Der Albenstern

Das Wasser spritzte ihnen bis über die Köpfe, als sie in vollem Galopp durch den Bach preschten. Felbion stürmte die Böschung am anderen Ufer hinauf. Nuramon duckte sich unter einem niedrigen Ast hindurch und blickte zurück. Mandred hatte alle Mühe, sich im Sattel zu halten. Der Menschensohn hatte die Hände in die Mähne seiner Stute gekrallt und war unnatürlich blass. In den Jahren der Suche nach Guillaume hatte sich sein Reitstil zwar verbessert, aber mit seinen elfischen Freunden konnte er nicht mithalten.

Nuramon zügelte sein Pferd und ließ es in einen gemächlichen Trab fallen. Yilvina hatte ohne Mühe mit ihnen mitgehalten. Sie legte ihren Jagdspeer quer vor sich über den Sattel. Farodin ritt dicht hinter ihr und nickte Nuramon zu. Das war der Augenblick! Fünf Tage ritten sie nun schon mit der Jagdgesellschaft der Königin, und keinen Lidschlag lang hatte man sie aus den Augen gelassen. Vor Stunden hatten sie einen großen Hirsch aufgescheucht und waren ihm in wilder Hatz durchs Dickicht gefolgt. Den Rest der Jagdgesellschaft hatten sie dabei hinter sich gelassen; ihnen stand der Sinn nach edlerem Wild. Am frühen Morgen hatte der Kentaur Phillimachos, der Fährtenleser der Königin, die Spur eines großen Gelgerok gefunden. So hatten nur wenige mit ihnen dem Hirsch nachgesetzt, und als es immer beschwerlicher geworden war, ihrer Beute durchs dichte Unterholz zu folgen, waren sie alle zurückgeblieben. Alle bis auf Yilvina, die sich keine Mühe gab, zu verhehlen, dass sie als ihre Wache mitritt. Doch wie sollten sie sie loswerden? Eher würden sie Mandred verlieren, wenn sie versuchten, die Elfe in einem weiteren wilden Ritt abzuhängen.

Sie erreichten eine Lichtung, auf der Brombeerbüsche und junge Birkenschösslinge wuchsen. Am Nordrand erhob sich eine moosbewachsene Klippe, an deren Fuß eine Quelle entsprang. Der Hirsch war nirgends zu sehen.

Yilvina blickte Nuramon herausfordernd an. »Ein guter Platz für eine Rast, nicht wahr?« Sie stieß den Speer in den sandigen Boden und schwang sich aus dem Sattel. »Lasst es nicht den Menschensohn machen«, sagte sie und ging dann, ohne eine Antwort abzuwarten, auf die Quelle zu.

»Was soll ich nicht machen?«, fragte Mandred überrascht. Dann grinste er anzüglich. »Was sollte man überhaupt mit so einem dürren Weib machen?«

»Sie hat es gewusst. Die ganze Zeit.« Nuramon sah der Elfe nach. Mit keinem Wort und auch mit keiner versteckten Geste hatte sie angedeutet, dass sie auf ihrer Seite stand. Doch ganz gleich, was sie dachte, Yilvina hatte der Königin Treue gelobt.

»Ich werde es tun«, sagte Farodin und stieg ab. Er zog den Speer aus dem Boden und folgte Yilvina zur Quelle.

Mandred klappte der Kiefer hinunter. »Bei allen Göttern, was habt ihr vor? Ihr könnt doch nicht …«

Nuramon griff ihm in die Zügel, bevor er davonpreschen konnte. »Lass ihn! Farodin weiß, was er tut. Und Yilvina weiß es auch.«

»Sie hat uns in Aniscans das Leben gerettet! Er kann doch nicht …«

Farodin ging neben der Elfe in die Hocke. Die beiden schienen kurz miteinander zu sprechen.

Dann stand Farodin auf und hob den Speer. Yilvina kniete stolz erhobenen Hauptes neben der Quelle. Nuramon zuckte zusammen, als der Speer niederfuhr. Farodin hatte die Waffe wie einen Knüppel geschwungen und Yilvina einen heftigen Hieb gegen die Schläfe versetzt. Die Elfe sank vornüber und regte sich nicht mehr.

