Waffenbrüder

Nuramon und Alwerich hatten das Gebirge verlassen und schritten über die Wiesen des Tieflandes; Felbion folgte ihnen. Der Zwerg schaute sich um. Auf ihn wirkte das offene Land anscheinend grenzenlos, und es war deutlich zu spüren, dass die Weite ihn verunsicherte. Hinzu kam, dass Alwerich einfach nicht auf Felbion mitreiten wollte. Tagelang war er neben dem Pferd hergelaufen, bis seine Füße ganz wund waren. Und hätte er sich nicht mit aller Kraft gegen Nuramons Vorschlag gewehrt, durch die Tore zu schreiten, die der Elf auf den Albensternen schaffen konnte, wären sie längst am Ziel ihrer Reise gewesen. Doch der Zwerg hatte einen Dickkopf, wie Nuramon ihn höchstens noch von Mandred her kannte.

Alwerich senkte den Blick auf seine Füße. »Deine heilenden Hände sind mächtig.«

»Doch haben sie nie zuvor Zwergenfüße berührt«, sagte Nuramon und schmunzelte. »Zumindest nicht in diesem Leben.«

»Deine Elfenfreunde in Albenmark würden gewiss die Nasen rümpfen, wenn sie davon wüssten.«

»Du hättest sie dir wenigstens ab und zu waschen können«, sagte Nuramon und dachte an die Heilung. Es hatte ihn große Überwindung gekostet, die Füße des Zwergs zu berühren.

»Ich werde mich bessern.«

»Mach dir keine Gedanken deswegen. Elfen machen sich die Hände nicht schmutzig. Staub fällt von meiner Haut ab, Wasser perlt ab, und Schlammspritzer lassen sich mit einer kurzen Bewegung abschütteln.«

»Dann musst du dich gar nicht waschen?«

»Ich tue es trotzdem.«

»Wann? Ich habe es nicht gesehen.«

»Was du nicht siehst, Alwerich, das mag dennoch geschehen. Erst wenn das, was du siehst, nicht geschehen sein soll, musst du dir Gedanken machen. Doch sag, Alwerich … Bevor wir uns auf den Weg gemacht haben, bist du zu einer Frau gegangen und hast sie umarmt. War das deine Frau?«

»Ja. Das war Solstane.«

»Währt die Liebe eines Zwerges ewig? Seht ihr euch im neuen Leben wieder?«

»Wir sehen uns wieder, aber müssen uns nicht unbedingt lieben. Nimm den König. Er hat sich in diesem Leben noch keine Frau erwählt. Die Königin aus seinem letzten Leben war schon älter, als Wengalf in sein jetziges Leben hineingeboren wurde. Als er herangewachsen war, nahm er sie wieder zur Frau. Doch sie vertrugen sich nicht mehr. Mit dem Tod wurde sie von Wengalf getrennt. Er wird sich irgendwann eine andere Frau nehmen und Nachkommen zeugen.«

»Dann gibt es so etwas wie ewige Liebe nicht?«

»O doch. Manche geben sich das Versprechen, sich das eigene Leben zu nehmen, wenn die Liebste stirbt. Dann folgt er ihr oder sie ihm nach. Sie können gemeinsam aufwachsen und sich einst wieder lieben. So habe ich es mit meiner Liebsten gehalten. In der Schrift meines Lebens steht, dass Solstane und ich schon in Albenmark ein Paar waren. Wir liebten uns, wurden uralt und zeugten viele Kinder.«

Nuramon bewunderte Alwerich. Eine Liebe, die ewig währte, war etwas, wovon er kaum zu träumen wagte. Er wusste nicht einmal, ob Noroelle zu retten war. Er hoffte es und glaubte daran, doch wissen konnte es wohl nur Emerelle. Selbst wenn es ihm und Farodin gelang, Noroelle zu befreien und die Jahre in der Zerbrochenen Welt sie nicht verändert hatten, müsste sie sich für einen von ihnen entscheiden. Vielleicht würde ja die Liebe zu Noroelle eine ewige werden …

Mit einem Mal befielen ihn Zweifel. Was, wenn er die Erinnerung an seine früheren Leben zurückerhielt und feststellte, dass er unsterblich in eine andere Frau verliebt gewesen war? Und was, wenn auch sie wiedergeboren war?

In Gedanken versunken, liefen sie weiter, dem Orakel Dareen entgegen.

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