Dareen

Nuramon hatte das Gefühl, dass eine Ewigkeit vergangen war, seit er an dieser Stelle gestanden und seinen Teil des Rätsels gelöst hatte. Vor ihnen in der Felswand ruhten die Edelsteine: Diamant, Bergkristall, Rubin und Saphir.

Alwerich konnte die Schrift über dem Bergkristall lesen und sprach die Worte. »_Singe das Lied der Dareen, du Kind der Nacht! Singe von ihrer Weisheit, mit deiner Hand in der Dunkelheit! Singe die Worte, die einst du sprachst, und Seite an Seite tretet ein_.«

»Wie lauten deine Worte?«, fragte Nuramon seinen Waffenbruder.

»Sie lauten: _In einer stillen Herbstnacht / Den Alben gleich / Die Sterne in der Grotte / Klar wie nie / Wie sie entstehen_.«

»Erinnerst du dich an meine Worte? Wir müssen unsere Verse verbinden und dann gemeinsam singen. Dann heißt es: _Du kamst zu uns in einer stillen Herbstnacht / Deine Stimme kam den Alben gleich / Du zeigtest uns die Sterne in der Grotte / Sie funkelten klar wie nie / Wir konnten sehen, wie sie entstehen_.«

Auf Alwerichs Gesicht entfaltete sich ein Lächeln. »Aus zwei Liedern mach eins! Jetzt verstehe ich.« Er legte die Hand auf den Bergkristall. »Komm, lass uns gemeinsam das Schlüssellied singen!«

_Das Schlüssellied!_ Der Zwerg hatte das richtige Wort gefunden. Es war der Schlüssel zu der Orakelpforte. Nuramon führte seine Hand zum Diamanten, tauschte noch einen kurzen Blick mit Alwerich, dann begannen sie zu singen.

Kaum waren ihre Worte verklungen, leuchteten der Diamant und der Bergkristall auf. Aus dem Diamant strömte das gleißende Licht, das Nuramon bereits kannte, während aus dem Bergkristall ein bleiernes Licht drang und durch die Furche dem Rubin in der Mitte entgegenströmte. Im roten Edelstein trafen sich die beiden Lichter und verbanden sich zu einem, das nach unten drang, funkelnd zum Saphir hinabfloss und in ihn mündete. Der blaue Edelstein leuchtete auf und pulsierte, als schlüge darin ein Herz aus Licht.

Plötzlich waren die Edelsteine, die Furchen und die Schrift vor ihnen verschwunden. Alwerich wich erschrocken zurück. Nuramon schaute nur auf seine Hand, die nun den blanken Fels berührte. Dieser fühlte sich mit einem Mal so weich an, dass er mit der Hand in ihn eindringen konnte. Seine Fingerspitzen waren bereits in der Wand versunken. Als er den Arm in den Fels steckte, merkte er, wie Alwerich an seine Seite zurückkehrte. Der Zwerg schaute verwundert auf Nuramons Arm und wagte dann selbst, seine Hand im Fels verschwinden zu lassen.

Nuramon wandte sich an Felbion, der ein wenig Abstand gehalten hatte. »Komm mit uns!«

Statt näher zu kommen, wandte sich das Pferd ab. Felbion wollte offenbar draußen warten. Das sah dem neugierigen Tier nicht ähnlich.

»Lass uns hineingehen, bevor sich dieses seltsame Tor wieder schließt!«, rief der Zwerg.

Seite an Seite mit Alwerich trat er in den Fels.

Waren so einst die Alben auf ihren Pfaden gereist, sehenden Auges und durch die Elemente?

Nuramon spürte, wie er über die Schwelle des Albensterns schritt. Die Umgebung veränderte sich, das helle Gestein wandelte sich in rotbraunes. Zwei Schritte später drang Nuramons Gesicht aus dem Fels. Vor ihm lag ein Gang zwischen zwei zimtfarbenen Wänden. Sie befanden sich in einer engen Schlucht, in die das Sonnenlicht nur zögerlich hinabdrang. Der Boden war aus welligem Sand. Es mochte ein ehemaliges Flussbett sein, das seit einer Ewigkeit niemand mehr durchschritten hatte.