Mandred schüttelte den Kopf. »Ihr spinnt wohl, ihr Elfen! Wie könnt ihr unsere Gefährtin einfach niederschlagen?«

Nuramon wunderte sich, wie schwer es dem Menschensohn fiel, das Offensichtliche zu begreifen. »Sie hat uns auf ihre Art zu verstehen gegeben, dass sie unsere Flucht dulden wird«, erklärte er. »Dass sie den Speer in den Boden gestoßen hat, bedeutet, dass sie ihre Waffe nicht gegen uns erheben wollte. Doch ihre Ehre und ihr Treueeid gegenüber der Königin verbieten ihr, uns einfach laufen zu lassen.«

»Hätte es nicht ausgereicht, einfach zu sagen, dass sie uns verloren hat?«

Nuramon seufzte. »Sie war damit beauftragt, uns zu bewachen. Uns zu verlieren wäre eine Schande für sie.«

»Die anderen Reiter, die uns zu Beginn der Jagd nach dem Hirsch folgten, sind doch auch zurückgeblieben.«

»Sie waren nicht damit beauftragt, uns zu bewachen. Ihnen war die Jagd einfach zu beschwerlich.«

Farodin war zu ihnen zurückgekehrt und saß auf. »Lasst uns reiten!« Er blickte zum Rand der Lichtung. »Hoffen wir, dass wir keine Wächter haben, die uns im Geheimen folgen.«

Beklommen betrachtete Nuramon den Wald. Es war keine Kunst, sich im tiefen Schatten der Bäume zu verbergen. Er folgte Farodin mit einem unguten Gefühl. Mandred hielt sich an seiner Seite.

»Warum sollte ich sie nicht niederschlagen?«, fragte der Menschensohn. »Wäre das nicht besser gewesen? Ich bin in spätestens fünfzig Jahren von den Würmern gefressen. Euch wird diese Tat womöglich noch Jahrhunderte nachgetragen.«

»Vermutlich hatte Yilvina Angst, du könntest ihr in deinem Übereifer den Schädel zertrümmern.«

»Ich kann auch sehr behutsam zuschlagen«, sagte Mandred.

»Nun, ich fürchte, dir eilt ein schlechter Ruf voraus.« Der Elf war des Themas müde. Offenbar bestand jedoch keine Hoffnung, den Menschensohn zum Schweigen zu veranlassen.

»Was geschieht eigentlich, wenn die Königin uns einen Verfolger in meine Welt nachschickt?« fragte Mandred. »Dieser Phillimachos scheint ein sehr guter Fährtenleser zu sein.«

»Um Verfolgern zu entgehen, nehmen wir einen Albenstern, bei dem sich nur drei Pfade kreuzen. Wer dort hinter uns ein Tor auftut, der wird an einem anderen Ort in deine Welt gelangen.«

Mandred runzelte die Stirn. »Es tut mir Leid … Aber da die Fauneneiche mich nicht in ihrer Nähe duldete, habe ich nicht viel von eurer Magie begriffen.«

Amüsiert registrierte Nuramon den Anflug von Ironie in Mandreds Worten. Dann erklärte er dem Menschensohn, was es mit den niederen Albenpfaden auf sich hatte. Ihre Verbindung zwischen den Welten war so instabil, dass man niemals zweimal hintereinander an denselben Ort gelangte, wenn man auf ihnen von einer Welt in eine andere wechselte. Weil sie von eher flüchtiger Beschaffenheit waren, gab es keine festen Tore wie bei den großen Albensternen. Schließlich erzählte er Mandred auch von den Gefahren, die für sie bestanden.

Der Menschensohn hörte aufmerksam zu und versank dann tief in Gedanken. Nuramon würde es ihm nicht verübeln, wenn er zurückbleiben wollte. Um ihn nicht in seiner Entscheidung zu beeinflussen, trieb er sein Pferd voran, bis er zu Farodin aufschloss. »Ich habe eine Frage, Farodin.«

»Nur zu.«

»Wie hast du die Sandkörner gefunden?«

»Nun, ich habe einen Zauber angewandt, den ich vor mehr als fünfzig Jahren zuletzt gesprochen habe. Mit diesem Zauber kann ich alles finden, wenn ich weiß, wonach ich suche.«

»Könntest du diesen Zauber nutzen, um Noroelle zu finden?«

»Nein, denn sie ist in der Zerbrochenen Welt. Aber vielleicht kann ich das Tor zu ihr finden.« Er zögerte. »Dazu muss ich allerdings erst wissen, wonach ich suche«, sagte er schließlich. »In jedem Fall kann ich die Sandkörner aufspüren, wenn ich ihnen nahe genug komme.«

Nuramon konnte sich schwerlich mit der Vorstellung anfreunden, Sandkörnern nachzuspüren. »Es muss einen anderen Weg geben, Noroelle zu befreien.«

»Solange wir einen solchen Weg nicht gefunden haben, ist das alles, wonach wir uns richten können. Lass uns erst einmal sehen, ob wir ein Weltentor öffnen können. Ich zweifle noch daran.«

»Es wird uns gelingen. Ich bin mir sicher.«

»Es sei denn, die Königin hat jemanden geschickt, der unseren Spuren folgt«, sagte Farodin.

