Glick saß im Übertragungswagen am Bildschirm und tippte weitere Schlagworte in die Eingabemaske der BBC-Datenbank. Chinita Macri stand hinter ihm und sah ihm bestürzt über die Schulter.
»Ich hab’s dir doch gesagt«, murmelte Glick, als die Suchergebnisse über den Bildschirm liefen. »Der British Tattier ist nicht die einzige Zeitung, die Storys über diese Typen bringt.«
Macri las vom Bildschirm ab. Glick hatte Recht. Die BBC hatte im Verlauf der letzten zehn Jahre sechs größere Beiträge über die Geheimbruderschaft gesendet, die sich »Illuminati« nannte. Da brat mir einer ‘nen Storch, dachte sie. »Wer waren die Reporter, die diese Geschichten recherchiert haben?«, fragte sie. »Mistfinken?«
»Die BBC stellt keine Mistfinken ein.«
»Dich hat man eingestellt.«
Glick verzog das Gesicht. »Ich weiß überhaupt nicht, warum du so skeptisch bist. Die Illuminati sind eine geschichtliche Tatsache, so viel steht fest.«
»Genau wie Hexen, UFOs und das Ungeheuer von Loch Ness.«
Glick blätterte die Liste von Artikeln durch. »Schon mal was von einem Typen namens Winston Churchill gehört?«
»Kommt mir bekannt vor.«
»Die BBC hat vor einer Weile einen Bericht über Churchills Leben gebracht. Ein strenger Katholik, nebenbei bemerkt. Wusstest du, dass Churchill 1920 eine Verlautbarung herausgab, in der er die Illuminati verurteilte und die Bevölkerung vor einer weltweiten Verschwörung warnte?«
Macri blieb misstrauisch. »Wo stand diese Geschichte? Im British Tattier?«
Glick grinste. »Im London Herald. Am achten Februar 1920.«
»Das glaube ich nicht.«
»Sieh her.«
Macri las mit zusammengekniffenen Augen vom Bildschirm. Tatsächlich. London Herald, 8. 2. 1920. Das wusste ich nicht. »Wenn du mich fragst, Churchill war sowieso paranoid.«
»Da war er nicht allein«, fuhr Glick fort und las weiter. »Sieht so aus, als hätte Woodrow Wilson 1921 in drei Radioansprachen vor dem zunehmenden Einfluss der Illuminati auf das Notenbanksystem der Vereinigten Staaten gewarnt. Möchtest du ein Zitat aus der Radioaufnahme hören?«
»Nicht unbedingt.«
Glick las trotzdem vor.>»Es gibt eine Macht in unserem Land, die so geheim, so wohl organisiert und alles durchdringend ist, dass niemand lauter als im Flüsterton über sie sprechen sollte, wenn er Missbilligendes zu sagen hat.<«
»Davon habe ich nie gehört.«
»Vielleicht, weil du 1921 noch ein Kind warst.«
»Wie charmant.« Chinita steckte den Seitenhieb weg. Sie wusste, dass sie ihr Alter nicht verbergen konnte. Mit dreiundvierzig zeigten sich die ersten grauen Strähnen in den schwarzen Krauslocken. Sie war zu stolz, um sich das Haar zu färben. Ihre Mutter, eine Südstaaten-Baptistin, hatte Chinita Zufriedenheit und Selbstachtung gelehrt. Du bist eine schwarze Frau, hatte ihre Mutter gesagt, und das lässt sich nun mal nicht verbergen. Der Tag, an dem du es versuchst, ist der Tag, an dem du stirbst. Steh aufrecht, lächle und lass die anderen sich wundern, welches Geheimnis dahinter stecken mag.
»Sagt dir der Name Cecil Rhodes etwas?«, fragte Günther.
