Als Bischof Aringarosa vor Castel Gandolfo aus dem Fiat stieg, ließ die kalte Bergluft, die von unten über die hohen Felsklippen fuhr, ihn frösteln. Du hättest dich wärmer anziehen sollen, sagte er sich und unterdrückte sein Zittern. Schwach oder gar ängstlich zu erscheinen, konnte er heute Abend am allerwenigsten gebrauchen.
Bis auf eine leuchtende Fensterreihe war das Schloss dunkel. Die Bibliothek, dachte Aringarosa. Sie sind wach und warten auf dich. Zum Schutz gegen den kalten Wind zog er den Kopf ein und schritt schneller aus, ohne die Observatoriumskuppeln auch nur eines Blickes zu würdigen.
Am Portal erwartete ihn ein schläfrig wirkender Pater, derselbe, der ihn schon vor fünf Monaten empfangen hatte. Heute allerdings zeigte er sich wesentlich weniger freundlich als damals. »Exzellenz, wir haben uns schon Sorgen gemacht«, sagte er mit einem Blick auf die Uhr. Sein Ton war eher indigniert als besorgt.
»Ich muss mich entschuldigen. Die Fluggesellschaften werden immer unzuverlässiger, wissen Sie.«
Der Pater murmelte etwas Unverständliches. »Sie werden oben bereits erwartet. Ich begleite Sie hinauf.«
Die Bibliothek war ein riesiger rechteckiger Raum mit dunkler Wandtäfelung vom Boden his zur Decke. Ringsum standen gewaltige, mir Büchern voll gestellte Regale. Der Fußboden bestand aus bernsteinfarbenen Marmorfliesen mit schwarzen Einlegearbeiten aus Basalt und erinnerte auf gefällige Weise daran, dass der Saal einst Teil eines Palasts gewesen war.
»Willkommen, lieber Mitbruder«, ertönte eine Stimme auf der anderen Seite des Saales.
Aringarosa versuchte, den Sprecher zu erkennen, doch man hatte die Beleuchtung stark abgedunkelt – im Unterschied zu der strahlenden Helligkeit bei seinem ersten Besuch. Die Nacht des jähen Erwachens. Heute Abend saßen seine Gegenüber im Halbdunkel, als würden sie mit einer gewissen Beschämung der Dinge harren, die da kamen.
Aringarosa trat gemessen ein, geradezu königlich. Er konnte umrisshaft drei Männer am langen Tisch auf der gegenüberliegenden Seite des Saales sitzen sehen. Den Mann in der Mitte erkannte er sofort an seiner Körperfülle – der Generalsekretär der Kurie, Herr über sämtliche Rechtsangelegenheiten des Vatikans. Die beiden anderen waren hochrangige italienische Kardinäle.
Aringarosa schritt durch die Bibliothek auf die drei Männer zu. »Liebe Brüder, ich bitte demütigst um Verzeihung, dass Sie sich meinetwegen zu dieser späten Stunde bemühen müssen. Wir leben leider in unterschiedlichen Zeitzonen. Sie sind gewiss sehr müde … «
»Aber keineswegs!«, sagte der Generalsekretär und faltete die Hände über seinem ansehnlichen Bauch. »Wir sind Ihnen zu Dank verpflichtet, dass Sie den weiten Weg nicht gescheut haben. Das Mindeste, das wir Ihnen zum Empfang schulden, ist Aufmerksamkeit. Dürfen wir Ihnen Kaffee oder sonst eine Erfrischung anbieten?«
»Ich würde es vorziehen, gleich zum Geschäftlichen zu kommen. Ich möchte meinen nächsten Flug nicht verpassen. Dies hier ist schließlich kein geselliges Beisammensein.«
»Selbstverständlich«, sagte der Sekretär. »Sie sind schneller in Aktion getreten, als von uns erwartet.«
»Bin ich das?«
»Sie haben noch einen ganzen Monat Zeit.«
»Ihre Bedenken haben Sie mir bereits vor fünf Monaten dargelegt«, sagte Aringarosa. »Weshalb also sollte ich Zeit vergeuden?«
»Ja, weshalb? Wir sind sehr angetan davon, wie zügig Sie zu Werke gehen.«
Aringarosas Blick glitt über den Tisch zu einem stattlichen schwarzen Diplomatenköfferchen. »Ist es das, worum ich gebeten habe?«
»Gewiss.« Die Stimme des Sekretärs klang plötzlich besorgt. »Doch wir möchten Ihnen nicht verhehlen, lieber Mitbruder, dass ihre Bitte uns Anlass zu gewisser Unruhe gibt. Sie erscheint uns ziemlich … «
»Gefährlich«, vollendete einer der Kardinäle den Satz. »Sind Sie sicher, dass wir Ihnen den Betrag nicht doch lieber auf ein Konto überweisen sollten? Die Summe ist exorbitant.«
Freiheit ist nun mal teuer. »Was meine Sicherheit angeht, hege ich keine Bedenken. Gott ist mit mir.«
Die drei Männer setzten skeptische Mienen auf.
