62. KAPITEL

»Sir Leigh, man will mir etwas anhängen«, sagte Langdon und bemühte sich, Ruhe zu bewahren. Du kennst mich doch, Leigh. Sehe ich wie ein Mörder aus!

Teabings Tonfall blieb frostig. »Robert, Ihr Fahndungsfoto wird im Fernsehen gezeigt, verdammt! Wussten Sie, dass die Polizei Ihnen auf den Fersen ist?«

»Ja.«

»Dann haben Sie mein Vertrauen missbraucht. Es ist erstaunlich, mit welcher Seelenruhe Sie mich in Gefahr bringen, indem Sie hier auftauchen und mich über den Gral dozieren lassen, nur um in meinem Heim eine sichere Zuflucht zu finden.«

»Ich bin kein Mörder, Sir Leigh, und … «

»Jacques Saunière ist tot, und die Polizei ist sicher, dass Sie der Täter sind.« Teabings Blick wurde traurig. »Was hat dieser Mann nicht alles für die Kunst geleistet … «

»Sir?« Der Butler war hinter Teabing erschienen und hatte sich mit verschränkten Armen im Türrahmen aufgebaut. »Sir, wünschen Sie, dass ich die Herrschaften nach draußen begleite?«

»Schon gut, Rémy«, sagte Teabing mit einem giftigen Blick auf Langdon und Sophie, während er durch den Saal hinkte und eine große gläserne Verandatür aufstieß. »Begeben Sie sich bitte zu Ihrem Wagen und verlassen Sie sofort mein Grundstück.«

Sophie rührte sich nicht von der Stelle. »Wir sind im Besitz von Informationen über den clef de voûte. Den Schlussstein der Prieuré

Teabing blickte Sophie abschätzend an. »Wieder so ein verzweifeltes Manöver!« Er lachte verächtlich. »Robert weiß, wie besessen ich nach diesem Stein gesucht habe.«

»Miss Neveu spricht die Wahrheit«, pflichtete Langdon Sophie bei.

»Gehen Sie jetzt, oder ich rufe die Polizei!«, mischte der Butler sich ein.

»Sir Leigh«, flüsterte Langdon beschwörend, »wir wissen, wo der Stein ist!«

Teabings Entschlossenheit schien ins Wanken zu geraten.

Rémy näherte sich mit steifen Schritten. »Wenn Sie nicht augenblicklich gehen«, sagte er drohend zu Langdon und Sophie, »werde ich Sie gewaltsam … «

»Rémy!«, herrschte Teabing ihn an. »Lassen Sie uns allein!«

Der Butler blickte seinen Herrn und Meister betroffen an. »Aber Sir Leigh, diese Leute sind … «

»Überlassen Sie gefälligst mir die Entscheidung, wen ich vor mir habe!« Teabing wies mit dem Finger auf den Flur. »Verschwinden Sie jetzt.«

Der Butler schwieg gekränkt und schlich wie ein begossener Pudel davon.

Durch die offene Verandatür strich kühl die Nachtluft herein. Teabing wandte sich wieder Sophie und Langdon zu. »Jetzt aber keine Mätzchen mehr! Was wissen Sie über den Schlussstein?«


Silas kauerte im dichten Gebüsch vor Teabings zum Arbeitsraum umfunktionierten Ballsaal. Er hielt den Griff der Pistole umklammert und äugte durch die offene Glastür. Vor wenigen Augenblicken erst war er zur Rückseite des Gebäudes geschlichen und hatte Langdon und die Frau in dem großen Saal miteinander reden sehen. Doch bevor Silas etwas unternehmen konnte, war ein Mann auf Krücken in den Saal gekommen, hatte Langdon beschimpft, die Verandatür aufgerissen und seine Gäste barsch zum Gehen aufgefordert. Dann hatte die Frau etwas von einem Schlussstein gesagt, und mit einem Schlag hatte die Situation sich vollkommen geändert. Aus der lautstarken Auseinandersetzung war Geflüster geworden, die Wogen hatten sich geglättet – und die Glastür war wieder geschlossen worden.

