Emerelle in Gefahr

Sie standen in einem verzweifelten Kampf. Allein Mandred, König Liodred und die Mandriden bewahrten die Elfen davor, von Feinden eingeschlossen zu werden. Die Firnstayner versuchten eine Gasse auf dem Deck zu schaffen, damit die Königin über das Vorderkastell zu den Langbooten entkommen konnte. Ein kleiner Trupp von Ordensrittern war durchgebrochen und besetzte die Kampfplattform am Bug, doch den Mandriden war es gelungen, sie vom Rest ihrer Truppen abzuschneiden. Obilee versuchte die Bastion über dem Bug mit einer Hand voll Elfenkrieger wieder zurückzuerobern. Verzweifelt rangen indessen die Mandriden darum, einen zweiten Durchbruch der Feinde zu verhindern und die Ordensritter zu ihrer Kogge zurückzudrängen.

Emerelle war von ihrer Leibwache umgeben. Sie hielt sich dicht an der Reling und drückte Yulivee an sich. Noch immer schien sie mit ihren Gedanken abwesend zu sein.

Die Zahl der Verletzten stieg, und es schien nur mehr eine Frage der Zeit zu sein, bis die Übermacht der Gegner ihre Reihen zersplitterte.

Nuramon behielt die Kogge im Auge, doch den Priester konnte er nicht sehen. Er befürchtete, dass dieser, verborgen von seinem Tross, langsam vorrückte. So nah, wie die Königin ihm jetzt war, könnte er sie und ihre ganze Leibwache mit einem einzigen Zauber auslöschen.

Ein Krieger hatte Mandred umgangen und näherte sich. Schnell legte Nuramon an und schoss. Der Feind ging zu Boden, doch zwei weitere nahmen seinen Platz ein. Nuramon erkannte, dass die Mandriden nicht länger in der Lage waren, die Gegner zur Kogge zurückzudrängen, sondern nun alles taten, um möglichst wenige vorbeizulassen. Auch der Kampf um das Vorderkastell der Galeere wollte nicht vorangehen.

Noch immer hielten sich dort Ordensritter und versperrten den Weg zu den Langbooten.

Nuramon schoss und schoss. Als ein Krieger einem seiner Pfeile auswich und bereits mit dem Schwert ausholte, wusste Nuramon, dass er nie und nimmer rechtzeitig einen neuen Pfeil auf die Sehne bringen würde. Er riss den Bogen hoch, um damit nach dem Mann zu schlagen, doch ein Gardist der Königin kam ihm zu Hilfe und schwenkte seinen Speer. Der Lauf des feindlichen Kriegers endete in der Speerspitze. Der Tjuredanbeter riss dem Gardisten den Schaft aus der Hand, taumelte zurück und fiel leblos zu Boden.

Plötzlich waren die Bogenschützen aus Alvemer da und unterstützten sie. Nomja kam an Nuramons Seite. »Was war das eben?«, fragte sie.

Nuramon hätte lieber geschwiegen. Er verstand selbst nicht alle Zusammenhänge. Immer wieder musste er an Mandreds Worte denken. Der Jarl hatte ihn gefragt, ob er sich an Aniscans erinnere. Selbstverständlich hatte Nuramon nicht vergessen, wie Gelvuuns durch Guillaumes Zauberkraft den Tod gefunden hatte. »Da ist ein Priester des Tjured!«, war alles, was er Nomja antwortete.

Nuramon schaute sich nach Yulivee um. Sie klammerte sich an Emerelles Arm. Das Klirren der Waffen und die Schreie der Verwundeten ließen das Kind immer wieder zusammenzucken. Sie vergrub ihr Gesicht in Emerelles Kleid.

Obilee war in der Nähe und unterstützte mit ihren Leuten den Kampf der Mandriden. »Geht nicht zu weit vor!«, rief sie. Sie führte ihr Schwert mit großer Kraft, und an der Klinge entlang zitterten kleine blaue Blitze. Wann immer ihr Schwert auf einen Gegner niederfuhr, zuckte dieser und schrie, als wäre der Blitzzauber schlimmer als der Stahl, der in seinen Leib drang. Hinter Obilee und ihren Kriegern standen unbewaffnete Elfen. Das waren Ruderer!

Mandred und Liodred ließen sich mit den Firnstaynern ebenso zurückfallen wie Obilee mit ihren Kriegern. So bekamen die Schützen aus Alvemer eine freie Schusslinie auf die Feinde. Sie schossen Pfeil nach Pfeil, sodass nur wenige Gegner sich vorwagten. Jene, die es taten, wurden von den Mandriden zu beiden Seiten der Schützen niedergestreckt. Die Mehrzahl der Ritter zog sich bis fast zur Reling zurück und bildete dort einen Schildwall.

