Alte Gefährten

Nuramon schreckte aus dem Mittagsschlaf auf. Draußen auf der Straße herrschte lautes Geschrei. Nuramon erhob sich und zog sich an. Eben knöpfte er sein Hemd zu, als die Tür aufflog. Es war Neltor, der junge König von Firnstayn.

»Mein König? Womit kann ich dir heute dienen?« Er hatte den jungen Herrscher einst im Namen seines Vaters unterwiesen, und der Jüngling betrachtete ihn noch immer als eine Art Mentor. Er schlug gar nicht nach seinem Vater, der Mandred sehr geähnelt hatte. Neltor erinnerte eher an Alfadas. »Ist es wieder eine Fehde?«, fragte Nuramon.

»Aber nein! Stell dir vor!« Seine Augen glänzten. »Mein Ahnherr segelt den Fjord hinauf. Wie soll ich ihm begegnen?«

»Mandred? Mandred Torgridson?«

»Genau der!«

Nuramon atmete erleichtert aus. Fast war es ihm, als wäre es der Atem der letzten siebenundvierzig Jahre gewesen, den er nun ausstieß. »Bei allen Alben!« Endlich kamen seine Gefährten. Obwohl er in Firnstayn reichlich Ablenkung gefunden hatte, hatte er sich oft um seine Gefährten gesorgt – und war noch öfter in Versuchung geraten, seine Suche nach Noroelle allein fortzusetzen. »Ist auch ein Elf an seiner Seite?«

»Ja!«

Nuramon lächelte den König an. »Du hast mich gefragt, wie du Mandred empfangen sollst. Und als treuer Berater sage ich dir: Du trägst schon die richtige Rüstung.« Es war die von Alfadas. »Wenn du dich nun noch mit deiner besten Axt bewaffnest und dich auf der Treppe zur Königshalle bei den Löwenstatuen einfindest, dann wird Mandred große Augen machen.«

»Danke, Meister!«

»Neltor! Nenn mich Freund, nenn mich Vertrauter, aber bitte nicht mehr Meister.«

Der Jüngling grinste und ging.

Nuramon hatte es nun eilig. Er trat auf die Straße hinaus und machte sich auf den Weg zum Tor. Wie mochte Mandred wohl aussehen? Vielleicht war er nun ein alter Mann.

Plötzlich war Voagad an Nuramons Seite. Er war einer seiner Schüler und machte große Augen. »Mandred Torgridson! Das wird ein Fest!«

»Du denkst wie immer nur ans Saufen … Du tust gut daran, denn Mandred wird das zu schätzen wissen. Aber nun lauf los und rufe die Mandriden zusammen! Sie sollen sich am Luthtempel versammeln. Auf keinen Fall sollen sie auf den Platz kommen, ehe ich ein Zeichen gebe.«

Schon war Voagad verschwunden. Nuramon blickte dem Jüngling nach. Mandred war mit den Jahren mehr geworden als der Ahnherr der Könige, er war der Urvater Firnstayns. Und Nuramon hatte nicht gerade wenig dazu beigetragen. Er hatte Mandred in einem Licht erstrahlen lassen, das längst über Firnstayn hinausreichte und sich im ganzen Fjordland verbreitet hatte.

Nuramon hatte den Leuten von Firnstayn nicht die ganze Geschichte erzählt. Auch hatte er den Fjordländern verschwiegen, dass der Devanthar noch lebte. Nuramon hatte in den vergangenen Jahren oft an den Dämon gedacht. War er nun neue Wege gegangen, um andere ins Unglück zu stürzen? Oder lauerte er irgendwo und wartete nur darauf, ihm und seinen Gefährten noch einmal entgegenzutreten? Er konnte es nicht sagen, doch er hatte sich oft gefragt, warum das Schicksal ihnen so hart mitspielte und ob nicht der Devanthar so manches Mal seine Hände im Spiel hatte.

Jubel brandete auf. Mandred war also bereits in der Stadt! Eine Menschenmenge drängte sich langsam die Straße entlang. Vor fünfzig Jahren wären es noch nicht so viele gewesen. Firnstayn schien unaufhörlich zu wachsen. Noch fünfzig Jahre weiter, und Mandred würde keinen Schritt mehr machen können vor lauter Menschen.