Nuramon schaute sich um. Alwerich war nicht an seiner Seite. Erschrocken wandte er sich um. Dann endlich drang ein dümmlich grinsendes Gesicht aus dem Fels, und Alwerich trat hervor.

»Wo warst du?«, fragte Nuramon den Zwerg.

»Wenn das hier das Tor ist, dann war ich wohl im Wachhaus. Und dort habe ich das hier gefunden.« Alwerich öffnete seine Hand. Darin lag eine kleine Drachenfigur aus grünem Stein. »Das ist ein zwergisches Jadeamulett, ein Glücksbringer.«

Nuramon schüttelte den Kopf. Der Zwerg, der eben noch vor dem Tor zurückgewichen war, bewegte sich nun in ihm, als wäre es ein Korridor in seinem eigenen Heim.

Alwerich strich an den Wänden der Spalte entlang. »Felsgestein wie dieses habe ich noch nie gesehen. Wo sind wir?«

Nuramon wusste es nicht mit Sicherheit. Die Luft war so klar wie in den Gebirgen der Menschenwelt, jedoch nicht so rein wie die in Albenmark. »Ich schätze, wir sind noch in der Welt der Menschen. Aber ich weiß es nicht…« Nuramon brach ab, denn er hörte etwas in der Ferne. Er schaute auf. Da waren Rufe, die von weit her in die Schlucht drangen. Sie klangen wie Tierlaute. »Wo immer wir auch sind: Hoffen wir, dass Dareen noch hier ist.«

Sie folgten der schmalen Schlucht. Nuramon ging voraus; der Sand war hier so fein, dass selbst er darin Spuren hinterließ. Es widerstrebte ihm, mit jedem Schritt die Harmonie des feinen Wellenmusters zu zerstören. Doch ein Blick zurück machte ihm klar, dass seine Spuren mit den tiefen Stiefelabdrücken Alwerichs nicht zu vergleichen waren. Der Zwerg schien nicht einmal zu merken, was er da tat.

Der Pfad stieg langsam an. Am blauen Himmel kreiste ein großer Vogel, der Nuramon fremd war, aber mit einem Falken Ähnlichkeit hatte. Dies war gewiss nicht die Zerbrochene Welt, hier gab es zu viel Leben. Es musste ein Ort in der Menschenwelt sein.

Die schmale Schlucht öffnete sich bald in einen kleinen Talkessel. Rechts, nahe der Felswand, lag ein See, in dessen Mitte sich ein Stein erhob, aus dem Wasser sprudelte. An den Ufern des Sees wuchsen Gras, Bäume, Blumen und Sträucher mit sternenförmigen Blüten. Auf der anderen Seite des Tals, in der Steilwand, gähnte der Eingang zu einer Höhle. Dort mochte die Grotte der Sterne liegen, von der im Schlüssellied die Rede war!

Schweigend traten Nuramon und Alwerich näher. Sie wollten das Orakel nicht stören. Nuramon betrachtete den See. Er fragte sich, wohin das Wasser floss, und musste an Noroelles See und dessen besonderen Zauber denken.

Dies war also das Heim der Dareen. Nuramon hatte noch nie ein echtes Orakel gesehen, obwohl es noch einige wenige in Albenmark gab. Doch kaum einer suchte ihre Nähe, denn sie waren schweigsam geworden. Er fragte sich, wie Dareen wohl aussah. Vielleicht zählte sie zu jenen Völkern, die auch heute noch in Albenmark lebten. Vielleicht war sie eine Elfe, eine Fee, eine Nixe, vielleicht sogar eine Kentaurin.

