Kapitel 36.

Die Diensträume der Schweizergarde.

Langdon stand im Eingang und betrachtete staunend den Aufeinanderprall der Jahrhunderte. Mixed Media. Der Raum war eine prachtvoll ausgestattete Renaissancebibliothek, komplett mit verzierten Bücherregalen, orientalischen Teppichen und farbenfrohen Wandbehängen. und doch starrte alles vor modernster Technologie. Computer, Faxgeräte, elektronische Karten des gesamten Komplexes, Fernsehgeräte, die auf CNN eingestellt waren. Männer in bunten Uniformen arbeiteten fieberhaft an Bildschirmen oder lauschten angestrengt auf das, was aus futuristischen Kopfhörern drang.

»Warten Sie hier!«, befahl der Gardist.

Langdon und Vittoria gehorchten, während der Mann den Raum durchquerte und einem ungewöhnlich großen, drahtigen Offizier in dunkler militärischer Uniform Bericht erstattete. Der Offizier sprach in ein mobiles Telefon und stand so steif, dass es aussah, als müsste er jeden Augenblick nach hinten kippen. Der Gardist sagte etwas zu ihm, und der Mann warf einen Blick zu Langdon und Vittoria herüber. Er nickte; dann wandte er den beiden wieder den Rücken zu und telefonierte weiter.

Der Gardist kehrte zurück. »Oberst Olivetti wird sich gleich um Sie beide kümmern.«

»Danke sehr.«

Der Gardist machte kehrt und verließ den Raum.

Langdon betrachtete Oberst Olivetti, während ihm allmählich bewusst wurde, dass der Mann genau genommen der Befehlshaber der bewaffneten Streitkräfte eines ganzen Landes war. Langdon und Vittoria beobachteten das hektische Treiben ringsum. Bunt gekleidete Gardisten wimmelten durcheinander und brüllten sich auf Italienisch Befehle und Meldungen zu.

»Continua cercando!«, rief einer in ein Telefon.

»Probasti il museo?«, fragte ein anderer.

Obwohl Langdons Italienisch-Kenntnisse gering waren, verstand er sofort, dass die Gardisten hektisch suchten. Das war ein gutes Zeichen. Die schlechte Nachricht war, dass sie die Antimaterie offensichtlich noch nicht gefunden hatten.

»Alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte er Vittoria.

Sie zuckte die Schultern und lächelte müde.

Als der Kommandant der Schweizergarde schließlich das Gespräch beendete und sich durch den Raum hindurch näherte, schien er mit jedem Schritt zu wachsen. Langdon war selbst groß gewachsen und musste nur selten zu anderen Menschen aufblicken, doch Kommandant Olivetti ließ ihm keine andere Wahl. Langdon spürte augenblicklich, dass der Oberst ein erfahrener Mann war. Sein Gesicht war hager und hart. Er trug das dunkle Haar militärisch kurz. Seine Augen strahlten jene Art eiserner Entschlossenheit aus, die man nur durch Jahre intensiven Trainings erwerben konnte. Er bewegte sich so steif, als hätte er einen Besenstiel verschluckt, und der Hörer, den er diskret hinter dem Ohr trug, verlieh ihm mehr Ähnlichkeit mit einem Agenten des Secret Service als einem Schweizergardisten.

Er begrüßte sie in nicht ganz akzentfreiem Englisch. Seine Stimme war für einen so großen Mann verblüffend leise, kaum mehr als ein Flüstern. Die militärische Strenge und Effizienz war dennoch nicht zu überhören. »Guten Tag«, sagte er. »Ich bin Oberst Olivetti - Comandante Principale der Schweizergarde. Ich habe Ihren Direktor angerufen.«

Vittoria begegnete seinem Blick. »Danke sehr, dass Sie uns gerufen haben, Sir.«

Der Kommandant antwortete nicht. Er bedeutete ihnen mit einem Wink, ihm zu folgen, und führte sie durch das Gewirr aus Elektronik zu einer Tür. »Bitte treten Sie ein«, sagte er und hielt

die Tür auf.

