Kapitel 135.

Die Dämmerung setzte spät ein.

Ein frühes Gewitter hatte die Menge vom Petersplatz vertrieben. Die Medien hatten durchgehalten. Reporter duckten sich unter Regenschirme oder hatten sich in ihre Übertragungswagen zurückgezogen, während sie die Ereignisse der vergangenen Nacht kommentierten. Überall in der Welt drängten sich Menschen in den Kirchen. Es war eine Zeit innerer Einkehr und Diskussion. für alle Religionen. Fragen wurden gestellt, doch die Antworten warfen nur noch weitere Fragen auf. Bisher hatte der Vatikan geschwiegen und keinerlei Presseverlautbarung herausgegeben.

Tief in den vatikanischen Höhlen kniete Kardinal Mortati allein vor dem offenen Sarkophag. Er griff hinein und schloss den schwarzen Mund des toten Papstes. Seine Heiligkeit sah nun friedlich aus. In stiller Hoffnung auf die Ewigkeit.

Zu Mortatis Füßen stand eine goldene Urne voller Asche. Mortati hatte sie selbst eingesammelt und hergebracht. »Mögen Sie ihm vergeben, Eure Heiligkeit«, sagte er zu dem toten Papst und stellte die Urne an seine Seite in den Sarkophag. »Keine Liebe ist größer als die eines Vaters zu seinem Sohn.« Mortati zupfte das päpstliche Gewand zurecht, bis es die Urne verdeckte. Die heilige Kaverne war den sterblichen Überresten von Päpsten vorbehalten, doch irgendwie spürte Mortati, dass dieser Ort für den toten Camerlengo angemessen war.

»Monsignore?«, fragte jemand und betrat die Höhle. Es war Leutnant Chartrand. Er wurde von drei Hellebardieren begleitet. »Man erwartet Sie im Konklave.«

Mortati nickte. »Sofort.« Er blickte ein letztes Mal hinunter in den Sarkophag; dann stand er auf. Er wandte sich zu den

Schweizergardisten um. »Es ist an der Zeit, dass Seiner Heiligkeit die Ruhe zuteil wird, die er sich verdient hat.«

Die Schweizergardisten traten vor, und mit einer gemeinsamen großen Kraftanstrengung schoben sie den Deckel des Sarkophags wieder auf seinen Platz. Er rastete mit einem Geräusch von Endgültigkeit ein.

Mortati war allein, als er den Borgiahof überquerte und sich der Sixtinischen Kapelle näherte. Ein feuchter Wind verfing sich in seinem Gewand. Ein Kardinalskollege trat aus dem Apostolischen Palast und ging neben ihm her. »Geben Sie mir die Ehre, Sie zum Konklave zu begleiten, Monsignore?«

»Die Ehre ist ganz auf meiner Seite, Monsignore.«

Der Kardinal blickte betreten drein. »Monsignore«, sagte er. »Das Kollegium muss sich wegen gestern Nacht bei Ihnen entschuldigen. Wir waren geblendet von.«

»Bitte«, unterbrach Mortati. »Es gibt Dinge, von denen unsere Herzen wünschen, dass sie wahr wären.«

Der Kardinal schwieg einen Augenblick. »Hat man Sie informiert?«, fragte er schließlich. »Sie sind nicht mehr unser Zeremonienmeister.«

Mortati lächelte. »Ja. Ich danke Gott für kleine Gefälligkeiten.«

»Das Kollegium hat einmütig auf Ihrer Wählbarkeit bestanden, Monsignore.«

»Wie es scheint, ist die Mildtätigkeit in der Kirche noch nicht ausgestorben.«

»Sie sind ein weiser Mann, Monsignore. Sie würden uns alle gut führen.«

»Ich bin ein alter Mann. Ich würde Sie nur kurze Zeit führen.«

Beide lachten.

Als sie das Ende des Borgiahofs erreichten, zögerte der andere Kardinal. Er wandte sich mit besorgter Verwirrung zu

Mortati, als wäre die gefährliche Ehrfurcht der vergangenen Nacht in sein Herz zurückgekehrt. »Wussten Sie, Monsignore«, flüsterte er, »dass wir keinerlei sterbliche Überreste des Camerlengos auf dem päpstlichen Balkon gefunden haben?«

Mortati lächelte. »Vielleicht hat der Regen sie weggespült.« Der Mann blickte hinauf zum stürmischen Himmel. »Ja. Vielleicht.«

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