Kaum hatten sie den See hinter sich gelassen, als im Höhleneingang eine Frau erschien, eine Elfe in einem schlichten sandfarbenen Gewand. Das schwarze Haar fiel ihr in langen Wellen auf die Schultern. Regungslos stand sie da und sah ihnen entgegen.

Zögerlich näherten sich Nuramon und Alwerich ihr. Und als sie vor ihr standen, wagte Nuramon nicht, auch nur ein Wort an sie zu richten. Der Blick der Elfe schien ihn zu durchdringen, ihre schwarzen Augen zogen ihn in den Bann.

»Ich sehe die Kinder von Licht und Schatten Hand in Hand«, sprach sie mit klarer Stimme. »Es ist lange her, dass ihr zu mir kamt. Ich bin Dareen, das Orakel.«

Nuramon schaute zu seinem Gefährten hinab, der wie verzaubert auf die Elfe starrte. Als er sich wieder Dareen zuwandte, war er erschrocken, plötzlich eine Zwergin vor Augen zu haben, die eine gewisse Ähnlichkeit mit der Elfe aufwies, die ihm zuvor erschienen war. »Ich zeige mich den Albenkindern auf so manche Weise. Ich werde es euch leicht machen.« Erst geschah nichts, doch dann blinzelte Nuramon, und vor ihm stand plötzlich ein Albenkind, das sowohl als kleine, gedrungene Elfe wie auch als sehr schlanke Zwergin durchgehen konnte.

»Was ist deine wahre Gestalt?«, fragte Nuramon.

Das Orakel lachte mit sanfter Stimme. »Was ist deine wahre Gestalt, Nuramon? Ist es die, welche hier vor mir steht? Oder ist es der Krieger, den du vor kurzem gesehen hast? Vielleicht ist es der Körper, den der Erste deines Namens trug. Es mag aber auch sein, dass deine wahre Gestalt noch auf dich wartet. Welche Gestalt ist also deine?«

»Ich weiß es nicht. Verzeih mir die Frage.«

»Bitte nicht um Verzeihung! Ich bin dazu da, Fragen zu beantworten. Und wenn ich selbst mit einer Frage antworte, dann nur, um dir den Geist zu öffnen. Ich besitze eine wahre Gestalt, doch sie ist euch fremd und würde euch weit weniger sagen als dieser Körper.« Sie wandte sich an den Zwerg. »Komm, Alwerich! Folge mir hinab in die Sternengrotte!« Zu Nuramon aber sprach sie: »Warte du hier! Du kannst dich dort an dem See erfrischen.« Mit diesen Worten trat sie in die Höhle, und Alwerich folgte ihr.

Nuramon blieb zurück; ihn schwindelte. Er ging zum See und trank vom Wasser. Es war kühl und jagte ihm einen Schauer durch den Körper. Der Schwindel verging.

Als sein Blick auf die Wasseroberfläche fiel, musste er wieder an Noroelles Quelle denken. Er nahm seine Kette vom Hals und tauchte den Almandin, den seine Geliebte ihm durch Obilee geschenkt hatte, in das kühle Nass. Dort funkelte der rotbraune Edelstein wie damals all die anderen Steine in Noroelles See.

Nuramon schaute zum Höhleneingang. Was Alwerich wohl fragte? Der Zwerg hatte es ihm während der ganzen Reise nicht sagen wollen. Dabei hatte er sich auf ein Versprechen berufen, das er Thorwis gegeben hatte.

Nuramon hingegen war offen gewesen und hatte über Noroelle gesprochen. Und Alwerich konnte offenbar nachfühlen, was Nuramon bewegte. Der Zwerg war seiner Frau Solstane manches Mal in den Tod gefolgt, um ihr im nächsten Leben nahe zu sein. Nuramon wünschte, für ihn wäre der Weg so einfach. Alwerich hatte angeboten, ihn auf seinem weiteren Weg zu begleiten. Doch er hatte abgelehnt. Der Zwerg sollte nach Aelburin zurückkehren und dort mit seiner Frau das Leben führen, das er verdiente. Nuramon hatte ihm von Mandreds Frau berichtet, von der verlorenen Zeit, die für sie mit wenigen Schritten vergangen war. Er wollte nicht, dass Alwerichs Leben eine solche Wendung nahm, wenngleich er – anders als Mandred – wiedergeboren würde.