Nuramon harrte aus und wartete ab. Irgendwo dort vor ihm zwischen den Firnstaynern mussten seine Gefährten sein. Mit einem Mal bildete sich zwischen den Menschen eine Gasse.

Da waren sie! Mandred und Farodin. Sie sahen noch genauso aus, wie er sie in Erinnerung hatte. Er war froh, dass Mandred nicht gealtert war. Seine Gefährten erblickten ihn. Die Menschen rings umher hielten den Atem an. Offenbar wollten sie verfolgen, wie Nuramon der Elf nun endlich mit seinem Kampfgefährten Mandred zusammentraf.

»Nuramon, alter Eisenfresser!«, rief Mandred und kam ihm ungestüm entgegengeeilt.

Farodin hingegen schwieg, machte aber ein erleichtertes Gesicht.

Mandred schloss den Elfen in die Arme, so fest, dass er kaum noch Luft bekam. In den Jahren mit Njauldred hatte Nuramon gelernt, mit diesen freundschaftlichen Grobheiten zurechtzukommen.

Nuramon blickte an dem Jarl hinab. »Ich dachte schon, ich würde euch nie wiedersehen.«

Mandred grinste breit. »Wir mussten ein paar Trollen in den Arsch treten!«

»Und dabei haben wir offenbar die Zeit ein wenig vergessen«, setzte Farodin nach und sorgte bei den umstehenden Menschen für erstaunte Mienen. Nuramon verstand aber, dass sie offenbar an einem Albenstern ein Opfer der Zeit geworden waren.

Während Mandred in der Menschenmasse badete, schritten Farodin und Nuramon voran. Farodin berichtete von den Trollen, vom Tod Yilvinas und der Befreiung der anderen Elfen aus der Gefangenschaft. Und er erzählte, dass sie durch einen niederen Albenstern hatten fliehen müssen.

Die Nachricht von Yilvina ging Nuramon nahe. Sie war ihnen bei der Suche nach Guillaume eine gute Gefährtin gewesen. Und nur ihr war es zu verdanken, dass sie aus Albenmark entkommen waren. Hätte sie sich nicht niederschlagen lassen, dann wären sie vielleicht bis heute nicht auf die Suche nach Noroelle gegangen.

»Wie lange hast du gewartet?«, fragte Farodin und riss ihn aus den Gedanken.

»Siebenundvierzig Jahre«, antwortete Nuramon.

Mandreds Lachen drang von hinten an sie heran. »Dann hast du hier ja länger gelebt als ich! Na, bist du jetzt ein echter Firnstayner?«

Nuramon wandte sich um. »Vielleicht. Doch es mag auch sein, dass die Firnstayner echte Elfen geworden sind.«

Mandred lachte noch lauter und die Menschen mit ihm. »Wie heißt denn der König?«

»Er heißt Neltor Tegrodson; seinen Großvater Njauldred hast du ja noch kennen gelernt.«

Mandred drängelte sich zu Nuramon durch und fragte leise: »Taugt der was?«

»Er ist ein weiser Herrscher und …«

»Ich meine, ist er ein guter Kämpfer, ein echter …«

»Ich weiß, was du meinst … Ja, er ist ein guter Kämpfer. Ein hervorragender Bogenschütze.« Er sah, dass Mandred das Gesicht verzog. »Herausragend mit Langschwert, besonders aber mit dem Kurzschwert …« Missmut spiegelte sich in den Zügen des Menschensohns. »Aber unüberboten im Kampf mit der Axt!«

Mandreds Gesichtsausdruck wandelte sich schlagartig. Er strahlte geradezu. »Dann hat sich die beste Waffe doch durchgesetzt«, sagte er stolz.