Im Dunkeln kauernd, spähte Silas durch die Scheiben. Der Schlussstein befindet sich irgendwo hier im Château! Der hünenhafte Albino konnte es geradezu körperlich fühlen.

Auf gute Deckung bedacht, schlich er näher an die Scheiben, um zu lauschen, was drinnen gesagt wurde. Silas gab den Personen im Saal fünf Minuten. Wenn bis dahin kein Wort über den Verbleib des Schlusssteins gefallen war, musste er hinein und die Anwesenden mit dem bewährten Mittel der Gewalt zum Reden bringen …


Langdon sah die Verwunderung auf dem Gesicht seines Gastgebers.

»Jacques Saunière soll Großmeister gewesen sein?«, stieß Teabing hervor.

Sophie, der Teabings maßloses Erstaunen nicht entging, nickte.

»Aber wie wollen Sie das denn überhaupt wissen?«

»Jacques Saunière war mein Großvater.«

Teabing taumelte auf seinen Krücken zurück. Sein Blick traf Langdon, der bestätigend nickte. Teabing sah wieder Sophie an. »Miss Neveu, mir fehlen die Worte. Wenn das stimmt, bin ich zutiefst betrübt über Ihren Verlust. Sie müssen wissen, dass ich studienhalber Listen von Pariser Bürgern geführt habe, die nach meiner Einschätzung als Kandidaten für die Mitgliedschaft in der Prieuré in Frage kamen. Neben vielen anderen stand auch Jacques Saunière auf der Liste. Aber Großmeister, sagen Sie? Das fällt mir denn doch schwer zu glauben.« Teabing verstummte nachdenklich und schüttelte den Kopf. »Es spricht zu viel dagegen. Selbst wenn Saunière tatsächlich Großmeister der Prieuré gewesen wäre und den Schlussstein eigenhändig angefertigt hätte, würde er Ihnen niemals anvertraut haben, wie und wo der Stein zu finden ist. Der Schlussstein enthält die Wegbeschreibung zum lange gehüteten Schatz der Prieuré. Enkelin hin oder her, Miss Neveu, Sie gehören keinesfalls zu dem Personenkreis, der in dieses Wissen eingeweiht werden darf.«

»Saunière lag sterbend am Boden, als er diese Information weitergab«, sagte Langdon. »Er hatte keine andere Wahl.«

»Wozu hätte er eine andere Wahl gebraucht? Es gibt noch drei Seneschalle, die ebenfalls in das Geheimnis eingeweiht sind. Das ist ja das Großartige an diesem Geheimhaltungssystem. Wenn jemand zum Großmeister aufsteigt, rückt ein neuer Mann als Seneschall nach, der bei dieser Gelegenheit neu in das Geheimnis eingeweiht wird.«

»Offenbar haben Sie nur einen Teil der Fernsehnachrichten gesehen«, sagte Sophie. »Außer meinem Großvater wurden heute Nacht drei weitere prominente Pariser Bürger ermordet. Alle auf ganz ähnliche Weise. Und alle scheinen mit brutaler Gewalt zu einer Aussage erpresst worden zu sein.«

Teabing sah sie verblüfft, an. »Und Sie nehmen an, diese drei anderen Ermordeten waren … «

»Die Seneschalle«, vollendete Langdon den Satz.

