»Die Polizei hat eine Straßensperre errichtet«, rief André Vernet, als er hereinkam, und schloss die Tür hinter sich. »Es wird nicht so leicht sein, Sie aus der Bank herauszuschaffen.« Sein Blick fiel auf den schwarzen Kunststoffbehälter am Ende des Transportbands. Er blieb abrupt stehen. Mein Gott, sie sind an Saunières Depot herangekommen!
Sophie und Langdon beugten sich am Tisch über irgendetwas, das aussah wie ein zu groß geratenes Schmuckkästchen. Rasch klappte Sophie den Deckel wieder zu. »Ohne es zu wissen, hatten wir die Depotnummer doch«, sagte sie.
Vernet war sprachlos. Das änderte alles. Er löste den Blick vom Kästchen und überlegte seine nächsten Schritte. Du musst die beiden aus der Bank herausschaffen! Aber da die Straßensperre der Polizei bereits stand, gab es nur eine einzige Erfolg versprechende Möglichkeit. »Mademoiselle Neveu, möchten Sie Ihren Fund mitnehmen oder ihn lieber hier im Gewahrsam der Bank lassen? Ich werde versuchen, Sie aus dem Gebäude zu schaffen.«
Sophie schaute Langdon an, dann wieder Vernet. »Wir müssen das Kästchen mitnehmen.«
Vernet nickte. »Gut. Aber dann möchte ich Mr Langdon bitten, das Jackett darumzuwickeln, solange wir uns durchs Haus bewegen. Es wäre mir lieber, wenn niemand die Schatulle zu Gesicht bekommt.«
Langdon legte das Jackett ab. Vernet eilte indes zum Transportband, klappte den leeren Behälter auf und tippte auf ein paar Tasten, worauf das Band wieder anlief und seine Last in den Tresorbunker zurücktrug. Dann zog er den goldenen Schlüssel ab und reichte ihn Sophie. Mit Sophie und Langdon im Schlepptau lief er zur Tür hinaus.
»Hier entlang. Bitte, beeilen Sie sich.« Durch endlose Gänge gelangten sie zur Laderampe in der Tiefgarage. Das Flackern von Blaulichtern drang schwach die Zufahrt herab ins Halbdunkel. Vernet runzelte die Stirn. Die Polizei hat offenbar schon die Zufahrtsrampe gesperrt. Willst du diese Sache wirklich durchziehen?
Vernet schwitzte. Er deutete auf einen der Geldtransporter der Bank. Die Angebotspalette der Zürcher Depositenbank umfasste auch Transport sûr.
Vernet zog die schwere gepanzerte Hecktür des Fahrzeugs auf. »Steigen Sie ein«, sagte er und wies auffordernd in das glänzende Stahlgehäuse des Laderaums. »Ich bin sofort wieder da.«
Während Sophie und Langdon einstiegen, eilte Vernet zum Büro des Chefs der Fahrbereitschaft. Mit seinem Passepartout verschaffte er sich Zutritt und schnappte sich die Schlüssel des Geldtransporters sowie eine Fahrerjacke samt Mütze. Er zog das elegante Anzugjackett aus, riss sich die Krawatte ab und schlüpfte in die Fahrerjacke. Dann überlegte er es sich noch einmal anders, zog die Jacke aus und schnallte sich zuerst ein Schulterholster um, bevor er die Jacke wieder darüberzog. Beim Hinausgehen riss er eine Fahrerpistole aus dem Waffenständer, schob ein Magazin hinein, steckte die Waffe ins Holster und knöpfte die Jacke darüber zu. Die Fahrermütze tief ins Gesicht gezogen, rannte er zum Geldtransporter. Sophie und Langdon standen in dem dunklen stählernen Kasten.
»Es ist Ihnen bestimmt lieber, wenn das Licht an ist«, sagte er und knipste die schwache Innenbeleuchtung in der Decke des Laderaums an. »Am besten, Sie setzen sich hin. Und bewahren Sie absolute Ruhe, wenn wir durch die Tore hinausfahren.«
Sophie und Langdon ließen sich gehorsam auf dem Stahlboden nieder. Langdon hielt die Schatulle ins Tweedjackett gewickelt auf dem Schoß. Vernet warf die Hecktür zu, schwang sich hinters Steuer und ließ den Motor an.
Sophie und Langdon waren eingesperrt.
Während der gepanzerte Lieferwagen zur Rampe rollte, sammelte sich am Stirnband von Vernets Fahrermütze der Schweiß. Vor ihm blinkten wesentlich mehr Blaulichter, als er anfangs gedacht hatte. Das erste Tor auf der Rampe schwang vor ihm auf, und Vernet fuhr durch. Er musste warten, bis es wieder geschlossen war, bevor er erneut anfahren und mit dem Fahrzeug den Sensor für das nächste Tor betätigen konnte. Es öffnete sich und gab den Weg frei hinauf zur Straße.