»Komm! Ich werde dir deinen Nachkommen vorstellen«, sagte Nuramon und deutete voraus. »Und später werde ich dir deine Stute und _ihre_ Nachkommen zeigen.«

»Stute? Nachkommen? Hast du etwa …?«

»So wie du der Urvater der Könige bist, ist deine Stute die Mutter der Firnstayner Rösser.«

Mandred grinste stolz. »Nuramon, ich schulde dir was!«

Als sie den großen Platz erreichten, zeigte sich, wie viel sich in dieser Stadt verändert hatte. Alle Straßen waren gepflastert, die Häuser aus behauenem Stein errichtet, aber der Luthtempel war der größte Blickfang weit und breit. Menschen aus dem ganzen Königreich hatten dreißig Jahre lang daran gebaut. Der Platz war nahezu menschenleer, obwohl die Einwohner sich in den Seitenstraßen und an den Fenstern der Häuser dicht an dicht drängten. Das hatte Neltor gut gemacht, dachte Nuramon. So konnte Mandred dem König und seinem Gefolge offen entgegentreten.

»Ist er das?«, fragte Mandred und schaute zu Neltor hinüber.

»Ja. Komm! Lass uns zu ihm gehen.« Die drei traten Seite an Seite vor Neltor.

»Ich heiße dich willkommen, Mandred Torgridson. Ich bin Neltor Tegrodson, dein Nachkomme.« Er verbeugte sich. »Verweile bei uns, und sei dir gewiss, dass du für uns immer Jarl Mandred sein wirst.« Die Unsicherheit gegenüber seinem berühmten Ahnherrn war Neltor anzumerken. Sein Blick war unstet, und seine Hände zitterten leicht.

Mandred schien dies nicht zu kümmern. Er wirkte gerührt. Und sprach nur wenig, während Neltor die freundlichsten Worte fand, die seiner Ehrerbietung und Mandreds Bedeutung Ausdruck verliehen.

Nachdem Neltor auf Nuramons Dienste für ihn, seinen Vater und seinen Großvater zu sprechen gekommen war, gab der Elf ein Zeichen, und aus der Seitenstraße neben dem Luthtempel traten die Mandriden vor.

»Mandred, hier sind einige Firnstayner, die du kennen lernen solltest.« Nuramon deutete auf die zwei Dutzend Krieger. Sie trugen leichte Lederrüstungen und waren jeder mit einem Kurzschwert und einer Axt bewaffnet. Manche trugen zusätzlich Bogen und Köcher, andere hatten einen Rundschild auf den Rücken gegürtet. »Dies sind die Männer, die ich ausgebildet habe«, sagte Nuramon. »Dies sind die Mandriden.«

Mandred blickte den Kriegern mit großem Erstaunen entgegen. »Bei Norgrimm, solche entschlossenen Mienen habe ich noch nie gesehen! Mit diesen Leuten würde ich jederzeit auf Fahrt gehen.«

»Ich habe sie unterwiesen.« Nuramon war stolz darauf, dass er die Krieger zu guten Axtkämpfern ausgebildet hatte.

Er hatte sich an all das erinnert, was Mandred seinem Sohn Alfadas beigebracht hatte, und hatte es noch ein wenig mit dem gewürzt, was Alwerich ihm gezeigt hatte. »Über die Jahre haben sich die Krieger oftmals im Kampf bewiesen.«

»Diese Kerle an unserer Seite, und wir hätten die Leber des Trollherzogs für die Hunde der Stadt mitgebracht«, murrte Mandred grimmig.

Nuramon tauschte einen Blick mit Farodin. Der Gefährte schüttelte kaum merklich den Kopf.

»Mandred, es wäre mir eine Ehre, wenn du auf Bier und Met in meine Halle kämest«, sagte Neltor.

»Ein Angebot, das Mandred nicht ablehnen kann! Aber die da«, er deutete auf die Mandriden, »kommen auch mit.« Er wandte sich an Nuramon und Farodin. »Was ist mit euch?«

»Das ist eine Angelegenheit zwischen dem Jarl und seinen Nachkommen«, entgegnete Farodin.

Mandred sagte nichts darauf, sondern ließ sich von seiner Familie fortführen. Von allen Seiten schienen sie auf ihn einzureden. Die Leute am Rand des Platzes und in den Seitenstraßen folgten dem königlichen Zug.