Langdon und Vittoria betraten den Raum und fanden sich in einem verdunkelten Zimmer mit einer Wand aus Monitoren wieder, die abwechselnd verschiedene Schwarzweißbilder des gesamten Komplexes zeigten. Ein junger Gardist saß vor dem Kontrollpult und beobachtete die Monitore.

»Fuory!«, sagte Olivetti.

Der Gardist erhob sich und ging.

Olivetti trat zu einem der Schirme und deutete darauf. Dann wandte er sich seinen Besuchern zu. »Dieses Bild wird von einer drahtlosen Kamera übertragen, die irgendwo in der Vatikanstadt versteckt wurde. Ich hätte gerne eine Erklärung.«

Langdon und Vittoria sahen auf den Schirm und atmeten tief ein. Das Bild war eindeutig. Kein Zweifel. Es war der Antimateriebehälter von CERN. Im Innern schwebte auf geheimnisvolle Weise ein winziger Tropfen einer metallischen Flüssigkeit, beleuchtet vom rhythmischen Blinken einer digitalen LED-Uhr. Die Umgebung rings um den Behälter war völlig dunkel, als befände er sich in einem Schrank oder einem lichtlosen Raum. Am Rand des Monitors leuchtete eine eingeblendete Textmeldung: Liveübertragung - Kamera #86.

Vittoria starrte auf das rot blinkende Display. »Weniger als sechs Stunden«, flüsterte sie Langdon mit angespannter Miene zu.

Langdon warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Also bleibt uns noch Zeit bis.« Er verstummte, und in seinem Magen bildete sich ein Klumpen.

»Mitternacht«, vollendete Vittoria seinen Satz mit aufsteigender Panik.

Mitternacht, dachte Langdon. Ein Gespür für das Dramatische. Wer auch immer für den Diebstahl des Behälters verantwortlich war, hatte offensichtlich die Entnahme aus der

Ladestation zeitlich perfekt abgepasst. Eine düstere Vorahnung stieg in Langdon auf, als ihm bewusst wurde, dass er mitten auf dem Pulverfass saß.

Olivettis leise Stimme war mehr wie ein Zischen, als er fragte: »Gehört dieses Objekt Ihrer Einrichtung?«

Vittoria nickte. »Ja. Es wurde aus einem CERN-Labor gestohlen. Es enthält eine extrem instabile Substanz, die wir Antimaterie nennen.«

Olivetti blickte sie ungerührt an. »Ich bin durchaus vertraut mit Sprengstoffen, Signorina Vetra. Ich habe noch nie von Antimaterie gehört.«

»Es ist eine neue Technologie. Wir müssen die Antimaterie augenblicklich bergen oder die Vatikanstadt evakuieren!«

Olivetti schloss die Augen und öffnete sie wieder, als könnte er damit das, was er soeben erfahren hatte, irgendwie ändern. »Evakuieren? Wissen Sie eigentlich, was heute Abend an diesem Ort stattfindet?«

»Das wissen wir. Die Kardinale schweben genauso in Lebensgefahr wie jeder andere hier. Uns bleiben etwa sechs Stunden. Haben Sie bereits Fortschritte bei Ihrer Suche nach dem Behälter gemacht?«

Olivetti schüttelte den Kopf. »Wir haben noch gar nicht damit angefangen.«

Vittoria stöhnte auf. »Was? Aber wir haben doch gehört, wie Ihre Männer über die Suche geredet.«

»Sie suchen, das stimmt«, unterbrach sie Olivetti. »Allerdings nicht nach Ihrem Behälter. Meine Männer suchen nach etwas anderem, das Sie beide wohl kaum interessieren dürfte.«

Vittorias Stimme klirrte vor Kälte. »Sie haben noch gar nicht mit der Suche angefangen’?«

Olivettis Pupillen verengten sich zu winzigen Punkten. Er blickte Vittoria leidenschaftslos an wie ein Insekt. »Signorina

