schlüpfen, der höfliche Beamte, den er schließlich eingelassen hatte und der ihm in die Jacke half, als sie aus dem Zimmer gingen.
Draußen ist es kühl, Mr Langdon, hatte er gesagt. Der Frühling in Paris hält nicht immer, was Ihr Frank-Sinatra-Schlager verspricht. Langdon hatte sich bedankt und in sein Tweedjackett helfen lassen …
Sophie sah ihn aus olivgrünen Augen spitzbübisch an. »Ich habe den Minisender erst jetzt erwähnt, weil ich verhindern wollte, dass Sie vor Faches Augen in Ihrer Tasche herumfummeln. Er darf nicht wissen, dass Sie das Ding gefunden haben.«
Langdon wusste nicht, was er dazu sagen sollte.
»Er hat Ihnen den GPS-Sender untergejubelt, weil er dachte, Sie würden davonlaufen.« Sie hielt inne. »Eigentlich hat er es sogar gehofft. Es hätte seinen Verdacht bestätigt.«
»Weshalb sollte ich weglaufen?«, stieß Langdon zornig hervor. »Ich bin unschuldig.«
»Fache ist da ganz anderer Ansicht.«
Langdon stapfte aufgebracht zum Behälter für die gebrauchten Handtücher, um den Minisender loszuwerden.
»Nein!« Sophie packte ihn am Arm. »Der Sender muss in Ihrer Tasche bleiben. Wenn Sie ihn wegwerfen, bewegt das Signal sich nicht mehr. Dann weiß man sofort, dass Sie den Knopf gefunden haben. Fache hat Sie nur deshalb allein gehen lassen, weil er jederzeit feststellen kann, wo Sie sich befinden. Sobald er merkt, dass Sie ihm auf die Schliche gekommen sind … « Sophie ließ den Satz unausgesprochen. Sie nahm Langdon den Minisender aus der Hand und steckte ihn wieder in seine Tasche zurück. »Der Knopf bleibt bei Ihnen. Vorerst zumindest.«
Langdon war völlig ratlos. »Wie kommt Fache eigentlich darauf, mich für Saunières Mörder zu halten?«
»Er hat dafür sogar einen ziemlich stichhaltigen Grund.« Sophie blickte ihn finster an. »Es gibt ein Indiz, das Sie nicht gesehen haben. Fache hat es Ihnen wohlweislich vorenthalten.«
Langdon blickte noch ratloser als zuvor.
»Erinnern Sie sich an die drei Zeilen, die Saunière auf den Boden geschrieben hat?«
Langdon nickte. Die Zahlen und Textzeilen hatten sich ihm ins Gedächtnis gebrannt.
»Was Sie gesehen haben, ist leider nicht die ganze Botschaft.« Sophie flüsterte plötzlich. »Es gab da noch eine vierte Zeile. Fache hat sie fotografieren lassen und weggewischt, bevor Sie gekommen sind.«
Langdon wusste, dass die Schrift wasserlöslicher Filzschreiber leicht entfernt werden konnte, aber wie kam Fache dazu, Beweismaterial zu beseitigen?
Sophie zog den zusammengefallen Computerausdruck eines Fotos aus ihrer Pullovertasche und faltete das Blatt auseinander. »Fache hat heute Nacht unserer Dechiffrierabteilung per E-Mail Fotos vom Tatort geschickt, weil er hoffte, wir könnten Saunières Nachricht entschlüsseln. Hier ist ein Foto von der vollständigen Botschaft.« Sie reichte Langdon das Blatt.
Neugierig betrachtete er das Foto. Es war eine Nahaufnahme der leuchtenden Schrift auf dem Parkettboden. Die letzte Zeile traf Langdon wie ein Hieb in den Magen.
13-3-2-21-1-1-8-5 O, Draconian devil! Oh, lame saint! P.S. Robert Langdon suchen!