68. KAPITEL

Der New Yorker Lektor Jonas Faulkman hatte sich gerade schlafen gelegt, als das Telefon klingelte. Wer ruft so spät noch an? Mürrisch hob er ab.

»Übernehmen Sie die Gebühren für ein R-Gespräch mir Mr Robert Langdon?«, quäkte die Stimme einer Telefonistin.

Verwundert knipste Faulkman die Nachttischlampe an. »Äh … ja, sicher, stellen Sie durch.«

Es klickte in der Leitung. »Jonas?«

»Robert! Sie klingeln mich mitten in der Nacht aus dem Schlaf, und ich darf den Spaß auch noch bezahlen.«

»Haben Sie Nachsicht, Jonas«, sagte Langdon. »Ich werde mich kurz fassen. Das Manuskript, das ich Ihnen gegeben habe … ich muss unbedingt wissen, ob Sie … «

»Ich weiß, dass ich Ihnen die redigierte Fassung für diese Woche versprochen habe, aber bei mir ist wieder mal Land unter. Nächsten Montag. Ich versprech's hoch und heilig.«

»Darum geht es mir nicht. Ich möchte nur wissen, ob Sie bereits ohne mein Wissen Vorabexemplare verschickt haben.«

Faulkman zögerte. In Langdons neuestem Manuskript – eine Untersuchung der Kulte weiblicher Gottheiten – befanden sich auch einige Abschnitte über Maria Magdalena, die manchem Gläubigen vermutlich sehr gegen den Strich gingen. Das Material war zwar einwandfrei recherchiert und dokumentiert – und es gab bereits eine Reihe anderer Veröffentlichungen zu diesem Thema –, doch Faulkman hatte nicht die Absicht, Vorabexemplare von Langdons Buch zu drucken, ohne sich zuvor das Manuskript von unerkannten Fachleuten absegnen zu lassen. Faulkman hatte das Manuskript zehn angesehenen Künstlern und Wissenschaftlern zugeschickt, begleitet von einem höflichen Schreiben mit der Anfrage, ob der verehrte Empfänger bereit sei, für den Umschlagtext ein paar anerkennende Worte der Empfehlung zu verfassen. Nach Faulkmans Erfahrung rissen die Leute sich für gewöhnlich darum, ihren Namen gedruckt zu sehen.

»Jonas?« Langdons Ungeduld war unüberhörbar. »Sie haben mein Manuskript an mehrere Experten rausgeschickt, nicht wahr?«

Faulkman spürte, dass Langdon nicht besonders erbaut darüber war. »Ich wollte Ihnen mit ein paar begeisterten Kritiken eine kleine Freude machen, Robert … «

»Haben Sie auch dem Direktor des Pariser Louvre ein Exemplar geschickt!«

»Was denken Sie denn? In Ihrem Manuskript wimmelt es von Verweisen auf die Sammlungen des Louvre, und in der Bibliographie zitieren Sie mehrere von Saunières Büchern. Außerdem sorgt der Mann allein mit seinem Namen für Umsätze im Ausland. Saunière ist mir als Allererster eingefallen!«

Das Schweigen am anderen Ende der Leitung dauerte ziemlich lange. »Und wann haben Sie das Manuskript rausgeschickt?«

»Vor ungefähr einem Monat. Ich habe übrigens erwähnt, dass Sie bald nach Paris kommen und vorgeschlagen, dass Sie sich mit Saunière unterhalten. Hat er sich bei Ihnen gemeldet?« Faulkman schien zu überlegen. »Moment mal, sollten Sie diese Woche nicht in Paris sein?«

»Ich bin in Paris.«

Faulkman setzte sich abrupt im Bett auf. »Was? Sie jubeln mir einfach so ein R-Gespräch aus Paris unter?«

»Ziehen Sie es von meinen Tantiemen ab. Jonas, haben Sie von Saunière schon eine Rückmeldung bekommen? Hat ihm das Manuskript gefallen?«

»Keine Ahnung. Bis jetzt habe ich noch nichts von ihm gehört.«

»Lassen Sie sich nicht entmutigen, Jonas. Ich muss jetzt leider Schluss machen. Sie haben mir sehr geholfen. Vielen Dank.«

»Robert … «

Die Leitung war tot.

Faulkman legte kopfschüttelnd auf. Autoren!, dachte er mit einem tiefen Seufzer.


Teabing lachte schallend auf. »Sie haben in Ihrem Manuskript eine Geheimgesellschaft aufs Korn genommen, und Ihr Lektor hat genau diesem Verein das Manuskript geschickt!«

Langdon blickte bekümmert drein. »Offensichtlich.«

»Welch ein niederträchtiger Zufall, mein Freund.«

Das hat mit Zufall nichts zu tun. Es lag auf der Hand, Jacques Saunière um ein Zitat für den Klappentext zu einem Buch über Weiblichkeits- und Fruchtbarkeitskulte zu bitten. Das war so werbewirksam, als würde man von Tiger Woods einen freundlichen Kommentar zu einem Buch über den Golfsport bekommen. Zudem war in einem Buch wie dem Langdons die Erwähnung der Prieuré de Sion fast unumgänglich.