Nuramon blickte zurück, konnte aber niemanden sehen.

»Vorhin auf der Lichtung hat irgendwer im Gebüsch gelauert.«

»Warum hast du nichts gesagt?«, fragte Nuramon entrüstet.

»Das hätte doch nichts geändert.«

Nuramon gefiel die Art nicht, wie Farodin sein Wissen für sich behielt und eigenmächtig Entscheidungen für sie alle traf. »Was glaubst du, wer es ist?«

Der Elf zuckte mit den Schultern. »Jemand, der eine offene Auseinandersetzung scheut. Ich hoffe, dass wir unseren Verfolger überraschen können, wenn wir das Tor öffnen. Wenn es denn gelingen sollte … Es wäre auch klüger, nicht dauernd zurückzublicken. Wiegen wir ihn in Sicherheit.«

Als sie endlich den Waldrand erreichten und offenes Grasland vor ihnen lag, ließen sie den Rössern die Zügel schießen. Sie galoppierten dem Hügelland diesseits von Yaldemee entgegen. Die Pferde hatten ihre Freude daran voranzustürmen. Farodins Brauner setzte sich an die Spitze, während Felbion und Mandreds Stute, welcher der Menschensohn immer noch keinen Namen gegeben hatte, Kopf an Kopf liefen.

Mandred saß tief über den Hals seiner Stute gebeugt. Mit wilden Rufen trieb er sie voran. Er schien seinen Spaß an dem Rennen zu haben, und Nuramon ließ sich ein wenig zurückfallen, damit der Menschensohn wenigstens den kleinen Triumph bekam, nicht der Letzte zu sein.

Sie erreichten das Hügelland, ohne dass sie einen Verfolger zu Gesicht bekamen. Vielleicht war es ihnen ja gelungen, ihn abzuschütteln. Zur Sicherheit nahmen sie einen Umweg in Kauf und ritten eine Weile in einem seichten Fluss, um ihre Spuren zu verwischen. Doch Farodin zweifelte offen daran, dass sie Phillimachos auf diese Weise täuschen konnten.

Am späten Nachmittag erreichten sie jenes kleine Hügeltal, von dem die Fauneneiche erzählt hatte.

Sie stiegen ab. Und kaum hatte Nuramon Boden unter den Füßen, da spürte er die Macht eines Albenpfades.

Langsam führten sie ihre Pferde vorwärts. Im Tal gab es nur eine Esche und einige wenige Büsche. Die grasbewachsenen Hügel rings umher stiegen steil an. Mit jedem Schritt fühlte Nuramon den Strom des Albenpfades. Er war wie ein Eisweg auf einem Fluss; Eis, das so hauchdünn war, dass man spüren konnte, wie das Wasser unter den Füßen floss.

Am Ende des Tales blieb Nuramon stehen. Dicht über dem Boden spürte er einen Strudel. Von drei Seiten kam die Kraft der Albenpfade als Strömung heran, vermischte sich und floss auf drei Pfaden wieder davon. Sie hatten ihr Ziel erreicht.

Nuramon schaute sich um. Nichts verriet, dass sich hier ein Albenstern befand. Es gab keinen Stein, der den Ort markierte, und auch keine Lichtung.

Misstrauisch suchte Farodin nach Spuren anderer Albenkinder. Doch nichts wies darauf hin, dass jemand anderes diesen Ort in den letzten Tagen oder Wochen aufgesucht hatte. Die Fauneneiche hatte ihnen einen guten Rat gegeben. Hier konnten sie ungestört ein Tor in die Andere Welt öffnen.

Nuramon hatte den Gefährten in den letzten Tagen immer Mut gemacht und versucht, vor allem Farodins Bedenken auszuräumen. Doch nun beschlichen auch ihn ernste Zweifel. Er hatte sich im vergangenen Winter viel Wissen angeeignet, und die Fauneneiche hatte behauptet, er besitze großes Talent. Doch nichts konnte darüber hinwegtäuschen, dass er noch nie zuvor ein Tor geöffnet hatte.