Vetra, nicht wahr? Lassen Sie mich Ihnen etwas erklären. Der Direktor Ihrer Einrichtung hat sich geweigert, mir am Telefon Einzelheiten über dieses Objekt mitzuteilen. Er hat lediglich gesagt, ich müsste es auf der Stelle finden. Wir sind sehr beschäftigt, und ich bin nicht in der Lage, zusätzliche Leute für ein Problem abzustellen, solange ich keine genaueren Einzelheiten erfahre.«

»Jetzt, in diesem Augenblick, gibt es nur eine entscheidende Einzelheit«, entgegnete Vittoria. »Dieser Behälter wird in weniger als sechs Stunden den gesamten Vatikan atomisieren.«

Olivetti stand reglos da. »Signorina Vetra, etwas sollten Sie wissen.« Sein Tonfall klang väterlich herablassend. »Trotz des archaischen Erscheinungsbilds der Vatikanstadt ist jeder Eingang, sowohl die öffentlichen als auch die privaten, mit der fortgeschrittensten Detektortechnologie ausgestattet, die es gibt. Falls jemand versuchen sollte, die Vatikanstadt mit Sprengstoff zu betreten, würde er augenblicklich entdeckt. Wir verfügen über Isotopenscanner, die jegliches radioaktive Material aufspüren, und Geruchsscanner, die von der amerikanischen DEA entwickelt wurden, um auch die schwächsten chemischen Spuren von Sprengstoffen und Toxinen zu finden. Darüber hinaus setzen wir die modernsten Metalldetektoren und Röntgenapparate ein, die es auf dem Markt gibt.«

»Sehr beeindruckend«, entgegnete Vittoria mit der gleichen herablassenden Kälte wie Olivetti. »Unglücklicherweise ist Antimaterie nicht radioaktiv, die chemische Signatur entspricht der von reinem Wasserstoff, und der Behälter besteht aus Plastik. Keiner Ihrer Apparate hätte ihn entdecken können.«

»Doch der Behälter verfügt über eine Energiequelle«, widersprach Olivetti und deutete auf die blinkende Anzeige, die auf dem Bildschirm zu sehen war. »Selbst die kleinsten Spuren von Nickel oder Cadmium würden von unseren.«

»Die Batterien bestehen ebenfalls aus Kunststoff.«

Olivettis Geduld schwand sichtlich dahin. »Plastikbatterien?«

»Polymergel-Elektrolyt mit Teflon.«

Olivetti beugte sich zu ihr herab, wie um seinen Größenvorteil zu betonen. »Signorina, der Vatikan ist das Ziel von Dutzenden von Bombendrohungen jeden Monat. Ich persönlich bilde jeden Gardisten in moderner Sprengstofftechnologie aus. Ich weiß sehr wohl, dass es auf der ganzen Welt keinen Sprengstoff gibt, der so viel Sprengkraft besitzt, wie Sie es beschreiben, es sei denn, wir sprechen hier von einem nuklearen Gefechtskopf mit einem Kern von der Größe eines Baseballs.«

Vittoria erwiderte seinen Blick mit der gleichen Härte. »Die Natur besitzt viele Geheimnisse, die es erst noch zu entdecken gilt«, sagte sie.

Olivetti brachte sein Gesicht noch näher an das ihre. »Darf ich erfahren, wer genau Sie überhaupt sind? Welche Position haben Sie bei CERN?«

»Ich bin ein ranghohes Mitglied des Forschungspersonals und für die Dauer dieser Krise als Verbindungsfrau zum Vatikan bestellt.«

»Verzeihen Sie, wenn ich unhöflich erscheine, doch falls es sich hier tatsächlich um eine Krise handelt, warum spreche ich dann mit Ihnen und nicht mit Ihrem Direktor? Und wieso erdreisten Sie sich eigentlich, den Vatikan in kurzen Hosen zu besuchen?«

Langdon stöhnte. Er konnte nicht fassen, dass der Mann sich unter den gegebenen Umständen an Vittorias Kleidung störte. Andererseits wurde ihm bewusst, wenn steinerne Penisse bei den Bewohnern des Vatikans lustvolle Gedanken erwecken konnten, stellte Vittoria Vetra in kurzen Hosen tatsächlich eine Gefahr für die nationale Sicherheit dar.

