»Sie … sind alle tot!«, stammelte Schwester Sandrine am Telefon ihres Domizils in der Kirche Saint-Sulpice. Ein Anrufbeantworter hatte sich gemeldet. »Bitte, nehmen Sie ab, sie sind alle tot!«
Das Ergebnis der Anrufe bei den ersten drei Telefonnummern auf ihrer Liste war bestürzend gewesen – eine hysterische Witwe, ein Kriminalbeamter, der am Tatort eines Mordes Überstunden machte, und ein ernster Priester, der eine trauernde Familie zu trösten versuchte, hatten sich gemeldet: Alle drei Kontaktpersonen waren tot. Und jetzt, bei der vierten und letzten Nummer – die sie erst anrufen sollte, wenn die drei anderen Kontaktpersonen nicht zu erreichen waren –, meldete sich nur ein Anrufbeantworter. Der Ansagetext nannte keinen Teilnehmer und forderte lediglich dazu auf, eine Nachricht zu hinterlassen.
»Die Bodenplatte wurde aufgebrochen«, flüsterte Schwester Sandrine eindringlich in die Sprechmuschel, »und die drei anderen, die ich notfalls anrufen sollte, sind tot!«
Schwester Sandrine wusste nicht, wer die Männer waren, für die sie hier aufpasste. Die unter ihrem Bett verwahrten Telefonnummern anzurufen war ihr nur in einem einzigen Fall erlaubt. Sollte diese Bodenplatte jemals aufgebrochen werden, hatte ein gesichtsloser Bote einmal zu ihr gesagt, ist der Feind in die Führungsebene eingedrungen, und einer der Unseren war unter Todesandrohung zu einer verzweifelten Lüge gezwungen. Dann müssen Sie diese Nummern anrufen und die anderen warnen. Sorgen Sie dafür, dass Sie bei einer der Nummern durchkommen – unter allen Umständen!
Es war ein geräuschloses und in seiner Einfachheit faszinierendes Warnsystem. Schwester Sandrine fand es von Anfang an bestechend. Sobald die Identität eines Bruders aufflog, würde er mit einer falschen Auskunft das System in Bewegung setzen, das die anderen warnte. Doch heute Nacht schien bei allen vieren die Tarnung aufgeflogen zu sein.
»Bitte, bitte, nehmen Sie ab … «, flüsterte Schwester Sandrine drängend und voller Angst.
»Legen Sie den Hörer auf«, sagte eine schroffe, tiefe Stimme an der Tür.
Schwester Sandrine fuhr herum. Im Türrahmen stand der riesige Mönch. Er hielt einen eisernen Leuchter in den Händen. Zitternd legte Sandrine den Hörer auf die Gabel des alten Apparats.
»Sie sind tot«, sagte der Mönch. »Alle vier. Sie haben versucht, mich zum Narren zu halten. Jetzt werden Sie mir sagen, wo der Schlussstein ist.«
»Ich weiß es nicht«, sagte Schwester Sandrine wahrheitsgemäß. »Das ist ein Geheimnis, über das andere wachen.« Und die nun tot sind.
Der Mann trat näher. Seine weißen Fäuste krampften sich um den Kerzenleuchter. »Als katholische Ordensschwester helfen Sie denen?«
»Jesus hat uns nur eine Frohe Botschaft überbracht«, sagte Schwester Sandrine trotzig. »Bei Opus Dei kann ich diese Frohe Botschaft nicht erkennen.«
In den Augen des Mönchs explodierte die Wut. Mit einem jähen Ausfallschritt nach vom schwang er den Leuchter wie eine Keule.
Noch während sie zu Boden stürzte und Schwärze sie umfing, überkam Schwester Sandrine ein tiefes, überwältigendes Bedauern.
Alle vier sind tot.
Die kostbare Wahrheit ist für immer verloren.