Als Nuramon sich die Kette wieder umlegte und den kalten Stein auf seiner Brust spürte, fragte er sich, welche Macht sich in diesem Almandin verbarg. So viele Jahre hatte er auf dem Grund des Sees gelegen. Noroelle hatte ihm erzählt, der Edelstein werde vom Zauber des Sees genährt. Er war mehr als nur ein Andenken an die Geliebte. Doch Nuramon wusste nicht, wie er dem Stein seine besondere Macht entlocken konnte. Vielleicht war die Zeit noch nicht reif.

Als Alwerich aus der Höhle kam, machte er ein fassungsloses Gesicht. Der Zwerg hatte offenbar Dinge erfahren, mit denen er nie und nimmer gerechnet hatte. Stotternd sagte er: »Du kannst jetzt hineingehen.« Dann setzte er sich auf einen Stein beim See und starrte ins Wasser.

Nuramon fragte seinen Gefährten nicht danach, was er gesehen hatte. Wenn er ihm schon nicht die Frage nennen wollte, würde er ihm gewiss auch nicht die Antwort verraten. So ließ der Elf seinen Waffenbruder am See zurück und trat seinerseits in die Höhle.

Zunächst gelangte er in einen kleinen Raum, von dem drei Gänge tiefer in den Fels führten. Aus einem von ihnen drang ein blauer Schein, während in den anderen Gängen graues Dämmerlicht herrschte.

Dareen trat in den Gang mit dem blauen Licht. Nuramon folgte ihr schweigend. Der Gang führte geradewegs hinab in eine dunkle Höhle. Die Wände waren so schwarz wie die Nacht. Über ihm aber wölbte sich ein Sternenhimmel, der ein wenig Licht spendete. Die Sterne wirkten so echt, als hätte Dareen sie vom Nachthimmel gefangen. Dies also war die Sternengrotte!

Das Orakel stellte sich in die Mitte der Höhle, wo eine blau leuchtende Steinplatte in den Boden eingelassen war. Sogleich hob Dareen mit einfühlsamer Stimme an zu sprechen. »Ich sehe zwei Wünsche in deinem Geist. Davon kann ich dir nur einen erfüllen. Beim anderen kann ich dir nur den Weg weisen. Der eine Wunsch ist der nach deiner Erinnerung. Du möchtest eins werden mit deinen früheren Leben. Der andere Wunsch ist es, deine Liebste zu befreien. Deine Erinnerung kann ich dir hier und jetzt schenken, doch Noroelle vermag ich nicht zu befreien. Ich werde dir nur ein wenig auf deinem Pfad weiterhelfen. Welcher Wunsch soll es demnach sein?«

Nuramon trafen die Worte Dareens wie ein Schlag. Er stand hier und war nur eine Frage von seiner Erinnerung entfernt. Hier und jetzt könnte er all seine früheren Leben zurückerhalten. Und vielleicht würde ihm das gar bei seiner Suche nach Noroelle helfen! Dennoch wollte er das Wagnis nicht eingehen. Selbst der kleinste Hinweis auf Noroelles Aufenthaltsort war ihm mehr wert als die Erinnerung an seine früheren Leben. »Ich kam mit der Absicht, dich nach dem Ort zu fragen, an dem meine Liebste gefangen ist. Und ich hoffe, mit einer Antwort gehen zu können. Meine Erinnerung wird eines Tages von ganz allein zu mir kommen.«

»Das ist eine kluge Wahl, Nuramon. Nun, ich sehe in dir, was geschehen ist. Und ich werde dir Dinge sagen, die dir helfen werden. Ich kann dir nicht alles sagen, denn wenn du zu viel weißt, werden Dinge nicht geschehen, die geschehen müssen. Was ich dir zeigen kann, siehst du dort.« Sie deutete zum Gewölbe.

