Kapitel 101.

Grunther Glick saß auf einer Bank in einer Zelle in der Kaserne der Schweizergarde. Er betete zu jedem Gott, den er kannte. Bitte, lass es keinen Traum sein! Es war der Volltreffer seines Lebens. Jeder Reporter der Welt wünschte sich an den Ort, an dem Günther nun war. Du bist wach, sagte er sich. Und du bist ein Star!

Chinita saß neben ihm. Auch sie wirkte wie betäubt. Günther konnte es ihr nicht verdenken. Nicht nur, dass sie beide exklusiv die Ansprache des Camerlengos übertragen hatten sie und Günther hatten der Welt furchtbare Bilder von den ermordeten Kardinalen und dem Papst geliefert - diese Zunge! - sowie ein Videobild vom Antimateriebehälter und dem laufenden Countdown. Unfassbar!

Selbstverständlich war das alles auf Geheiß des Camerlengos geschehen, also war es nicht der Grund dafür, dass Günther und Chinita nun in einer Zelle in der Kaserne der Schweizergarde eingeschlossen waren. Der Grund war Günthers wagemutiger Nachtrag zu ihrer Berichterstattung, an dem die Gardisten Anstoß genommen hatten. Günther wusste, dass die Konversation, die er soeben aufgenommen hatte, nicht für seine Ohren bestimmt gewesen war, doch das hier war sein Tag. Noch ein Knaller von Günther Glick!

»Der Samariter der elften Stunde?« Chinita stöhnte neben ihm auf der Bank. Sie war alles andere als beeindruckt.

Günther grinste. »Brillant, was?«

»Brillant dumm.«

Sie ist nur eifersüchtig, dachte Glick. Kurz nach der Ansprache des Camerlengos war Günther erneut - diesmal durch Zufall - zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen. Er

hatte gehört, wie Hauptmann Rocher seinen Leuten neue Befehle erteilt hatte. Offensichtlich hatte ein mysteriöser Unbekannter angerufen, von dem Rocher behauptete, dass er bedeutsame Informationen zur gegenwärtigen Krise besitze. Es schien so, als könnte dieser Mann helfen, und Rocher hatte seine Gardisten angewiesen, alles für die Ankunft des geheimnisvollen Unbekannten vorzubereiten.

Obwohl die Informationen zweifellos vertraulich waren, hatte Günther reagiert, wie es jeder leidenschaftliche Reporter getan hätte - ohne Spur von Ehrgefühl. Er hatte eine dunkle Ecke aufgesucht, Chinita befohlen, ihre Kamera einzuschalten, und die Nachricht aufgezeichnet.

»Schockierende neue Entwicklungen in der Stadt Gottes«, hatte er angekündigt und die Augen zu schmalen Schlitzen verengt, um die Eindringlichkeit seiner Worte zu steigern. Dann hatte er weiter ausgeführt, dass ein mysteriöser Gast auf dem Weg in die Vatikanstadt sei, um die Situation zu retten. »Samariter der elften Stunde«, hatte Günther ihn genannt - der perfekte Name für jenen gesichtslosen Fremden, der in letzter Minute auftauchte, um eine gute Tat zu vollbringen. Die anderen Sender hatten Günthers einprägsame Formulierung sofort übernommen, und Günther war noch ein Stück unsterblicher geworden.

Ich bin brillant, sinnierte er. Peter Jennings ist wahrscheinlich gerade vor Neid von einer Brücke gesprungen.

Selbstverständlich hatte Günther an dieser Stelle noch längst nicht Halt gemacht. Während die ganze Welt seinem Bericht lauschte, hatte er seine eigene Verschwörungstheorie zum Besten gegeben.

Brillant. Absolut brillant!

»Du hast es vermasselt«, sagte Chinita in diesem Augenblick. »Vollkommen vermasselt.«

»Was willst du damit sagen? Ich war großartig!«

Chinita starrte ihn ungläubig an. »Der Expräsident George Bush - ein Illuminatus?«

Günther lächelte. Wie viel offensichtlicher musste es denn noch sein? Es war allgemein bekannt, dass George Bush Freimaurer war - und er war Leiter der CIA gewesen, als die Agentur ihre Untersuchungen über die Illuminati abgeschlossen hatte. aus Mangel an Beweisen, wie es hieß. Und all die großen Reden über »tausend Lichter« und eine »neue Weltordnung«. Bush war ohne den geringsten Zweifel ein Illuminatus.