»Oberst Olivetti«, versuchte Langdon die zweite Bombe zu entschärfen, die im Begriff stand zu explodieren. »Mein Name ist Robert Langdon. Ich bin Professor für Kunstgeschichte in den Vereinigten Staaten und stehe nicht mit CERN in Verbindung. Ich habe eine Demonstration dessen gesehen, wozu Antimaterie imstande ist, und ich verbürge mich für Miss Vetras Aussage, dass die Substanz eine extreme Gefahr darstellt. Wir haben Grund zu der Annahme, dass der Behälter von den Anhängern eines antichristlichen Kultes gestohlen und in der Vatikanstadt versteckt wurde mit der Absicht, das heilige Konklave zu stören.«

Olivetti wandte sich um und blickte auf Langdon herab. »Eine Frau in kurzen Hosen sagt mir, dass ein Tröpfchen von einer Flüssigkeit die ganze Vatikanstadt in die Luft jagen wird, und ein amerikanischer Professor erzählt mir etwas von einem antireligiösen Kult. Was erwarten Sie beide eigentlich, was ich tun soll?«

»Finden Sie den Behälter«, sagte Vittoria. »Auf der Stelle.«

»Unmöglich. Dieser Behälter kann überall sein. Die Vatikanstadt ist riesig.«

»Ihre Kameras sind nicht mit GPS-Sendern ausgerüstet?«

»Unsere Kameras werden im Allgemeinen nicht gestohlen. Es wird wahrscheinlich Tage dauern, die entwendete Kamera zu lokalisieren.«

»Wir haben aber keine Tage!«, entgegnete Vittoria eisern. »Wir haben etwas weniger als sechs Stunden.«

»Sechs Stunden bis was, Signorina Vetra?« Olivettis Stimme wurde unvermittelt lauter. Er deutete auf den Bildschirm. »Bis dieser Countdown bei null angekommen ist? Bis die Vatikanstadt verschwindet? Glauben Sie mir, ich mag es überhaupt nicht, wenn irgendjemand sich an meinem Sicherheitssystem zu schaffen macht, genauso wenig, wie ich es mag, wenn irgendwelche elektronischen Apparate unvermutet in meinen Mauern auftauchen. Ich bin besorgt. Es ist mein Job, mir Sorgen zu machen! Doch was Sie mir da erzählen, ist inakzeptabel!«

»Wissen Sie, wer die Illuminati sind, Oberst?«, meldete sich Langdon zu Wort.

Der Kommandant war mit seiner Geduld sichtlich am Eide. Er verdrehte die Augen, bis das Weiße zu sehen war. »Ich warne Sie! Ich habe keine Zeit für so etwas!«

»Also wissen Sie, wer die Illuminati sind?«

Zorn sprühte aus Olivettis Augen. »Ich habe geschworen, die katholische Kirche mit meinem Leben zu verteidigen! Selbstverständlich weiß ich, wer die Illuminati sind! Und ich weiß auch, dass es sie seit Jahrzehnten nicht mehr gibt!«

Langdon griff in seine Tasche und zog das Fax hervor, auf dem Leonardo Vetras gebrandmarkter Leichnam zu sehen war. Er reichte es Olivetti.

»Ich beschäftige mich von Berufs wegen mit den Illuminati «, sagte Langdon, während Olivetti das Bild anstarrte. »Es fällt mir selbst schwer zu akzeptieren, dass die Illuminati immer noch aktiv sind, und doch hat mich das Auftauchen dieses Brandmals zusammen mit der Tatsache, dass die Illuminati eine alte Fehde gegen den Vatikan führen, eines Besseren belehrt.«

»Ein solches Bild lässt sich mit jedem Computer fälschen!« Olivetti gab Langdon das Papier zurück.

