20. KAPITEL

Sophie Neveu und Robert Langdon traten aus der Finsternis hervor und schlichen die Grande Galerie hinunter zum Treppenhaus mit dem Notausgang.

Langdon hatte das Gefühl, im Finstern ein Puzzle zusammensetzen zu müssen. Die jüngste Entwicklung dieser mysteriösen Angelegenheit war mehr als beunruhigend.

Der Capitaine will dir einen Mord anhängen.

»Glauben Sie, Fache könnte die Nachricht selbst auf den Boden geschrieben haben?«, flüsterte er Sophie zu.

Sie drehte sich nicht einmal um. »Ach was.«

Langdon war da nicht so sicher. »Er scheint fest entschlossen zu sein, mich zum Mörder abzustempeln. Vielleicht hat er sich überlegt, dass die Beweise gegen mich wasserdicht erscheinen, wenn er meinen Namen auf den Boden schreibt.«

»Die Fibonacci-Folge? Das P.S.? Die Hinweise auf da Vinci und den Weiblichkeits-Symbolismus? Nein, das war nicht Fache. Das kann nur mein Großvater gewesen sein.«

Langdon musste zugeben, dass sie Recht hatte. Die Symbole passten zu gut zusammen – das Pentagramm, da Vincis Proportionsskizze nach Vitruv, der Bezug auf das göttlich Weibliche und sogar die Fibonacci-Folge. Eine kohärente Symbolstruktur, wie der Fachmann sagen würde. Eines fügte sich wunderbar ins andere.

»Und dann war da noch Großvaters Anruf bei mir«, sagte Sophie. »Sein Anruf heute Nachmittag. Er hat gesagt, er müsse mir unbedingt etwas anvertrauen. Ich bin sicher, die Nachricht auf dem Boden des Louvre war sein letzter Versuch, mir etwas sehr Wichtiges mitzuteilen – und er muss der Meinung gewesen sein, dass Sie mir bei der Lösung des Rätsels helfen können.«

Langdon runzelte die Stirn. O, Draconian devil, oh, lame saint! Er wünschte, er könnte die Botschaft verstehen – zu Sophies Beruhigung und zu seiner eigenen. Seit er die geheimnisvollen Worte gesehen hatte, war seine Lage prekärer geworden. Auch der vorgetäuschte Sprung aus dem Toilettenfenster dürfte ihm bei Fache keine Pluspunkte eingetragen haben. Langdon hatte seine Zweifel, dass der Capitaine es spaßig fand, einem Stück Seife nachzujagen, um es im Namen des Gesetzes zu verhaften.

»Wir sind gleich da«, sagte Sophie.

»Was meinen Sie – könnten die Zahlen in der Botschaft Ihres Großvaters den Schlüssel zum Verständnis der anderen Zeilen enthalten?«, fragte Langdon nachdenklich. Er hatte sich einst mit Handschriften Bacons beschäftigt, die epigrammatische Ziffern mit verschlüsselten Hinweisen zur Entzifferung anderer Textteile enthielten.

»Ich denke schon den ganzen Abend über diese Zahlen nach«, sagte Sophie. »Über ihre Summen, Quotienten und Produkte, aber ich kann mir keinen Reim darauf machen. Mathematisch gesehen ist die Anordnung rein zufällig kryptographischer Unsinn.«

»Dennoch gehört jede dieser Zahlen zur Fibonacci-Folge. Das kann doch kein Zufall sein.«

»Ist es auch nicht. Mit den Fibonacci-Zahlen hat mir mein Großvater einen Wink mit dem Zaunpfahl gegeben – wie mit der Benutzung des Englischen und seiner Körperhaltung analog meinem Lieblingskunstwerk von da Vinci. Nicht zu vergessen das Pentagramm, das er sich auf den Leib gemalt har.«

»Das Pentagramm hat eine besondere Bedeutung für Sie?«

»Ja, sicher. Bis jetzt bin ich leider noch nicht dazu gekommen, es Ihnen zu erzählen, aber als ich ein kleines Mädchen war, hatte das Pentagramm für meinen Großvater und mich eine ganz eigene Bedeutung. Wir haben zum Spaß oft Tarot gespielt, und jedes Mal hat er mir als Schicksalskarte ein Blatt von den Pentagrammen zugespielt. Ich bin sicher, dass er gemogelt hat, aber das mit den Pentagrammen ist unser kleiner Privatscherz gewesen.«

Langdon wurde hellhörig. Tarot? In diesem mittelalterlichen italienischen Kartenspiel wimmelte es geradezu von verstecktet häretischer Symbolik. Langdon hatte dem Tarot in seinem neuen Buch ein ganzes Kapitel gewidmet. Die zweiundzwanzig Karten des Spiels trugen Namen wie die Päpstin, die Kaiserin, der Stern. Das Tarotspiel war ursprünglich dazu benutzt worden, von der Kirche unterdrückte Glaubenssätze zu verbreiten. Seiner mystischen Qualitäten wegen stand Tarot bei Wahrsagern auch heute noch hoch im Kurs.