»Aber wie ist das möglich? Wie soll ein Mörder die vier führenden Köpfe der Prieuré de Sion enttarnt haben? Nehmen Sie mich, zum Beispiel. Nach Jahrzehnten intensivster Nachforschungen kann ich Ihnen kein einziges Mitglied der Prieuré namentlich nennen! Es ist schlichtweg unmöglich, dass die drei Seneschalle und der Großmeister an einem einzigen Tag enttarnt und ermordet wurden.«

»Ich bezweifle, dass ihre Enttarnung das Werk eines einzigen Tages gewesen ist«, sagte Sophie. »Mir kommt die Sache wie ein wohl geplantes décapiter vor, ein präziser Schlag zur Enthauptung. Mit dieser Technik rücken wir beim DCPJ der organisierten Kriminalität zu Leibe. Wenn unsere Polizei eine bestimmte Gruppierung ausschalten will, wird sie über Monate hinweg überwacht, bis wir sämtliche Köpfe der Organisation namentlich kennen. Erst dann wird in einer genau abgestimmten Aktion zugeschlagen und die gesamte Führung gleichzeitig verhaftet. Damit ist die Organisation gleichsam enthauptet. Sie ist führungslos und versinkt im Chaos, was in den meisten Fallen weitere Informationen hervorbringt. Möglicherweise hat jemand über lange Zeit die Prieuré geduldig belauert und dann zugeschlagen, in der Hoffnung, dass die Führungsebene das Geheimnis des Schlusssteins preisgibt.«

Teabing wirkte nicht überzeugt. »Aber diese Männer würden niemals reden. Sie haben ein Gelübde abgelegt, das Geheimnis zu hüten, selbst angesichts des Todes!«

»Eben«, sagte Langdon. »Wenn diese Männer das Geheimnis nicht preisgeben, aber getötet werden … «

Teabing schnappte nach Luft, » … wäre das Geheimnis vom Versteck des Heiligen Grals für immer verloren!« Er schien unter dem Gewicht dieser Vorstellung zu wanken, ließ sich in einen Sessel sinken und starrte durch die Scheiben nach draußen.

Sophie trat zu ihm. »Wenn man die verzweifelte Lage meines Großvaters bedenkt, halte ich es für möglich, dass er das Geheimnis an eine außen stehende Person weitergeben musste – eine Person, die er für vertrauenswürdig hielt, jemand aus seiner Familie. Jemand wie mich.«

Teabing war blass geworden. »Aber wer sollte in der Lage sein, die Prieuré so gründlich auszuspionieren und einen solchen Schlag zu führen … « Er verstummte, und ein Ausdruck des Entsetzens erschien auf seinem Gesicht. »Für ein Unterwanderungsmanöver dieses Kalibers kommt nur eine einzige Macht in Frage. Die älteste Feindin der Prieuré de Sion

Langdon sah Teabing an. »Die Kirche?«

»Wer sonst? Rom ist seit Jahrhunderten hinter dem Gral her!«

Sophie war skeptisch. »Sie glauben, die Kirche hätte meinen Großvater auf dem Gewissen!«

»Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, dass die Kirche gemordet hätte, um sich zu schützen«, sagte Teabing. »Die Dokumente, die zum Heiligen Gral gehören, sind hochbrisant. Die Kirche hat seit Jahrhunderten versucht, ihrer habhaft zu werden, um sie zu vernichten.«

Langdon war skeptisch, was Teabings Theorie betraf, die moderne Kirche würde zum Mittel des plumpen Mordes greifen, um sich Dokumente oder anderes zu verschaffen. Er hatte den neuen Papst und viele Kardinäle persönlich erlebt und wusste, dass diese Männer niemals ein Attentat gutheißen würden. Egal, was auf dem Spiel steht.

Sophie schien ähnliche Überlegungen anzustellen. »Wäre es nicht möglich, dass die Mitglieder der Bruderschaft von jemandem umgebracht wurden, der außerhalb der Kirche steht? Jemand, der die wahre Natur des Heiligen Grals überhaupt nicht kennt? Der Kelch Christi wäre schließlich eine ungeheure Verlockung. Schatzsucher haben schon für viel weniger getötet.«

»Nach meiner Erfahrung«, sagte Teabing, »legen die Menschen sich viel mehr ins Zeug, um zu vermeiden, wovor sie Angst haben, als um sich zu verschaffen, was sie begehren. Für mich riecht dieser Anschlag auf die Prieuré nach Verzweiflung.«