Chinita blickte auf. »Du meinst den britischen
Finanzmagnaten?«
»Ja, der. Er hat die Rhodes-Stiftung gegründet.«
»Erzähl mir nicht.«
»Illuminatus.«
»Gequirlte Kacke.«
»Nein, BBC. Sechster November 1984.«
» Wir sollen verbreitet haben, dass Cecil Rhodes zu den Illuminati gehört?«
»Wir, ja. Und nach den Unterlagen unseres Senders zu urteilen, wurde die Rhodes-Stiftung vor mehr als hundert Jahren eigens dazu gegründet, die hellsten Köpfe auf die Seite der Illuminati zu ziehen.«
»Das ist lächerlich! Mein Onkel war ein Rhodes-Stipendiat.«
Günther zwinkerte. »Bill Clinton auch.«
Jetzt wurde Chinita ärgerlich. Sie hatte noch nie viel für schlampig recherchierten Sensationsjournalismus übrig gehabt. Andererseits kannte sie die BBC gut genug, um zu wissen, dass jede Story mit größter Sorgfalt recherchiert und durch Fakten belegt war.
»Hier ist noch ein Beitrag, an den du dich bestimmt erinnerst«, fuhr Günther fort. »BBC, fünfter März 1998. Der Ausschussvorsitzende des Parlaments, Chris Mullin, verlangte von sämtlichen Mitgliedern des britischen Parlaments, die zu den Freimaurern gehörten, offen ihre Mitgliedschaft bekannt zu geben.«
Chinita erinnerte sich. Die Verordnung war schließlich so weit ausgedehnt worden, dass selbst Richter und Polizisten diese Erklärung abgeben mussten. »Warum war das noch mal gemacht worden.?«
»Aus Sorge, dass eine geheime Fraktion innerhalb der Freimaurerlogen beträchtliche Kontrolle über die politischen und finanziellen Systeme des Staates erlangen könnte«, las
Günther vor.
»Ja, genau.«
»Hat ziemlichen Aufruhr verursacht, diese Geschichte. Die Freimaurer im Parlament waren außer sich. Sie hatten auch jedes Recht dazu. Die große Mehrheit erwies sich als völlig unschuldig. Sie waren den Freimaurern wegen der Kontakte beigetreten und um wohltätige Arbeit zu verrichten. Sie hatten nicht die geringste Ahnung von den früheren Verwicklungen der Freimaurer.«
»Angeblichen Verwicklungen.«
»Was auch immer.« Glick überflog die restlichen Artikel. »Sieh dir das hier an! Die Illuminati sollen bis auf Galileo zurückgehen, bis auf die Guerenets in Frankreich und die Alumbrados in Spanien. Selbst Karl Marx und einige russische Revolutionäre waren angeblich Illuminati.«
»Geschichte ist immer die Geschichte der Sieger«, entgegnete sie.
»Möchtest du etwas, das nicht so weit zurückliegt? Wie wäre es hiermit? Ein Verweis auf die Illuminati in einem neueren Wall Street Journal.«
Endlich schien sie ihre Skepsis abzulegen. »Das Wall Street Journal?«
»Weißt du, welches Online-Computerspiel im Augenblick in Amerika am beliebtesten ist?«
»Keine Ahnung.«
»Es heißt Illuminati: New World Order.«
Chinita Macri starrte ihm aus zusammengekniffenen Augen über die Schulter. »Steve Jackson Games hat einen Megahit gelandet... ein quasihistorisches Adventure, in welchem eine alte satanische Bruderschaft aus Bayern aufbricht, um die Welt zu erobern. Die Online-Adresse lautet.« Chinita blickte fragend auf. »Was haben diese Illuminati-Typen eigentlich gegen das Christentum?«
»Nicht nur das Christentum«, sagte Günther. »Die Religion im Allgemeinen.« Er legte den Kopf zur Seite und grinste. »Obwohl. nach dem Telefonanruf von eben scheint es so, als hätte der Vatikan bei ihnen einen besonderen Stein im Brett.«
»Also wirklich, Günther! Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass dieser Typ das war, wofür er sich ausgegeben hat?«
»Ein Sendbote der Illuminati? Der vier Kardinale umbringen will?« Glick grinste. »Ich hoffe es zumindest, Chinita. Ich hoffe es wirklich.«