Im Tarot ist das Pentagramm die Schicksalskarte für die Göttin, dachte Langdon. Wenn Saunière seiner Enkelin ein bestimmtes Blatt zugemogelt hatte, war das Pentagramm in der Tat ein gelungener Scherz.

Sie erreichten den Notausgang. Vorsichtig zog Sophie an der Tür. Kein Alarm – nur die Türen, die unten ins Freie führten, waren gesichert. Langdon lief mit Sophie eine schmale Treppenflucht hinunter.

»Hat Ihr Großvater im Zusammenhang mit dem Pentagramm irgendetwas von Mutterkult oder von Vorbehalten der katholischen Kirche gesagt?«, wollte Langdon wissen.

Sophie schüttelte den Kopf. »Ich habe mich mehr für die mathematische Seite der Sache interessiert, die Fibonacci-Folge, die Zahl Phi, den goldenen Schnitt … «

Langdon war perplex. »Ihr Großvater hat mit Ihnen über die Zahl Phi gesprochen?«

»Natürlich. Der goldene Schnitt.« Sie schaute schelmisch drein. »Er hat oft im Scherz gesagt, ich wäre bereits zur Hälfte göttlich … wegen der drei Buchstaben mitten in meinem Namen, verstehen Sie.«

Langdon musste kurz nachdenken, bis es funkte: So-phi-e.

Während er weitereilte, ließ ihn der Gedanke an die Zahl Phi nicht los. Saunières Geflecht von Hinweisen war noch dichter, als er anfangs angenommen hatte.

Da Vinci … die Fibonacci-Folge … das Pentagramm.

So unwahrscheinlich es schien, es gab für alles einen gemeinsamen Nenner. Er spielte in der Kunstgeschichte eine so bedeutende Rolle, dass Langdon in seinen Vorlesungen oft mehrere Stunden auf dieses Thema verwendete.

Phi …

Langdon sah sich plötzlich wieder im Hörsaal in Harvard bei seiner Vorlesung über »Symbolik in der Kunst«. Er schrieb seine Lieblingszahl an die Tafel:

1,618

Langdon drehte sich um und ließ den Blick über seine Studenten schweifen. »Wer kann mir etwas zu dieser Zahl sagen?«

Ein langbeiniger Mathematikstudent höheren Semesters hob die Hand. »Das ist die Zahl Phi.« Er sprach es aus wie »Fie«.

»Sehr gut, Stettner«, lobte Langdon.

»Nicht zu verwechseln mit Pi«, ergänzte Stettner grinsend. »Wir Mathematiker sagen immer, Phi ist um ein H größer als Pi.«

Langdon musste lachen, doch außer ihm schien keiner den Witz verstanden zu haben.

Stettner machte ein enttäuschtes Gesicht.

»Die Zahl Phi – eins Komma sechs eins acht – spielt in der Kunst eine wichtige Rolle. Kann mir jemand sagen, was der Grund dafür ist?«

Stettner versuchte, noch ein paar Punkte zu machen. »Weil die Zahl so schön ist.«

Allgemeines Gelächter.

»Langsam«, sagte Langdon. »Stettner hat auch damit Recht. Phi gilt weithin als die harmonischste Zahl der gesamten Schöpfung.«

Das Gelächter erstarb, und Stettner strahlte.

Während Langdon einige Dias in den Projektor einlegte, erklärte er, dass die Zahl Phi aus der Fibonacci-Folge abgeleitet war. Diese Zahlenreihe war deshalb bemerkenswert, weil nicht nur jedes Glied die Summe der beiden vorangehenden Glieder darstellte, sondern auch der Quotient der jeweiligen Glieder erstaunlicherweise stets sehr eng um den Wert 1,618 streute – die Zahl Phi.