»Sir Leigh«, sagte Langdon, »ich halte Ihre Überlegung für widersinnig. Warum sollten Mitglieder der katholischen Geistlichkeit Mitglieder der Prieuré ermorden, um in den Besitz von Dokumenten zu gelangen, die in ihren Augen ohnehin falsche Informationen beinhalten?«

Teabing lachte leise. »Ihre Geistesschärfe hat im Elfenbeinturm von Harvard offenbar gelitten, Robert. Ganz recht – der römische Klerus ist mit einem alles überwindenden Glauben gesegnet, der ihm die Kraft gibt, sämtliche Stürme abzuwehren, wozu auch die Dokumente gehören, die alles in Frage stellen, was diesen Leuten lieb und teuer ist. Aber wie steht es mit jenen, denen diese Gewissheit des Glaubens fehlt? Was ist mit denen, die sich angesichts der grausamen Geschehnisse in unserer Welt fragen, wo Gott geblieben ist? Was ist mit denen, die angesichts der skandalösen Vorgänge in der Kirche die Frage stellen, wer eigentlich die Männer sind, die angeblich das Wort Gottes verkünden und gleichzeitig schamlos lügen, um den sexuellen Missbrauch von Kindern durch ihre eigene Priesterschaft zu vertuschen?« Teabing hielt inne. »Wie werden diese Leute reagieren, Robert, wenn stichhaltige Beweise auf den Tisch gelegt werden, dass die von der Kirche verbreitere biblische Geschichte von Jesus Christus mehr Dichtung als Wahrheit enthält?«

Langdon erwiderte nichts.

»Ich werde Ihnen sagen, was passiert, wenn diese Dokumente ans Tageslicht kommen, Robert«, fuhr Teabing fort. »Die katholische Kirche wird in die größte Krise ihrer zweitausendjährigen Geschichte stürzen!«

»Aber wenn die Kirche für diesen Anschlag verantwortlich ist«, sagte Sophie nach längerem Schweigen, »warum schreitet sie ausgerechnet jetzt zur Tat? Nach so vielen Jahrhunderten? Die Prieuré hält die Dokumente doch unter Verschluss. Sie sind für die Kirche keine unmittelbare Bedrohung.«

Teabing seufzte bedeutungsvoll und sah Langdon an. »Ich darf doch annehmen, Robert, dass Sie den endgültigen Auftrag der Prieuré kennen?«

Der Gedanke ließ Langdon den Atem stocken. »Durchaus!«

»Miss Neveu«, sagte Teabing, »zwischen der katholischen Kirche und der Prieuré de Sion hat es seit Urzeiten eine stillschweigende Übereinkunft gegeben. Die Kirche lässt die Prieuré in Ruhe, und die Prieuré lässt im Gegenzug die Sangreal-Dokumente im Keller. Nun war es aber stets erklärte Absicht der Prieuré, das Geheimnis eines Tages zu lüften. Wenn ein bestimmter Zeitpunkt in der Geschichte gekommen ist, will die Bruderschaft das Schweigen brechen und ihren letzten triumphalen Schlag führen, indem sie die wahre Geschichte Jesu Christi von den Berggipfeln ruft.«

Sophie sah Teabing schweigend an und setzte sich schließlich ebenfalls. »Offenbar gehen Sie davon aus, dass dieser Zeitpunkt unmittelbar bevorsteht. Und die Kirche? Ist sie auch dieser Ansicht?«

»Es ist nur eine Spekulation – aus der sich für die Kirche allerdings ein Motiv ergeben würde, die Dokumente mit einem einzigen vernichtenden Schlag in die Hand zu bekommen, bevor es zu spät ist.«

Langdon hatte das ungute Gefühl, dass einiges für Teabings Annahme sprach. »Glauben Sie, die Kirche wäre in der Lage, diesen selbst gesetzten Stichtag der Prieuré herauszufinden?«

»Warum nicht? Wenn wir annehmen, dass sie es geschafft hat, die Identitäten des Großmeisters und seiner drei Seneschalle aufzudecken, kann sie durchaus auch die Pläne der Prieuré in Erfahrung gebracht haben. Und selbst wenn der Kirche das genaue Datum nicht bekannt ist, könnte sie von ihrem Aberglauben zum Handeln getrieben worden sein.«

»Aberglauben?« Sophie horchte auf.

