Zeit für Helden

»Hundert Schiffe werden kommen!«, rief der König mit lauter Stimme. Es wurde totenstill in der Festhalle. »Und eine zweite Flotte wird kommen, um sich mit den hundert Schiffen zu vereinen, so sehr fürchten sie die Männer der Fjordlande.«

Mandred sah, wie viele der Krieger und Fürsten in der Halle grimmig lächelten. Sein Nachfahr Liodred traf den richtigen Ton, um Kämpferherzen zu entflammen. Er war stolz auf ihn. Hoch gewachsen und muskulös, war er mit jedem Zoll ein Krieger. Langes rot gelocktes Haar reichte ihm bis auf die Schultern hinab, und seine blauen Augen leuchteten wie der Himmel an einem Sommernachmittag. Nur dass er seinen Bart kurz gestutzt trug, gefiel Mandred nicht.

Liodred hatte nach ihrer Ankunft schnell reagiert. Sie hatten Firnstayn am späten Nachmittag erreicht, und noch am selben Abend hatte er die Fürsten der näheren Umgebung und die Mandriden in der großen Königshalle versammelt. Mehr als dreihundert Krieger saßen an den langen Tischen, und viele von ihnen blickten ehrfürchtig hinauf zur Festtafel, an der neben dem König zwei kriegerische Elfen, ein Mädchen und der legendäre Ahnherr Mandred Torgridson Platz genommen hatten.

»Ihr alle kennt sie schon lange, die Tjuredpriester mit ihren Schlangenzungen. Ihr wisst, wie sie unsere Götter beleidigen und Lügen über unser Volk verbreiten. Und ich frage euch, fürchten wir sie deshalb?«

»Nein«, hallte es aus hunderten Kehlen.

»Sie haben also mehr als hundert Schiffe und tausende Krieger aufgeboten, um Firnstayn überraschend anzugreifen, denn den Krieg hat uns bis heute niemand erklärt!« Liodred beugte sich vor und deutete auf einen weißhaarigen Kämpfer mit einem Wolfsfell um die Schultern.

»Sehe ich da Furcht in deinen Augen, Skarbern?«

Der Alte lief rot an und wollte aufspringen, als Liodred fortfuhr. »Ich teile deine Sorge, Skarbern. Ich fürchte, unsere hitzköpfigen Mandriden werden sie auf den Grund des Fjords geschickt haben, bevor wir alten Männer auch nur dazukommen, die Axt aus dem Gürtel zu ziehen.«

Ohrenbetäubendes Gelächter erklang. Mandred ging das Herz auf. Sein Nachfahr war wahrlich ein Kriegerkönig. Jeder einzelne der Männer dort unten würde für Liodred durchs Feuer gehen. Auch in ihm hatten die Worte des Königs Kampfeslust geweckt.

»Männer von Firnstayn, meine Freunde. Die meisten von euch kenne ich von Kindesbeinen an. Ich weiß um eure tapferen Herzen, um euren Stolz und eure Dickschädel. Nirgends außer in den Fjordlanden findet man Männer wie euch! Säufer, Hurenböcke und Kameraden, wie man sich keine besseren vorstellen kann, wenn es hart auf hart kommt. Männer wie euch kann es nur in einem freien Land geben. Glaubt ihr, die Ordensritter kommen, weil sie unser Gold wollen? Sie haben so viel davon, dass sie die Dächer ihrer Tempeltürme damit schmücken! Glaubt ihr, sie kommen zum Plündern und Brandschatzen und um sich an euren Weibern zu vergehen?«

Liodred machte eine kurze Pause und ließ den Blick durch die weite Halle wandern. »Nein, meine Freunde. Die Ordensritter gürten sich mit großen Schwertern, doch zwischen ihren Schenkeln, da ist nichts. Wie sonst ist zu erklären, dass jeder dieser Ritter den Weibern abgeschworen hat.«

Mandred prustete in sein Methorn und bespritzte Farodin, der an seiner Seite saß. Der Elf blieb völlig ruhig. Vielleicht sollte er ihm den Witz noch einmal erklären, überlegte Mandred.