»Ungeachtet der anscheinend mystischen mathematischen Herkunft der Zahl Phi liegt ihre geradezu unglaubliche Bedeutung darin, dass sie in der Natur eine grundlegende Rolle spielt. Pflanzen, Tiere, sogar der Mensch weisen in ihren Proportionen Maßverhältnisse auf, die mit einer geradezu unheimlichen Konstanz den Wert Phi zu eins, also den Kehrwert von Phi aufweisen. Die Allgegenwärtigkeit von Phi in der Natur«, fuhr Langdon fort, während er das Licht löschte, »ist so signifikant, dass es kein Zufall sein kann. Die Alten haben deshalb geglaubt, mit der Zahl Phi habe der Schöpfer ein Ordnungsmuster in die Welt getragen. Sie nannten diese Verhältniszahl den ›goldenen Schnitt‹.«

»Kann man das wirklich so sagen?«, meldete sich eine junge Studentin in der ersten Reihe zu Wort. »Ich mache bald mein Examen in Biologie, aber der goldene Schnitt ist mir in der Natur noch nirgends untergekommen.«

»Nein?« Langdon lächelte. »Haben Sie je das Verhältnis der männlichen zu den weiblichen Tieren in der Population eines Bienenstocks untersucht?«

»Sicher. Die weiblichen Insekten sind immer in der Überzahl.«

»Richtig. Dann sollten Sie auch wissen, dass sich in jedem Bienenstock der Welt jedes Mal der gleiche Wert ergibt, wenn man die Zahl der weiblichen Exemplare durch die Zahl der männlichen dividiert, und zwar der Wert Phi.«

»Das kann nicht sein!«, stieß die junge Frau hervor.

»Das kann sehr wohl sein«, gab Langdon zurück und projizierte das Bild eines spiralförmigen Muschelgehäuses auf die Leinwand. »Kennen Sie das?«

»Das ist ein Nautilus«, sagte die Biologiestudentin. »Ein Kopffüßer, der zur Regulierung des Auftriebs Gas in sein Gehäuse pumpen kann.«

»So ist es. Und können Sie erraten, in welchem Verhältnis die Durchmesser der einzelnen Spiralkammern seines Gehäuses zueinander stehen?«

Die Studentin betrachtete unsicher die Bogenschwünge des Kalkpanzers.

»Ganz richtig – Phi.« Langdon nickte. »Die Proportion des goldenen Schnitts. Eins Komma sechs eins acht zu eins.«

Die Studentin machte große Augen.

Langdon projizierte das nächste Bild auf die Leinwand, die Nahaufnahme einer reifen Sonnenblumendolde. »Sonnenblumenkerne wachsen in gegenläufigen Spiralen. Und nun raten Sie mal, in welchem Verhältnis die aufeinander folgenden Wachstumsspiralen zueinander stehen.«

»Phi?«, tönte es aus dem Auditorium.

»Volltreffer!« Langdon projizierte nun in rascher Folge ein Dia nach dem anderen: Tannenzapfen, Blattanordnungen an Pflanzenstängeln, Segmentierungen von Insektenleibern – und überall gab es die erstaunliche Übereinstimmung mit dem goldenen Schnitt.

»Das ist ja alles sehr interessant«, rief jemand im Auditorium, »aber was hat das mit Kunst zu tun?«

»Das will ich Ihnen sagen.« Langdon ließ ein anderes Dia erscheinen. Es zeigte ein blassgelbes Pergament mit Leonardo da Vincis berühmtestem männlichen Akt – der Proportionsstudie nach Vitruv, so benannt nach dem bedeutenden römischen Architekten Marcus Vitruvius, der in seiner Schrift de architectura den goldenen Schnitt gepriesen hatte.

»Niemand hat besser als Leonardo da Vinci die göttliche Struktur des menschlichen Körpers begriffen. Er hat sogar Leichen ausgegraben, um an den Körpern die Proportionen des Menschen zu studieren. Er hat als Erster gezeigt, dass der Körper des Menschen aus Elementen aufgebaut ist, deren Maßverhältnisse immer den Wert von Phi ergeben.«

Die Studenten blickten Langdon skeptisch an.

»Sie glauben mir nicht? Dann nehmen Sie das nächste Mal, wenn Sie sich unter die Dusche stellen, ein Zentimetermaß mit.«

Einige Zuhörer kicherten.

Langdon lächelte. »Nicht nur die Machos unter Ihnen. Nein, alle, Männlein und Weiblein. Messen Sie den Abstand von Ihrem Scheitel zum Fußboden und teilen Sie den Wert durch den Abstand vom Nabel zum Boden. Sie werden sich wundern, welche Zahl dabei herauskommt.«

»Phi?«, rief jemand.