»Entsprechen die Papiere meinen Vorgaben?«
Der Sekretär nickte. »Hoch notierte Inhaberobligationen der Vatikanbank, die auf der ganzen Welt in Bargeld umtauschbar sind.«
Aringarosa begab sich zum Ende des Tisches und öffnete das Köfferchen. Zwei dicke Packen Obligationen lagen darin, jede mit dem Wappen des Vatikans und der Aufschrift PORTATORE versehen. Wer diese Papiere bei einer Bank vorlegte, konnte sie überall und jederzeit gegen Bargeld einlösen.
Der Sekretär blickte nervös drein. »Ich muss jedoch sagen, lieber Mitbruder, dass uns allen wohler wäre, wenn Sie den Betrag in Bargeld annähmen.«
So viel Bargeld kann kein Mensch tragen, mein lieber Freund, dachte Aringarosa und klappte den Koffer zu. »Diese Papiere sind doch so gut wie Bargeld. Haben Sie das nicht eben selbst hervorgehoben?«
Die Kardinäle tauschten unbehagliche Blicke. »Durchaus«, ergriff schließlich einer das Wort, »aber man kann sie bis zur Vatikanbank zurückverfolgen.«
Aringarosa lächelte in sich hinein. Aus genau diesem Grund hatte der Lehrer vorgeschlagen, das Geld in Form von Inhaberobligationen zu Transferieren, als Rückversicherung sozusagen. Jetzt sitzen wir alle im gleichen Boot. »Ist das denn nicht eine vollkommen legale Transaktion?«, wandte Aringarosa ein. »Opus Dei ist eine Personalprälatur des Papstes. Seine Heiligkeit kann Zuwendungen machen, wie es ihm beliebt. Wie könnte das gesetzeswidrig sein?«
»Das ist ja alles richtig, aber dennoch … « Der Sekretär beugte sich vor. Der Stuhl ächzte unter seinem Gewicht. »Leider ist es gänzlich unserer Kontrolle entzogen, was Sie mit diesen Papieren zu tun beabsichtigen. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass Ihre Absichten sich ein wenig abseits der Legalität bewegen sollten … «
»Verehrte Mitbrüder, in Anbetracht dessen, was Sie von mir zu tun verlangen, dürfen Sie von mir keine Rechenschaft über die Verwendung des Geldes erwarten!«
Stille breitete sich aus.
Sie wissen, dass du Recht hast, dachte Aringarosa. »Irre ich mich, oder hätten Sie gern eine Unterschrift von mir?«
Alle drei sprangen auf. Eilig wurde ein Papier über den Tisch geschoben, als wäre man froh, den Besucher endlich loszuwerden.
Aringarosa betrachtete das Dokument. Es trug das päpstliche Wappen. »Dieses Papier ist doch identisch mit dem Entwurf, den Sie mir zugeschickt haben?«
»Selbstverständlich.«
Aringarosa unterzeichnete das Dokument, überrascht, wie gelassen er sich dabei fühlte, angesichts der unermesslichen Bedeutung. Die drei Männer am Tisch schienen erleichtert aufzuatmen.
»Lieber Mitbruder, wir danken Ihnen«, sagte der Sekretär. »Den Dienst, den Sie unserer Kirche erwiesen haben, wird man Ihnen nie vergessen.«
Aringarosa nahm das Köfferchen vom Tisch. Das Gewicht in seiner Hand vermittelte ihm ein erhebendes Vorgefühl der Macht. Die vier Männer sahen sich einen Augenblick lang an, als hätten sie sich noch etwas zu sagen, was aber offensichtlich nicht der Fall war. Aringarosa drehte sich um und ging zur Tür. Als er auf der Schwelle stand, rief ihn einer der Kardinäle an.
Aringarosa hielt noch einmal inne. »Ja?«
»Wohin führt Sie nun der Weg, Bruder?«
Aringarosa spürte, dass die Frage auf seine spirituellen Ziele anspielte, doch er hatte wenig Lust, sich zu dieser Stunde auf eine Moraldiskussion einzulassen.
»Nach Paris, verehrter Mitbruder«, sagte er und ging hinaus.