»Den Prophezeiungen der Bibel zufolge befinden wir uns zurzeit in einem gewaltigen Umbruch. Mit dem Millenium, das wir erlebt haben, ist nach zweitausend Jahren das astrologische Zeitalter des Sternzeichens der Fische zu Ende gegangen – wobei der Fisch wohlgemerkt auch ein griechisches Anagramm für den Namen Jesus Christus ist. Jeder Kenner der Astrologie wird Ihnen sagen können, dass die zum eigenverantwortlichen Denken und Handeln unfähige Menschheit nach astrologischem Verständnis im Zeichen der Fische der Führung durch eine höhere Macht bedarf. Deshalb ist das Zeitalter der Fische die Ära der religiösen Inbrunst gewesen. Jetzt aber treten wir in das Zeitalter des Wassermanns ein, in dem die Ideale der Wahrheitsliebe und des eigenständigen Denkens zum Tragen kommen. Das bedeutet einen gewaltigen ideologischen Umbruch, den wie zurzeit ja auch erleben.«

Langdon fröstelte. Er selbst konnte mit der Astrologie wenig anfangen, doch er wusste, dass es viele Kirchenmänner gab, bei denen dies keineswegs der Fall war. »Die Kirche nennt diese Übergangsperiode das ›Ende der Zeit‹«, sagte er.

»Das Ende der Welt also? Die Apokalypse?«, fragte Sophie ängstlich.

»Nein«, erwiderte Langdon beruhigend, »das ist ein häufiges Missverständnis. Vom ›Ende der Zeit‹ ist in vielen Religionen die Rede, womit nicht das Ende der Welt gemeint ist, sondern das Ende des soeben ablaufenden Zeitalters der Fische, das in der Zeit um Christi Gehurt begonnen und zweitausend Jahre angedauert hat und das mit der Wende ins dritte Jahrtausend ausklingt. Mit dem erfolgten Übergang ins neue Jahrtausend ist auch das ›Ende der Zeit‹ gekommen.«

»Unter Gralshistorikern herrscht die verbreitete Ansicht«, meinte Teabing, »dass dieser symbolträchtige Zeitpunkt für die Prieuré besonders geeignet ist, mit der Wahrheit ans Licht zu treten, falls sie es tatsächlich beabsichtigt. Die meisten wissenschaftlichen Kenner der Prieuré de Sion, meine Wenigkeit eingeschlossen, waren der Ansicht, der Zeitpunkt, an dem die Bruderschaft an die Öffentlichkeit tritt, würde genau mit der Jahrtausendwende zusammenfallen. Das war offenkundig nicht der Fall, wobei es allerdings eine gewisse Grauzone gibt, da unser gregorianischer Kalender nicht genau mit der astrologischen Chronologie übereinstimmt. Ich vermag nicht zu sagen, ob die Kirche inzwischen Informationen über einen möglichen Zeitpunkt erlangt hat, an dem die Prieuré die Wahrheit enthüllt, oder ob sie aufgrund der Prophezeiungen einfach nur nervös geworden ist. Aber darauf kommt es auch gar nicht an. Den Anlass zu einem Präventivschlag gegen die Prieuré hätte die Kirche so oder so.« Teabing machte ein düsteres Gesicht. »Und glauben Sie mir, wenn die Kirche den Heiligen Gral findet, wird sie ihn vernichten, und die Dokumente und die Reliquien unserer gesegneten Maria Magdalena ebenfalls.« Teabings Blick wurde trüb. »Und wenn die Sangreal-Dokumente zerstört sind, ist jede Spur ausgelöscht. Dann, meine Liebe, hat die Kirche in ihrem seit Jahrhunderten geführten Kampf, die Geschichte umzuschreiben, die Oberhand behalten. Die Vergangenheit wird dann für immer ausradiert sein.«

Sophie zog den kreuzförmigen Schlüssel aus der Tasche und hielt ihn Teabing hin.