»Gut geraten««, gab Langdon zurück. »Eins Komma sechs eins acht. Noch ein Beispiel gefällig? Nehmen Sie den Abstand von Ihrer Schulter zu den Fingerspitzen und teilen Sie ihn durch den Wert der Länge des Armes vom Ellbogen zu den Fingerspitzen: wieder Phi. Noch ein Beispiel gefällig? Hüfte zum Boden dividiert durch Knie zum Boden. Noch einmal Phi. Fingerglieder, Zehen, die Abschnitte des Rückgrats: Phi, Phi und Phi. Jede und jeder von Ihnen ist eine wandelnde Huldigung an den goldenen Schnitt.«

Sogar in dem abgedunkelten Raum war die allgemeine Verwunderung deutlich wahrzunehmen. Langdon spürte eine vertraute innere Wärme: Das war der Grund, weshalb er Lehrer geworden war. »Wie Sie sehen, hat das scheinbare Chaos der Erscheinungen der Welt eine tiefere Ordnung. Als die Alten auf die Zahl Phi gestoßen sind, glaubten sie, über den Baustein gestolpert zu sein, aus dem Gott die Welt zusammengesetzt hat, was sie in ihrer Verehrung der Natur bestärkte. Das kann man gut verstehen, nicht wahr? Gottes Hand ist in der Natur überall gegenwärtig. Bis zum heutigen Tag gibt es heidnische Kulte und Religionen, die Mutter Erde verehren. Viele Menschen feiern die Natur nicht anders als die vorchristlichen Heiden, und sie wissen es noch nicht einmal. Das Geheimnis der göttlichen Proportionen des goldenen Schnitts war der Schöpfung von Anfang an immanent. Der Mensch ist ein Spieler auf dem Spielfeld der Natur. In der Kunst versucht er, es dem Schöpfer gleichzutun. Sie können sich deshalb jetzt schon darauf einstellen, dass der goldene Schnitt uns im Laufe dieses Semesters noch oft begegnen wird.«

In der verbliebenen halben Stunde führte Langdon Dias mit Werken von Michelangelo, Albrecht Dürer, Leonardo da Vinci und vielen anderen alten Meistern vor, anhand deren er die bewusste und konsequente Anwendung des goldenen Schnitts auf die Komposition von Kunstwerken demonstrierte. Er zeigte das Prinzip des goldenen Schnitts in der Architektur der griechischen Tempel, der ägyptischen Pyramiden und sogar des Gebäudes der Vereinten Nationen in New York. Die Zahl Phi erschien in den kompositorischen Strukturen von Mozartsonaten, Beethovens Fünfter Symphonie und Werken Bartóks, Debussys und Schuberts. Sogar Stradivari berücksichtigte beim Bau seiner berühmten Violinen diese Zahl, um die optimale Lage der F-Löcher zu bestimmen.

Langdon trat wieder an die Tafel. »Zum Schluss möchte ich wieder auf die Symbole zurückkommen«, sagte er und zeichnete aus fünf einander überschneidenden Linien einen fünfzackigen Stern. »Das ist eines der gewichtigsten Symbole, mit dem Sie in diesem Semester Bekanntschaft machen werden. Es wird als Pentagramm bezeichnet – die Alten nannten es auch das Penrakel oder den Drudenfuß – und gilt in vielen Kulturen als Symbol des Göttlichen und des Magischen. Kann mir jemand verraten, warum?«

Stettner, der Mathematik-Diplomand, hob die Hand. »Weil die Linien sich auf eine Weise schneiden, dass die von ihnen gebildeten Abschnitte im Verhältnis des goldenen Schnitts zueinander stehen.«

Langdon nickte dem jungen Mann anerkennend zu. »Sehr gut. Jawohl, sämtliche Längen Verhältnisse eines fünfzackigen Sterns entsprechen der Zahl Phi und machen dieses Symbol damit zum idealen Ausdruck der göttlichen Proportionen des goldenen Schnitts. Aus diesem Grund war der fünfzackige Stern stets das Symbol für die Schönheit und Vollkommenheit der Muttergottheit und die Heiligkeit des Weiblichen.«

Der weibliche Teil des Auditoriums strahlte.