»Und was sollte diese Geschichte über CERN?«, spottete Chinita. »Spätestens morgen früh hast du eine riesige Schlange von Anwälten mit Schadensersatzforderungen vor der Tür.«

»CERN? Na hör mal! Das ist doch wohl offensichtlich! Denk mal drüber nach, Chinita - die Illuminati verschwanden in den Fünfzigerjahren von der Bildfläche, um die gleiche Zeit, als CERN gegründet wurde! CERN ist der Himmel für die klügsten Köpfe der Erde! Unsummen an privaten Stiftungsgeldern! Sie bauen eine Waffe, die imstande ist, die Kirche zu vernichten, und - hoppla! - sie verlieren sie!«

»Dann willst du der Welt erzählen, dass CERN die neue Heimatbasis der Illuminati ist?«

»Selbstverständlich! Geheime Bruderschaften verschwinden nicht einfach so. Sie gehen irgendwo in den Untergrund. CERN ist das perfekte Versteck für sie. Ich sage nicht, dass jeder bei CERN ein Illuminatus ist. Wahrscheinlich ist es eher wie eine einzige große Freimaurerloge, die meisten Menschen sind unschuldig und ahnungslos, bis auf die oberen Echelons.«

»Hast du jemals von Verleumdung gehört, Günther? Von Haftung?«

»Hast du je von echtem Journalismus gehört?«

»Journalismus? Du hast Unsinn erzählt, frei erfundenes Zeug! Ich hätte die Kamera abschalten sollen! Und was, zur Hölle,

sollte dieser Schwachsinn über das Logo von CERN? Satanische Symbolologie? Hast du endgültig den Verstand verloren?«

Günther lächelte. Chinitas Eifersucht war nicht zu übersehen. Die Geschichte mit dem Logo war der brillanteste Coup von allen. Seit der Ansprache des Camerlengos redeten alle Sender von CERN und Antimaterie. Einige zeigten das Logo CERNs als Hintergrundbild. Das Logo war unverdächtig zwei sich schneidende Kreise, die zwei verschiedene Teilchenbeschleuniger repräsentierten, und fünf Tangenten, die Injektionstunnel. Die ganze Welt starrte auf das Logo, doch es war Günther gewesen, selbst ein Hobby-Symbolologe, der zuerst die versteckte Andeutung auf die Illuminati darin gefunden hatte.

»Du bist kein Symbolologe«, spottete Chinita. »Du bist nur ein gewöhnlicher Reporter mit mehr Glück als Verstand. Du hättest die Symbolologie diesem Typen aus Harvard überlassen sollen.«

»Der Harvard-Typ hat es übersehen«, entgegnete Günther.

Die Illuminati-Signifikanz dieses Logos ist so offensichtlich!

Er strahlte innerlich. CERN besaß eine ganze Reihe von Beschleunigern, doch das Logo zeigte nur zwei. Zwei ist die Illuminati-Zahl für Dualität. Obwohl die meisten Beschleuniger nur einen Injektionstunnel besaßen, zeigte das Logo fünf. Fünf ist die Zahl des Illuminati-Pentagramms. Dann kam der Clou -der brillanteste Schachzug von allen. Günther hatte vor laufender Kamera darauf hingewiesen, dass das Logo eine große numerische »6« enthielt - gebildet von einem der Ringe und einem Injektionstunnel. Wenn man das Logo drehte, erschien eine weitere »6«. und noch eine. Das Logo enthielt drei Sechsen! 666! Die teuflische Zahl. Die Zahl des Tiers!

Günther betrachtete sich als Genie.

Chinita sah aus, als wollte sie ihn erschlagen.

Die Eifersucht würde vergehen, wie Günther wusste, während sein Verstand einen neuen Gedanken analysierte. Wenn CERN das Hauptquartier der Illuminati war - bewahrten sie dort auch ihren berühmten Diamanten auf? Günther hatte im Internet darüber gelesen.». ein makelloser Diamant, erschaffen aus den Elementen und von derartiger Perfektion, dass jeder, der ihn sieht, vor Staunen und Ehrfurcht erstarrt.«

Günther fragte sich, ob der geheime Ort, an dem der Diamant aufbewahrt wurde, ein weiteres Geheimnis war, das er in dieser Nacht enthüllen würde.

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