»Wir haben unser Ziel erreicht. Ich kann den Albenstern spüren«, erklärte Nuramon seinen Gefährten, sprach dabei aber mehr zu Mandred als zu Farodin.

»Werden unsere Pferde es wagen, durch das Tor zu schreiten?«, fragte Mandred und musterte misstrauisch das Gras, als müsste es dort irgendein Anzeichen dafür geben, dass sie vor einem Albenstern standen. »Ich habe mich sehr daran gewöhnt, mir nicht mehr die Füße wund zu laufen.«

»Wir müssen es einfach versuchen«, entgegnete Farodin.

»Schaut euch noch einmal um, atmet diese Luft«, sagte Nuramon schwermütig. »Vielleicht ist es das letzte Mal, dass wir Albenmark sehen.« Wer so offen wie sie gegen das Gebot der Königin verstieß, der durfte nicht damit rechnen, noch einmal einen Fuß in dieses Land zu setzen.

»Ich bin mir sicher, dass es das letzte Mal ist«, erklärte Mandred.

Farodin schwieg. Nuramon aber hatte insgeheim das Gefühl, dass er Albenmark wiedersehen würde, auch wenn er es nicht hoffen durfte.

Schließlich wob Nuramon den Zauber. Zuerst konzentrierte er sich auf den Strom der Albenpfade, deren Kraft sich im Stern vermischte. Dann hob er den Kopf, sodass ihm die Sonne ins Gesicht schien. Es war ein Zauber des Lichtes und der Wärme, und beides traf nun sein Gesicht. Magie und Wärme hatten sich auch oft in seinen Heilungen miteinander verbunden, sie waren ihm nicht fremd. So öffnete er sich der Kraft der Sonne und ließ sie durch sich hindurchfließen, hinab zum Albenstern. Sein Zauber riss geradezu eine Wunde in den Kraftstrudel, und für einen Moment hatte Nuramon ein Gefühl, als würde er in den Albenstern hineingerissen. Mit aller Kraft stemmte er sich dagegen, doch die Macht war zu stark. Plötzlich hielt ihn etwas an den Schultern, und er riss die Augen auf. Er konnte kaum sehen. Ihm war, als strahlte die Kraft der Sonne, die er in sich aufgenommen hatte, aus seinen Augen. In seiner Nähe gewahrte er zwei Schatten. Das mussten Farodin und Mandred sein.

Nuramon schloss die Augen und versuchte angestrengt, den Zauber festzuhalten, der ihm zu entgleiten drohte. Er kniete nieder, legte die Hände auf das warme Erdreich und ließ die Kraft der Sonne durch seine Arme fließen, als wäre der Albenstern ein Verletzter, dessen Wunde er mit seiner Macht schließen müsste. Doch dies war kein Heilzauber, und die Wunde sollte sich noch nicht schließen. Was er für eine Wunde des Albensterns gehalten hatte, musste ein Teil des Zaubers sein. Vielleicht war es am Ende gar das Tor selbst. Nuramon spürte, wie die Kraft aus seinen Fingerspitzen floss, und erwartete den Schmerz, der bisher mit jedem seiner Zauber verbunden gewesen war. Und gerade weil der Schmerz ausblieb, war Nuramon auf der Hut. Er wollte nicht unvorbereitet von der Pein übermannt werden.

Er spürte, wie in einem der drei Pfade eine Kraft pulsierte, die ihn von den beiden anderen unterschied. Es war wie der Gegensatz zwischen Salz- und Süßwasser. Dieser besondere Pfad musste es sein, der in die Andere Welt führte. Plötzlich kam der Schmerz. Brennende Hitze durchfuhr Nuramons Hände und strahlte hinab bis in die Zehenspitzen. Er versuchte verzweifelt, sich gegen den Schmerz zu behaupten, doch er wuchs und wuchs und war bald unerträglich. Nuramon wich vom Albenstern zurück und riss die Augen auf. Das Licht, das ihm den Blick genommen hatte, war vergangen, und er sah die Gefährten an seiner Seite stehen. Neben ihnen erhob sich eine breite Lichtsäule, die wie ein Riss in der Welt wirkte.

»Du hast es geschafft!«, rief Farodin.

Nuramon trat behutsam näher. Er hatte dem Albenstern eine Wunde geschlagen und die Magie der Sonne in sie hinein gegeben.

