Nuramon schaute wie gebannt auf den Körper des jungen Kriegers hinab. Lumnuon hatte besser gekämpft als er, und doch lag er dort vor ihm am Boden und starrte ihn aus leeren Augen an. Nuramon hatte ihn nicht einmal sterben sehen. An den Beinen und Armen hatte Lumnuon zahlreiche Wunden, und sein Gesicht war zerkratzt. Doch gestorben war er an der Halswunde. Jemand hatte ihm die Kehle durchgeschnitten.
Bei dem Anblick des Jünglings packte Nuramon die Wut. Er schaute sich um, erblickte einen Gegner. Dieser schlug voller Hass auf einen Elfen ein, der die Angriffe nur mit Mühe und Not parieren konnte. Nuramon trat von hinten an den Krieger heran und stieß ihm sein Langschwert durch den Rücken. Dann riss er ihm die Maske fort und stieß ihn zu Boden. Der Elf, dem er zu Hilfe gekommen war, bedankte sich bei ihm. Ehe Nuramon jedoch darauf reagieren konnte, griff ein Ordensritter von rechts an. Nuramon riss Gaomees Schwert hoch und parierte den Hieb. Das Langschwert stieß er dem Feind in die Brust. Der Gegner verharrte in der Bewegung, dann erschlafften seine Arme, und Nuramon ließ ihn von der Klinge gleiten.
Mehr und mehr Krieger kamen ihm entgegen. Mit jedem Feind, den er zu Boden sandte, schien er neue Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Oder wurden die Krieger seiner Sippe, die in seiner Nähe kämpften, schwächer?
»Hinter dir!«, rief eine Elfenstimme von der Seite.
Nuramon blickte über die Schulter und sah aus den Augenwinkeln einen Krieger, der zu einem Hieb ausholte. Noch ehe Nuramon sich bewegte, wusste er, dass ihn die feindliche Klinge treffen würde. Als er herumfuhr, rechnete er schon mit dem Schmerz. Doch der Schlag ging fehl. Sein Schwert aber traf den Helm des Feindes und durchdrang diesen. Zugleich erkannte Nuramon, warum ihn der Schlag des Gegners nicht verletzt hatte. Vor ihm krümmte sich ein Zwergenkrieger in einer silbern glänzenden Rüstung und stürzte zu Boden. Nuramon kannte den Harnisch. Er drehte den Zwerg auf den Rücken und blickte in das Gesicht Alwerichs. Sein Freund lächelte gequält.
»Alwerich!«, rief eine vertraute Stimme, und Wengalf kam mit seinen Kriegern herbeigelaufen. »Bildet einen Schildwall!« Die Zwerge folgten dem Befehl ihres Königs.
Alwerich war ganz blass. Das Schwert hatte ihn unterhalb der Brust getroffen. Blut quoll aus der frischen Wunde. »Du darfst noch nicht sterben«, sagte der Zwergenkrieger mit schwacher Stimme. »Du musst zu Noroelle gehen. Ich werde wiedergeboren.«
Nuramon schüttelte fassungslos den Kopf. »Warum hast du nicht an Solstane gedacht?«
»Sie wird es verstehen. Nimm dieses Geschenk von mir und vergiss auf keinen Fall deinen … deinen alten…« Der Kopf sank ihm auf die Brust, und es schien, als wäre er vor Erschöpfung eingeschlafen. Er hatte aufgehört zu atmen, und sein Herzschlag war vergangen. Alwerich war tot.
Nuramon küsste den Zwerg auf die Stirn. »Ich werde dich nie vergessen, alter Freund.« Es war ein schmerzhafter Abschied, selbst wenn die Wiedergeburt auf den Zwerg wartete. Erst hatte es Lumnuon getroffen, nun Alwerich.
Nuramon überlegte, ob er ihn heilen sollte, wie er damals Farodin in der Höhle geheilt hatte.
Doch Wengalf legte Nuramon die Hand auf die Schulter. »Lass ihn! Er wird als Held wiedergeboren und wird sich mit Stolz an diesen Tag erinnern. Wir müssen nun die Schlacht für uns entscheiden. Wir schlagen uns gut. Vielleicht können wir sie wirklich aufhalten.«
Plötzlich drängte sich ein Zwergenkrieger zwischen den Schildträgern hindurch. »Mein König! Unsere Krieger haben auf dieser Seite die feindlichen Schützen zerschlagen. Ihre merkwürdigen Feuerrohre sind für immer gelöscht. Sollen wir vorstoßen? Und wir hören von der rechten Flanke, dass Mandred mit einer kleinen Schar von Menschen versuchen will, zum Herzen des gegnerischen Heeres vorzustoßen.«
Nuramon erschrak. Er wollte nicht auch noch Mandred verlieren! Für den König der Fjordländer gab es keine Wiedergeburt.
Der König wandte sich an den Boten. »Gib den Befehl, auf dieser Seite die Flanke anzugreifen. In der Mitte des Feldes sollen unsere Leute aber zurückfallen und die Feinde ein wenig fortlocken. So ziehen wir Mandred einige Krieger aus dem Weg.«
Nuramon schaute dem König ins Gesicht. »Danke, Wengalf!«
»Komm! Nimm deine Schwerter! Lass uns diese Schlacht zu Ende bringen. Ich bin des Tötens müde.«
Nuramon nickte. Widerstrebend löste er sich von Alwerichs Körper und nahm seine Schwerter auf. Auch er wollte, dass die Schlacht endlich aufhörte. Er wandte sich zu den wenigen verbliebenen Elfen. »Sammelt euch! Es geht zum letzten Angriff!«