Teabing amüsierte sich immer noch köstlich. »Und nun die große Preisfrage: War Ihre Stellungnahme zur Prieuré positiv oder negativ?«

Langdon wusste genau, worauf Teabing hinauswollte. Viele Historiker waren nicht damit einverstanden, dass die Prieuré die Sangreal-Dokumente noch immer hütete. Sie waren der Meinung, dass diese Unterlagen der Welt längst hätten zugänglich gemacht werden müssen. »Ich habe keinerlei Wertung der Bruderschaft und ihres Tuns vorgenommen.«

»Mangels eines solchen Tuns, nicht wahr?«

Langdon zuckte die Schultern. Teabing gehörte anscheinend zu denen, die der Ansicht waren, dass die Dokumente veröffentlicht werden sollten. »Ich habe lediglich Material zur Geschichte der Bruderschaft geliefert und sie als eine Gesellschaft dargestellt, die noch heute einen heidnischen Göttinnenkult betreibt und das Gralsgeheimnis sowie uralte Dokumente hütet.«

Sophie sah ihn an. »Haben Sie auch vom Schlussstein gesprochen?«

Langdon zuckte zusammen. Er hatte. An mehreren Stellen. »Ich habe den angeblichen Schlussstein als Beispiel dafür herangezogen, was die Prieuré sich alles einfallen lässt, um die Sangreal-Dokumente zu schützen.«

Sophie blickte ihn überrascht an. »Damit wäre wohl die Zeile P.S. Robert Langdon suchen erklärt.«

Langdon hatte das Gefühl, dass viel eher ein anderer Aspekt seines Manuskripts Saunières Interesse herausgefordert hatte, aber das war ein Thema, über das er mit Sophie lieber unter vier Augen sprechen wollte.

»Dann haben Sie Capitaine Fache die Unwahrheit gesagt?«

»Wie bitte?«, fragte Langdon erstaunt.

»Nun, Sie sagten ihm, Sie hätten nie mit meinem Großvater korrespondiert.«

»Das habe ich auch nicht. Mein Lektor hat ihm das Manuskript geschickt.«

»Denken Sie doch mal nach, Robert. Wenn Fache nicht zufällig den Umschlag mit dem Absender Ihres Lektors findet, muss er annehmen, Sie hätten Saunière das Manuskript geschickt.« Sie machte eine Pause. »Oder schlimmer noch, dass Sie das Manuskript persönlich abgeliefert haben, ohne Fache davon zu erzählen.«


Am Flugplatz Le Bourget fuhr Rémy den Range Rover zu einem kleinen Hangar am Ende der Landebahn. Als sie sich dem Gebäude näherten, kam ein zerzauster Mann in einem zerknitterten Overall heraus, winkte und schob das riesige Wellblechtor auf. Ein schlanker weißer Privatjet kam zum Vorschein.

Langdons Blick glitt über den glänzenden Rumpf. »Das ist Elizabeth?«

Teabing grinste. »Besser als der alberne Kanaltunnel, nicht wahr?«

Der Mann im Overall lief ihnen entgegen. Er blinzelte ins Scheinwerferlicht. »Fast fertig, Sir«, rief er mit britischem Akzent. »Tut mir Leid, dass es noch ein paar Minuten dauert, aber Ihr Anruf kam leider etwas plötzlich, und … « Er verstummte, als einer nach dem anderen ausstieg. Der Mann sah erst Sophie und Langdon an; dann richtete er den Blick auf Teabing.

»Meine Partner und ich müssen geschäftlich dringend nach London«, sagte Teabing. »Die Sache duldet keinen Aufschub. Bitte treffen Sie unverzüglich die Startvorbereitungen.« Noch während er sprach, nahm er die Pistole aus dem Wagen und reichte sie Langdon.

Beim Anblick der Waffe riss der Pilot die Augen auf und trat zu Teabing. »Sir«, flüsterte er, »ich muss mich tausendmal entschuldigen, aber meine Sondergenehmigung für Diplomatenflüge umfasst lediglich Sie selbst und Ihren Butler. Ich kann Ihre Gäste leider nicht mitnehmen.«

»Richard.« Teabing lächelte den Piloten warmherzig an. »Ich würde sagen, zweitausend Pfund Sterling und diese geladene Pistole sind für Sie Grund genug, Ihre Sondergenehmigung auf meine Gäste zu erweitern.« Er deutete auf den Range Rover »Und auf den Pechvogel dort im Gepäckraum.«

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