Während Mandred wie angewurzelt dastand und ins Licht starrte, ging Farodin um die Säule herum. Nuramon konnte fühlen, wie die Lichtsäule aus der Kraft des Strudels gespeist wurde. Er hatte entsetzliche Angst. Wenn er einen Fehler gemacht hatte, würden sie vielleicht alle sterben. »Glaubt ihr, dass dies wirklich das Tor ist, das wir schaffen wollten?«, fragte er.

»Ich bin nicht mit dem Netz deiner Magie verbunden, aber von außen betrachtet ist alles so, wie die Fauneneiche es beschrieben hat«, erklärte Farodin. »Welche Wahl haben wir schon? Ich für meinen Teil bin bereit, es zu wagen.«

Mandred nahm die Zügel seiner Stute. »Ich möchte zuerst hindurchgehen.«

»Das kommt nicht in Frage«, erwiderte Farodin. »Es ist zu gefährlich. Du kommst unseretwegen mit, deshalb werde ich vor dir gehen. Wenn ich verbrenne, dann übernimm es doch bitte in meinem Namen, Nuramon auszurichten, was ich von ihm halte.« Er lächelte gezwungen.

»Wir gehen in meine Welt, und niemand anderes als Mandred Torgridson wird den ersten Fuß dorthin setzen!« Mit diesen Worten lief er einfach voran und verschwand unversehens im Licht.

Farodin schüttelte den Kopf. »Solch ein Dickschädel!« Er holte sein Pferd. »Wer von uns geht als Nächster?«, fragte er dann.

»Ich habe das Tor geöffnet, ich möchte es auch wieder schließen«, entgegnete Nuramon.

Farodin senkte den Blick. »Wegen unserer Rivalität um Noroelle möchte ich …« Er brach ab. »Lass uns das vergessen und uns an das halten, was Noroelle vor der Elfenjagd gesagt hat.« Ohne ein weiteres Wort folgte er Mandred ins Licht.

»Komm, Felbion«, rief Nuramon, und das Pferd kam an seine Seite. »Geh hindurch. Ich komme nach.« Ohne sich zu sträuben, schritt das Pferd in das Licht und verschwand.

Der Zauber, der das Tor binnen weniger Augenblicke schließen würde, war für Nuramon wie eine Handbewegung im Geiste, die er durch seinen Willen vollzog. Es war nichts weiter als ein Heilzauber für die Wunde des Albensterns. Und auf Heilzauber verstand er sich. Kaum hatte er ihn gedacht, konnte er ihn nicht mehr rückgängig machen.

Nuramon wollte eben ins Licht treten, da wurde er einer Gestalt gewahr, die am Eingang zum Tal auf einem Hügel stand. Es war eine Frau. Sie hob die Hand und winkte mit zurückhaltender Geste.

Obilee! In ihrem Gesicht stand Sorge, das konnte er selbst auf die Entfernung erkennen. Vielleicht weinte sie sogar. Er winkte ihr zurück. Für mehr blieb keine Zeit. Die Lichtsäule begann bereits zu schrumpfen. Er fragte sich, warum Obilee sich ihnen nicht früher offenbart hatte. Dann ging er ins kühle Licht …

Nur einen Herzschlag später schlug sengende Hitze auf ihn ein. War dies das Letzte, was er fühlen würde? War der Zauber missglückt? Ein Schritt, und das Licht des Tores war verloschen. Über ihm brannte eine unerbittliche Sonne.

Seine Gefährten waren bereits hier. Das ließ ihn aufatmen. Doch als er sich umblickte, war die Erleichterung dahin. Überall um sie herum war Sand, so weit das Auge reichte. Es war die Andere Welt. Niemals hätte er diesen Himmel mit dem über Albenmark verwechseln können, denn hier erschien ihm die Luft selbst an klaren Tagen trüb.

Eine Wüste! Von allen Orten in der Anderen Welt waren sie in eine Wüste gelangt! Das Schicksal hatte ihnen erneut einen Streich gespielt. Mandreds Luth hatte ein weiteres seiner Netze gesponnen. Nichts hätte ihnen deutlicher sagen können, wie gering ihre Hoffnung war, Noroelle zu finden, als die Ankunft in dieser Ödnis.

Mandred saß schwitzend im Schatten seines Pferdes und atmete schwer. Farodin aber kniete nieder, hob fassungslos eine Hand voll Sand auf und ließ ihn durch die Finger rieseln.

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