»Er genießt das fast schon zu sehr«, sagte Farodin.

»Er wird eine Weile davon zehren können, wenn wir unterwegs zu Noroelles Tor sind.«

Farodin sah ihn ungläubig an. »Du hast es gefunden?«

»Ich habe es gesehen.«

»Wie sieht es aus?« So neugierig hatte Nuramon Farodin noch nie erlebt.

»Komm mit mir in Mandreds Haus!«

Farodin folgte ihm unruhig. Er hatte offensichtlich keine Geduld mehr, was ihm Nuramon nicht verdenken konnte. Dennoch hatte er selbst nahezu fünfzig Jahre hier auf Farodin und Mandred gewartet, obwohl er viel lieber nach dem Ort gesucht hätte, den er in der Sternengrotte Dareens gesehen hatte.

Als sie Mandreds Haus erreichten, blickte Farodin sich überrascht um. Nuramon hatte in den Jahren einiges verändert. Er war den Handwerkern Firnstayns zu einem lästigen Kunden geworden. Schränke, Tische und Stühle sollten sowohl elfischen Ansprüchen als auch denen Mandreds entsprechen. Dabei sollten die Waffen und Truhen sowie die Schilde an den Wänden daran erinnern, dass dies das Haus eines Kriegers war. Besonders auf die große Streitaxt war Nuramon stolz. Der Schmied hatte sie nach seinen Vorgaben geschmiedet, und ebenso die Axt, die Alwerichs Waffe nachempfunden war.

»Das wird Mandred gefallen. Es ist schlicht und martialisch. Und dieses Gemälde hier …« Er trat vor ein Porträt, das Alfadas zeigte. »Hast du es gemalt?«

»Ja.«

»Du überraschst mich.«

»Dann sieh dir erst einmal dieses hier an!«, meinte Nuramon und trat an ein verdecktes Bild heran, das auf einer Staffelei stand. Sodann nahm er das Tuch von dem Gemälde, an dem er über dreißig Jahre lang gearbeitet hatte. Es zeigte die Landschaft, die er beim Orakel in der Grotte gesehen hatte.

Farodin trat einen Schritt zurück, um das Gemälde besser betrachten zu können. Sein Blick wanderte suchend über das große Bild; über das Wasser, die Insel, das Festland mit seinen Wäldern und über das Gebirge.

»Als ich aus Iskendria fortging, fand ich nach einer Weile das Tor zum Orakel.« Während sein Gefährte das Gemälde bis in alle Einzelheiten erkundete, erzählte Nuramon von dem Rätsel an der Pforte, von den Kindern der Dunkelalben und dem Bild, das er in der Sternengrotte gesehen hatte. »Dareen sagte mir, ich solle mich wieder mit euch vereinen. Ich solle hier auf euch warten. Du ahnst nicht, wie oft ich in Versuchung kam auszuziehen, um diesen Ort zu finden, doch Dareens Worte und deine Schrift auf der Statue hielten mich zurück.«

Farodin berührte das Gemälde. »Ist das Yalfarbe?«

»Ja. Ich habe sie selbst hergestellt. Die Leute hier kennen sich nicht mit den Farben aus Yaldemee aus.«

Farodin sah ihn anerkennend an. »Das ist ein Meisterwerk.«

»Die Zeit kann sehr lang werden. Und du solltest meine frühen Versuche sehen. Aber dies ist nun das, was ich gesehen habe. Dareen sagte noch etwas …« Er schwieg und dachte an das Orakel und ihre Erscheinung.