Nuramon hatte bald all seine Pfeile verschossen und überließ seinen Platz in der Reihe einem Speerträger. Er wandte sich an die Königin. »Emerelle!«

Sie schaute ihn an, sagte aber nichts.

»Wir werden es schaffen«, sagte er, auch wenn er wusste, wie schlecht es um sie alle und um Albenmark stand. Er schaute über die Reling ins Wasser und sah, dass dort dutzende Elfen schwammen. Ob das die Ruderer waren? Oder hatten gar Krieger es gewagt zu fliehen?

Die Gardisten vor Emerelle öffneten ihre Reihen, als Obilee sich mit Mandred und Liodred an die Königin wandte. »Wir bringen dich zu Ollowain. Er kämpft nicht weit von hier auf einem Langboot. Ein Angriff noch, und wir haben unser Vorderkastell zurückerobert. Dann ist der Weg frei.« Sie atmete schwer.

Emerelle schwieg.

»Königin?«, fragte Obilee.

»Ich bin in deinen Händen, Obilee«, antwortete Emerelle schließlich und schien durch die Kriegerin hindurchzuschauen.

Nuramon blickte auf das Schlachtfeld der Fjordländer. Weitere feindliche Schiffe waren hinzugekommen. Der Weg von der Galeere der Königin bis zum Schiff Ollowains war auf jedem Schritt umkämpft. »Wir werden es nicht rechtzeitig schaffen«, rief Nuramon. Er deutete zur Kogge hinüber. »Der Priester ist dort irgendwo. Und während wir hier stehen, sammelt er neue Kräfte für seinen nächsten Zauber. Wir können nicht mehr warten, bis das Vorderkastell freigekämpft ist! Jeden Augenblick mag uns das Verhängnis ereilen!«

»Vielleicht müssen auch wir schwimmen«, schlug Yulivee vor.

Emerelle strich der Kleinen über den Kopf. »Nein, die Königin wird nicht davonschwimmen. Ich gehe über die Schiffe!« Endlich schien sie mit ihren Gedanken bei der Sache zu sein. »Obilee! Ich möchte, dass du uns den Weg freizauberst.«

Die Kriegerin nickte. »Ja«, sagte sie leise. »Aber das wird nicht reichen. Selbst wenn ich dich rette, kann der Priester die Schlacht für sich entscheiden.«

Mandred mischte sich ein. »Dann müssen wir Menschen den Priester eben töten. Ich und meine Mandriden werden uns zu ihm durchschlagen!«

Nuramon schüttelte den Kopf. »Mandred, das ist viel zu gefährlich!«

»Wenn ihr Elfen sterbt oder flieht, dann sind wir verloren. Dieses Priesterpack wird Firnstayn vernichten! Lass mich das tun, was getan werden muss! Wünsch mir lieber Glück!«

Nuramon tauschte Blicke mit Obilee und der Königin. Beide nickten. »Mandred!«, sagte er. »Ich kenne keinen Mutigeren als dich, ob Mensch oder Albenkind.«

Mandred schloss Nuramon in die Arme, dann wandte er sich an Liodred. »Wir werden wie ein Schwert durch ihre Reihen dringen und sie zurück auf ihr Schiff prügeln!« Der Jarl blickte noch einmal zurück, und Nuramon fürchtete, dass er seinen Freund nie wiedersehen würde.

Die Firnstayner sammelten sich zwischen den Bogenschützen. Mandred sprach einige Worte mit Nomja. »Für Firnstayn!«, schrie er dann, und die Menschen liefen los, von Pfeilen links und rechts gedeckt. Mit Waffengeklirr und wilden Schreien prallten sie auf den Schildwall der Ritter.

»Wir müssen los!«, erklärte Obilee.

Nuramons Blick fiel auf die Luke zum Unterdeck. Dann schaute er zum Achterkastell zurück. Er wandte sich an Yulivee. »Hast du meine Pfeile?«

Die Kleine hielt ihm den Köcher mit zitternden Händen hin.

Dankend nahm er ihn entgegen. Dann holte er die Zwergenpfeile heraus, steckte sie sich in den Köcher, den er trug, und rief: »Obilee! Emerelle! Ich habe einen Plan!« Er deutete auf die Luke, die hinab zum Deck der Ruderer führte.

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