Nuramon blickte auf. Vor den Sternen erschien eine Landschaft: ein großer See oder aber eine Meeresbucht mit Wäldern am Ufer. Dahinter war in der Ferne eine Bergkette zu sehen. Weit vor dem Ufer lag eine Insel, auf der sich ein kleiner Hain befand.

»Dies ist der Ort, nach dem du suchst. Findest du den Weg von dieser Insel in die Zerbrochene Welt, dann wirst du zu deiner Liebsten gelangen.«

»Ich werde diesen Ort finden, und wenn ich ihn Jahrhunderte suchen muss«, sagte Nuramon, ohne den Blick von der Landschaft abwenden zu können. Das Bild brannte sich förmlich in seinen Geist ein. Er würde es nie vergessen. Er hatte nun sein Ziel wahrhaftig vor Augen. Und dieses Bild war sehr aufschlussreich. Offenbar lag das Tor zu Noroelle im Norden der Menschenwelt oder aber in großer Höhe in einem Gebirge. In der Wüste, deren Randgebieten und im kargen Königreich Angnos musste er nun nicht länger nach ihr suchen.

Mit einem Mal verblasste das Bild vor seinen Augen. Die Insel, das Wasser und das Ufer lösten sich auf. Nuramon starrte immer noch hinauf. Er hatte sich alles eingeprägt.

»Ich werde dir noch etwas sagen«, sprach Dareen. »Nur zwei Dinge können den Zauber brechen: das Stundenglas oder aber ein Albenstein.«

Nuramon konnte nicht fassen, was das Orakel da sprach. Dass das Stundenglas und damit die Sandkörner tatsächlich einen Weg darstellten, beschäftigte ihn weniger als die Erwähnung eines Albensteins. Er war ausgezogen, um einen Pfad zu finden, der leichter war als der Farodins. Und nun musste er feststellen, dass sein Pfad vielleicht noch viel schwieriger war. Er schüttelte den Kopf. »Aber wie soll ich an einen Albenstein gelangen? Ich weiß nur, dass die Königin einen besitzt. Aber sie …«

»Sie wird ihn dir nicht geben. Du musst nach einem anderen Albenstein suchen, wenn du nicht an den Weg deines Gefährten Farodin glaubst. Doch ganz gleich, wie du dich entscheidest, zuerst solltest du dich mit deinen Gefährten vereinen. Legt den Streit bei. Es gibt keine falschen Pfade. Jeder trägt seinen Teil dazu bei, um das Ziel zu erreichen. Geh nach Norden und warte auf deine Freunde in der Stadt des Menschensohns. Sei geduldig und warte auf Elfenweise.«

»Das werde ich.«

»Dann ist dies alles, was Dareen dir zu sagen hat. Auf Wiedersehen, Nuramon!« Sie trat in den Schatten und war verschwunden.

Nuramon wartete, ob Dareen sich ihm noch einmal zeigte. Doch es schien, als wäre dies tatsächlich der Abschied gewesen. Er dachte an das, was sie gesagt hatte. Sie hatte ihm den Weg offenbart, den er gesucht hatte. Sie hatte ihm den Ort gezeigt, an dem sich das Tor zu Noroelles Gefängnis befand. Doch warum war es so wichtig, sich mit Farodin und Mandred zu vereinen? Er hatte oft an seine beiden Gefährten gedacht und an den törichten Streit, der sie getrennt hatte. Er vermisste sie. Und die Stimme Dareens hatte ihn beschworen, sich mit ihnen zu versöhnen.

Er würde nach Firnstayn gehen und dort auf Farodin und Mandred warten.