»Noch eins, Leute. Wir haben Leonardo da Vinci heute nur kurz angesprochen, aber wir werden uns im Laufe dieses Semesters noch eingehender mit ihm beschäftigen. Seine Verehrung für die alten weiblichen Gottheiten ist bestens dokumentiert. Morgen werde ich Ihnen sein Fresko Das letzte Abendmahl vorführen, das eine der erstaunlichsten Huldigungen an das Weibliche darstellt, die wir kennen.«

»Im Ernst?«, fragte jemand. »Ich dachte immer, im Mittelpunkt von Leonardos Letztem Abendmahl steht Jesus.«

Langdon zwinkerte dem Fragesteller zu. »In diesem Gemälde sind Symbole an Stellen versteckt, auf die Sie im Traum nicht kommen würden … «


»Was ist mit Ihnen?«, flüsterte Sophie. »Wir sind gleich da. Los!«

Langdon schien aus weiter gedanklicher Ferne aufzutauchen. Von einer plötzlichen Eingebung erfasst, stand er wie gelähmt auf der Treppe.

Sophie schaute sich nach ihm um.

O, Draconian devil, oh, lame saint!

Ist die Lösung so einfach?, fragte sich Langdon.

Doch es konnte gar nicht anders sein.

Während ihm die Zahl Phi und die Gemälde da Vincis durch den Kopf wirbelten, hatte Robert Langdon unvermutet mit einem Schlag Jacques Saunières Code entziffert.

»O, Draconian devil«, sagte er, »oh, lame saint … einfacher kann der Code gar nicht sein!«


Sophie hielt auf dem Treppenabsatz unter Langdon inne und schaute verwirrt zu ihm hinauf. Ein Code? Sie hatte die ganze Nacht schon über diese zwei Zeilen nachgedacht, aber nirgendwo einen Code erkennen können, schon gar nicht einen einfachen.

»Sie haben es doch selbst gesagt.« Langdons Stimme bebte vor Aufregung. »Die Zahlen der Fibonacci-Reihe ergeben nur in der richtigen Reihenfolge einen Sinn, sonst sind sie mathematischer Nonsens.«

Sophie begriff nicht, worauf er hinauswollte. Die Fibonacci-Zahlen? Sie war überzeugt, dass ihr einziger Sinn darin bestanden hatte, die Dechiffrierabteilung und damit sie selbst auf den Plan zu rufen. Sie haben auch noch einen anderen Sinn? Sie schob die Hand in die Tasche und zog das Blatt mit dem Ausdruck der Nachricht ihres Großvaters hervor.

13-3-2-21-1-1-8-5 O, Draconian devil! Oh, lame Saint!

Was war mit diesen Zahlen?

»Er hat die Fibonacci-Reihe durcheinander geschüttelt, damit wir uns etwas dabei denken«, sagte Langdon und nahm das Blatt in die Hand. »Sein Verfahren mit den Zahlen ist ein Hinweis darauf, wie man mit dem Rest der Botschaft umgehen soll. Die Zeilen als solche bedeuten gar nichts. Das sind lediglich ein paar Buchstaben ohne jede Ordnung.«

Sophie hatte sofort begriffen, worauf Langdon hinauswollte. Die Lösung schien geradezu lächerlich einfach zu sein. »Sie meinen, diese Botschaft ist … une anagramme?« Sie sah ihn skeptisch an. »Wie ein Rebus aus der Rätselzeitung?«

Langdon konnte Sophies Zweifel gut verstehen. Die wenigsten Leute wussten, dass Anagramme mehr waren als ein kurzweiliges Vergnügen für Zeitungsleser. Sie hatten eine reichhaltige Geschichte voller Bezüge zu heiligen Symbolen.

Die mystischen Lehren der Kabbala stützten sich in hohem Umfang auf Anagramme – die Neuordnung der Buchstaben hebräischer Texte, wodurch diesen Texten eine neue Bedeutung zukam. Während der gesamten Renaissancezeit waren die französischen Könige von der heiligen Macht der Anagramme so sehr überzeugt, dass sie an ihrem Hof königliche Anagrammatiker beschäftigten, die ihnen durch die anagrammatische Analyse wichtiger Dokumente zu klügeren Entscheidungen verhelfen sollten. Die alten Römer bezeichneten das Studium der Anagramme als ars magna, »große Kunst«.

Langdon sah Sophie in die Augen. »Was Ihr Großvater sagen wollte, hatten wir die ganze Zeit schon vor der Nase. Er hat uns Hinweise in Hülle und Fülle hinterlassen, damit wir es sehen.«

Ohne ein weiteres Wort zog er einen Kugelschreiber heraus und schrieb die Buchstaben der einzelnen Zeilen in einer anderen Anordnung auf.

O, Draconian devil! Oh, lame saint!

war das lückenlose Anagramm von:

Leonardo da Vinci! The Mona Lisa!

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