Der nahm ihn in die Hand und betrachtete ihn. »Mein Gott!«, rief er aus, »das Emblem der Prieuré. Wo haben Sie diesen Schlüssel her?«

»Von meinem Großvater. Er hat ihn mir heute Nacht zugespielt, bevor er starb.«

Teabing ließ die Finger über den kreuzförmigen Griff gleiten. »Ein Kirchenschlüssel?«

Sophie holte rief Luft. »Mit diesem Schlüssel gelangt man zum Schlussstein der Prieuré

Teabing zuckte zusammen. Verwunderung und Ratlosigkeit spiegelten sich in seinem Blick. »Ausgeschlossen! Ich habe jede Kirche Frankreichs, die in Frage kommt, dahin gehend untersucht.«

»Der Schlussstein befindet sich nicht in einer Kirche«, sagte Sophie, »sondern im Depot einer Schweizer Bank.«

»In einer Bank?«, fragte Teabing.

»In einem Tresorkeller«, präzisierte Langdon.

»In einem Tresorkeller?« Teabing schüttelte heftig den Kopf. »Das ist unmöglich. Der Schlussstein verbirgt sich unter dem Zeichen der Rose.«

»So ist es«, sagte Langdon. »Der Schlussstein befand sich in einem Rosenholzkasten mit einer Einlegearbeit, die eine fünfblättrige Rose zeigt.«

»Sie haben ihn gesehen?« Teabing zitterte am ganzen Körper.

Sophie nickte. »Wir sind in dieser Bank gewesen.«

Teabing erhob sich mühsam und trat dicht an Sophie und Langdon heran. In seinen Augen flackerte Angst. »Meine Freunde, wir müssen unbedingt etwas unternehmen. Der Schlussstein ist in Gefahr! Wir müssen ihn schützen, das ist unsere Pflicht! Was, wenn es noch mehr Schlüssel gibt, die möglicherweise den ermordeten Seneschallen gestohlen wurden? Wenn die Kirche sich Zutritt zu der Bank verschaffen kann, wie es offensichtlich auch Ihnen gelungen ist, dann … «

»Dann kommt sie zu spät«, vollendete Sophie den Satz. »Wir haben den Stein mitgenommen.«

»Was? Sie haben den Schlussstein aus seinem Versteck geholt?«

»Keine Bange«, sagte Langdon. »Er ist gut aufgehoben.«

»Sehr gut aufgehoben, hoffe ich!«

Langdon konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Das hängt davon ab, wie oft unter Ihrem Sofa Staub gewischt wird.«


Der Wind, der um Château Villette strich, hatte aufgefrischt und ließ Silas' Kutte flattern. Noch immer kauerte der Albino im Dunkeln vor dem Fenster. Zwar hatte er kaum verstehen können, was drinnen gesprochen wurde, aber das Wort – »Schlussstein« war mehrere Male bis zu ihm nach draußen gedrungen.

Er ist da drin.

Die Worte des Lehrers hafteten noch frisch in Silas' Gedächtnis. Dringen Sie ins Château Villette ein. Bringen Sie den Schlussstein an sich. Aber verletzen Sie niemanden.

Plötzlich waren Langdon und die anderen in einen anderen Raum gegangen und hatten die Lichter des riesigen Arbeitsraums hinter sich gelöscht. Als Silas sich geschmeidig zur großen Verandatür bewegte, kam er sich vor wie ein Panther, der seine Beute beschleicht. Die Tür war nicht wieder verriegelt worden. Silas schlüpfte hinein und verschloss die Tür leise hinter sich. Aus dem Nebenraum klangen gedämpfte Stimmen zu ihm. Er zog die Pistole aus der Tasche, entsicherte sie und schlich auf den Flur.

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