Wenn oben nicht der Streifenwagen gewesen wäre.
Vor der Bank standen vier weitere Polizeifahrzeuge.
Vernet wischte sich den Schweiß von der Stirn und hielt auf die Wagen zu.
Ein schlaksiger Polizeibeamter stieg aus und gab ihm Zeichen, anzuhalten.
Vernet stoppte. Er zog die Mütze noch tiefer in die Stirn und bemühte sich, so lässig-kumpelhaft zu wirken, wie seine kultivierte Erziehung es zuließ. Aufs Lenkrad gelehnt, kurbelte er die Scheibe herunter und schaute auf den Polizisten hinab, der ihn aus fahlen Augen misstrauisch anblickte.
»Was 'n los?«, fragte Vernet.
»Leutnant Collet, Police judiciaire«, stellte der Beamte sich vor und zeigte auf den Frachtraum. »Was haben Sie geladen?«
»Fragen Sie mich was Leichteres«, sagte Vernet im beiläufigsten Tonfall, den er zustande brachte. »Bin nur der Fahrer.«
Collet ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Wir fahnden nach zwei Verbrechern.«
Vernet lachte auf. »Da sind Sie hier richtig. Wenn Sie mich fragen, sind das alles Verbrecher. Für diese Typen muss unsereiner für 'nen verdammten Hungerlohn den Hals riskieren … «
Der Beamte hielt ihm ein Fahndungsfoto von Robert Langdon hin. »Ist dieser Mann heute in der Bank gewesen?«
Vernet zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Bin bloß Fahrer. Wo die stinkreiche Kundschaft rumläuft, darf unsereins nicht hin. Gehen Sie mal vorn rein und fragen die Jungs vom Empfang.«
»Die Geschäftsführung verlangt einen Durchsuchungsbefehl, sonst kommen wir nicht in die Bank rein.«
Vernet schaute den Polizisten angewidert an. »Diese Korinthenkacker.«
»Machen Sie den Laderaum auf.« Collet klopfte mit der flachen Hand an die Seitenwand.
Vernet schaute ihn groß an. »Wie bitte? Hinten aufmachen? Sie sind gut!« Er lachte bitter auf. »Wie kommen Sie auf die grandiose Idee, ich hätte für hinten einen Schlüssel? Glauben Sie etwa, die Chefs würden uns über den Weg trauen, bei den paar Kröten, die sie uns zahlen?«
Der Beamte legte skeptisch den Kopf schief. »Wollen Sie mir erzählen, Sie hätten keinen Schlüssel für Ihren eigenen Lieferwagen?«
Vernet schüttelte den Kopf. »Nicht für den Laderaum. Nur für die Fahrertür und die Zündung, Der Fahrer hat mit der Ladung nichts zu tun. Unsereins weiß nie, was die uns da hinten reinpacken. Die Wagen werden im Ladebereich von einer Aufsichtsperson verschlossen. Dann werden die Schlüssel mit dem PKW eigens zum Kunden gefahren. Der Transporter muss solange in der Bank warten. Erst wenn der Anruf gekommen ist, dass die Schlüssel beim Kunden sind, darf ich losfahren, keine Sekunde früher.«
»Wann wurde Ihr Fahrzeug verschlossen?«
»Muss vor Stunden gewesen sein. Ich hab eine lange Tour bis hinter Rennes. Nach St. Thurial, um genau zu sein.«
Der Beamte sah Vernet mit unbewegtem Blick an, als versuche er, ihm hinter die Stirn zu schauen.
Ein Schweißtropfen kullerte an Vernets Nase herunter. Er wischte ihn mit dem Jackenärmel fort. »Noch was?«, sagte er, »Meine Tour ist knapp geplant.«
»Tragen eigentlich alle Fahrer eine Rolex?«, sagte Collet und deutete auf Vernets Handgelenk.
Das Armband von Vernets Luxusuhr blitzte unter der Manschette seiner Fahrerjacke hervor. »Diese Zwiebel? Hat mir ein Taiwanese in St. Germain des Prés für fünfzig Euro angedreht. Für vierzig Mäuse können Sie das Ding haben.«
Der Beamte war immer noch unschlüssig. »In Ordnung«, sagte er schließlich und trat beiseite. »Gute Fahrt.«
Verriet wagte erst hundert Meter weiter aufzuatmen. Doch jetzt hatte er ein weiteres Problem. Seine Passagiere.
Wohin mit ihnen?