»Was ist es?«

»Sie sagte, es gebe zwei Möglichkeiten, den Zauber an Noroelles Tor zu brechen – mit Hilfe des Stundenglases oder aber eines Albensteins. Ich habe viel darüber nachgedacht und frage mich, ob wir tatsächlich das Glas brauchen und nicht nur den Sand.«

»Lass uns zuerst diese Landschaft finden. Das Bild ist wundervoll. Doch wo kann dies sein?«

»Ich habe auf meinem Weg hierher versucht, den Ort zu finden. Und ich habe Seefahrer gefragt, ob sie ihn kennen. Doch mir war kein Erfolg beschieden. Ich bin so froh, dass ihr hier seid.«

»Dieses Bild wird uns helfen. Zusammen mit den Sandkörnern sollten wir diese Insel finden.« Farodin trat ganz nahe an das Gemälde heran. »Ich frage mich, ob dies hier ein See ist oder aber das Meer.«

Nuramon hatte Jahre damit verbracht, über die Küstenlandschaft auf dem Bild nachzudenken. »Es ist das Meer. Ich habe mich lange mit den Wellen beschäftigt. Es sind Meereswellen.« Er ließ einen Finger über das Bild fahren. »Dieses Gebirge könnte uns hilfreich sein. Es ist sehr mächtig, aber nicht so hoch, dass Schnee auf den Gipfeln liegt.«

»Es könnte ein Fjord sein. Vielleicht liegt er hier in unserer Nähe.«

»Nein. Hier gibt es solche hellen Berge nicht. Ich habe jeden Seefahrer, jeden Wanderer, jeden Ortskundigen gefragt. Und auf meinem Weg hierher habe ich nach diesen Bergen Ausschau gehalten. Sie befinden sich nicht im Fjordland.«

Farodin trat zurück und betrachtete das Bild in seiner Gesamtheit. »Bei allen Alben! Ich habe dir in Iskendria Unrecht getan. Dieses Bild! Ich spüre geradezu, wie alles in mir nach diesem Ort sucht.«

»Wir haben einander Unrecht getan. Aber wir mussten uns trennen, damit wir beide vorankommen konnten auf unserem Weg … auf unserem Weg zu Noroelle. Ich habe das Gefühl, dass die Fauneneiche uns mit Absicht durch das Tor in die Wüste geschickt hat. Vielleicht hat sie irgendetwas in der Zukunft gesehen. Ich habe viel nachgedacht, und es verging kein Tag, da ich mich nicht fragte, warum die Königin mich nicht einfach zu sich holen ließ.«

»War niemand aus Albenmark hier?«

»Niemand! Gelegentlich habe ich mich mit Xern getroffen. Die Königin spricht nicht über uns und duldet nicht, dass in ihrer Nähe auch nur ein Wort über uns verloren wird.«

Farodins Mundwinkel zuckte. »Entweder sie ist außer sich vor Zorn und wartet nur, dass wir zurückkehren und sie über uns richten kann, oder da ist etwas anderes«, sagte er schließlich.

»Die Tore sind wieder offen und unbewacht, seit der Trollkrieg vorüber ist. Es scheint, als wäre die Bedrohung gebannt, vor der Emerelle sich fürchtete.«

»Sie hat gesagt, dass aus dem Tod Guillaumes etwas erwachsen könne und dass sie die Macht des Devanthars nach wie vor spüre. Wie sollte das einfach so vergehen?«

»Der Devanthar wurde nie wieder gesehen. Auch über ihn schweigt man. Zumindest sagt Xern das … Ich habe oft überlegt, was der Devanthar nun plant, wem er nachsetzt und ob er wirklich mit uns fertig ist.«

»Zerbrich dir den Kopf nicht darüber! Lass uns Albenmark meiden, wenn es möglich ist, und den Devanthar für den Augenblick vergessen. Mit diesem Bild hast du mir vielleicht einen Weg gewiesen. Jedenfalls habe ich das Gefühl, dass es so ist.«

»Da ist noch etwas. Bei den Zwergen habe ich …«

Plötzlich flog die Tür auf, und Mandred kam laut singend herein. »_Da trat hervor des Torgrids Sohn und trug die Leber von ’nem Eber!_ Ah, da seid ihr ja! Und? Habt ihr sie gesehen?«

»Wen?«, entgegnete Farodin.

»Na, sie. Dieses wundervolle Weib! Die Schwester Neltors!«

»Für mich sehen die Frauen hier alle gleich aus«, gab Farodin zurück.

Nuramon lächelte. »Er meint Tharhild.«

»Ja! Welch ein Name! Tharhild!« Der Menschensohn grinste anzüglich.

