Die Nacht in der Elfenburg

Mandred lehnte sich an die Flanke des Kentauren. Dieses rote Gesöff, welches das Mannpferd mitgebracht hatte, hatte es wirklich in sich. Wein! Mandred hatte davon schon gehört, aber in Firnstayn trank man nur Met und Bier.

Schwankend hob er den schweren goldenen Becher. »Auf unsere Freundschaft, Aigil … Ailalaos! Dein Name ist wirklich unaussprechlich.«

»Da solltest du erst einmal die Namen der Einäugigen von der Klippenburg hören«, erwiderte der Kentaur lallend. »Die Trolle von Dailos, die spinnen. Die sind so verrückt, die stechen sich ein Auge aus, um damit ihrem berühmtesten Helden zu huldigen.«

Mandred war beeindruckt. Das war Treue! So etwas würde es bei den Elfen gewiss nicht geben! Sie waren alle so … Dem Krieger wollte kein passendes Wort einfallen. Kalt, glatt, überheblich … Feiern konnten sie jedenfalls nicht! Dabei hatten sie doch die Trinkpokale mitgebracht und ihm diese kleine Festhalle zur Übernachtung angeboten. Als er mit Aigilaos richtig in Stimmung gekommen war, hatten sich die Elfen einer nach dem anderen verabschiedet. Weichlinge! »Ein Mann, der nicht trinken kann, ist kein richtiger Mann!«

»Jawohl!«, stimmte der Kentaur mit rauer Stimme zu.

Mandred taumelte ein wenig zurück, um mit Aigilaos noch einmal anzustoßen. Allerdings taugten diese goldenen Pokale dazu nicht richtig. Was die Elfen herstellten, sah zwar hübsch aus, aber es war nicht wirklich robust. Sein Trinkbecher hatte längst eine große Delle. Mit Methörnern wäre das nicht passiert. Einen Augenblick lang sorgte sich Mandred, ob er deshalb Ärger bekommen würde. Aber die Elfen hatten ihn reichlich beschenkt. Sollten sie sich wegen des Bechers anstellen, würde er ihnen einfach irgendeines der Geschenke zurückgeben.

Der Krieger betrachtete die Gaben, die aufgereiht auf einer steinernen Bank neben der Tür lagen. Ein Kettenhemd, wie es nicht einmal die Fürsten des Fjordlandes besaßen. Ein goldgefasster Spangenhelm mit einem angefügten Kettengeflecht, das weit in den Nacken reichte. Ein reich bestickter lederner Köcher mit leichten Wurfspießen. Eine Saufeder, deren langes Speerblatt bläulich schimmerte. Ein prächtiger Sattel mit silbernen Beschlägen. Und die Königin hatte ihm versprochen, dass er morgen ein Pferd aus ihrem eigenen Stall bekommen würde. Eines, das gewillt sei, auch einen Menschensohn zu tragen, so hatte sie gesagt. Mandred schnaubte ärgerlich. Als ob ein Gaul ihm Ärger machen würde! Wenn das Vieh sich danebenbenahm, würde er ihm einfach mit der Faust auf den Kopf hauen, das hatte bisher immer geholfen. Niemand mochte das, nicht einmal störrische Pferde.

»Du siehst betrübt aus, Freund.« Aigilaos legte Mandred einen Arm um die Schultern. »Wir werden das Ungeheuer schon zur Strecke bringen. Du wirst sehen. Morgen Abend stecken wir den Kopf von dem Vieh auf einen Pfahl und stellen ihn mitten in dein Dorf.«

»Man sollte die Haut des Drachens nicht verteilen, bevor man ihn erlegt hat«, erklang eine vertraute Stimme.

Mandred fuhr herum. In der Tür stand Ollowain, in makelloses Weiß gekleidet. Mit einem weiten Schritt setzte der Elf über einen Haufen Pferdeäpfel hinweg, die das farbenprächtige Mosaik auf dem Boden verunzierten. »Ihr habt es geschafft, dem Jagdzimmer den Charme eines Stalls zu verleihen«, sagte er und setzte dazu ein schmallippiges Lächeln auf. »In all den Jahrhunderten, in denen die Elfenjagd besteht, hat das noch niemand vollbracht.«

Mandred stellte sich dem Elfen breitbeinig in den Weg. »Wenn ich es richtig verstanden habe, wurde die Jagd auch noch nie von einem Menschen angeführt.«

Ollowain nickte bedächtig. »Selbst die Mächtigen machen mitunter Fehler.« Er griff nach dem Wehrgehänge um seine Hüften und löste es. Sorgfältig wickelte er den silberbeschlagenen Gürtel um die Schwertscheide, dann reichte er Mandred die Waffe. »Ich hätte dich nicht schlagen dürfen.«

Mandred blickte verwundert auf das schlanke Schwert, nahm es aber nicht an. »Warum?« Er hätte sich nicht anders verhalten als Ollowain. Was sollte daran unehrenhaft sein, jemanden zu verprügeln, der so dumm war, einen überlegenen Gegner herauszufordern?