Langdon starrte ihn ungläubig an. »Fälschen? Sehen Sie sich die Symmetrie an! Gerade Sie sollten die Authentizität dieses Symbols.«

»Authentizität ist ganz genau das, was Ihnen fehlt, Professor. Vielleicht hat Signorina Vetra Sie nicht darüber in Kenntnis gesetzt, doch die Wissenschaftler von CERN kritisieren die Politik des Vatikans seit Jahrzehnten! Sie verlangen in regelmäßigen Abständen, dass wir die Schöpfungstheorie zurücknehmen, dass wir uns formell für Galilei und Kopernikus entschuldigen und dass wir unsere Kritik an gefährlicher oder unmoralischer Forschung einstellen. Welches Szenario ist in Ihren Augen wahrscheinlicher - dass ein vierhundert Jahre alter

Satanskult mit einer fortschrittlichen Massenvernichtungswaffe wieder auftaucht oder dass irgendein Witzbold von CERN versucht, eine heilige Zeremonie mit einem gut durchdachten Täuschungsmanöver zu stören?«

»Dieses Foto.«, sagte Vittoria mit einer Stimme wie kochende Lava, ». dieses Foto zeigt meinen Vater. Er wurde ermordet. Glauben Sie allen Ernstes, ich würde damit Witze machen?«

»Das weiß ich nicht, Signorina Vetra. Aber ich weiß, dass ich ganz sicher keinen Alarm geben werde, bevor ich nicht ein paar Antworten erhalte, die einen Sinn ergeben! Wachsamkeit und Diskretion sind meine Pflicht. damit spirituelle Angelegenheiten ohne störende Ablenkungen stattfinden können. Ganz besonders heute.«

»Dann verschieben Sie wenigstens dieses Konklave«, sagte Langdon.

»Verschieben?« Olivettis Unterkiefer sank herab. »Wie arrogant sind Sie eigentlich? Ein Konklave ist nicht rgendein amerikanisches Baseballspiel, das man verlegen kann, nur weil es regnet! Das hier ist eine heilige Zeremonie mit einem strikten Kodex und genauen Vorschriften! Ganz zu schweigen davon, dass eine Milliarde Katholiken in aller Welt auf ihren neuen Papst wartet. Die Protokolle für das Konklave sind heilig - und sie dürfen unter keinen Umständen geändert werden! Seit 1179 haben Konklaven Erdbeben, Hungersnöte und selbst die Pest überstanden! Glauben Sie mir, das Konklave wird nicht wegen des Mordes an einem Wissenschaftler verschoben, ganz gewiss nicht wegen eines Tröpfchens von Gott weiß was!«

»Bringen Sie mich bitte zu einem Entscheidungsträger«, verlangte Vittoria.

Olivetti funkelte sie an. »Sie stehen bereits vor ihm!«

»Nein«, widersprach sie. »Ich möchte mit jemandem vom Klerus sprechen.«

Die Adern auf Olivettis Stirn traten hervor. »Der Klerus ist nicht mehr da. Mit Ausnahme der Schweizergarde ist nur noch das Kardinalskollegium in der Vatikanstadt, und sämtliche Kardinale befinden sich in der Sixtinischen Kapelle.«

»Was ist mit dem Camerlengo?«, erkundigte sich Langdon tonlos.

»Wem?«

»Dem Camerlengo des verstorbenen Papstes.« Langdon wiederholte das Wort selbstsicher in der Hoffnung, dass seine Erinnerung ihn nicht im Stich ließ. Er hatte einmal von einer merkwürdigen Bestimmung im Vatikan gelesen, den Tod eines Papstes betreffend. Falls er sich nicht täuschte, ging die gesamte Autorität während der Sedisvakanz, bis zur Neuwahl eines Nachfolgers, auf den persönlichen Assistenten des verstorbenen Papstes über - den Camerlengo, eine Art Privatsekretär, der auch das Konklave einberief und beaufsichtigte, bis die Kardinäle den neuen Heiligen Vater bestimmt hatten. »Wenn ich mich recht entsinne, ist der Camerlengo im Augenblick derjenige, der die Verantwortung trägt.«