»Wisset, meine Freunde, all dies sind nicht die Gründe, warum die Ordensritter kommen. Sie greifen uns an, weil wir etwas unendlich Kostbareres besitzen. Freiheit! Sie stehen für ein Volk, in dem es nur noch Priester und Knechte gibt und das keine Freiheit in seiner Nähe ertragen kann. Wenn ich euch also zu den Waffen rufe, dann wisset, was euch erwartet. Es ist mehr als nur eine Seeschlacht. Sollten die Ordenspriester siegen, dann wird es uns ergehen wie den Männern von Angnos oder von Gornamdur. Sie werden jeden töten, der kein Priester oder Knecht sein mag. Sie werden die Eisenmänner verbrennen und die heiligen Haine und unsere Tempel. Nichts wird vom Feuer verschont bleiben, das an unsere stolzen Ahnen und ihre Art zu leben erinnern könnte.«

Liodred machte eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen. Er hob das Trinkhorn und verschüttete etwas, um den Göttern zu huldigen. Dann setzte er es an die Lippen und trank in langen Zügen. Viele der Männer unten im Saal standen auf und taten es ihm gleich.

Auch Mandred war aufgestanden und legte seinem tapferen Enkel einen Arm um die Schultern.

»Es ist leicht, in einer Halle unter Freunden große Worte zu schmieden«, fuhr Liodred schließlich fort. »Ich weiß, dass die Tjuredpriester nur Krieg führen, wenn sie sich sicher sind, zu gewinnen. In ihrer Brust findet man nicht das Löwenherz eines Kriegers, sondern eine kleinliche Krämerseele. Sie zählen und rechnen und greifen erst an, wenn sie wissen, dass sie gegen jeden Krieger ihrer Feinde fünf Ordensritter aufbieten können. Der Fjord wird rot von Blut sein, wenn wir uns ihnen stellen. Und es wird viel von unserem Blute vergossen sein.« Er wandte sich zu Mandred.

»Hier an meiner Seite steht Jarl Mandred Torgridson. Der lebende Ahne! Der Begründer der Königssippe von Firnstayn. Ihr alle kennt die Geschichten um ihn. Er wird zurückkommen, wenn die Not für sein Volk am größten ist, so heißt es. Er war es, der mir heute die Kunde von dem heimtückischen Angriff brachte, der uns erwartet.«

Ein Raunen ging durch die Königshalle, und Mandred fühlte sich unwohl unter den Blicken, die ihn nun trafen. Viele sahen in ihm nicht nur den Helden, sondern auch den Boten kommenden Unglücks.

»Mein Ahnherr hat sein Weib und seinen Sohn aufgegeben, um Firnstayn zu retten. Sein Mut ist seit Jahrhunderten in den Geschichten unserer Skalden lebendig. Nun ist es an euch zu beweisen, dass ihr nicht weniger mutig seid als unser Ahnherr. Seid ihr bereit zu kämpfen?«

Nun sprangen auch die letzten Männer auf, die noch gesessen hatten. »Wir kämpfen!«, erklang es aus hunderten Kehlen. »Wir kämpfen!«

Liodred breitete die Arme aus. Langsam wurde es wieder stiller. »Die Tjuredpriester zwingen Männer aus allen unterworfenen Völkern in ihre Heere. Bei uns kämpfen nur freie Männer. Doch auch wir haben mächtige Freunde. Es gibt einen Pakt aus alter Zeit. Ein Bündnis, das sich nun in der Stunde der Not erneut bewähren soll. Jahrhunderte sind vergangen, seit die Elfenkönigin die Krieger von Firnstayn um Hilfe gerufen hat. Nun werden wir die Elfen bitten, uns Beistand zu leisten. Ihr seht hier zwei Männer der Sage. Elfenkrieger, tapfer und edel und mit dem Schwerte tödlich wie kein Mensch. Sie haben mir versprochen, noch in dieser Nacht den Steinkreis auf der Klippe zu durchqueren und nach Albenmark zu reiten. Schon zum Morgengrauen wird ganz Albenmark widerhallen vom Ruf der Hörner, welche die Krieger am Hof der Königin versammeln.«

Mandred schluckte. Das hörte sich großartig an … Die Männer unten im Saal brachen erneut in Jubelgeschrei aus, aber er war sich nicht einmal sicher, ob Emerelle seine Gefährten empfangen würde. Und selbst wenn sie zur Hilfe bereit war: Wie lange mochte es dauern, eine Elfenflotte zu versammeln und zum Fjordland zu bringen?

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