»Es ziemt sich nicht. Du bist ein Gast der Königin.« Der Elf deutete auf den Schnitt in seinem Umhang. »Du hättest mich um ein Haar getroffen. Du – ein Mensch! Das hat mich erzürnt … Wie auch immer, ich hätte dich nicht schlagen dürfen. Du warst gut … für einen Menschen.«

Mandred griff nach dem Schwert. Es war die Waffe, mit der er gegen Ollowain gekämpft hatte. Ein Schwert, wie für einen König geschaffen. »Eigentlich bin ich im Kampf mit dem Schwert nicht sonderlich gut«, erwiderte Mandred grinsend. »Du hättest mir eine Axt geben sollen.«

Ollowains Augenbrauen zuckten leicht, ansonsten blieb sein Gesicht eine ausdruckslose Maske. Er griff unter seinen Umhang und holte einen fingerdicken roten Zopf hervor. »Das gehört dir, Menschensohn.« Seine Augen funkelten.

Mandred brauchte einen Augenblick, bis er begriff, was Ollowain ihm da reichte. Erschrocken tastete er nach seinem Haar. Dicht über seiner Schläfe fand er den kurzen, verstümmelten Überrest eines Zopfes. Heiße Wut wallte in ihm auf. »Du … du hast mich verstümmelt, du hinterhältiger Bastard! Du … Missgeburt. Elfenbrut!« Mandred wollte das Schwert ziehen, doch der Gürtel war um Parierstange und Scheide gewickelt, sodass er die Klinge kaum einen Zoll weit herausbrachte. Wütend schleuderte er die Waffe weg und hob die Fäuste. »Ich schlag dir deine schöne gerade Nase zu Brei!«

Der Elf wich dem Hieb mit einem tänzelnden Schritt aus.

»Dem verpassen wir ʹne Abreibung!«, grölte Aigilaos und bäumte sich auf den Hinterbeinen auf.

Ollowain tauchte unter den wirbelnden Vorderhufen hinweg, kam in fließender Bewegung wieder auf die Beine und verpasste dem Kentauren einen Stoß in die Flanke.

Aigilaos stieß einen wütenden Schrei aus. Seine Hufe gerieten auf dem glatten Mosaikboden ins Rutschen. Er schlitterte durch eine Pfütze vergossenen Weins.

Mandred wollte dem stürzenden Kentauren aus dem Weg springen, doch sein Freund breitete in dem verzweifelten Versuch, sich an ihm festzuhalten, die Arme weit aus. So schlugen beide gemeinsam auf den Boden. Der harte Aufprall presste Mandred die Luft aus den Lungen. Einen Moment lang rang er keuchend nach Atem. Halb unter dem Kentauren begraben, war er kaum in der Lage, sich zu rühren.

Ollowain packte ihn beim Arm und zog ihn unter Aigilaos hervor, als dieser einen vergeblichen Versuch machte, sich wieder aufzurichten.

»Atme flach!«, befahl der Elf.

Mandred hechelte wie ein Hund. Ihm wurde schwindelig. Endlich, endlich kehrte der Atem zu ihm zurück.

»Wie kann man nur so überheblich sein, sich am Abend vor einer gefährlichen Jagd zu betrinken!« Ollowain schüttelte den Kopf. »Du schaffst es jedes Mal, wenn ich dich sehe, dass ich die Beherrschung verliere, Mandred Menschensohn! Wenn du schon nicht an dich denkst, dann denke an die Männer und Frauen, die dich begleiten werden. Du bist morgen der Anführer, du trägst die Verantwortung für sie! Ich schicke dir ein paar Kobolde, die diesen Stall hier ausmisten, euch den Wein wegnehmen und ein paar Eimer Wasser hier lassen. Ich hoffe, ihr kommt bis morgen früh wieder halbwegs zu Verstand.«

»Muttersöhnchen«, lallte Aigilaos. »Einer wie du kann einen richtigen Mann niemals verstehen.«

Der Elf lächelte. »In der Tat, ich habe noch nie versucht, mir vorzustellen, was ein Pferd wohl denken mag.«

Mandred schwieg. Am liebsten hätte er Ollowain niedergeschlagen, aber ihm war klar, dass er gegen den Elfen niemals bestehen würde. Und was noch schlimmer war: Im Innersten seines Herzens wusste er, dass Ollowain im Recht war. Es war dumm, sich zu betrinken. Der süße, süffige Wein hatte ihn verführt. Und er hatte die Angst betäubt. Die Angst davor, dass Freya nicht mehr lebte, und die Angst, dem Manneber noch einmal entgegentreten zu müssen.

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