Das Buch des Alwerich

Der Abschied vom Waffenbruder

Der Orakelspruch hat alles verändert. Du siehst die Dinge mit anderen Augen, besonders deinen Waffenbruder. Er verhält sich zwar so wie zuvor, aber das Wissen, das du bei Dareen erfragt hast, lässt auch Nuramon in einem neuen Licht erscheinen.

Er hat dir auf der Reise nach Norden erzählt, dass Dareen ihm die Erinnerung anbot, er diese aber für das Wissen um seine Liebste ablehnte. Diese Tat rührt dein Herz, und du musst an Solstane denken. Für sie hättest du das Gleiche getan. Und du kannst nun endlich fühlen, warum Nuramon dich auf seiner Suche nicht dabeihaben will. Du hast bereits alles gewonnen, was dir lieb ist. Und doch fragst du dich, ob es nicht ein Leben wert wäre, dem Elfen beizustehen.

Ihr macht euch auf den Rückweg und meidet die argwöhnischen Menschen. Sie haben nichts mit Zwergen im Sinn, nichts außer Streit. Du hast dich mittlerweile an Felbion gewöhnt, schlägst das Angebot aber aus, reiten zu lernen. Das ist zu viel des Guten. Du magst das Pferd, aber ganz alleine auf ihm zu sitzen, das ist nicht nach deinem Geschmack.

Der Tag des Abschieds ist da. Am Fuß der Berge werdet ihr euch trennen. Du steigst ein letztes Mal von Felbion ab. Nuramon beugt sein Knie, sodass ihr Auge in Auge seid, und er legt die Hand auf deine Schulter. Die Worte, die er spricht, wirst du in diesem Leben nicht mehr vergessen. Er sagt: »Ich danke dir, Alwerich. Du warst mir ein guter Gefährte, ein wahrer Waffenbruder. Doch nun müssen wir unserer Wege gehen.« Er schaut hinauf in die Berge und spricht dann weiter. »Sag Thorwis und Wengalf Dank von mir. Und umarme Solstane in meinem Namen. Du hast mir so viel von ihr erzählt, dass sie mir vertraut wurde.« Du entgegnest darauf: »Sie wird bedauern, dass du nicht mit mir heimkehrst.« Nuramon nickt und spricht: »Erzähle ihr von Noroelle und meiner Suche.« Dann steht der Elf auf und sagt: »Leb wohl … Freund.« Nuramon hält dir die Handfläche entgegen und wirkt mit einem Mal so unsicher, als fürchtete er, du könntest seine Hand zurückweisen. Du schlägst ein und sagst: »Bis wir uns wiedersehen, Freund. Vielleicht in diesem Leben, wahrscheinlich im nächsten. Es mag gar sein, dass wir uns im Silberlicht wieder begegnen.«

Nuramon lächelt und entgegnet: »Wir werden uns wiedersehen. Und vielleicht erinnern wir uns an frühere Begegnungen, von denen wir nichts ahnen.«

Der Elf weiß nicht, dass seine Worte wahr sind. Er hat mich nicht gefragt, ob wir uns bereits in einem anderen Leben begegnet sind. Aber wie wir hier stehen, weiß ich, dass sich das Geschehen wiederholt. Freunde finden zueinander, selbst über etliche Leben hinweg.

Nuramon steigt auf Felbion und sieht dich noch einmal voller Anerkennung an. Dann reitet er fort, und du schaust ihm nach. Du musst an das Orakel denken. Wenn du ihn doch auf das vorbereitet hättest, was auch ihn erwartet! Aber Dareen hat darauf bestanden, dass du ihm gegenüber davon schweigst.

Der Elf ist gerade verschwunden, da machst du dich daran, das letzte Stück nach Aelburin hinter dich zu bringen, um dort Solstane in die Arme zu schließen.

Die neue Halle der Schriften, Band XXI, Seite 156

Загрузка...