»Il Camerlengo?«, sagte Olivetti fassungslos. »Der Camerlengo ist ein gewöhnlicher Priester! Er ist nur der Kammerdiener des toten Papstes.«

»Aber er ist hier, und Sie haben seinen Anordnungen zu folgen!«

Olivetti verschränkte die Arme. »Professor Langdon, es ist zutreffend, dass die vatikanischen Vorschriften den Camerlengo während des Konklave zum obersten Beamten des Vatikans bestimmen, doch nur deswegen, weil er nicht zum Papst gewählt werden kann und daher eine unbeeinflusste Wahl gewährleistet ist. Es ist genau so, wie wenn Ihr Präsident stirbt und einer seiner Berater vorübergehend die Amtsgeschäfte im Weißen Haus führt. Der Camerlengo ist jung und sein Verständnis für die Sicherheit des Vatikans extrem beschränkt, genau wie für alles andere auch, wenn ich das sagen darf. Ich bin hier der Verantwortliche und niemand sonst.«

»Bringen Sie uns zu ihm!«, verlangte Vittoria.

»Unmöglich. Das Konklave beginnt in vierzig Minuten. Der Camerlengo hält sich im Amtszimmer des Papstes auf und bereitet alles vor. Ich werde ihn nicht mit belanglosen Sicherheitsangelegenheiten stören.«

Vittoria öffnete den Mund zu einer Erwiderung, doch ein Klopfen an der Tür kam ihr zuvor. Olivetti öffnete.

Ein Gardist in voller Montur stand draußen und deutete auf seine Uhr. »E l’ora, Comandante.«

Olivetti blickte auf seine eigene Uhr und nickte. Er wandte sich zu Langdon und Vittoria um wie ein Richter, der über ihr Schicksal entschied. »Folgen Sie mir.« Er führte sie aus dem Überwachungsraum durch das Sicherheitszentrum zu einem kleinen Raum an der Rückseite. »Mein Büro.« Er bat sie einzutreten. Das Zimmer war untypisch - ein übersäter Schreibtisch, Aktenschränke, Klappstühle, ein Trinkwasserspender.

»Ich bin in zehn Minuten zurück. Ich schlage vor, Sie verbringen die Zeit damit zu überlegen, wie Sie weiter vorgehen möchten.«

Vittoria wirbelte zu ihm herum. »Sie können nicht einfach weggehen! Dieser Behälter ist.«

»Ich habe keine Zeit dafür!«, schäumte Olivetti. »Vielleicht sollte ich Sie inhaftieren, bis das Konklave vorbei ist. Bis ich mehr Zeit für Sie habe.«

»Signore«, drängte der Gardist und deutete erneut auf seine Uhr. »Spazzare di Capella.«

Olivetti nickte und machte Anstalten zu gehen.

»Spazzare di Capella?«, fragte Vittoria verblüfft. »Sie wollen die Kapelle auskehren?«

Olivetti wandte sich einmal mehr zu ihr um, und seine Blicke durchbohrten sie. »Wir suchen die Kapelle nach elektronischen Geräten ab, Signorina Vetra. Wanzen, wenn Sie verstehen. Eine Frage der Diskretion.« Er deutete auf ihre nackten Beine. »Doch ich erwarte nicht, dass Sie das verstehen.«

Mit diesen Worten warf er die Tür ins Schloss, dass das schwere Glas klirrte. Mit einer einzigen flüssigen Bewegung nahm er einen Schlüssel aus der Tasche, schob ihn ins Schloss und drehte ihn herum. Ein schwerer Riegel glitt an seinen Platz.

»Idiota!«, fauchte Vittoria. »Sie dürfen uns nicht hier drin festhalten!«

Durch das Glas hindurch sah Langdon, wie Olivetti etwas zu dem Gardisten sagte. Der Wächter nickte. Olivetti stapfte aus dem Raum, und der Gardist wandte sich um und bezog vor der Glastür Posten, die Arme verschränkt, eine mächtige Waffe in einem Halfter an der Hüfte.

Großartig, dachte Langdon. Einfach großartig!

Загрузка...