»Wer hätte das gedacht«, sagte Farodin. »Mandred Torgridson ist verliebt.«

Der Jarl schien Farodins Worte nicht gehört zu haben. »Wie eng bin ich mit ihr verwandt?«, fragte er Nuramon.

»Lass mich überlegen. Du bist der Vater von Alfadas, dieser wiederum ist der Vater von …« Er schwieg und überlegte. Dann aber fragte er sich, wieso sein Freund das wissen wollte. Bei Ragna waren ihm diese Bedenken offenbar nicht gekommen. Oder fürchtete er etwa, dass Tharhild seine Tochter sein könnte? »Es liegen elf Generationen zwischen dir und Tharhild. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen. Es sei denn …«

»Es sei denn, was?«, fragte Mandred.

»Erinnerst du dich an den Namen Ragna?«

In Mandreds Gesicht verbreitete sich pure Angst. »Ist Tharhild etwa die …«

Nuramon ließ den Freund ein wenig schmoren.

»Nun sag schon, was Ragna mit Tharhild zu tun hat!«

»Nun, sie ist Tharhilds … Tante.«

Mandred atmete erleichtert aus. »Was ist aus ihr geworden? Hat sie um mich getrauert?«

»Mandred Torgridson, der große Frauenheld! Der Schürzenjäger von Firnstayn! Hat er einmal das Bett mit einer geteilt, wird sie ihm auf ewig nachweinen und warten, dass er zurückkommt. Nein, Mandred. Sie hat einen guten Mann gefunden, ihm Kinder geschenkt und ist nach einem glücklichen Leben gestorben. Aber dennoch …«

»Dennoch was … Los, raus mit der Sprache!«

»Ich habe den Frauen am Hof gelauscht. Die erzählen Geschichten über dich, nicht von Mandred dem Recken, sondern von Mandred dem Liebhaber, der nach Jahren zurückkehrt, um die Frauen zu verführen.«

Mandred grinste.

»Wie gefällt dir dein Heim?«, fragte Farodin den Jarl. Offenbar wollte er das Thema wechseln.

Dieser schaute sich um. »Bei Norgrimm! Das hier … das ist die Halle eines Kriegers!« Er trat an die große Streitaxt heran. »Das gefällt mir …« Dann schien er zu überlegen. »Mandred der Liebhaber!«, flüsterte er vor sich hin. »Ich muss jetzt fort. Nuramon, Freund, lass uns später zusammensitzen, damit ich höre, wie es dir ergangen ist …« Mandred ging so schnell, wie er gekommen war. Das Porträt seines Sohnes hatte er in der Eile nicht einmal bemerkt.

Farodin starrte auf die Tür, die sich hinter dem Menschensohn schloss. »Er meint es ernst.«

Nuramon seufzte. »Ja. Aber du kannst dir gewiss sein, dass es für ihn morgen ein böses Erwachen gibt, wenn er die Eiche seiner Freya sieht. Ihr Anblick wird alle alten Wunden wieder aufreißen. Du kennst ihn doch.«

»Die Menschen sind nicht so treu wie wir, Nuramon. Vielleicht hat er mit Freya abgeschlossen.«

»Die Eiche ist ein zu mächtiges Zeichen. So lange sie steht, wird er sich an Freya erinnern.«

»Du hast die Menschen gut kennen gelernt.«

»Ja. Siebenundvierzig Jahre! Und ich habe viel getan. Diese Welt zwingt einen Elfen dazu, die Zeit anders zu nutzen, als er es gewohnt ist. Ich habe gesehen, wie aus jungen Männern Greise und aus Mädchen Mütter und Großmütter wurden. So sehr ich diese Zeit auch mochte, ich will nun endlich nach Noroelle suchen.«

»Du hast dich verändert, mein Freund.«

Nuramon war gerührt. Gewiss, er hatte sich verändert, aber Farodin war ebenfalls nicht derselbe. Das Wort Freund aus seinem Munde zu hören war ein Geschenk, das Nuramon nie und nimmer erwartet hätte, vor allem nicht nach dem üblen Streit in Iskendria. »Ich bin froh, dass du mit Mandred hier bist … Freund.«

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